Shelburne, Nova Scotia – Kriegsmythen und Jelly Beans

Der Umgang mit Abfällen ist für uns Mitteleuropäer ein wenig gewöhnungsbedürftig. Etliche Häuser an den Fjorden sollen nicht an die Kanalisation angeschlossen sein und leiten ihre Abwässer direkt ins Meer. An vielen Parkplätzen am Wald wird der Müll – verbotenerweise – abgeladen, zumal es oft keine Mülleimer gibt. Aber vielleicht ist der Umgang mit Natur ein anderer, wenn man so viel davon hat.

Als erste Attraktion besuchen wir heute West Berlin. Das Dorf besteht aus etwa drei Häusern. Hatte ich irgendwie größer in Erinnerung.

Am Parkplatz vor dem Sobies Supermarkt in Liverpool will uns ein älterer Herr eine Geschichte erzählen. Im 2. Weltkrieg versenkte ein deutsches U-Boot vor der Küste Nova Scotias ein kanadisches Schiff. Die Überlebenden flüchteten in ihre Rettungstender, als das U-Boot neben ihnen auftauchte. Ein deutscher Offizier öffnete das Luk. Die erste Frage, die er den Schiffbrüchigen stellte – er sprach englisch – war, ob sie eine Zigarette rauchen wollten. Nein, wollten sie nicht. Dann bestand der Offizier darauf, die Männer sicher bis ans Ufer zu geleiten. Er hätte den Auftrag, die Schiffe zu versenken, aber nicht, die Menschen zu töten. Das hatte den alten Kanadier schwer beeindruckt. Für den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte übernehmen wir keine Haftung.

Es ist kühl und regnerisch, die Laubbäume haben noch nicht einmal den Plan gefasst auszutreiben. Plötzlich dreht der Wind auf Süd und es hat 23°C. Das Wetter wechselt im Minutentakt. Die Black Flies Saison ist eröffnet. Die kleinen schwarzen Fliegen stechen nicht etwa, sie beißen ein kleines Stück Haut heraus. Das schmerzt und blutet nicht nur, es juckt auch ein paar Tage. Zumindest sollen sie keine Krankheiten übertragen. Einziger Vorteil: Sie fliegen nur tagsüber und haben bei Wind Startverbot. Bei Sonnenuntergang werden sie von Mücken abgelöst. Ich kann nicht entscheiden, was angenehmer ist.

Das komplett aus traditionellen Holzhäusern bestehende Shelburne war 1783 gegründet worden und hatte zu seiner Glanzzeit mit 16.000 Einwohnern zu den größten Städten Nordamerikas gehört. Hollywood hatte den schmucken Ort erneut zu Ehren gebracht: Hier wurde der eigentlich in Neuengland spielende Film „The Scarlet Letter“, der scharlachrote Buchstabe, gedreht.

Eine Stunde später hat es noch 11°C. In The Hawk an der Südspitze Neuschottlands peitscht der Wind die Nebelschwaden über die grasbewachsene Küste. Ein ziemlich zerzaust aussehender Busch Osterglocken trotzt dem eisigen Wind. Hier blühen Osterglocken im Mai.

Wir passieren einige akadische Siedlungen, die alle „Pubnico“ im Namen tragen. Akadier sind Nachkommen der ersten französischen Siedler, die durch Vertreibung durch die Engländer eine leidvolle Geschichte erfahren haben. Viele von ihnen sind im Laufe der Zeit zurückgekehrt. Auf ihren Grundstücken weht die akadische Flagge – die französische Trikolore mit einem goldenen Stern. An manchen Häusern findet man einfach einen Stern. An einer Tankstelle dort schenkt uns eine junge Frau spontan einen Eimer voller Jelly Beans, die Lieblingssüßigkeit vieler amerikanischer Kinder, die sicher für ihre eigenen Sprösslinge gedacht gewesen waren.

Der vermeintlich perfekte Übernachtungsplatz mit exponierter Aussicht an der Cape St. Mary Lightstation stellt sich ganz schnell als unbrauchbar heraus. Das Nebelhorn tutet in Minutenabständen mit durchdringender Lautstärke. Wir verziehen uns ein paar Kilometer weiter an den Strand, wo das Horn nur noch als Hintergrundgeräusch zu hören ist.

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