St. Anthony, Neufundland – Kommt ein Eisberg geschwommen

Die Qualität des Essens, vor allem in Restaurants, halte ich für höher als in den USA. Aber Lebensmittel aus dem Supermarkt haben einen ähnlichen Chemikaliengehalt wie gemeiner Toilettenreiniger. Im Allgemeinen sollten drei Zutaten zur Herstellung von Hüttenkäse genügen; hier sind es 15. Joghurt hat 0% Fett, aber eine Tonne Zucker – das schlabberige Bindemittel nicht zu vergessen. Der frische Fisch und Hummer entschädigen jedoch dafür – einfach köstlich.

Wir sind im hohen Norden der Insel. Da! Unser erster Eisberg. Und dann noch einer und noch einer. Sie werden immer größer. Majestätisch treiben sie an der Küste entlang Richtung Süden. Dabei ist das Wetter draußen unheimlich eklig. Es ist feucht, kalt und windig. 2°C und Schneeregen.

Die Neufundländer klagen über mangelnden Tourismus. An der Infrastruktur kann es nicht liegen. Hotels, Motels, Bed & Breakfasts und Campingplätze gibt es allerorten (auch wenn die letztgenannten und fast alle Museen noch nicht offen haben). Die Straßen sind gut, hervorragend ausgeschildert und fast jedes Dorf hat eine Touristeninformation. Sollte es am Wetter liegen? Auch wenn jetzt, zugegebenermaßen, nicht ganz die ideale Reisezeit für die Insel ist: Selbst im Hochsommer hat es selten mehr als 15 Grad. Und wenn es denn mal schön ist, kommen die Mücken raus. Das ausgedehnte Sumpfland bietet dem Nachwuchs ausreichend Möglichkeiten.

Immer mehr Eisberge nähern sich der Küste, der Sturm treibt sie heran. In den Buchten sammelt sich Treibeis. Jörg hackt mit meinem Begleitbeil ein Stück aus einem angeschwemmten Eisberg. Wir packen den Brocken ins Gefrierfach. Unterdessen nimmt die Windgeschwindigkeit weiter zu. Hatten wir bisher Schlagseite von den seitlichen Böen, müssen wir jetzt runterschalten um vorwärts zu kommen, da wir den Sturm von vorne haben. Die Windgeschwindigkeit liegt jetzt schon weit über 100 km/h. Der Schneeregen peitscht horizontal über die Straße. Die Windgeräusche sind so laut, dass eine Unterhaltung schwierig ist. In kleinen Senken liegt überall noch Schnee. Nur mal so zur geistigen Ertüchtigung: Neufundland liegt geographisch auf der Höhe von Ungarn. Klimatisch hat es nicht das Geringste damit zu tun. Die Insel liegt im nordatlantischen Kühlschrank und ist auch sonst vom Wetter nicht gerade begünstigt. Ich frage mich, wie viel Regen an einem Tag fallen kann, Und ob man sich Heimat schön reden kann. Heute beschleicht mich das Gefühl, dass Neufundland – trotz der unberührten Landschaft – nicht mein neuer Wohnsitz werden wird.

Tim Hortons rettet uns mal wieder den Nachmittag, denn es hört nicht auf zu schütten. Ein heißer Kaffe und ein paar süße Teilchen aus dem Fast-Food-Café heben die Stimmung.

Aus den Bergen stürzt das Wasser nur so, es bilden sich zahlreiche Wasserfälle, neue Wildbäche entstehen. Die Straßengräben sind zwei Meter tief, jetzt wird klar warum. Die zwei Millionen Seen Kanadas wollen irgendwie gefüllt werden. Die Windgeschwindigkeit nimmt erneut zu. Schaum weht von den Wellen ab. Die Eisberge sind noch näher an die Küste herangetrieben. Wellen lecken an jahrhunderte, wenn nicht jahrtausende altem gefrorenem Süßwasser. Einer der wunderschönen reinen, türkisfarbenen Giganten bricht gerade auseinander. Welch lange Reise muss er zurückgelegt haben, nur um hier, in der Bucht von Green Island Brooke, schmelzend zu sterben.

Aktueller Sichtungsstand: 18 Elche, fünf Karibus und sechs Eisberge.

Zum Abschluss und Versöhnung mit dem Tag schenkt uns Jörg einen Ardbeg auf ein Stückchen Eisberg ins Glas. Es geht doch nichts über einen guten Whiskey auf Gletschereis.

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