Archive for August, 2010

Okanagan Valley, British Columbia – Weinproben und Schulbusbewohner

Dienstag, August 31st, 2010

Bei Vernon erreichen wir das Okanagan Valley, eines der touristisch am besten erschlossenen Gebiete British Columbias. Das Tal gilt als nördlichster Zipfel des intramontanen Beckens, das sich zwischen Sierra Nevada bzw. Kaskaden im Westen und den Rocky Mountains im Osten von Mexiko durch den gesamten Westen der Vereinigten Staaten bis in den Süden Kanadas zieht. Die Region soll erholsam unkanadisches Wetter haben: trocken und heiß. Davon ist heute nichts zu merken, es hat mit 12° und Dauerregen ab vormittags eher Alaska-Qualitäten. Das Okanagan Valley liegt auf gleicher geographischer Breite wie das Rheintal von Mainz nach Karlsruhe und folgerichtig wird auch hier Wein angebaut. De facto ist es das größte kanadische Weinanbaugebiet mit fast 90 Weingütern. Wir werden es nicht mal ansatzweise schaffen, alle zu besuchen, aber selbst wenn man sich Selbstbeschränkungen auferlegt ist es dennoch ein herausfordernder Job, sich von Weinprobe zu Weinprobe durchzuarbeiten. Ein wirklich harter Tag.

Die wenigen Campingplätze sind teuer und laut, weil am Highway. Wir fahren in der stark besiedelten Gegen eine Straße den Berg hoch. Hier stehen kaum Häuser, aber neben dem Wendeplatz am Straßenende ist auf dem Rasen ein ausrangierter Schulbus geparkt, der nicht in bestem Zustand scheint. Drinnen werkelt jemand und brennt gerade etwas auf der offenen Flamme eines Campingkochers an. Aus dem Fenster schaut ein vorsichtig ausgedrückt nicht sehr wohlhabender Mann. Er lebt offensichtlich in dem Bus, und das nicht gerade komfortabel. Sein graues Haar trägt er lang, um den Friseur zu sparen, genau wie das Geld für Rasierklingen, was in einen wuchernden Bart ausartet. Wir wollen von Ralph, so heißt er, wissen, ob wir uns dazu stellen können. Aber er hat offensichtlich Angst, dass zwei Fahrzeuge mehr Aufmerksamkeit erregen als eines und fürchtet vielleicht Konkurrenz. Er sucht Jobs als Pflücker. Kirschen, Pfirsiche, Nektarinen und Pflaumen sind schon reif, die Äpfel werden nicht lange auf sich warten lassen. Wir könnten uns auf ein unverkauftes Grundstück ein paar Meter weiter unten stellen, das sollte niemanden stören. Als wir ihm glaubhaft machen können, dass wir morgen wieder abfahren und sogar ein zugelassenes Fahrzeug mit gültigem Kennzeichen besitzen, ist er beruhigt und lenkt ein, aber wir stellen uns trotzdem auf das Nachbargrundstück. Eine Stunde später, wir sind beim Kochen, klopft es an die Tür. Es ist Ralph mit einem ziemlich großen Wasserkanister in der Hand. Er würde sich gerne einen Kaffee kochen, aber er hätte kein Wasser mehr. Ob wir ihm aushelfen könnten? Wasser haben wir genug. Er wäre auch nicht dazu gekommen, Zucker kaufen zu gehen, ob ich ein paar Päckchen für ihn hätte. Ich fülle ihm etwas ab und lege noch ein paar von den Ciabattabroten aus der Restaurantpackung dazu. Er entschuldigt sich, dass er nichts hätte, was er uns zurückgeben könnte. Singend und pfeifend läuft er über das Brachland zurück zu seinem Bus, offensichtlich haben wir jemanden glücklich gemacht.

Kamloops, British Columbia – Unterhaltungsmusikalische Warteschleifen am Hochzeitstag

Montag, August 30th, 2010

Kamloops ist Industriestadt, Verkehrsknotenpunkt und ideale Versorgungsstation für Reisende. Bei Costco erstehen wir das obligatorische Hähnchen und Schinken, Käse, Kuchen – alles natürlich teurer als in Alaska. Das Lustigste, das wir kaufen, ist eine Tüte von der Größe eines halben Kartoffelsacks mit 18 kleinen Ciabattabroten. Sie liegt jetzt unter unserem Tisch, da sie anderswo keinen Platz findet. Vielleicht sollte ich einen Handel eröffnen. Mag sein, dass die Stadt selbst ohne Reiz ist. Ihre Lage indessen ist fantastisch. Sie schmiegt sich in ein Flussdreieck zwischen unzähligen braun-grünen Hügeln, die alle von in der Sommerhitze vertrocknetem Gras bedeckt sind. Flüsse haben vor Jahrmillionen Täler und Schluchten in die Hügel geschnitten. Grüne Flächen gibt es nur, wo bewässert wird. Wälder wachsen nur licht, aber langsam mischen sich „südlichere“ Bäume wie Zypressen und Trauerweiden ins Bild. Kamloops gilt als wärmste Stadt Kanadas. Zu unserer Freude macht sie ihrem Ruf heute alle Ehre. Nach einer langen Schlechtwetterperiode entlang des Nordpazifiks gibt es heute den ersten Tag mit durchgängigem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen, blauem Himmel mit Ferienwölkchen.

Ansonsten versuchen wir, in einem Rogers-Laden, der mehr Videothek denn Handyvertretung ist, einen Disput bezüglich unserer Internetrechnung beizulegen. Ich telefoniere geschlagene eineinhalb Stunden mit Rogers, und das ist nicht anders als mit einer deutschen Telefon- und Internetgesellschaft. Ich werde eine halbe Stunde mit Unterhaltungsmusik bedudelt, bevor ich einen Kundenbetreuer ans Rohr bekomme, der mich irgendwann zu einem Spezialisten der Rechnungsabteilung durchstellt – mit musikalisch unterlegter Wartezeit, versteht sich – der mich dann, als ihm das Problem zu kompliziert wird, wieder in die Instrumentalmusikschleife legt. Nach einer weiteren halben Stunde habe ich wiederum einen der allgemeinen Kundebetreuer am Apparat und stehe erneut am Anfang. Meine in so vielen Jahren Afrika erworbene Geduld ist unerschöpflich, aber ich überzeuge den jungen Mann, dass ich es wirklich gutheißen würde, wenn sich jetzt und sofort jemand meines Problems annehmen würde. Und siehe da, nach kaum einer Viertelstunde einigen wir uns, der Internetstick funktioniert wieder.

An einem Stellplatz an einem See außerhalb der Stadt lassen wir unseren 16. Hochzeitstag würdig ausklingen. In der Nacht bricht ein heftiger Sturm über uns herein. Ohne Niederschlag, aber die Wellen auf den Teichen nehmen eine beachtliche Größe an und der Wind heult beängstigend.

Wells Gray Provincial Park, British Columbia – Hohe Bäume, tiefes Wasser

Sonntag, August 29th, 2010

Der Wells Gray Provincial Park ist mit 540.000 km2 einer der größten Provinzparks in British Columbia, der größte Teil davon unerschlossene Wildnis. Er gilt als eines der Highlights und kostet nicht einmal Eintritt. Bekannt ist er für seine miteinander verbundenen Seen, Stromschnellen und Wasserfälle inmitten der Hochgebirgsgipfel der Caribou Mountains. Sowohl Kanubegeisterte als auch Wildwasserrafter finden hier ein Paradies. Es gibt sogar Stromschnellen der Kategorie 5+ – das ist so etwas wie eine dunkelschwarze Skiabfahrtsstrecke. Viele Attraktionen sind aber auch mit dem Auto bzw. kurzen Wanderungen erreichbar. So z.B. die Spahat Falls, wo das Wasser eines Bachs aus einem höhlenartigen Canyon weit in hinunter fällt, und seine Reise in einem tiefen Canyon mit riesigen Steilwänden fortsetzt. Eine Aussichtsplattform bietet nicht nur Blicke in die schwindelerregenden Tiefen, sondern auch in die grüne Waldlandschaft des Parks.

Die Serpentinen der Zufahrtspiste zum über 1000 m hohen Green Mountain sind für Wohnmobile problematisch eng. Oben wurde ein Aussichtsturm errichtet, von dem man über die Baumwipfel hinweg eine tolle Aussicht auf die umgebenden Berge hat. Die Dawson Falls sind weniger wegen ihrer 18 m Höhe, sondern wegen ihrer immensen Wassermassen auf 91 m Breite sehenswert. Das spektakuläre Markenzeichen des Wells Gray Parks aber sind die Helmcken Falls. Aus einer Engstelle schießt das Wasser im freien Fall 141 m in die Tiefe, wo es in einem riesigen Schüssel-Halbrund landet, das sich vor Jahrtausenden geschaffen haben muss. Auch hier fließt der Fluss zwischen kerzengerade aufragenden Canyonwänden weiter.

Im August und September jeden Jahres kann man an den Bailey’s Chute Rapids eine besonderes Naturschauspiel beobachten. Bis zu 22 kg schwere Chinook Lachse versuchen mit großen Sprüngen, die Stromschnellen zu überwinden. Keiner schafft es weiter als bis zur Hälfte. Am Ende der Reise müssen sie feststellen, dass ihnen für diesen letzten Gewaltakt die Kraft fehlt. Sie müssen umkehren und lassen sich ein Stück stromabwärts treiben, wo sie in etwas ruhigerem Wasser laichen und sterben. Am Ende der knapp 70 km langen Parkstraße liegt der Clearwater Lake, der dank des kristallklaren Wassers seinen Namen zu Recht trägt und der Zugang zu diversen – unmotorisierten – Wassersportmöglichkeiten bietet. Im gesamten Parkgelände fallen die riesigen uralten Rotzedern auf. Die Nadelbäume werden über 30 m hoch und haben bis zu 180 cm dicke Stämme, weiter im Süden können sie sogar noch größer werden. Sie erreichen ein durchschnittliches Alter von 300 bis 700 Jahren, können aber bis zu 1000 Jahre alt werden.

Tête Jaune Cache, British Columbia – Pelzverstecke und Muscelcocktail

Samstag, August 28th, 2010

In Tête Jaune Cache spaltet sich der Yellowhead Highway auf in die Hauptroute # 16 nach Osten in den Jasper Nationalpark und in die Zubringerstraße # 5, Yellowhead South Highway genannt. Wir folgen der Südroute. Der Name des Örtchens Tête Jaune Cache geht wiederum zurück auf den Halbirokesen französischer Abstammung Pierre Bostenais. Während seiner Erkundungstouren für die Hudson’s Bay Company legte der Trapper Pelzverstecke an, eines davon in der Nähe des heutigen Dorfes. „Tête Jaune“ heißt auf Französisch Gelbkopf und „Cache“ bedeutet Versteck.
Am Abend gönnen wir uns einen Caesar. Das ist der kanadische Nationalcocktail, einem Bloody Mary nicht unähnlich. Der Hauptunterschied besteht in püriertem Muschelfleisch. Igittigitt?!?!?! Eigentlich nicht. Die Venusmuscheln fungieren in erster Linie als Geschmacksverstärker, so wie Fischsoße oder Austernsoße in asiatischen Gerichten. Die Grundlage für einen Caesar heißt Clam Juice, ist in jedem Supermarkt erhältlich und besteht hauptsächlich aus Tomatensaft, den besagten Muscheln, Salz und Gewürzen. Man fügt Vodka und Eis hinzu und würzt mit Tabasco, Worcestersoße und Selleriesalz nach. Cheers!

