Drumheller, Alberta – Auf der Suche nach dem Superlativ von öde

Ein Anruf bei der Highway-Hotline heute Morgen mach klar: Die Trans Canada Autobahn nach Alberta ist weiterhin wegen Überflutung gesperrt. Welche Ironie, wo doch dieses Gebiet mit durchschnittlich 270 niederschlagsfreien Tagen pro Jahr das trockenste Areal Kanadas ist. Wir erfahren, dass die Straßenschäden erst behoben werden müssen, bevor der Highway wieder passierbar sein wird. Wer weiß wie lange das dauert. Außerdem wurde eine Brücke auf der Zubringerstraße zum Cypress Hills Park beschädigt, sodass es keinen Zugang gibt. Wir müssen einen Umweg über schlechtere Straßen in Kauf nehmen. Was die Prärie nicht daran hindert, noch öder zu werden. Die nahezu erhebungsfreie Ebene erstreckt sich bis zum Horizont. Es gibt wenige genutzte aber vielfach unbestellte Ackerflächen, meist wächst schlicht Gras. Da wird es wohl nichts mit Jörgs Traum, Mähdrescher auf den riesigen Präriefeldern u fahren. Es gibt nichts zu ernten! Einzige Blickfänge sind kleine Flecken gelber Rapsblüten, seltene Windfangstreifen und ein paar Teiche, die sich wegen der ergiebigen Regenfälle weiter ausgedehnt haben als gewöhnlich. Die wie mit dem Lineal gezogene Straße scheint in die Unendlichkeit zu führen.

Beim Überfahren der Provinzgrenze nach Alberta sind wir völlig verwirrt. Eigentlich fahren wir in eine neue Zeitzone, aber die Zeit ändert sich nicht. Dagegen mussten wir die Uhr eine Stunde verstellen, als wir von Manitoba nach Saskatchewan gefahren sind, obwohl sich dort keine Zeitzone befindet. Das Geheimnis ist, dass Saskatchewan keine Sommerzeit hat. Aber wer bitte soll da durchblicken?

Was ist der Superlativ von öde? Ödnis, am ödesten, oder gar Ödipussy? Ost-Alberta dürfte der Ort in Kanada sein, das herauszufinden. Auf jeden Fall ist es hier „am prärieesten“. Auf der nur marginal hügeligen Ebene fehlt Ackerbau völlig. Wiesen dehnen sich so weit das Auge reicht. Hier gibt es nicht einmal mehr Haine oder Windfänge. Hier gibt es nichts. Außer einer Straße, auf der man das Lenkrad in Geradeausstellung arretieren kann. Und hin und wieder ein paar wie gemeißelt im Gras ruhende Bullen, die, meint zumindest Jörg, daran sterben, dass sie sich tot lachen über das „harte“ Leben das sie führen.

Präriehunde scheinen mental recht einfach strukturierte Lebewesen zu sein. Jedenfalls deuten ihre Verhaltensweisen nicht gerade auf ein Übermaß an Cleverness hin. Mit Vorliebe halten sie sich auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn auf. Nähert sich ein Auto, stellen sie sich auf die Hinterbeine und beobachten das heranrasende Gefährt ohne zu zucken. Ich nehme an, dass sie dabei auch ihr schrilles Bellen, dem sie ihren Namen verdanken, ausstoßen, um den imaginären Riesenfeind zu vertreiben. Das glückliche Erdhörnchen überlebt, wenn das Fahrzeug in seinem Fahrstreifen bleibt. Es gibt auch unglückliche.

Unerwartet fahren wir ein steiles Gefälle hinunter. Ein glaziales Flusstal öffnet sich, das uns verzaubert. Der Fluss hat das Sandgestein stufenförmig auszuwaschen. Die horizontalen Flächen sind jeweils mit einem kurzen grünen Grasteppich bewachsen, auf den vertikalen Stufen kann sich keine Vegetation halten und der gelbbraune Stein bleibt sichtbar. Der Fluss mäandert durch die gestreifte Landschaft. Die Badlands genannte Gegend ist berühmt für ihre Dinosaurierknochenfunde, die archäologischen Fundstellen selbst kann man aber nicht besichtigen. Den Besuch der kommerziellen Ausstellungen mit zahlreichen Dinos aus Plastik und Beton tun wir uns nicht an, aber die Hoodoos geben ein nettes Fotomotiv ab. Die ausgewaschenen Sandsteintürmchen besitzen eine etwas größere Steinkappe, die sie vor weiterer Erosion schützt und ihnen das Aussehen einer Art Pilz verleiht. Die Säulen stehen auf dunklerem Gestein, das aus den Ablagerungen eines Meeres vor 74 Millionen Jahren stammt.

Arminius hat vorübergehend Peggys Cove als eines der beliebtesten Fotomotive Kanadas von seinem Platz verdrängt. Auf dem Highway verhalten sich manche Fahrzeugführer seltsam. Erst fahren sie minutenlang dicht hinter uns her, dann setzen sie zum überholen an, bleiben aber daneben. Lugt man zur Seite, schaut man direkt in eine Kameralinse oder ein Handy, je nachdem was gerade zur Hand ist. Anschließend fährt der Wagen dicht vor uns her, damit der Beifahrer auch unsere Front ausführlich knipsen kann. Auf dem Parkplatz vor den Hoodoos produzieren wir einen Menschenauflauf. Wenigstens fragen die Neugierigen, ob sie ein Foto machen dürfen. Besondere Freude bereitet mir eine kanadisch-amerikanische Wundertütenfamilie. Drei blondierte, sonnenbebrillte, junge Ladies skandieren filmreif mit hohen schrillen Stimmen „oh wie aufregend“, „großartig“, „wie wundervoll“, „das ist toll“. Sie verstehen es, dir für fünf Minuten das Gefühl zu geben, der interessanteste Mensch der Welt zu sein. Und das kostenlos.

Wir bleiben auch nach der Stadt Drumheller für einige Kilometer im Tal und suchen uns einen schönen Übernachtungsplatz, wo wir bei einem Bier den Sonnenuntergang bestaunen können.

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