Fort St. John, Alaska Highway, British Columbia – Unendliche Entfernungen, grasende Bären und Bisonsteaks

Udo und Ursel aus der Nähe von Kiel züchten Rinder in einem Siedlungsgebiet, das sehr passend Bonanza heißt. Sie haben uns gestern Abend am Fluss entdeckt und uns eingeladen, sie auf ihrer Ranch zu besuchen. Sie sind 1986 hierher gekommen, um eine große Farm zu haben. Heute besitzen sie noch rund 120 Kühe, fast so viele Kälber und ein paar Bullen. Die beiden haben sich verkleinert nachdem die Kinder aus dem Haus waren und sie die Ranch nur noch zu zweit betreiben. Obwohl sie offiziell kein als „organisch“ ausgezeichnetes Fleisch produzieren, wird die Farm ökologisch betrieben. Es geht auch ohne Spritz- und Düngemittel, meinen sie. Einzig die Heuschrecken machen ihnen Probleme. Sie fressen das Gras so weit ab, dass für die Rinder nichts mehr übrig bleibt. Gegen die Grashüpfer aber, die alle paar Jahre auftauchen, könne man sowieso nicht viel machen. Ein Grundproblem in ihrer Gegend ist Wassermangel. Fast unvorstellbar im Land der zwei Millionen Seen. Es sind auch durchaus ein paar Sümpfe auf den Ländereien, aber das, was nicht sumpfig ist, ist eben gleich sehr trocken. Die Ernteerträge sind schlecht, manchmal reicht es nicht mal für die Kühe. Auch die Ackerbauern haben es nicht einfach hier. Die Wachstumsphasen zwischen den langen kalten Wintern sind so kurz, dass die Farmer es manchmal nicht schaffen, im Jahr der Aussaht ihre Ernte einzufahren. Der Raps, der in diesem Jahr im Mai geerntet wurde, war im letzten Frühjahr ausgesät worden. Die Regenfälle im Sommer sind sehr spärlich, Grundwasser gibt es so gut wie nicht, damit auch keine Brunnen. Eine Kuh säuft am Tag 70 – 80 l Wasser, an warmen Tagen oder im Winter, wenn sie Heu frisst, noch mehr. Das Wasser für die Kühe wird in künstlich angelegten Teichen gesammelt, die in den gut dichtenden Lehmboden gegraben werden. Das Wasser stammt hauptsächlich von der Schneeschmelze, doch selbst dafür muss man sich ins Zeug legen: Man sammelt den Schnee mit Schneefangzäunen und leitet das Schmelzwasser dann in die Teiche. Wenn im Winter genug Niederschlag fällt, müssen die Rinder Schnee fressen. Ohne Lunch wollen uns Ursel und Udo nicht gehen lassen. Es gibt selbstgemachte Wildsalami und Wildleberwurst, schmackhaft und mager, dazu selbstgebackenes Brot.

Dann verlassen wir Alberta endgültig und fahren für ein paar hundert Kilometer nach British Columbia, die westlichste Provinz Kanadas. Damit beträgt der Zeitunterschied zu Deutschland bereits neun Stunden. Ein kleiner, aber kräftiger Tornado saugt Staub aus dem Straßengraben und schüttelt Arminius durch. In Dawson Creek beginnt der legendäre Alaska Highway. Der Startpunkt, Mile Zero, ist mit einem Monument markiert. Die Straße wurde 1942 im 2. Weltkrieg aus strategischen Gründen in nur sechs Monaten errichtet, später aber mehrfach saniert, sogar teilverlegt und damit verkürzt worden. Heute ist die touristisch wichtige Trasse durchgehend asphaltiert, sehr gut befahrbar und stellt nicht einmal für die zahlreichen Wohnmobilfahrer im Sommer eine Herausforderung dar. Der Alaska Highway ist heute statt 2288 nur noch 2230 km lang. Wir aber werden vorerst nur ein Teilstück davon befahren und den Rest später bzw. auf dem Rückweg von Alaska nach Süden. Unser Weg führt zunächst in den Norden Kanadas nach Inuvik. Dazu gibt Navi Lissy ihre bislang frustrierendste Anweisung: „Biegen Sie in eintausendvierhundertsechzehn Kilometern rechts ab.“

Die ersten Meilen sind zwar etwas hügeliger und dichter bewaldet als die Prärie, aber nicht sonderlich aufregend. Nach 70 km in Fort St. John kann man gut einkaufen und noch einmal zu erträglichen Preisen tanken. 100 Kilometer weiter liegt bei 17° reichlich Schnee am Straßenrand. Unmöglich? Hier muss wohl ein so heftiger Hagelschauer niedergegangen sein, dass die Fahrbahn schon komplett abgetrocknet ist, die Eishügel im Gras aber noch nicht abgetaut sind. Von 400 m Höhe in der Prärie sind wir jetzt schon auf 1000 m hoch gefahren und die Rocky Mountains kommen wieder in Sicht.

Im Straßengraben frisst ein Schwarzbär begeistert Klee. Er lässt sich durch nichts stören. Weder durch vorbeirasende Trucks, noch durch quietschende Bremsen oder klappernde Autotüren, noch durch ein neugieriges Menschenpaar das vor seiner Nase herumtanzt und den Fotoapparat klicken lässt. Der Bär weidet wie eine hungrige Kuh, die seit drei Tagen nichts mehr zu Fressen bekommen hat. Sein schwarzes Fell glänzt gesund wie Speckschwarte. Der kurz darauf folgende Elch, die Füchse und Hirsche sehen auch nicht schlechter aus, genau wie die nächsten zwei Schwarzbären, die aber nur noch als Strich in unserer Statistik Eingang finden.

Noch 999 km bis zur Kreuzung nach Inuvik. Wir biegen in den Wald ab zum Schlafen. Auf dem ziemlich kurzen Weg von der Fahrer- in die Wohnkabine fressen uns die Mücken schier auf. Leider finden sie auch im Camper Möglichkeiten, durchs Moskitonetz oder an ihm vorbei zu schlüpfen. Wir kleben die Ränder als mögliche Schwachstelle vorübergehend mit Klebeband zu. Wir können nur hoffen, dass die angeblich riesigen Mücken in Alaska zu fett sind, um durchs Netz oder die Ritzen zu kriechen.

Zum Abendessen holen wir einen Pack Bison-Lendensteaks aus dem Kühlschrank. In der eineinhalb Kilo Packung sind erschreckend wenige Steaks: zwei Stück, um genau zu sein. Ich brate trotzdem beide, obwohl wir nur einen Bruchteil schaffen werden. Büffel ist definitiv nichts für Leute, die ihr Steak gerne als Schuhsohle gebraten haben. Es wird ungenießbar. Medium-rare ist die einzig mögliche Zubereitungsart. Außerdem ist Bison nichts für Gebissträger. Es erfordert doch ein paar Anstrengungen der Kaumuskulatur und einen gesunden Zahnbestand. Vom Geschmack her ähnelt es zwar Rind, ist aber irgendwie kräftiger, intensiver. Morgen werden wir aus dem Rest der Steaks Gulasch im Dampfdrucktopf zubereiten.

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