Prince George, British Columbia – Wo kommt bloß der Klimawandel her?

Freitag, August 27th, 2010

Auf Eigenwerbeschildern, auf Broschüren und Plakaten wirbt British Columbia mit dem Slogan „Super, Natural“. Das ist sogar eine eingetragene Marke. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass man in BC seinen Motor nicht im Stand laufen lässt. Während in Europa Pkw konstruiert werden, die beim kürzesten Halt den Motor abschalten und beim Losfahren automatisch starten, lassen die Fahrer in Kanada ihre Autos einfach laufen, wenn sie z.B. eine Toilette aufsuchen. Solches Verhalten setzt natürlich eine niedrige Kriminalitätsrate voraus, andernorts wäre anschließend das Auto weg. Der Lkw-Fahrer, der sich nachts auf dem gleichen Rastplatz einfindet, wo wir nächtigen, stoppt seinen Motor schon nach einer halben Stunde. Leider beschließt er, am frühen Morgen loszufahren. Dazu muss er seinen Motor anscheinend über eine Stunde warm laufen lassen. Angesprochen auf Gletscherrückzug, Wetterveränderungen oder extreme Wettererscheinungen antworten die meisten Kanadier: Das ist der Klimawandel. Wo der wohl herkommt?

Prince George ist die einzige größere Stadt auf weiter Flur. Sie hat Walmart, Costco, diverse Supermärkte, Fast-Food-Ketten, was das Herz begehrt. Prima zum einkaufen, aber sonst kann man getrost auf der Hauptstraße durchfahren, zu sehen gibt es nichts.

Yellowhead Highway, British Columbia – Klopapiertheorien

Donnerstag, August 26th, 2010

Kennt ihr auch diese sinnlosen Soziologiestudien, die irgendwelche statistischen Zahlen veröffentlichen, ohne näher auf Voraussetzungen oder Ursachen einzugehen? Ich hatte eine über Klopapier gelesen. Lebensnotwendiges Thema. Die Hälfte der Menschheit soll das Toilettenpapier falten, die andere knüllen. Dabei sollen Europäer eher zum falten neigen, während Amerikaner mehr knüllen würden. Wer jemals auf einer öffentlichen Toilette in Amerika oder Kanada, speziell diesen Rastplatztoiletten war, weiß, dass man amerikanisches Papier einfach nur knüllen kann. Die Verhaltensweisen der Menschen haben nichts mit persönlichen Vorlieben, sondern mit der Struktur des Materials zu tun. Amerikanisches Klopapier ist nicht nur einlagig, sondern pergamentdünn, dass man dadurch die Zeitung lesen kann. Dabei ist es einigermaßen weich. Zunächst ist man gezwungen, mehrere Meter von der Rolle abzuwickeln, um überhaupt irgendeinen Effekt erzielen zu können. Es ist äußerst schwierig, diese Schlange zu falten, zumal man dazu auf die Klobrille steigen müsste, soll das Papier nicht auf dem Boden schleifen. Also wird selbst ein europäischer Falter gezwungenermaßen zum Knüller.

Übrigens habe ich heute zum ersten Mal während unseres Nordamerikaaufenthalts eine Klospülung mit Spartaste gesehen. Eine Errungenschaft.

Smithers, British Columbia – Kanadisches Bier mit deutscher Bedienung im Alpenhorn

Mittwoch, August 25th, 2010

Nach Ölwechsel und Einkaufen stoßen wir auf zwei „alte Bekannte“ aus den Rockies und lernen vier neue Globetrotter kennen, deren Fahrzeuge wir unterwegs schon gesehen hatten, die wir aber noch nicht persönlich kennenlernen konnten. Heute Abend findet in Smithers ein Festumzug statt, den wollen wir uns ansehen und gehen anschließend im „Alpenhorn“ essen, wo es zwar kein deutsches Bier aber eine deutsche Kellnerin gibt.

Yellowhead Hwy, British Columbia – Indianische Traditionen im Wandel

Dienstag, August 24th, 2010

Stewart hält den kanadischen Schneefallrekord: Während eines Winters sollen 22 m Schnee gefallen sein. Irgendwie drängt sich mir der Gedanke auf, dass es auch den Regenrekord hält. Aber den soll Prince Rupert, ein Stück weiter südlich, halten. Wir suchen unser (hoffentlich trockenes) Heil in der Flucht nach Süden. Dazu nehmen wir den Yellowhead Trail, dessen Name zurückgeht auf den Méti (Halbindianer – Halbfranzose) Pierre Bostenais irokesischer Abstammung, der in den 1820er Jahren als Scout für die Hudson’s Bay Company Pässe über die Rocky Mountains erkundete. Aufgrund seiner Haarfarbe wurde er von den französischen Trappern „Gelbkopf“, auf Englisch yellow head, genant. Später wurden er und seine Familie von Indianern umgebracht. Nach ihm wurde die zweitwichtigste Ost-West-Verbindung neben dem Trans-Canada-Highway benannt.

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr bei Regen sind die schmierigen Holzbrücken, die auch auf Asphaltstraßen zu finden sind. Naturgemäß befinden sie sich oft am Ende eines Gefälles und sind manchmal nur einspurig. Außer dass es eine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt wird nicht sonderlich auf die Gefahrenstelle hingewiesen. Auf der Brücke selbst kann man oft nicht mehr bremsen, wenn man nicht über das lächerlich niedrige Geländer stürzen möchte. Ein anderer Typ sind Metallgitter wie die Hängebrücke am Hagwilget Canyon über den Bulkley River bei Hazelton. Dabei hat man die Freude, in den tief unter der Brücke liegenden Canyon und das wilde Wasser nicht nur nach links und rechts, sondern auch nach unten durch das Gitter schauen zu dürfen.

Nur wenige Kilometer weiter liegt ’Ksan, ein historisches Indianerdorf. Neben ein paar nachgebauten Langhäusern, einer Kunstschule für traditionelles Holzschnitzen, einem Museum und einer Kunstausstellung wurden einige Totempfähle errichtet, zum Teil Reproduktionen von historischen Pfählen. Ein paar Kilometer weiter im Gitxan-Indianerdorf Kispiox stehen an der passend Totem Drive genannten Straße etwa 15 weitere aus Rotzedern geschnitzte Pfeiler. Übrigens liest man Totempfähle von unten nach oben. Die Geschichte wird erzählt vom soliden Sockel bis zur Figur an der Spitze, die zum Himmel und auf unbegrenzte Möglichkeiten deutet. Ironischerweise – oder soll es Hoffnung ausdrücken? – stellt die oberste Figur des zum Gedenken an die Eröffnung des Museumsdorfes 1970 in ’Ksan aufgestellten Totems einen weißen Regierungsvertreter in strammer Haltung mit Zylinder und Fliege dar. Darunter befinden sich Symbole für die lokalen Clans wie Adler, Wolf, Fisch und Moskito.

35 km südlich muss der Bulkley River den engen Moricetown Canyon passieren. Unterhalb eines niedrigen aber tosenden Wasserfalls stauen sich die Lachse, um auf den richtigen Moment für den Sprung stromaufwärts zu warten. Die dort lebenden Wet’suwet’en-Indianer haben sich ihr seit Urzeiten bestehendes Recht erhalten, Lachse mit hakenbewehrten Stangen zu stechen. Wir legen einen langen Stopp bei den Lachsfischern ein, haben aber nur kurz Gelegenheit, die traditionelle Fangmethode zu beobachten. Denn auch für die Ureinwohner haben sich die Zeiten geändert. Die Anzahl der Fische, vor allem der begehrten Jack Sockeye, geht zurück. So haben die Indianer neben den Stromschnellen eine Fischtreppe gebaut, um den Lachsen den Aufstieg zu erleichtern. Die meisten Fische werden heute stattdessen mit einem Käscher aus dem Wasser geholt, gewogen, vermessen und registriert. Nur jeder dritte Fisch geht an die Gemeinschaft, die restlichen Tiere werden in Wasserbehälter verfrachtet, auf Pick-ups verladen und weiter flussaufwärts wieder ausgesetzt, um ihre Laichchancen zu erhöhen. Die zum Verzehr bestimmten Lachse werden nur an indianische Gemeindemitglieder verteilt, die wiederum registriert werden, damit die Verteilung gleichmäßig und gerecht von statten geht. An einer einzigen offiziellen Verkaufsstelle kann man als Außenstehender frische und selbstgeräucherte Lachse zu relativ gepfefferten Preisen erstehen.

Hyder, Alaska – Jammernde Gletscher und jagende Schwabbelbären

Montag, August 23rd, 2010

Der Stewart Highway ist eine Sackgasse und führt in den äußersten Südzipfel von – ein letztes Mal – Alaska. Dabei passieren wir den Bear Gletscher, der fotogen auf der gegenüberliegenden Flussseite liegt. Stewart, British Columbia, hat nichts außer einem Visitor Centre und zwei kleinen Supermärkten, wo es vertrocknetes Toastbrot zu kaufen gibt. Zugegeben, Metzgereien und Bäckereien gibt es in Deutschland in solch abgelegenen Gebieten auch nicht mehr, aber zumindest werden von der Großindustrie gefertigte Teiglinge frisch aufgebacken, die wenigstens am ersten Tag eine gewisse Ähnlichkeit mit Brot haben. Es wird Zeit, mal wieder selbst ein Brot zu backen.

Der amerikanische Grenzposten von Stewart nach Hyder wurde aufgegeben, da es keinerlei Verbindung zu anderen Alaska- oder US-Gebieten gibt. Der Hafen am Portland Canal, einem der längsten Fjords der Welt, wurde schon vor Jahren außer Betrieb gesetzt. Entsprechend wirkt Hyder: vergessen. Es gibt nichts außer Motels, Bead & Breakfasts, Campingplätzen, Restaurants und Souvenirshops. Alles wenig einladend. Es gibt nicht einmal mehr einen Liquor Store, wo man sich mit günstigerem amerikanischem Bier eindecken könnte. Dafür gibt es schlagartig schlechte schlaglöcherübersäte Straßen. Immerhin hat Hyder ein Postamt, von wo aus man Post aus Alaska an die Lieben daheim schicken könnte, falls man nicht weiter nördlich fährt. Die Schotterpiste geht noch rund 50 km weiter bis zu einer alten verlassenen Kupfermine. Bereits unterwegs gibt es Hinweise auf Silber- und Titanabbau, aktive Kupferminen gibt es auch heute noch. Einige Kilometer nach Hyder quert die Straße wieder auf kanadisches Territorium, wo sie verbleibt. Man kann beidseitig die in den Wald geschlagene Schneise als Grenzmarkierung erkennen. Gleichzeitig verändert sich die Fahrbahn wieder zur normal befahrbaren Schotterpiste. Wenn auch ursprünglich nicht für touristische Zwecke, wurde die Mining Road sehr schön angelegt. Sie wurde auf einer Talseite in den Berg gehauen, hoch oben über dem Salmon River, und führt bis über 1200 m hoch. Allerdings gibt es auf der Bergseite regelmäßig Steinschläge, darunter durchaus Brocken von mehreren Tonnen, und auf der Talseite keine Leitplanke. Dann kommt der Salmon Glacier in Sicht, der größte per Straße zugängliche Gletscher der Welt. Es ist wirklich beeindruckend, wie die Mining Road die sich windende Gletscherautobahn für mehrere Kilometer begleitet, bevor der Gletscher in die Berge abbiegt und dort irgendwo verschwindet. Wenn ein Gletscher talwärts fließt, bilden sich diese Querrillen, dutzende von Metern tiefe Spalten, die den Eindruck erwecken, im Gletscherinneren glimme ein blaues Licht. Wir sind ganz alleine hier oben, kein Geräusch stört uns: Wir wollen den Gletscher hören. Und tatsächlich, wenn er sich bewegt, wenn er bricht, dann knackt es, knarrt es, und manchmal jammert er als plage ihn das Reißen.

