Cartwright, Labrador – der am weitesten von Disneyland entfernte Platz der Welt

Bei 1°C ist die Landschaft heute Morgen überzuckert. War Neufundland schon ein Erlebnis, ist Labrador Faszination pur, unberührte Landschaft, endlose Weite, grenzenlose Einsamkeit. Das Gegenteil von Massentourismus. Die Schneedecke liegt jetzt immer dichter, Schneeflocken krümeln unaufhörlich vom Himmel, etwas Nebel kommt auf. Die mit Schlaglöchern übersäte Piste wird schlechter.

Im Alexis Hotel in Port Hope Simpson sollen wir uns ein Satellitentelefon leihen. Die werden von der Regierung kostenlos für Einheimische und Besucher zur Verfügung gestellt, wenn sie ins Binnenland fahren. Da es keinerlei Mobilfunk-, Radioempfang oder Notrufsäulen gibt und dazu kaum Verkehr, dient dies der Kommunikationsaufnahme im Notfall. Leider sind Telefone heute aus. Ist angeblich das erste Mal passiert. Wir könnten einen winzigen Umweg von 60 km über Charlottetown nehmen. Da wir aber erst nach Cartwright fahren, sollen wir uns von dort ein Satellitenhandy holen. Abgeben kann man die Geräte einfach an der letzten Station, bevor man das Land verlässt.

Vor dem Hotel treffen wir eine Deutsche. Die Tochter eines Camperkabinenherstellers – nicht der unseren allerdings – findet es sehr amüsant, in Labrador auf ein deutsches Expeditionsmobil zu stoßen. Sie hatte die letzten sechs Monate hier als Austauschschülerin verbracht.

Die Frau an der Tankstelle von Port Hope Simpson hält uns für eine unbekannte Lebensform von einem fremden Planeten. Auf die Frage wo und in welcher Entfernung  die nächsten Tankstellen mit Diesel lägen, schüttelt sie unverständig den Kopf. Was wir denn in Cartwright gedenken würden zu besichtigen. Und bis Happy Valley Goose Bay seien es über 400 km! Erst auf mehrmaligen Nachhaken hin bekomme ich zumindest ein ja oder nein zu meinen Tankstellenfragen. Ich verdrücke mich vorsichtshalber schnell, bevor sie die Ghostbusters rufen kann.

Wir fahren durch endlose Wälder, Moore und Sümpfe. Dazu schneit oder regnet es ohne Unterlass. Man kann stundenlang unterwegs sein, ohne einem anderen Lebewesen zu begegnen. Putzig wirken die herrenlosen Schneemobile mit und ohne Anhänger oder Anhänger solo, die nach dem letzten Schneefall einfach neben der Straße liegen geblieben sind. Ob die Besitzer die im nächsten Winter wieder finden?

Im Cartwright Hotel erhalten wir unser Satellitenhandy. Die Tankstelle habe für heute schon geschlossen, erfahren wir (sie schließt um 17 Uhr), aber Supermarkt und Liquor Express hätten noch offen. Die Straße in den Ort habe ein nettes Muster, werden wir gewarnt. Wie wahr: Eine Piste mit derartig vielen Schlaglöchern habe ich bislang nicht gesehen. Die 30 km/h zulässige Höchstgeschwindigkeit sind maßlos übertrieben. Wir sind hierher gekommen, um den Porcupine Strand zu sehen. Am 56 km langen goldenen Sandstrand wurden zahlreiche Artefakte gefunden, die auf eine Besiedlung vor bereits 7500 Jahren schließen lassen. Schwarzbären sollen in den mündenden Flüssen nach Forellen fischen. Der Strand ist nur per Boot erreichbar. Die Wetterlage hat jedoch die Eisberge in die Bucht getrieben, sodass ein Fischerboot am Vortag fast nicht wieder herausgekommen ist. Der permanente Schneefall lässt uns nicht gerade auf einen vergnüglichen Strandtag hoffen, also legen wir den Plan ad acta. Auch mit der Dame von der Tankstelle in P.H. Simpson habe ich mich versöhnt. Cartwright selbst hat tatsächlich nichts zu bieten. Es ist unordentlich, wirkt eher schmutzig und wenig einladend. Mehrere Leute haben uns unabhängig voneinander erzählt, dass ein Einwanderungsantrag nach Kanada 4 Jahre dauert. Egal, ob man ihn vom Heimatland aus stellt oder sich bereits in Kanada befindet. Mir schwant, würde ich als künftigen Wohnsitz Cartwright angeben, würde ich die Genehmigung sofort erhalten. Ein Auto, eine Waschmaschine und ein Satellitenhandy gäbe es noch obendrauf. Wir kaufen ein paar Flaschen Bier im staatlichen Liquor Expres und machen uns ohne zu tanken auf den Rückweg.

Arminius ist von unten bis oben mit Dreck bespritzt, man kann nichts mehr anfassen. Wenn wir wieder auf eine Asphaltstraße kommen, müssen wir auf einen Wolkenbruch oder eine Waschanlage hoffen.

Zwischen Cartwright und Port Hope Simpson biegen wir auf einen neuen Schotter-Highway ab. Hier verlässt uns Lissy. Trotz neuestem Update kennt das Navi diese Straße noch nicht. Der Track wurde vor nicht allzu langer Zeit fertig gestellt, um das zentrale Labrador an die besser erschlossene Küstenregion anzubinden. Auch heute noch gibt es zahlreiche Orte, die nur per Flugzeug oder Boot erreichbar sind.

Wildes Campen ist in Kanada verboten. Die Praxis sieht aber anders aus. Schon in Nova Scotia standen wir meist auf einem Parkplatz oder ähnlichem, wenn wir nicht auf einem Privatgrundstück parkten. Da die meisten Campingplätze zurzeit noch nicht offen haben, bleibt uns nichts anderes übrig. In Neufundland hat man uns an der Touristeninformation ganz offiziell mitgeteilt, wir könnten uns überall hinstellen. So lange wir nichts Verbotenes täten, würden wir nicht behelligt. In Labrador gibt es weder Campingplätze (die wenigen haben noch geschlossen), noch gibt es jemanden, der sich über wildes Campen aufregen könnte. Auf fast 300.000 qkm wohnen 30.000 Menschen, das macht einen Einwohner auf 10 qkm. Natürlich bedeutet wildes Campen in dem Fall nur übernachten. Pack man seine Campingmöbel und Grill aus, könnte man schon etwas mehr Aufmerksamkeit erregen. Aber wer will das schon bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.

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