Niagara Falls, Ontario – Touristen in Plastiktüten an gezähmten Rekordfällen

Der Niagara Parkway von Niagara-on-the-Lake nach Niagara Falls führt uns vorbei an gepflegten Anwesen mit Häusern, deren Wert ich nicht zu schätzen vermag. Rasenflächen, Bäume, alles ist grün, grün, grün. Ein schickes Weingut reiht sich ans andere, hier befinden sich die meisten Wineries Kanadas. Rebstöcke stehen in einer Reihe wie mit dem Lineal gezogen, jeweils am Ende steht ein rot blühender Rosenbusch. Wie schon in Prince Edward County fallen uns auch hier die vielen deutsch und niederländisch klingenden Namen auf.

In Niagara Falls hat der günstigere Wohnmobilstellplatz am Stadtrand für 10 $ inklusive Bustransfer zu den Attraktionen noch geschlossen. Wir müssen für 18 $ Tagespauschale in der Stadt parken, aber immerhin berechnet man für unser kleines, sprich kurzes Mobil den Pkw- statt des 2 $ teureren Campertarifs. Die kostenlose Aussichtsterrasse an den Niagarafällen bietet den besten Blick auf die Fälle, die kanadische Seite weit besser als die amerikanische. Der Eriesee ergießt sich über den 56 km langen Niagara River in den 99 m tieferen Lake Ontario, was eine äußerst hohe Fließgeschwindigkeit zur Folge hat. Die Niagarafälle bestehen aus den kleineren American Falls und den größeren Horseshoe Falls, die ihren Namen ihrer Hufeisenform verdanken. Letztere sind 54 m hoch und 675 m breit, was einen Wasserfall noch nicht spektakulär macht. Den Superlativ bringen die enormen Wassermassen, die auch heute noch, trotz Reduktion durch mehrere Wasserkraftwerke um bis zu 75 %, in die Tiefe donnern. 154 Millionen Tonnen pro Minute sind es jetzt im Sommer, gut die Hälfte im Winter. Die Wasserentnahmen haben die Erosion der Fälle erheblich eingedämmt. Hat sich der Wasserfall früher um einen Meter pro Jahr rückwärts bewegt, sind es heute gerade mal 30 cm in zehn Jahren. Seit ihrer Entstehung von rund 12.000 Jahren nach der letzten Eiszeit haben die Fälle etwa 11 km des weichen Sandsteins abgeknabbert.

Mintgrünes Wasser schießt über die Kante hinweg und schäumt beim Auftreffen weiß wie eine Waschmaschine im Kochwaschgang. Der Aufprallbereich ist nur schwer einzusehen, da eine riesige Gischtwolke bis weit über die Abbruchante hoch spritzt. Am Fuß der Fälle, wo das Wasser gurgelt, nähert sich alle paar Minuten ein Boot voller Touristen. Die Maid of the Mist – die Dunstfräuleins – wie sie seit 1846 alle heißen, fährt bis weit in den Spray hinein wo das Donnern des Wassers die Ohren betäubt. Auf halber Höhe des Felsens hat man einen Tunnel hinter den Wasserfällen gegraben, die Journey Behind the Falls. Hier wird man, wie auf den Booten auch, in überdimensionale Plastiktüten mit Kapuze verpackt, denn auf der Plattform direkt seitlich der Fälle wird es nass. Zwei weitere Aussichtsöffnungen hinter dem Wasservorhang lassen die Gewalt des Wassers erahnen. Es gibt dutzende anderer mehr oder weniger sinnvoller Touristenattraktionen rund um die Niagarafälle, die vermutlich nicht alle ihren hohen Eintrittspreis wert sind. Wir kehren Niagara, durchaus beeindruckt, den Rücken, tanken zum ersten Mal für unter 90 Cent den Liter und fahren in Richtung Nordwest.

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