Auf dem Rückweg halten wir sechs Kilometer vor Hyder an der Hauptattraktion. Der Fish Creek ist ein kleiner Bach, an dem Grizzlys, Schwarzbären, Stein- und Weißkopfseeadler die Wanderung so manchen Lachses frühzeitig beenden. Natürlich nicht alle gleichzeitig, hier gilt das Recht des Stärkeren. Da in den letzten Jahren mehr und mehr Schaulustige diesen Platz ausgesucht haben, wurde ein langer Aussichtssteg errichtet, Ranger führen Aufsicht und kassieren Eintritt. Allerdings gilt auch hier die „America the Beautiful“-Jahreskarte. Es ist jetzt Abend, die beste Beobachtungszeit, und so müssen wir nicht lange warten. Ein ausgewachsenes Schwarzbärenmännchen pirscht sich von hinten an eine Fischgruppe heran. Erspähen die Lachse den Feind, sind sie durchaus in der Lage, im flachen Wasser mehrere Meter Gas zu geben. Leichte Beute sind sie nicht. Der Bär setzt seine herbstlichen Fettmassen und den Schwabbelbauch in Bewegung und erreicht eine ansehnliche Endgeschwindigkeit. Dennoch gelingt nur etwa jeder zweite Angriff. Schnappt der Bär eines der Kiementiere, spritzt dies seine Eier oder Samen in hohem Bogen ins Wasser, vielleicht nützt es ja noch etwas. Da dieser Bach nur flach und langsam ist, plätschert er relativ leise und die nachfolgenden Geräusche sind deutlich und markerschütternd zu hören: Hat der Bär den Fisch an Land mit seinen Tatzen fixiert, haut er seine Kiefer unterhalb des Kopfes in den Laib. Dabei kratzen die Zähne über das Rückgrat, bis es krachend bricht. Das Fleisch reißt laut, wenn das Raubtier das Filet abzerrt. Er wiederholt das mit der anderen Seite, zurück bleiben Kopf und Gräten. Dann trabt das Pelztier los auf der Jagd nach dem nächsten Lachs, um sein eigenes Überleben während des Winterschlafs zu sichern.

Cassiar Hwy, Yukon + BC – Der Wald brennt

Sonntag, August 22nd, 2010

Rund 120 km westlich von Watson Lake liegt die kontinentale Wasserscheide. Flüsse westlich von ihr fließen, wie z.B. der Swift River übe den Yukon River in den Pazifik, während die östlichen Quellen wie der Rancheria River über den McKenzie River im Nordpolarmeer enden. Ob die Wasserscheide auch eine Wetterscheide darstellt? Das deprimierende Totensonntaggrau mit passenden 7°-Nieselregen lichtet sich, bis ich vorzeitig die Sonnenbrille aufsetze und die Temperatur um sagenhafte 4° hochschnellt. Ich gebe mich ja schon mit Kleinigkeiten zufrieden.

Den ganzen Tag schon brennen meine Augen und ein undefinierbarer Geruch kriecht in unsere Nasen. 20 km vor Watson Lake an der Kreuzung zum Cassiar Hwy, wo wir den Alaska Hwy endgültig verlassen wollen, folgt der Schock: Ein Schild verkündet, Hwy #37 Richtung Süden ist gesperrt. Informationen gäbe es unter einer Telefonnummer. Mein Handy funktioniert im Yukon nicht, also steuern wir die Tankstelle an der Kreuzung an. Seit knapp drei Wochen wütet ein Waldbrand, informiert uns der Tankwart, zeitweise war die Straße komplett gesperrt. Jetzt sei sie aber einspurig mit Pilotfahrzeug passierbar, mittlerweile verkehre der Konvoi sechs Mal täglich. An der Straßensperre nur wenige Meter weiter erfahren wir, dass der Verkehr auf 50 km eingeschränkt ist. Seltsamerweise steht auf dem Blatt mit den behördlichen Informationen aus dem Internet, das man uns in die Hand drückt, ebenfalls, dass der Cassiar Hwy wegen Waldbränden gesperrt ist. Vielleicht handelt es sich um eine taktische Maßnahme, damit nicht so viele Fahrzeuge ins Problemgebiet fahren. Die 45 Minuten Wartezeit bis zum nächsten Konvoi nutzen wir als Mittagspause, denn der Lollipopmann mit dem „Slow-Stop“-Schild braucht dringend einen Kaffee.

Die Waldbrandfelder liegen zunächst mosaikartig verstreut. Hie und da qualmt es und verbrannte Bereiche wechseln sich mit grünen Flächen ab. Dann aber verdichtet sich der Rauch und wir passieren große abgebrannte Flächen. An den Straßenrändern werden bereits Rodungsarbeiten vorangetrieben. Tote Bäume, die auf die Straße stürzen könnten, müssen gefällt werden. Ich beneide weder die Holzarbeiter noch die Pilot-Car-Fahrerin, die den ganzen Tag in dem Qualm zubringen müssen.

Der Cassiar Highway verläuft – noch ein Stück im Yukon, dann endgültig in British Columbia – abwechslungsreich zwischen den Skeena Mountains im Osten und den Coast Mountains im Westen mit ungezählten Seen, Bächen und Flüssen. Die fast komplett asphaltierte Straße ist in relativ gutem Zustand, wenn auch schmal. Unsere Wildtierstatistik für heute ergibt zumindest zwei scheue Schwarzbären, die sich schleunigst in die Büsche verziehen.

Atlin, British Columbia – Große Katze, ganz scheu

Samstag, August 21st, 2010

Der Ort Atlin am See, umrundet von Bergen, hat natürlich Charme. Seine touristische Blütezeit ist dennoch vorbei, wenn es auch nach wie vor ein Anziehungspunkt für Bootsfahrer und Angler ist. Dach dem kurzen Goldrausch wurde die Bahnlinie Skagway – Whitehorse touristisch genutzt. Die Reisenden wurden dabei zwischen Scotia Bay und Atlin per Schiff befördert; der 1936 ausgemusterte Raddampfer SS Tarahane liegt immer noch am Ufer. Vieles in Atlin wirkt heute etwas verloren, verlassen und verkommen, aber hin und wieder stechen optimistische Neubauten ins Auge.

Bei einem Spaziergang oberhalb des Sees merke ich deutlich, wie sich Herbst anfühlt. Blumen und Gräser sind braun und verdorrt, jeder leiseste Lufthauch ziept an den Ohren und man versucht, noch den kleinsten Sonnenstrahl förmlich in sich aufzusaugen. Zeit, die Fahrt nach Süden fortzusetzen. Auf der Atlin Road kommt rechts von uns etwas Hellbraunes mit kurzem dunklen Stummelschwanz den Hang hinunter, springt geschmeidig vor uns über die Straße und saust weiter talabwärts in den Wald: ein Puma! Cougar sagt man in Kanada dazu, in den Staaten nennt man sie Mountain Lion. Wir halten sofort an. Noch einmal wagt er sich für einen Moment zwischen den Bäumen hervor um uns in Augenschein zu nehmen, dann verschwindet er. Trotz der bereiten Kamera kommen wir nicht zum Schuss, er ist zu schnell.

Am Ende der Straße kommen wir wieder auf den Alaska Highway, um die letzten 340 noch nicht gefahrenen Kilometer in Angriff zu nehmen. Der Plan war, bei Mukluk Annie’s Salmon Bake einen ihrer berühmten Grillachse zu verzehren. Dazu soll es eine kostenlose Bootsfahrt auf dem Teslin Lake mit dem Gastgeber geben und man darf den kostenlosen Campground benutzen. Ob sich das Konzept nicht bewährt hat oder die Touristen einfach ausgeblieben sind? Jedenfalls ist Mukluk geschlossen, traurig verwaist, wie so viele andere Unternehmen am Alaska Highway. Die Rezession lässt grüßen. Wir suchen uns einen einsamen Stellplatz an einem anderen See und trösten uns mit einem Caprese-Salat, frischem Weißbrot und unserer letzten Flasche Rotwein. Könnte schlechter sein.

Whitehorse, Yukon – Lachse „auf dem Holzweg“

Freitag, August 20th, 2010

Unsere Fahrt führt von Skagway auf dem Klondike Highway weiter nach Norden, von BC zurück in den Yukon. Die Carcross Desert, eine der zahlreichen „kleinsten Wüsten Nordamerikas“, ist eigentlich keine richtige Wüste. Sie ist weder besonders heiß noch kalt und schon gar nicht trocken. Dafür gibt es nur teilweise bewachsene Sanddünen, die ein hübsches Fotomotiv abgeben. Der Sand stammt von Gletschern, die Steine zu Staub zermahlen haben und der hier angeweht worden ist. Ein paar Kilometer weiter lerne ich am Emerald Lake, dass auch Kalksteinablagerungen am Seeboden in Form von Kalziumcarbonat eine Grünfärbung des Wassers hervorrufen können.

Zurück am Alaska Hwy drehen wir nach Nordwesten in die „falsche“ Richtung, da wir uns Whitehorse nicht entgehen lassen können. In der Hauptstadt des Yukon leben mit rund 24.500 Einwohnern etwa 75 % der Gesamtbevölkerung. Ihren Namen hat die Stadt von den Stromschnellen im Miles Canyon, der die Prospektoren seinerzeit an die wehende Mähne eines Schimmels erinnerte. Der Stausee Schwatka Lake erhöhte den Wasserstand in der Schlucht dauerhaft und ließ die Stromschnellen verschwinden. Dennoch ist es ein Erlebnis, von der schmalen schaukelnden Hängebrücke zu schauen, wie sich das klare waldgrüne Yukonwasser zwischen den dunkelrotbraunen senkrechten Felswänden hindurchzwängt.

Der Schwatka Lake Damm verursacht ein Problem ganz anderer Art: Er behindert die Lachswanderung. Um die 20 m Höhenunterschied zu überwinden, wurde die – so heißt es – längste hölzerne Fischleiter der Welt gebaut. Einmal „auf den Holzweg geraten“ ermuntert die ständige Gegenströmung die Fische zum Weiterschwimmen. Die versetzt angeordneten Ein- und Ausgänge der einzelnen Kammern verursachen eine zusätzliche Kreisströmung, in der sich die Lachse ausruhen können. Die Tiere haben die Wahl die Tore zu durchschwimmen oder über die Kammerwände zu springen. An exponierter Stelle hat man Schaufenster in die Seitenwände der Fischleiter eingelassen, nicht nur um Besuchern einen Blick auf die stromaufwärts ziehenden Lachse zu gewähren. Die Tiere werden für einige Minuten durch Schließen von Gittern in der Fensterkammer eingesperrt, identifiziert und gezählt.

