Prince Edward County, Ontario – Deutscher Wein und Mücken á la Hitchcock

Der linke kleine Zeh juckt. Das muss das Reisefieber sein. So gut es uns bei Myra und Dan gefallen hat, wir müssen „on the road again“. Der Weg führt uns stramm nach Süden und dann an der US-amerikanischen Grenze entlang Richtung Westen. Wir passieren Kingston, das als eine der schönsten Städte Ontarios gilt. Dort befindet sich das andere Ende des Rideau Canal. Eine kurze Fährfahrt bringt uns nach Prince Edward County. Die Halbinsel im Lake Ontario ist ein wunderschönes Fleckchen Erde. Schlossähnliche Holz- und Steinhäuser prangen auf riesigen ungezäunten Grundstücken, die ausnahmsweise nicht ausschließlich von gepflegtem Rasen bewachsen sind, stattdessen ragen große alte Laubbäume in den Himmel – mein Traum. Dazwischen Laubwälder aus einem anderen Zeitalter, ein mystischer hochgelegener schwarzer See ohne erkennbaren Zufluss, Weinreben, und drum herum blaues Wasser und weitere Baum bestandene Inseln.

Wir machen einen Abstecher zur Waupoos Winery. Ed Neuser, der deutsche Besitzer, lässt nicht lange auf sich warten, er wird magisch von unserem Vehikel angezogen. Eds Englisch ist besser als sein Deutsch, er ist schon in den 50er Jahren ausgewandert. Waupoos sei das älteste Weingut der Halbinsel. Laut Ed ist Prince Edward County die kälteste Region der Welt, in der Wein angebaut wird. Da im Winter regelmäßig minus 30 Grad erreicht würden, wären spezielle Techniken wie Rebsorten erforderlich. Der klassische Riesling darf nicht fehlen. Interessant nach Pfirsich, Grapefruit und Kräutern duftet der Geisenheim. Diese Hybridtraube wurde erstmals in der gleichnamigen deutschen Stadt aus einer Rieslingtraube auf einem russischen Rebstock gezogen, ist aber in Deutschland nicht populär, erklärt uns die junge Winzerin. Es ist sechs Uhr abends und Ed erkennt schnell, dass wir einen Stellplatz für die Nacht benötigen. Er gibt uns den entscheidenden Tipp und die detaillierte Landkarte dazu: Am Südostende der Insel kurz vor einem Naturschutzgebiet führen kleine Schotterwege an den See, niemand würde uns dort behelligen. Auf der Suche nach dem besten Platz kommt uns ein Pkw entgegen, wendet, um uns anschließend hartnäckig zu verfolgen. Schließlich halten wir an um herauszufinden, was der Fahrer will. Der Einwanderer unbestimmter Herkunft hat ebenfalls erkannt, dass wir einen Schlafplatz brauchen. Er bittet uns zu warten und bietet sich an, für uns zu suchen. Er kehrt zurück, wir folgen ihm zur empfohlenen Stelle, da ist er nach einem kurzen Plausch auch schon wieder verschwunden. Der Strand ist perfekt. Flache runde Kieselsteine werden umspült von glasklarem spiegelglattem Wasser. Der Kiesstrand ist weich, ohne Vierradantrieb und Differenzialsperre geht hier nichts. Die Sonne steht hoch über den Bäumen, morgen früh wird sie über dem See aufgehen. Vorgelagerte Inseln sind Heimat unzähliger Vögel. Das Wasser ist kalt wie in den großen Seen üblich, aber Jörg möchte morgen baden gehen. Die Idylle wäre perfekt, wenn, ja wenn die nicht die Mücken wären, die sich sofort auf Arminius niederlassen, uns aber verschonen. Mit großer Erleichterung registrieren wir, dass sie nicht stechen. Das Szenario ist trotzdem ein wenig furchteinflößend. Myriaden von Mücken schweben wie eine schwarze Wolke über unseren Köpfen bis hoch in den Himmel. Ihre milliardenfachen Flügelschläge verursachen ein Geräusch als ob man unmittelbar vor einem Bienenstock stünde. Als wir in die Kabine gehen, kriechen dutzende von ihnen wie in einem Hitchcock-Thriller auf unseren Fensterscheiben herum. Noch Tage später werden wir einzelne Exemplare, die irgendwo ein Schlupfloch gefunden hatten, aus unserer Kabine entfernen.

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