The Icefield Parkway, Alberta – Ein Gletscher, der in drei Ozeane fließt

Die Nachttemperatur hat mit zwei Grad nur knapp über dem Gefrierpunkt gelegen. Überhaupt gibt es am Icefield Parkway in allen Monaten außer Juli und August durchgehend Nachtfrost. Die Straße bringt uns weiter nach Norden. Sie führt uns auf fast 2100 m Höhe, hinunter auf 1400 m und wieder rauf. Nebenan läuft der Saskatchewan River, hier noch ein kleines Flüsschen, der die wohl seltsamste Farbe hat, die ich je in einem Fluss bemerkt habe. Er führt noch genügend Steinmehl mit sich, um milchig-trüb zu sein. Andererseits hat sich bereits so viel Gletscherschlamm abgelagert und Minerale freigesetzt, um ihm eine türkise Färbung zu geben. Saskatchewan River ist babyblau wie die Fliesen sowjetrussischer Badezimmer.

Das berühmte Columbia Icefield ist etwa 200 km2 groß, stellenweise über 250 m dick und füttert sechs Gletscher. Im Jahr fallen durchschnittlich sieben Meter Schnee. Gletscher entstehen, wenn im Winter mehr Schnee fällt als im Sommer schmilzt. Durch den Druck über die Zeit verdichtet sich der Schnee zu Gletschereis und bewegt sich mittels Schwerkraft bergabwärts. Heute sind die meisten Gletscher auf dem Rückzug. Der Athabasca Glacier ist einer der zugänglichsten Gletscher der Welt und daher touristisches Topziel. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat er sich 1,5 km zurückgezogen, 2/3 seines Volumens und mehr als die Hälfte seiner Oberfläche eingebüßt. Unter dem Gletscher wurde 8000 Jahre alter Wald gefunden. Je weiter das Eis zurückweicht, desto mehr erobert sich die lebende Natur das Gebiet zurück und neuer Wald entsteht. Was vom Klimawandel ist natürliche Entwicklung, was Menschengemacht? In diesem Zeitalter werden wir es wohl nicht herausfinden.

Den Athabasca Gletscher kann man auf verschiedene Arten besichtigen: Speziell konstruierte Gletscherbusse fahren die Schlange stehenden Touristen über eine präparierte Piste auf das Eisfeld. Man zahlt 49 Dollar pro Person und darf wenige Minuten auf dem Eis herumtrapsen, damit die nächste Schicht ran kann. Kein ernsthafter Reiseführer, nicht einmal die Parkranger raten einem wirklich zu diesem teuren und zweifelhaften Vergnügen. Die zweite Möglichkeit ist eine geführte Wanderung mit einem Ranger. Sicher eine lehrreiche Erfahrung, und 60 $ für drei Stunden sind sicher angebracht, dennoch viel Geld für Langzeitreisende. Die etwas längere Tour kostet noch mehr. Eine weitere Option ist eine Kurzwanderung von einem Parkplatz an den Fuß des Gletschers. Man darf ihn zwar aus Sicherheitsgründen nicht betreten, in den Gletscherspalten sind in den letzten Jahren immer wieder Menschen ums Leben gekommen, aber man kommt sehr nah ran. Das ganze ist kostenlos, viele Schautafeln am Weg sind wirklich informativ. Ausgesprochen spannend finde ich die Tatsache, dass das Columbia Icefield auf einer dreifachen kontinentalen Wasserscheide liegt. Sein Schmelzwasser ergießt sich über drei große Flüsse – den Columbia, den Saskatchewan und den Athabasca River – in drei verschiedene Ozeane: den Pazifik, den Atlantik und den arktischen Ozean. Davor aber spendet er Millionen Menschen Süßwasser und damit Leben.

Es gibt noch eine weitere Chance, das Gletscherfeld zu bewundern, und damit haben wir heute angefangen. Die schönste und beste Tour ist eine Wanderung zum Wilcox Pass. Die ersten vier Kilometer führen durch die Nadelwälder der subalpinen Zone in den baumlosen alpinen Bereich über ca. 2200 m. Die 335 m Höhenunterschied sind zunächst moderat steil, aber gut zu bewältigen. Das Mikroklima ist heute seltsam: Die Sonne scheint sommerlich war, doch der von den Berggipfeln herunter wehende Wind kühlt nicht unangenehm. Oben angekommen läuft man über ein Plateau, eine Art Hochmoor, und muss einen Fluss auf Steinen hüpfend überqueren. Die Hochebene ist eine liebliche Landschaft mit kleinen Berggipfeln, die daraus hervor wachsen. Es wirkt fast wie Schottland, nur 2000 Meter höher. Die hier wachsenden Blumen und Pflanzen unterscheiden sich z.T. völlig von dem, was wir bisher gesehen haben. Alles wirkt noch kleiner, noch putziger. Selbst die Blüten sind winzig. Am markierten Ende des Weges sollte man unbedingt zwei weitere Kilometer und ein paar Höhenmeter querfeldein über mehrere Hügel und Schneefelder in Kauf nehmen, um zum Ausguck zu kommen. Angebracht ist, schon vorhandene Trampelpfade oder Wildwechsel zu nutzen, um die fragile alpine Faune zu schützen. Der Gipfel empfängt uns mit gletscherkaltem Dauerwind und einem Ausblick auf das Columbia Icefield, weitere Gletscher und die Rocky Mountain Bergkette, die jeden Meter wert waren. Wir finden: eine der schönsten Wanderungen.

Am Parkplatz treffen wir nach dem Hike eine Gruppe junger Leute vom Gipfel wieder. Zwei davon arbeiten bei den Mounties. Ob wir unsere T-Shirts auch verkaufen würden? Sie hätten gerne welche. Die Rede ist von den mit Logo und Website bedruckten Shirts. Schade eigentlich. Wenn wir mehr Stauraum hätten, könnten wir vielleicht sogar etwas Geld mit Merchandising verdienen.

Auch am heutigen Tage bewundere ich wieder die unterschiedlichsten Kleiderordnungen. So gibt es Menschen aus wärmeren Ländern, die sich dem Gletscher mit Mütze, Schal, Handschuhen, Stiefeln und Steppmantel nähern. Verständlich. Dann gibt es verirrte Touristen, die mit Babydolls und Sandalen durch den Schnee wandern. Was gar nicht so einfach ist, wenn man das Röckchen ständig daran hindern muss, im eisigen Wind den Slip freizulegen. Wirklich süß. Kann man sich Erfrierungen am Hintern zuziehen?

Im Icefield Centre erhalten wir nicht nur besseres Material für den Jasper Nationalpark mit Hinweisen zu den Wanderungen und Hintergrundinformationen. Die Rangerin weiß viel und ist bereit, dieses Wissen bei ernsthaftem Interesse weiter zu geben. Am Ende verrät sie uns nicht nur die besten Trails, wo wir Wapitis, Dickhornschafe und Bergziegen finden, sondern sogar, wo sich Grizzlybären aufhalten. Wie recht sie noch behalten soll…

Am Jonas Creek Campground ergattern wir am Abend den letzten Stellplatz am Rande. Der scheint nicht ganz so beliebt zu sein, aber wir sind ganz froh, nicht inmitten zwischen den wegen des feuchten Feuerholzes qualmenden Feuern zu stehen. Aber Campen und Feuer machen sind eins in Kanada. Als es zu regnen beginnt, erlöschen zum Glück alle Feuer.

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