Die Fischleiter wird nur während der Lachswanderung im Sommer betrieben. Kleine Lachse, die außerhalb dieser Zeit ihre Wanderung ins Meer beginnen, müssen den Weg des im Kraftwerk ungenutzten Wassers stromabwärts finden. Etwa 30% der Fischbabys verenden in den Turbinen. Um diesen Verlust zu ersetzen, gibt es eine Lachsaufzucht, die befruchtete Eier unter ihre Obhut nimmt und etwa 120.000 kleine Fische pro Jahr ins Wasser entlässt. Vorher wird ihnen die Afterflosse abgeknipst, um sie in einigen Jahren, wenn sie die Fischleiter zum Laichen hoch wandern, bei der Zählung von ihren in Freiheit geschlüpften Verwandten unterscheiden zu können.

Der Alaska Hwy führt uns wieder ein Stück in den Süden bis Jakes Corner, wo wir in die knapp 100 km lange Sackstraße nach Atlin einbiegen. Der Atlin Lake, der größte natürliche See in British Columbia (nicht mehr im Yukon!), ist für sein schönes Landschaftspanorama bekannt. Ab dem Ort Atlin schließen sich nochmals 24 km Seestraße an. Kurz vor deren Ende, zwischen dem 2. und 3. Picknickplatz, gibt es auf der linken Seite die Public Warm Springs, öffentliche warme Quellen, die in einem kleinen flachen natürlichen Teich entspringen. Das Wasser ist warm, knapp 30°, aber bei 8° Außentemperatur in einer Pause zwischen Regenschauern, hält sich selbst Jörgs Begeisterung für ein laues Bad in Grenzen. Für mehr als die Beine reicht sie nicht.

Skagway, Alaska – Große Hoffnungen und gnadenlose Enttäuschung im Goldrausch

Donnerstag, August 19th, 2010

Die Kreuzfahrtschiffe halten jeden Tag in Skagway. Vielmehr noch als Haines lebet diese Stadt von den Schiffstouristen und ist mit entsprechenden Andenkenläden – Juwelen, Indianerkleidung und -kunst – darauf eingerichtet. Der Schiffsanleger befindet sich am Ende der Hauptstraße, und so sieht es aus, als ob die Luxusliner mitten in der Stadt liegen. Die Fassaden der alten Holzhäuser der Hauptstraße wurden restauriert oder originalgetreu ersetzt, sodass der Eindruck entsteht, man wandelt durch eine Stadt vor 100 Jahren. Die Fahrerinnen der Oldtimerbusse, die am Kai auf ausflugswillige Kundschaft warten, sind stilgerecht kostümiert, genau wie die Ranger, mit denen man an einer kostenlosen Stadtführung teilnehmen kann. Im Besucherzentrum gibt es reichliche Informationen zum Klondike Goldrausch und einen Film, der viel von den damaligen Hoffnungen, Strapazen und dem Chaos zeigt.
Da die meisten Goldsucher sich den teuren Wasserweg Pazifik-Yukon nicht leisten konnten, fuhren sie mit dem Schiff nur bis Skagway oder dem heute nicht mehr existierenden Nachbarort Dyea und liefen von da aus zu Fuß weiter bis zum Lake Bennet, wo sie mit selbstgezimmerten Booten über den Yukon bis zu den Klondike Goldfeldern fuhren. Hunderttausend Menschen aus aller Welt, sogar aus Australien, machten sich kurz vor der Jahrhundertwende naiv und nichtsahnend auf den Weg. Sie hofften, das Glück ihres Lebens zu machen. Manche glaubten sogar, die Goldnuggets würden auf Büschen wachsen. Sie machten sich keine Vorstellung, welche Entbehrungen die Strecke ihnen abfordern würde. Die meisten wählten den Weg von Dyea über den Chilkoot Trail, der kürzer, aber steiler war und nur zu Fuß bewältigt werden konnte. Die North West Mounted Police, die später mit der Royal Canadian Mounted Police agglomeriert wurde, schaffte damals Ordnung und forderte von den Stampedern einen Jahresvorrat Lebensmittel, sowie 180 kg Ausrüstung und Kleidung mitzuführen. Zu den 520 kg Nahrungsmitteln gehörten u.a. Mehl, Reis, Bohnen, Salz, Zucker, Kaffee, Tee und Speck. Es dauerte rund drei Wintermonate, die legendäre „Ton of Goods“ stückweise den 53 km langen Trail hoch zu schaffen und leer wieder hinunter zu laufen oder auf dem Hosenboden im Schnee zu rutschen. So kamen leicht 2.000 km Wegstrecke zusammen, die im tiefsten Winter bei unvorstellbarer Kälte zurückgelegt werden mussten, um am See die Boote zu zimmern und bei Aufbrechen des Eises loszufahren. Im Frühsommer wollte man an den Claims sein, um bei Auftauen des Bodens mit dem Schürfen beginnen zu können.
Die Alternativroute von Skagway über den White Pass war länger und etwas weniger steil, sodass auch Packtiere eingesetzt werden konnten. Über 3.000 der Pferde und Maulesel sollen dabei verendet sein, der Großteil erfroren. Trotz der gnadenlosen Härte des Unternehmens schafften es die meisten Männer – und Frauen – lebend in Dawson City anzukommen. Nur um festzustellen, dass alle Mühe umsonst gewesen war. Bereits kurz nach Entdeckung des Goldes waren die Claims bereits aufgeteilt worden und die Stampeder mussten entweder den Rückweg antreten oder sich als schlechtbezahlte Lohnarbeiter auf den Goldfeldern verdingen. Dennoch gab es Erfolgsgeschichten wie die von Diamond Tooth Gertie und anderen Amüsierdamen oder Seriöseres: Eine Frau wurde reich mit Apfelkuchenbacken und managte schließlich die größte Goldmine am Klondike.
Von Skagway geht es steil den Berg zum White Pass hoch. Direkt hinter der Leitplanke sitzt ein junger, noch nicht ganz ausgewachsener Alaska-Braunbär und weidet Löwenzahn. Er lässt sich durch nichts beirren, obwohl wir nur zwei Meter von ihm entfernt stehen und mit der Kamera hantieren. Vorsichtshalber steige ich zum fotografieren nicht aus dem Truck. Aber natürlich nur, damit sich der Bär nicht an Menschen gewöhnt…
Am amerikanischen Grenzposten ist eigentlich keine Ausreiseabfertigung vorgesehen, aber auch hier stehen mehrere Federal Agents, die uns anhalten. Sie versichern uns, nicht zur regulären Grenzabfertigung zu gehören, sondern stichprobenartig bestimmte Aspekte der Ausreise zu kontrollieren. Außer für Feuerwaffen interessieren sie sich vor allen Dingen für Fisch, den man ausführt. Man sollte dann entweder einen Kaufbeleg oder die entsprechende Angellizenz vorweisen können. Sonst könnte sich der Verdacht aufdrängen, der Fisch wurde auf nicht ganz legale Weise beschafft. Also Vorsicht bei geschenkten Fischen: lieber gleich essen. Erst 25 km weiter folgt die kanadische Grenzstation. Diesmal geben wir unser amerikanisches Einreisekärtchen ab in der Hoffnung, damit unser falsches-Visum-Problem beheben zu können.
Der White Pass liegt inmitten einer Landschaft überirdischer Schönheit. Zwischen verstreuten Felsbrocken, die mit zartgelben Moosen überwuchert sind, stehen winzige Weihnachtsbäumchen. Es gibt unzählige Teiche und Tümpel, von denen viele ein ziemlich deplatziert wirkendes karibikblau aufweisen. Doch statt Palmeninseln mit Sandstrand erheben sich Felseninseln mit Tannen aus den Wassern. Über alldem schweben mystische Wolken und Nebelschwaden. Irgendwie erwarte ich, dass um die nächste Ecke ein paar Elfen oder eine Fee geflogen kommen, und bereite schon mal meine drei Wünsche vor.

Alaska Highway + Haines Road, Yukon + BC + Alaska – Auch Grizzlys lieben Lachse

Mittwoch, August 18th, 2010

Der Wind rüttelt die ganze Nacht über an der Kabine, Regen platscht aufs Dach, und am Morgen offenbart das Thermometer ganze 6°C. Der Blick aus dem Fenster macht es nicht besser. Die grünen Berge von gestern sind mit einer dicken Schneeschicht überzogen. Kluane Lake, bei Sonne von intensiver Farbe, zeigt sich heute nur blassblaugrün. Der Mount Logan, Teil der St. Elias Mountains und mit 5.959 m höchste Erhebung Kanadas, ist von der Straße aus leider nicht sichtbar. Man müsste schon einen Flug über die Berge buchen. Die ersten Büsche verfärben sich gelb, der Herbst zieht ein.

Bei Haines Junction verlassen wir den Alaska Hwy, um auf der Haines Road weiter zu fahren. Über Haines und Skagway wollen wir nach Whitehorse zurück zum Alaska Highway gelangen. Die Strecke gilt als die „Superroute“ im nördlichen Kanada, aber von der Landschaft ist momentan aufgrund des Dauerregens wenig zu sehen. Die Haines Road folgt dem Verlauf des alten Dalton Trail, der während des Goldrauschs als alternative Route nach Dawson City genutzt wurde. Bereits 1890 hatte Frank Dalton ein erstes Teilstück eingerichtet und später Handelsposten aufgebaut. Hohe Wegezölle für die Benutzung seines Pfads durch brachten ihm mehr Geld ein als die meisten Claims an Gold. Mit Fertigstellung der Bahnlinie von Skagway nach Whitehorse verlor der Dalton Trail schon 1900 seine Bedeutung wieder, aber da war auch der Goldrausch schon wieder vorbei.

Mit dem Übertritt nach British Columbia fahren wir über eine 75 km lange baumlose Hochebene, die herrliche Panoramablicke auf Berge und ungezählte Gletscher ermöglicht. Vom 1065 m hohen Chilkat Pass führt ein einziges langes Gefälle hinunter zum Meer. Irgendwo mittendrin liegt der Grenzübergang, der weit vorher angekündigt wird, damit auch schwere Lkw rechtzeitig zum Stehen kommen. Wieder muss nur die Einreise abgefertigt werden, das aber geht schnell wegen des bereits vorhandenen Visums. Diesmal werden wir von den Amerikanern nach mitgeführtem Obst und Gemüse gefragt. Oh ja, wir haben Äpfel und Tomaten und noch ein paar Sachen, aber das haben wir alles aus Alaska! Dann ist es kein Problem. Gerade als wir fahren wollen halten uns drei Beamte auf, die sich schon neugierig in Position gebracht hatten. Einer der Federal Agents scheint direkt aus einer Fernsehserie gesprungen zu sein: schusssichere Weste, hochglanzpolierte Stiefel, perfekter Haarschnitt, coole Sonnenbrille. Wir haben richtig Spaß mit den dreien und dürfen fahren, als wir endlich alle ihre neugierigen Fragen zum vermeintlichen Militärfahrzeug beantwortet haben.

