Ottawa, Ontario – Eine kluge Königin und handgekurbelte Schleusen

Schon wieder sind wir in Québec gelandet. Gatineau ist die Schwesterstadt Ottawas und nur durch eine Brücke über den Ottawa River von der Hauptstadt getrennt. Die britische Königin Victoria hatte 1857 mit Bedacht Ottawa den anderen Bewerbern Montréal, Kingston und Toronto als Capital vorgezogen. Die Lage an der Grenze zwischen anglo- und frankophonem Kanada in ausreichender Entfernung zu den damals nicht allzu freundlich gesonnenen USA machte die Kleinstadt voller raubeiniger Holzfäller und völlig ohne Infrastruktur zur idealen Wahl. Trotz heftiger Proteste stellte sich die Entscheidung als äußerst kluges Votum heraus. Mangels besserer Alternativen baute man eine verkleinerte Westminsterkopie samt Londoner Big Ben in die Wildnis. Heute ist Ottawa eine florierende Metropole, die sich im Gegensatz zu vielen Hauptstädten dieser Welt ihren provinziellen Charme in angenehmer Weise erhalten hat.

Zunächst aber besuchen wir das Canadian Museum of Civilisation auf der Québec-Seite. Auf einer Reise, die einen an abertausenden Museen vorbei führt, pickt man sich gezielt die Rosinen heraus, zumal wenn man nicht unbedingt passionierter Museumsgänger ist. Dieses historische Museum ist phänomenal. Das gesamte Basement ist der Geschichte der First Nations gewidmet, wie man Indianer und andere Ureinwohner heute nennt. Einen Großteil der Ausstellungsstücke inklusive der Totempfähle darf man anfassen. Das haptische Erleben einer Ausstellung hinterlässt viel intensivere Eindrücke als rein visuelle Wahrnehmung. Das Postmuseum mit unzähligen Briefmarken und das vorbildliche auch für Erwachsene lehrreiche Kindermuseum der 2. Etage überlassen wir der Jugend. Es ist Sonntagnachmittag, das Museum ist bei Regenwetter Ziel vieler Familien. Das dritte Stockwerk zeigt anschaulich die Geschichte der letzten 1000 Jahre Kanadas, insbesondere der Besiedelung durch Weiße. Eine ganze Kleinstadt wurde aufgebaut. Man wandelt in den Gassen umher und kann die Druckerei, den Schuster oder den Schmied des 19. Jahrhunderts besuchen. Die Beleuchtung ist so geschickt arrangiert, dass man meint, durch einen nächtlichen Ort zu flanieren.

Über die Brücke laufen wir zurück nach Ottawa ins überschaubare Zentrum. Gleich nebenan fließt der Rideau Canal in den Ottawa River, der eine Verbindung zum Lake Ontario jenseits des St.-Lorenz-Stroms darstellt. Die Engländer bauten die Wasserstraße, die aus einer über 200 km langen Kette aus Seen und Kanalstücken besteht, Anfang des 19. Jahrhunderts mit enormem Aufwand, um Transporte nach Toronto auch im Fall eines Konflikts mit den Amerikanern zu sichern. Knapp 50 der zumeist handbetriebenen Schleusen überwinden 84 m Höhenunterschied, sechs davon direkt an der Kanalmündung, allesamt denkmalgeschützt. Eines der jährlich 90.000 Freizeitboote fährt gerade stromabwärts, so können wir den Schleusern beim Kurbeln zusehen. Es sieht nach harter Arbeit aus.

Der Byward Market – Bytown ist der der alte Name Ottawas – entspricht vielleicht nicht internationalen Standards, ist dafür angenehm und sympathisch. Ein zentraler Food Court mit Konditoreien und Imbissecken aus aller Welt ist umgeben von zahlreichen Obst- und Gemüseständen und Delikatessenläden. In einer Fromagerie erstehen wir zwei 500-g-Wagenräder Camembert und Brie zu je erfreulichen sechs Dollar. Ein kleiner Nachteil am Reisen ist , dass man meist nicht weiß, wo man was am besten oder günstigsten bekommt, sondern man rennt in den nächstbesten Supermarkt. Vor allem Käse ist – neben Brot – eine Herausforderung für verwöhnte Gaumen. Leckerer Importkäse verträgt sich nicht mit unserem Reisebudget. Alternative sind entweder Schmelzkäsescheiben, bei deren chemischer Zusammensetzung der Ingredienzien sich mir die Nackenhaare aufstellen, oder idiotisch geformte Käsebarren von zwei Zentimeter Höhe, acht Zentimeter Breite, aber 30 cm Länge, aus denen man prima Würfel schneiden kann, die aber zum Belegen von Brot völlig ungeeignet sind. Der Cheddar aller Altersstufen und der sogenannte Mozarella, der außer dem Namen nichts mit dem italienischen Original gemein hat, sind so hart, dass man damit zur Not auch einen Feind erschlagen kann. Als die Marktstände schließen, gibt es unterschiedliche Sorten Obst für 1 c$ die Schachtel oder Tüte: Erdbeeren, Kirschen, Brombeeren oder Pfirsiche, was immer das Herz begehrt.

Myra kocht gern und gut. Heute Abend gibt es Spaghetti mit Muscheln in Tomatensoße und grünem Spargel. Wer kann da schon nein sagen.

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