Sheshatshiu, Labrador – Die Innu, ein Volk zwischen zwei Welten

Nachdem wir beschlossen haben, einen Tag zu rasten, bekommen wir dauernd Besuch. Neugierige junge Leute, die es auf verschiedenen Wegen hierher verschlagen hat, und die uns unterschiedliche Geschichten erzählen. Auch wenn wir nur zwei Tage hier verbringen, die sozialen Spannungen scheinen fast greifbar. Die Innu leben in Sheshatshiu auf der einen Seite des Flusses sowie Weiße und Innuit in North West River auf der anderen Seite. Die kulturellen Unterschiede scheinen eklatant zu sein. Wir bekommen nur am Rande etwas mit, aber es geht um Pünktlichkeit und Zeitgefühl (hier tickt die Innu-Uhr, sagen sie scherzhaft), Zerstörung und Müllentsorgung, Alkohol- und Drogenkonsum.

Abends sind wir zum Karibuessen bei Simon und Marron eingeladen. Karibu ist sehr mageres dunkles Fleisch, aber ohne strengen Wildgeschmack. Simon aus Deutschland schlägt sich als professioneller Clown durch die Welt, wofür er eine anderthalbjährige Ausbildung in seiner Heimat absolviert hat. Die Geschichtsstudentin Marron trägt Informationen über die Innu-Kultur zusammen. Die Innus sind ein nomadisch lebendes Volk, das in den Wäldern Kanadas von Karibujagd und Fischfang lebt. Im Gegensatz zu den eher sesshaft lebenden Innuit, die sich schon frühzeitig mit den weißen Siedlern zu arrangieren begannen, sind die Innu erst vor etwa 50 Jahren in Erscheinung getreten. Davor beschränkten sich Kontakte zu Weißen auf wenige Handelsbeziehungen, die sie pflegten. Als die kanadische Regierung den Smallwood Staudamm flutete, bot sie den Innu zum Ausgleich ihres Landverlustes pro Familie ein Haus in Sheshatshiu sowie eine erkleckliche Summe Geld an. Soziale Einrichtungen modernster Art wurden im Dorf geschaffen, schienen aber nur mäßigen Anklang zu finden. Drogenkonsum und Benzinschnüffeln waren weit verbreitete Freizeitbeschäftigungen vor allem unter Jugendlichen. Geschenktes Geld löst nicht alle Probleme, schon gar nicht den Verlust von Lebensinhalt. Das erkannte auch die kanadische Regierung und richtete wöchentliche oder zweiwöchentliche Flüge zu den unterschiedlichen Regionen im Binnenland für die Innu ein, damit sie ihren ursprünglichen Tätigkeiten nachgehen können. Das Angebot wird angenommen, die meisten haben heute wohl eine Blockhütte in den Wäldern, von wo aus sie fischen und jagen gehen, wie jetzt im Frühjahr. Die teuer eingerichtete Schule von Sheshatshiu bleibt derweil leer stehen. Doch die Innu haben bereits Zivilisationsluft geschnuppert. Den Sommer beispielsweise, wo die Mücken in den Wäldern sie auffressen würden, verbringen sie lieber in der Stadt. Dort vertreiben sie sich ihre Zeit mit Alkohol, ihre zahlreichen Kinder bevölkern die Straßen und langweilen sich zu Tode. Die Innu können sich mit der weißen Kultur nicht anfreunden, und die Weißen begegnen ihnen voller Vorurteile. Ein Problem, das auch in naher Zukunft nur schwer zu lösen sein wird.

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