In Haines buchen wir als erstes für den Abend eine Fähre nach Skagway. Da wir einige Stunden Zeit haben, folgen wir zunächst der Mud Bay Road am Fjord entlang. Die Ausblicke auf die Gletscher sind aufgrund der Wolken leider getrübt, dafür haben wir auf der Chilkoot Lake State Recreation Site mehr Glück. Der Abfluss des Sees in den Fluss ist bekannt dafür, dass man dort während der Lachswanderung Grizzlys – oder Alaska-Braunbären, wie sie hier genannt werden – beim Fischfang beobachten kann. Insgesamt bekommen wir heute sieben Bären zu sehen: zwei Mütter, eine mit einem Zwillingspärchen und eine mit drei Jungen, aber auf unterschiedlichen Flussseiten und meist nicht gleichzeitig, damit sie sich nicht ins Gehege kommen. Die Kleinen sind alle von diesem Jahr, damit noch nicht sehr groß und ziemlich ungeschickt. Sie kullern und purzeln herum und lassen immer wieder Fische ins Wasser fallen, die ihre Mütter ihnen geduldig herausfischen. Aber wehe, der nächste Lachs kommt nicht schnell genug heran. Dann jammern, schreien, brummen und protestieren sie wie jedes hungrige Baby der Welt. Natürlich stehen auch Angler im Fluss. Lustig wird es, als eine Bärendreiergruppe ihren Fischgrund verlässt und am Ufer entlang in Richtung Angler läuft. Die eine Hälfte davon flieht in die Flussmitte, die andere spurtet verängstigt ans Ufer. Wer hat schon Lust, sich mit einer ausgewachsenen Grizzlymutter anzulegen? Damit Bär und Mensch sich weitgehend aus dem Weg gehen können, gibt es eine markierte Zone auf der Straße, wo eine der Bärenfamilien gewöhnlich vom Wald zum Fluss quert und umgekehrt, und die nicht zu Fuß, sondern nur im Fahrzeug passiert werden darf. An diesen Bärenübergang halten sich die meisten – bis auf die Bärin. Die springt uns an ganz anderer Stelle vors Auto und die Kleinen gleich hinterher, als wir eigentlich schon abfahren wollen. Also nochmals anhalten, aussteigen, noch mehr Bilder machen.

Der Fluss ist ebenfalls berühmt für seine Fischadler, die hier reichlich Nahrung finden. Allerdings kommen die zu Tausenden, wenn Bären und Menschen verschwunden sind – zwischen Oktober und März. Dennoch, ein paar frühe Adler sind schon hier. Irgendwann müssen wir uns, völlig durchfroren, losreißen, um die Fähre nicht zu verpassen. In einer Stunden bringt sie und durch den Fjord nach Skagway, Alaska.

Alaska Hwy, Alaska + Yukon – Zurück in Kanada

Dienstag, August 17th, 2010

In Tok erreichen wir wieder den Alaska Highway. Bei der Ausreise aus Alaska sind keinerlei Grenzformalitäten zu erledigen. Kurz hinter dem amerikanischen Grenzgebäude am Yukon-Begrüßungsschild wurde genau auf dem 141. Längengrad eine sechs Meter breite Schneise in den Wald geschlagen. Zwischen dem Demarcation Point am Nordpolarmeer und dem Mount St. Elias markiert sie seit 1925 auf über 1000 km Länge die Grenze zwischen Kanada und Alaska, die 1908 fixiert wurde. Die kanadische Grenzstation liegt 30 km südlich kurz vor Beaver Creek. Hier bekommt man einen neuen Einreisestempel in den Pass. Das Formular, das man bei Flugeinreise ausfüllen muss, entfällt, dafür muss man die Fragen z.B. nach Feuerwaffen und Geschenken mündlich beantworten. Da Alkohol in Alaska billiger und die Einfuhrmenge beschränkt ist, wird man auch danach gefragt, kontrolliert werden wir aber nicht. Wiederum interessiert sich niemand für frisches Obst, Gemüse und Fleisch. Sollte man nicht nochmals während der Gültigkeitsdauer seines Visums auf US-Gebiet einreisen, muss man die grüne oder weiße Einreisekarte beim kanadischen Grenzbeamten abgeben. Da wir in Kürze nochmals nach Alaska fahren wollen, behalten wir sie.

Am Abend erreichen wir Kluane Lake. Der Alaska Highway folgt dem Seeufer für mehr als 50 km, im Norden gesäumt von der Nisling Range, im Süden von den Ausläufern der Saint Elias Mountains. Die Berge schimmern grün im letzten Sonnenlicht, es reicht gerade noch für ein Bier am See. Dann ziehen sich die Wolken ringsum zusammen und ein Gewitter kommt auf.

Valdez, Alaska – Ein Bär beim Fischen

Montag, August 16th, 2010

Darf ich auch mal was über Deutsche sagen? Ich meine nicht die Globetrotter, die wie wir Länder bereisen, sondern Touristen, die mit Leihwohnmobilen zwei, drei Wochen Urlaub verbringen. Ausnahmen gibt es immer, aber viele sind irgendwie – seltsam. Kontaktscheu. Unangenehm, andere Deutsche zu treffen? Ja, kann ich verstehen, schließlich sind wir ein Volk von schlechtgelaunten, unzufriedenen, muffeligen, arroganten Autofahrern und Wandersleuten. Gestern Abend fuhren wir auf einen aufgrund seiner wunderbaren See-Bergsicht stark frequentieren Parkplatz. Vor uns stehen Deutsche. Der Mann kommt auf Arminius zu. Freundlich und gesprächsbereit steige ich aus. Der Mann ignoriert mich, steuert gezielt zum Nummernschild, liest es kurz, dreht sich um und geht ohne ein Wort. In der Bewegung muss er mein verwundertes Gesicht gesehen haben. „Ich wollte nur sehen, wo das her ist“, ruft er mir im Weggehen zu. „Na dann“, sage ich, „mal gute Fahrt“. Heute Morgen, immer noch am gleichen Platz, kommen zwei unüberhörbar sächsische Paare mit zwei Wohnmobilen gefahren. Sie steigen aus, positionieren sich, um das Bergpanorama zu fotografieren, drehen sich geschwind um, zack, klick, ein Foto von Arminius gemacht, und schon schauen sie wieder unschuldig in Richtung Berge. Dann beginnen sie schleichend-unauffällig Arminius zu untersuchen, das Kennzeichen ist natürlich von besonderem Interesse. Eine der Frauen lugt vorsichtig durch das Moskitonetz der geöffneten Eingangstür ins Innere. Sie entdeckt meinen schwebenden Fuß, muss annehmen, dass daran noch ein Mensch hängt, und dreht sich peinlich berührt weg. Nur nicht „guten Tag“ oder „hallo“ sagen. Ein amerikanisches Rentnerpaar dagegen unterhielt sich gestern Abend lange mit uns und schenkte uns sogar noch frisch gefangenen Heilbutt und selbstgemachte Rote Beete.

Als wir auf den Worthington Glacier zufahren, kommen die Wolken schon vom Berg hinabgekrochen. Wir sehen nur die Endmoräne und ein Stück von der Gletscherzunge. Auch diesen straßennahen Gletscher erreicht man über einen Wanderweg, aber die Sicht ist so schlecht, dass wir das ausfallen lassen. Vom 816 m hohen Thompson Pass kurz danach soll man einen wunderbaren Ausblick haben auf Berge und Wälder – theoretisch. Die Gegend ist berühmt für schlechtes Wetter mit Nebel und Regen und bereitet ihrem Ruf alle Ehre. Vom Pass aus führt eine einzige, gleichmäßig steile Rampe bis auf Meeresniveau hinunter nach Valdez. Hier endet die 1287 km lange Ölpipeline, Grundbaustein von Alaskas Wohlstand. Die Leitung, gemeinsames Eigentum von fünf Ölgesellschaften, soll marode und undicht sein. Die Teile aber, die sich dem Besucher präsentieren, wirken sauber, nahezu steril. Auch von der Ölpest ist auf den ersten Blick nichts mehr erkennbar. Großangelegte Reinigungsmaßnahmen sowie die Selbstheilungskräfte der Natur haben ihr Übriges getan, die Spuren der Katastrophe zu tilgen. Im März 1989 lief der Supertanker Exxon Valdez aufgrund eines Navigationsfehlers auf ein Riff. Fast 41 Millionen Liter Rohöl flossen aus dem Leck, über 2000 km Küste wurden verseucht, unzählige Tiere verendeten. Wirtschaftlich profitierte Valdez von dem Unglück: Tausende von Helfern mussten zum Teil über Jahre untergebracht und verköstigt werden, die Fischer wurden großzügig entschädigt, und schließlich setzte einträglicher Katastrophentourismus ein. Die Ölpest mag gegangen sein, der Tourismus ist geblieben. Angeln ist das große Thema im Prince William Sound und in den einmündenden Flüssen. Während selbst Hobbyangler riesige Heilbutts aus dem Meer fischen, holen andere die Silberlachse kiloweise aus den Bächen. So eine Lachswanderung ist allerdings nichts für sensible Naturen. Bei Ebbe drängen sich die Fische Körper an Körper in den verbliebenen Rinnsalen, während die bereits toten Leiber vor sich hinmodern. Die sonst so streitlustigen Möwen wandern mit dicken Bäuchen auf dem stinken Fischfriedhof umher. Im Flachwasser noch zuckenden Exemplaren hacken sie zuerst die Augen aus. Dann versuchen sie den Bauch zu öffnen und eventuell verbliebene Eier herauszupicken. An einem Bach, wo sich die silbernen Schuppentiere besonders dicht drängen, fischt ein Schwarzbär mit einer entzückenden weißen V-förmigen Blesse auf der Brust. Das für seine Gattung sehr große Exemplar schlendert in aller Ruhe zum Wasser, nimmt einfach einen Lachs ins Maul, legt sich am Ufer damit hin, nimmt ein paar der für ihn delikatesten Bissen und holt sich den nächsten Fisch, um ihn erneut nur anzuknabbern. Welch scheinbare Verschwendung der Natur. Die verwesenden Leichen aber werden den kalten Regenwald von Valdez düngen und ihm zu neuem üppigem Wachstum verhelfen.

Auf dem Rückweg haben sich sämtliche Wolken der Umgebung auf dem Thompson Pass versammelt und die Sicht sinkt auf unter 50 m. Der Gletscher ist nur noch zu erahnen und auch das Wrangell – St. Elias Gebirge auf der anderen Seite gibt sich heute verhüllt. Hinter Glennallen nehmen wir die Tok-Cut-Off genannte Straße zum Alaska Highway.

Glenn Hwy, Alaska – Das ist Alaska: rote Hänge, weiße Schafe, hohe Berge

Sonntag, August 15th, 2010

Vom Anchorage aus nehmen wir den Glenn in östliche Richtung. Immer wieder gibt es wundervolle Ausblicke auf die Chugach Mountains. Der Matanuska Gletscher schlängelt sich kilometerlang durch ein Tal, aber auch hier ist der Rückzug sichtbar. Einziger Zugang führt über ein Privatgelände und 20 $ Eintritt pro Person – zu happig für Leute, die schon andere Gletscher gesehen haben. Ganz kostenlos hingegen ist der Blick auf ein paar Hänge mit freigelegten orangeroten Flächen Der mit Eisenoxid versetzte Gips vulkanischen Ursprungs lockt aufgrund seines Mineralienreichtums oft Dallschafe an, die daran lecken. Dallschafe sind Verwandte der Bergschafe, aber sie mögen Wärme nicht besonders. Sie folgen stetes der Schneegrenze. In Ermangelung von Schnee finden wir sie mit dem Fernglas an einem exponierten Hang ganz weit oben in den Bergen liegend. Dort sprenkeln sie den Hang wie weiße Punkte einen Fliegenpilz.

Ganz allmählich geht es hinauf auf den 1013 m hohen Eureka Pass und auf der anderen Seite genauso sanft wieder hinunter. Ein kleiner Schwarzbär erschrickt vor unseren großen Rädern und springt von der Straße. Jeder Parkplatz ist vollgepackt mit vereinsamten Pick-ups und leeren Anhängern. Die Besitzer sind mit ihren ATVs – oder Quads, wie wir in Europa sagen – unterwegs zur Elchjagd. Ihre schiere bewaffnete Anzahl lässt mir das Unterfangen für Menschen gefährlicher erscheinen als für Elche.

Ist man auf dem Glenn Highway in östlicher Richtung unterwegs fährt man genau auf die Wrangell – St. Elias Mountains zu. Immer wieder öffnen sich im Wald dramatische Blicke auf die bis zu 5000 m hohen, schneebedeckten, von der Sonne angeleuchteten Berge – und davon gleich mehrere. Vergesst Mount McKinley! Bei Gelennallen biegen wir noch einmal in eine Sackgasse nach Süden ein. Der Richardson Highway führt entlang der Trans-Alaska-Pipeline nach Valdez an den Prince-William-Sound. Obwohl die Temperatur heute von 25° nur um zwei Grad gesunken ist, hat der Abend die kältesten 23°, die wir je erlebt haben. Der stürmische, zunächst ungewöhnlich warme Wind wird schnell eiskalt, dass es nichts Gutes verheißt.

Seward Hwy, Alaska – Sterbende Gletscher, sterbende Lachse

Samstag, August 14th, 2010

Wer je über instabiles Wetter auf der Kenai Insel berichtet hat, muss geirrt haben. Seit knapp einer Woche hat es verlässliche 13°, konstanten Nieselregen und stellenweise Nebel. Aus der Entfernung ist der Exit Glacier auch heute kaum zu sehen, aber auf dem einfachen 5-km-Rundwanderweg gelangt man zum Fuß des Gletschers. Schilder mit Jahreszahlen dokumentieren den dramatischen Rückzug des Eisfelds bereits von der Zufahrtsstraße zum Parkplatz hin. Ein Gletscher besteht aus luftigen Schneeflocken an der Oberfläche, die sich nach unten hin allmählich zu Firn verdichten und schließlich, wenn fast alle Luft durch das Eigengewicht herausgepresst ist, zu einer extrem kompakten Eismasse verschmelzen. Zwischen Gletscher und Berg wiederum entsteht durch das enorme Gewicht eine Schmelzschicht, auf der das Eis langsam ins Tal driftet. Bei der Bewegung hangabwärts brechen an der weißen Oberfläche Spalten auf, die Blicke ins Innere gewähren. Das stark verdichtete Eis absorbiert energieärmere gelbe, orange und rote Lichtwellen, während es die energiereicheren Photonen passieren lässt und so einen blauen Schimmer hervorruft. Der Exit Gletscher hingegen ist völlig blau. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gletschern fehlt ihm die schützende Schnee- und Firnschicht an der Oberfläche, aus der sich neues Gletschereis bilden kann. Sein Innerstes liegt blank. Sommerliches Abschmelzen mag vielleicht ein Grund sein, aber der Verdacht drängt sich auf, dass es sich hierbei um einen sterbenden Gletscher handelt.

70 km südlich von Anchorage biegen wir in die Portage Lake Road ein. Nach wenigen Kilometern kann man von der Willow-Fischaussichtsplattform aus in einem klaren Bach Lachse beim Laichen beobachten. Kleine Enten tauchen strampelnd gegen die Strömung und versuchen, ein paar Fischeier zu erhaschen. Vom späten Juli bis frühen September gibt es hier Augenhöhlen-, Hund- und Buckellachse. Sie werden, je nach Art, zwei bis etwa sechs Jahre alt und kehren zum Laichen aus dem Meer in den Bach zurück, in dem sie geschlüpft sind. Im Gegensatz zu Atlantiklachsen machen Pazifiklachse diese Wanderung nur einmal in ihrem Leben, danach sterben sie.

Das Begich, Bloggs Besucherzentrum am Portage Lake ist aufwändig gestaltet und bietet viel interaktive Information. Am See kann man selbst im Sommer kleine Eisberge schwimmen sehen, die der Portage Gletscher hineinkalbt. An den Portage Glacier kommt man jedoch nur mit einer Bootstour heran. Zum benachbarten Byron Glacier führt ein kurzer Wanderpfad. Zwar warnen auch hier Schilder vor dem Betreten des Eises, da man in eine Spalte stürzen könnte. Doch keine Absperrung hindert einen daran, auf das Eisfeld zu laufen, und so folgen wir hunderter anderer Fußspuren, bis wir für heute genug Gletscher haben.

Auf dem Rückweg nach Anchorage steht im Turnagain Arm Flut gegen Strömung das Wasser brodelt und kocht. Dann rückt die Flutwelle an: In drei beeindruckenden hintereinander folgenden Wellen presst die Flut das Wasser den Meeresarm hinauf und bringt ganze Flussläufe zum Erliegen.

Homer + Seward, Alaska – Russland in Amerika

Freitag, August 13th, 2010

Vom Aussichtspunkt vor Homer sehe ich mindestens sieben blau schimmernde Gletscher auf der anderen Uferseite. Bei besserer Sicht wären es vermutlich noch mehr. Sie alle gehören zu den Ausläufern der schroffen, tief verschneiten Alaska Range. Am Ende der Kenai Halbinsel liegt Homer, ein kleines Städtchen, das einen eisfreien Hafen besitzt, vom Fischfang und vom Tourismus lebt. Der Homer Spit ist eine 7 km lange schmale Sandzunge, die ins Meer ragt. Campingplatz reiht sich an Souvenirshop. Hier kann man Bootsfahrten oder Flüge nach Kodiak buchen, der Insel, wo 3000 der berühmten Kodiakbären leben. Da man auf Kodiak weitere Flüge buchen muss, um ins abgelegen Hinterland zu gelangen, wo man vielleicht die Bären beim Fischfang beobachten kann, geht dieser Ausflug schnell ins Geld. Und das Wetter auf der Insel soll noch unbeständiger sein als auf dem Festland.

Am Ende der Landzunge stehen Angler in 10-m-Abständen und holen im Minutentakt Fische aus dem Wasser. Eine Anglerin japanischer Abkunft klärt uns in ihrem lustigen Englisch auf: Heilbutt ist gut, begehrt aber sind die Schollen. Kabeljau ist ein Allesfresser und stinkt, die großen schmecken schlammig, aber manche mögen lieber die großen Fische. Am besten wäre Lachs, ein „sauberer“ Fisch, aber der beißt noch nicht. In Homer. Aus einem unterirdischen Rohr blubbert es hin und wieder schäumend. Niemand scheint sich dafür zu interessieren, aber wir verzichten auf den angebotenen Fisch. Daneben angelt ein altes russisches Pärchen, das ein noch unverständlicheres Englisch spricht. Die Amerikanisierung scheint an ihnen vorbei gegangen zu sein. Die derben Schuhe, der lange geblümte Rock und das andersfarbig geblümte Kopftuch der Frau gehören einem anderen Zeitalter an.

Vieles deutet hier noch auf die ursprünglich russische Besiedlung hin. Die allererste Besiedlung erfolgte vermutlich vor etwas 12.000 Jahren aus Sibirien über die damals ausgetrocknete Meeresstraße. Der Name Alyeska, „mächtiges Land“, stammt aus dieser Zeit. Nachdem der Däne Vitus Bering 1728 im Auftrag Peters des Großen statt der vermuteten Landbrücke eine Meerenge vorfand, startete er 1741 eine weitere Expedition über die später nach ihm benannte Beringstraße. Nach der Inselkette der Aleuten erreichte er nordamerikanisches Festland am Golf von Alaska und nahm es für den Zaren in Besitz. Ungeachtet der Vermessungsarbeiten des Engländers James Cook besiedelten russische Trapper und Pelzhändler ab 1784 Alaska. Nachdem sie die Seeotter fast ausgerottet und zahlreiche andere Pelztiere erheblich dezimiert hatten und die Kolonie das Zarenreich mehr Geld kostete als sie einbrachte, wurde Alaska Mitte des 19. Jahrhunderts zum Kauf angeboten. Die ganze Welt lachte damals über US-Außenminister Seward, der den Russen den vermeintlich nichtsnutzigen „Eiskasten“ für 7,2 Mio. Dollar abkaufte. Sie lachte nicht lange. Bereits 13 Jahre später fand Joe Juneau das erste Gold. 1959 wurde Alaska als 49. Bundesstaat der USA konstituiert und 1968 entdeckte man bekanntlich Erdöl in der Prudhoe Bay, was Alaska zu relativem Wohlstand mit entsprechend hohen Lebenshaltungskosten verhalf. Viele Ortsnamen wie Skilak, Soldotna oder Kachemak zeugen auch heute noch vom russischen Erbe, genau wie so mancher Straßenname, z.B. Kalifornsky Beach Road. Sowohl in Ninchilik als auch in Kenai, das ursprünglich als Nikolask Redoubt gegründet worden ist, stehen russisch-orthodoxe Kirchen mit ihren charakteristischen Zwiebeltürmchen.

Auf der Rückfahrt biegen wir vom Sterling in den Seward Highway ein. Diese Strecke gilt als besonders attraktiv, führt sie doch durch die Chugach Mountains. Leider hängen die Wolken bis ins Tal, sodass außer Straße und hin und wieder einem türkisblauen Fluss oder See nichts zu sehen ist. Wir fahren bis zum Ende der Straße nach Seward, das auf fast schockierende Weise touristisch ist. An der Uferlinie klebt ein Campingplatz am anderen, aber eigentlich sind es ganz gewöhnliche Parkplätze, auf denen dicht an dicht hunderte, mehr noch tausende von Campmobilen, Anhängern und Zelten stehen. Wir verlassen das Grauen schnell und biegen nördlich der Stadt zum Exit Gletscher ab. Die Sicht ist hier nicht besser, also parken wir und hoffen auf mehr Wetterglück für morgen.

Sterling Hwy, Alaska – Rauchende Vulkane im äußersten Westen

Donnerstag, August 12th, 2010

Ein bemerkenswerter älterer Herr verwickelt uns auf dem Baumarktparkplatz in ein Gespräch. Seine Frau bekommt im Krankenhaus gerade ein neues Knie eingesetzt und er wartet darauf, sie besuchen zu können. Der rüstige 81-jährige, der maximal wie 71 aussieht, klettert behände in den Aufbau seiner Pick-up-Kabine. Er drückt uns eine Tüte mit Zucchini in die Hand, die sie in ihrem Garten selbst gezogen haben. Echte Alaska-Zucchini!

Auf dem Weg nach Südwesten auf die Kenai Halbinsel fahren wir am Turnagain Arm entlang, der mit 11 m den zweithöchsten Tidenhub Nordamerikas vorweisen kann. Am Skilak Lake vorbei führt eine 30 km lange Schotterpiste parallel zur Hauptstraße. Hier gibt es nicht nur schöne Ausblicke und kostenlose Campingplätze, sondern auch tonnenweise Birkenpilze gleich neben dem Weg. Wir können nicht widerstehen und finden unter Nadelbäumen auch eine Art Steinpilz. Am Anchor Point bringt uns ein kurzer Abstecher zum Meer an den westlichsten Punkt Nordamerikas, den man per Straße erreichen kann: 151° 52’ westlicher Länge. Von hier hat man einen wundervollen Blick auf die Berge auf der gegenüberliegenden Seite des Cook Inlet, die zum Ring of Fire gehören. Alleine von hier kann man fünf aktive Vulkane sehen, von denen der eine oder andere gelegentlich Asche spuckt.

Am Kiesstrand sitzen zwei Steinadler und teilen sich redlich einen Fisch. Eine Robbe steckt neugierig ihren Kopf aus dem Wasser und ein Fischadler kommt vorbei, um zu sehen, ob für ihn auch etwas abfällt. Drumherum sitzen hunderte kreischender Möwen und warten auf ihre Chance. Gerade denke ich, dass man als Adler gute Nerven besitzen muss, als die Raubvögel entnervt abziehen und die Reste dem schreienden Volk überlassen.

Anchorage, Alaska – Erfreulich großer Käse und beängstigend riesige Hähnchen

Mittwoch, August 11th, 2010

Wer in Alaska einkaufen möchte oder muss, sollte die nach Möglichkeit in Anchorage tun. Hier ist nicht nur das im Allgemeinen hohe Preisniveau Alaskas am niedrigsten, es fallen auch keinerlei Verkaufssteuern an. Bei Costco beantrage ich eine Jahresmitgliedschaft für (mittlerweile) 50 $. Für Vieleinkäufer gibt es noch weitere Mitgliedschaftsstufen, die teurer sind, aber Jahresrabatte bieten. Costco ist eine amerikanische Großhandelsinstitution wie bei uns beispielsweise Metro und Selgros. Nur, dass man keinen Gewebeschein vorzeigen muss, sondern für die Mitgliedschaft bezahlt. Eine Investition, die sich lohnt. Ob Fernseher, Bier oder Nudeln, hier ist alles billiger. Leider in „Bulk“-Packungen, also in großen Mengen, aber Brot in der Doppelpackung geht auch in einen kleinen Camper. Und endlich – endlich! – gibt es vernünftigen Käse zu guten Preisen, auch wenn das bedeutet, dass ich eine Doppel-Doppelpackung Mozzarella , ein Viertel Wagenrad Brie und eine Kilo-Platte Feta kaufen muss. Egal, das magische Wort mit den vier Buchstaben heißt K-Ä-S-E.

In Kanada kostet ein Hähnchen aus dem Kühler appetitzügelnde 12 c$. Fertig zubereitet und gegrillt kann man es bereits für 8 c$ erstehen – ein Mysterium. Kanadische Mütter beklagen, dass ihre Töchter aufgrund von Wachstumshormonen zu frühreifem Wachstum neigen und riesige Brüste bekommen, von denen die Mütter ihr Leben lang geträumt haben oder für die sie beim plastischen Chirurgen viel Geld bezahlt haben. Die meisten nehmen das alles achselzuckend in Kauf. Wachstumshormone befinden sich in Rindfleisch und damit in Milch, in Hühnchen und damit in Eiern. Wie in Kanada steht auch in den USA auf vielen Milchprodukten, Eiern und Fleischverpackungen, dass diese Produkte von Tieren stammen, die nicht mit Hormonen behandelt wurden. Auf US-Verpackungen steht jedoch in einer anderen Ecke, vom Gesetzgeber vorgeschrieben, dass kein signifikanter Unterschied zwischen ohne und mit Hormonen behandelten Tieren besteht. Umgekehrt muss ich davon ausgehen, dass es sich um hormonbehandelte Produkte handelt, wenn es keinen Hinweis gibt. Bei Costco kaufen wir ein riesiges, fertig gegrilltes Hähnchen für unter 5 $ (in fast jedem Einkaufswagen befindet sich eines; wir werden drei Mal davon essen). Es steht kein Hinweis drauf. Ich hoffe, meine Wachstumsphase ist bereits abgeschlossen.

Hatcher Pass Road + Anchorage, Alaska – Erdbeben am Earthquake Park

Dienstag, August 10th, 2010

Statt der im Süden langweiligen Hauptstraße zu folgen, biegen wir bei Willow in die Willow Fish Road ein. Die 80 km lange Straße führt über den 1.184 m hohen Hatcher Pass nach Palmer. Zu Beginn im Westen und einige Kilometer im Osten sind Asphalt, aber der Großteil ist enge, einspurige Schotterpiste mit Ausweichstellen und sehr engen Serpentinen. Ungeeignet für große Wohnmobile und Gespanne, sonst aber eine der schönsten Strecken, die wir gefahren sind. Von der Westseite her erreicht man zügig die baumlose Tundra. Die Piste begleitet einen Bergbach, der über große runde Steine ins Tal schießt. Dann steigt die Straße immer höher, rechts von uns tut sich ein tiefes Tal auf. Auf einem kleinen Plateau knapp unterhalb der Straße entdecke ich ein weißes Holzkreuz. Mein Blick folgt dem ungeschützten Abhang nach unten, mehrere hundert Meter weit. Dann sehe ich es, das Autowrack, klein wie eine Zigarettenschachtel. Wer soll es dort auch wegräumen? Leitplanken gibt es natürlich keine. Auch in dieser Gegend wird noch intensiv nach Gold geschürft. Ganze Familien haben während des Sommers ihre Zelte und Wohnwagen an ihren Claims aufgestellt und hocken am Fluss, auf ganz traditionelle Weise Gold waschend.

Oben auf dem Pass hat man einen schönen Blick auf die Straße und ein paar Teiche. An einem 10. August bestücken wir uns mit dicken Jacken und Wollmütze. Wir besteigen einen der Berge und werden mit einer atemberaubenden Aussicht auf beide Seiten belohnt. Den kargen, mit einem grünen Teppich belegten Westen und die hohen, schroffen, schneebedeckten Berge im Osten, mit den glitzernden Wassern des Matanuska River dazwischen. Davor liegt die Stadt Palmer in einem fruchtbaren grünen Tal, der einzigen landwirtschaftlich bedeutenden Region Alaskas, wo bei durchschnittlich 165 frostfreien Tagen pro Jahr und langen Tageslichtstunden im Sommer viele Gemüsesorten ausgezeichnet wachsen. Auf dem Weg nach unten passiert man die Independence Mine, wo man sich in einem Museum über die Geschichte des Goldsuchens informieren und auf dem staatlichen Claim nach Goldnuggets schürfen darf. Auf der Ostseite zwängt sich die Straße zusammen mit einem romantischen Bach durch eine Schlucht. Durch das Gebirge getrennt vom kalten Hinterland Alaskas wuchern Büsche und Bäume nur so unter dem ausgleichenden klimatischen Einfluss des Golfs von Alaska, einem Teil des Nordpazifiks.

Anchorage liegt am Cook Inlet, wiederum Teil des Golfs von Alaska, zwischen dem Knik Arm und dem Turnagain Arm. Anchorage ist mit 283.000 Einwohnern zwar die größte Stadt Alaskas, Hauptstadt ist aber nach wie vor Juneau, am Gatineau Channel im unzugänglichen Süden des Staates gelegen. Der Golf empfängt uns mit mehr als unangenehmem Wetter. 10°C, 65 km/h Wind und einsetzender Nieselregen lassen selbst die Büger Anchorages schauern. Wir fahren zum Earthquake Park, wo am Karfreitag 1964 bei dem stärksten Beben in Nordamerika der Neuzeit Teile des Landes zusammen mit 75 Häusern ins Meer gestürzt sind. Makaber sind die fast komplett verschütteten Autos, von denen nur Umrisse und Teile aus dem Kiesstrand herausragen. Der weiter südlich gelegene Ort Portage wurde vollkommen zerstört und aufgegeben, obwohl er noch auf vielen Landkarten eingezeichnet ist. Später erfahren wir, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als wir am Earthquake Park in unserer Kabine Kaffee getrunken haben, ein fast unmerkliches Beben der Stärke 4,1 Anchorage erzittern ließ. Anchorage liegt am Ring of Fire, der aktiven Erdbeben- und Vulkanzone rund um den Pazifik. Leichtere Erdbeben und vulkanischer Ascheregen suchen die Gegend regelmäßig heim, größere Vulkanausbrüche und stärkere Beben sind zum Glück selten.

Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz mit wi-fi Internetempfang landen wir wieder, wie schon in Fairbanks, beim Home Depot. Das eine oder andere Wohnmobil und der eine oder andere Lkw, die hier schon stehen, lassen darauf schließen, dass unsere Idee nicht so außergewöhnlich ist. Hier gibt es keine Disco, aber einen großen Sportflugplatz, das Merill Field mit rund 1.200 Starts und Landungen täglich im Sommer, dessen Sichtflüge nachts zum Glück eingestellt werden. Die Elmendorf Air Force Base ist ein paar Kilometer weg, trotzdem zu hören, aber der Flugverkehr hält sich in Grenzen. In Anchorage herrscht reger Flugverkehr; es ist schwer, ihm zu entwischen. Es wird nach über drei Reisemonaten unsere erste Nacht auf einem Shopparkplatz und zum ersten Mal nach langer Zeit wird es nachts wieder richtig dunkel.

Denali Nationalpark, Alaska – Das Glück auf einer Kuhhaut

Montag, August 9th, 2010

Der Mount McKinley ist mit 6.194 m nicht nur der höchste Berg des nordamerikanischen Kontinents, er hat auch einen Weltrekord zu bieten: Der Höhenunterschied zwischen dem Gipfel und dem Wonder Lake, einem See am Fuße des Berges, beträgt 5.500 m. Eine solche Erhebung soll nicht einmal der Mount Everest zu bieten haben. Der Mount McKinley residiert einsam in luftiger Höhe, seine Schwesterberge um vieles überragend, über dem Gebirge der Alaska Range, die das südliche Alaska vom zentralen Plateau trennt. Der Berg ist zu 75 % von permanenten Schneefeldern bedeckt, die wiederum die vielen Gletscher speisen, die an seinem Fuß liegen. Leider bekommt man ihn nur selten zu sehen. Statistisch gesehen ist er die Hälfte des Jahres von Wolken verhüllt. So auch heute. Wir haben ihn von Fairbanks aus schon sehen können, wenn er auch auf dem Foto nur zu erahnen ist.

Im Denali Nationalpark, wo sich der Berg befindet, lösen wir für 80 $ einen Jahresfamilienpass für sämtliche US-Nationalparks. Richtig günstig gegenüber Kanada. Mit dem eigenen Fahrzeug darf man nur die ersten 24 km in den Park hineinfahren. Mit Reservierung für den Campingplatz kommt man noch 22 km weiter. Im Eingangsbereich kann man lediglich ein paar Kurzwanderungen unternehmen. Wer mehr als ein bisschen Sightseeing oder gar den Mount McKinley im Park erleben will, ist auf das Shuttlebussystem angewiesen. Das ist nicht nur kostenintensiv, sondern auch reservierungspflichtig. In der Saison de facto lange im Voraus – ohne zu wissen, wie das Wetter dann sein wird. Es ist Saison und aufgrund der vielen Menschen im Park befällt uns eine Art Klaustrophobie. Wir freuen uns über zwei Karibus und fahren weiter in den Denali State Park. Dort gibt es Aussichtspunkte, von denen man „den Hohen“, so die indianische Bezeichnung für den Berg, sehen kann, aber mittlerweile sind die Wolken vom Himmel gefallen und man kann nur noch erahnen, dass neben der Straße irgendwo ein Gebirge verläuft.

Wir treffen ein entzückendes englische Rentnerpärchen, das mit einem 30 Jahre alten Hanomag durch die Welt tourt. Und das schon seit vielen Jahren, nachdem sie die Welt bereits mit Fahrrädern umrundet haben. Die beiden beneiden uns um unsere „Penthouse-Suite“, wie sie Arminius’ Kabine bezeichnen, und darum, dass wir den Top of the World / Taylor Highway befahren konnten, was ihnen nicht gelungen ist. Nach uns muss er wegen erneuter Regenfälle wieder geschlossen worden sein, diesmal voraussichtlich bis zum Ende der Saison. Das heißt, Öffnung wahrscheinlich erst im nächsten Frühjahr. Passt so viel Glück auf eine Kuhhaut?

Fairbanks, Alaska – Waldbrand und kein Ende

Sonntag, August 8th, 2010

Immer wieder treffen wir andere Reisende aus verschiedensten Ländern. Interessant beim Austausch ist, wie sich die Erfahrungen manchmal sehr ähneln und bei anderen Globetrottern doch wieder ganz unterschiedlich sind. Das erinnert mich an eine alte Geschichte über Reisende:

Kommt ein Reisender aus weiter Ferne des Wegs, die fremde Stadt am Horizont schon im Blick. Er trifft einen alten Mann und fragt ihn: „Wie sind die Leute dort in der Stadt?“ „Wie sind denn die Menschen da, wo du herkommst?“, will der Alte wissen. Der Reisende antwortet: „Sehr großzügig, nett und offen. Es sind gastfreundliche Leute.“ „Ja, in der Stadt sind sie auch so.“ Wenig später trifft ein anderer jungen Mann auf den Weisen und will wissen, wie die Menschen in der Stadt wären. Auf die Rückfrage des Alten meint er, in seiner Gegend wären die Leute unfreundlich, geizig und schlecht. „Nun“, entgegnet der Weise, „so in etwa wirst du auch die Menschen in der Stadt finden“.

Nachdem wir vor dem Baumarkt nochmals im Internet gesurft haben, fahren wir gegen Abend in Richtung Denali Nationalpark und Anchorage. Hinter Fairbanks hat man von einem Aussichtspunkt einen guten Blick auf die mosaikartigen Waldbrände, deren Rauch seit fast zwei Monaten über der Stadt liegt, die aber wegen früherer militärischer Nutzung und dort liegender Munitionsreste nur aus der Luft bekämpft werden können. Die Waldbrände werden sechs Meilen vor der Stadt gestoppt, viel mehr wird nicht getan.

Fairbanks, Alaska – Mückenstiche und Baumarktdisco

Samstag, August 7th, 2010

Einer meiner Mückenstiche bereitet mir Probleme. Vor zwei Tagen ist er angeschwollen, seit heute ist ein großer Fleck am Unterarm dick, heiß und verhärtet, Kühlung und Salbe scheinen jedoch zu helfen. Ein anderer Stich am Bein hat sich dunkelrot verfärbt. Irgendetwas – außer der Größe – scheint mit den Alaska-Mücken nicht zu stimmen.

Nach der letzten Reifenrotation am Fluss hat sich bei einem unserer Räder eine Unwucht eingeschlichen. Bereits die zweite Reifenwerkstatt, die wir in Fairbanks aufsuchen, kann unsere großen Räder auswuchten. Die Aktion lohnt sich, danach ist es besser. Beim Tanken an der Fred Meyer Supermarkttankstelle belastet mir die Kasse aus unerfindlichen Gründen zusätzliche 50 $ auf meine Kreditkarte. Der Tankwart drück mir 50 $ in bar in die Hand. Eigentlich will ich das Bargeld nicht, zumal der Auslandseinsatz der Karte und der virtuelle Währungstausch Gebühren kosten. Der Tankwart sieht sich außerstande, die von mir präferierte Rückbuchung vorzunehmen und schickt mich zum Kundenservice in den Supermarkt. 50 $ sind kein Drama, aber ich versuche es trotzdem. Auch hier sieht man sich außerstande, den Betrag auf das Kartenkonto zurückzubuchen. Stattdessen drückt man mir unbürokratisch und ohne jedwede Formalitäten 3 $ zusätzlich in bar in die Hand. Auch recht.

Wir machen unsere Besorgungen und parken anschließend am Baumarkt, der ein gutes wi-fi Signal bietet. Wir telefonieren und arbeiten bis in die Nacht im Internet. Die Samstagabenddisco irgendwo in der Nähe beginnt um elf. Um halb eins beschließen wir, doch lieber aus der Stadt raus zu fahren, wo es ruhiger ist.

Highway, Alaska – Freundliche Lkw-Fahrer und Helikopterpiloten

Freitag, August 6th, 2010

Auf dem Dalton Highway haben große Trucks ganz offiziell Vorrang. Sie sind berüchtigt dafür, mit voller Geschwindigkeit rücksichtslos in der Straßenmitte zu fahren und den Schotter aufzuwirbeln, sodass dem oft ungeschützte Scheinwerfer und Windschutzscheiben zum Opfer fallen. Diese Erfahrung können wir nicht ganz teilen. Nur ganz wenige Lkw-Fahrer haben voll auf uns zugehalten. Die meisten benehmen sich durchaus rücksichtsvoll, bremsen ab und fahren am rechten Fahrbahnrand – wenn man das selbst auch tut. Trotzdem bleiben Steinschläge natürlich nicht aus. Noch ist die Scheibe ganz.

Der Pipleline-Kontrollhelikopter ist wieder unterwegs. Täglich fliegt er bestimmte Strecken der Ölleitung ab, um sie auf Schäden zu untersuchen. Vermutlich ist es in einer Schicht stets der gleiche Pilot. Wir hatten ihn schon auf dem Weg nach Norden gesehen. Er uns anscheinend auch. Als er uns jetzt wieder entdeckt, fliegt er extra eine Schleife, um unseren Unimog richtig betrachten zu können. Dann blinkt er uns auch noch lustig mit seinen Scheinwerfern zu. Nicht lange, und wir haben den Dalton Highway besiegt. Kurz vor Fairbanks machen wir Halt für heute, um uns morgen wieder in die Zivilisation zu stürzen.

Dalton Highway, Alaska – Sechsundsechzig Kilometer

Donnerstag, August 5th, 2010

Natürlich muss ausgerechnet dann das Wetter umschlagen, wenn wir auf einer Insel im Fluss stehen, die eindeutig Überschwemmungsgebiet ist, da sie keinen Bewuchs aufweist. Seit dem frühen Morgen schauen wir immer wieder aus dem Fenster, ob der Wasserstand des Flusses wegen des Regens ansteigt. Tut er nicht, aber schlafen können wir auch nicht mehr und wir machen uns auf den Weg.

Genau 66 km fahren wir heute. 25 km nach dem Start kommen uns Elke und Axel mit ihrem Mercedes 1017 entgegen. Wir kommen mit den beiden dauerreisenden Schwaben ins Quatschen und beschließen, obwohl es noch nicht einmal Mittag ist, den Tag zusammen am Campingplatz am Polarkreis ausklingen zu lassen, wo die beiden schon die letzte Nacht verbracht haben. Der Arctic Circle Campground ist einer von drei kostenlosen Campingplätzen am Dalton Highway. Es gibt einen weitere kostenpflichtigen, außerdem darf man überall bis zu 14 Tage campen, sofern man niemanden behindert.

Dalton Hwy, Alaska – Flussbaden in der Arktis

Mittwoch, August 4th, 2010

Unser Übernachtungsplatz auf einer Insel im Fluss (er war flach genug zum Durchfahren) garantiert uns nicht nur Exklusivität, sondern gefällt uns so gut, dass wir beschließen, einen Tag hier zu verweilen und das längst fällige erneute Reifenrotieren durchzuführen. Da wir schon mal am Fluss sind, sparen wir uns heute Abend das Duschwasser und gehen baden. Wir haben den Polarkreis noch nicht wieder überquert und befinden uns in der Arktis! Das Wasser ist weit wärmer als gedacht und mein Thermometer zeigt fast 14° an, fast mollig für arktische Temperaturen. Dennoch: Wer schon mal in solch kaltem Wasser war, weiß wovon ich spreche…

Da das Treibholz auf unserer Insel nass ist, muss Jörg noch ein paar Mal durch den Fluss waten, um trockenes Brennholz fürs Lagerfeuer zu holen. Dann wird’s gemütlich.

Prudhoe Bay, Alaska – Wendepunkt: mit den Füßen im Nordpolarmeer

Dienstag, August 3rd, 2010

Die kleinen Vögel sehen aus wie Spatzen, tschilpen nur ein bisschen hübscher. Die Sonne ist um 0:40 Uhr unter- und um 3:19 bereits wieder aufgegangen, was die Piepmätze zum Anlass genommen haben, auf unserem Dach herumzutrippeln. Man gebe mir eine Schrotflinte. Leider sind in dieser Gegen Schusswaffen verboten (außer für den Sicherheitsdienst), jagen darf man nur mit Pfeil und Bogen. Verständlich, Löcher in der Pipeline machen sich nicht so gut. Zugvögel gibt es jede Menge hier oben, aber die Zeit ist kurz. Ein Schwanenpaar zieht seine drei Küken groß, sie sind vielleicht einen Monat alt. Wegen des kalten Frühjahrs sind sie erst spät geschlüpft. Ob sie es wohl bis zum Wintereinbruch schaffen? Am 70. Breitengrad Alaskas werden Temperaturen von bis zu 38° im Sommer und -62° C im Winter gemessen. Die einzigen Vögel, die mit derartigen Schwankungen umgehen können und hier überwintern, sind die cleveren Raben, die zu jeder Zeit Nahrung finden können.

Der Sicherheitsoffizier ist Mädchen für alles. Pünktlich auf die Minute um acht Uhr  startet er den einführenden Videovortrag. Er fährt den Bus, mit dem wir transportiert werden und er ist die Reiseleitung. Wie die meisten Ortsansässigen gehört er den Inupiat an, wie die Eskimos in diesem Teil heute genannt werden. Die meisten anderen Arbeiter stammen aus Fairbanks oder Anchorage, wohin die Öl und Gasfirmen regelmäßig Mitarbeiterflüge anbieten. Der überwiegende Teil der Angestellten arbeitet in Zwei-Wochen-Schichten, einige auch in Ein- oder Drei-Wochen-Schichten. Das bedeutet, sie haben zwei Wochen lang 12-Stunden-Dienst ohne freien Tag und dann zwei Wochen frei. In ihrer Abwesenheit übernimmt ein Pendant den Job. Klingt erst einmal verlockend, aber wenn man es umrechnet, bedeutet das bei einer Fünf-Tage-Woche 8,4 Stunden tägliche Arbeitszeit. Trennung von der Familie, klimatische Bedingungen, teure Lebenshaltung, wenig Unterhaltung – hoffentlich macht das Gehalt das wett. 3.200 Menschen arbeiten alleine auf den Ölfeldern, mit Deadhorse zusammen sind es 5.500, und noch einmal so viele haben gerade frei.

Karibus laufen ungeniert durchs Dorf, während wir mit dem Bus herumfahren. Im Ort dürften sie unbehelligt bleiben, denn draußen ist die Jagdsaison seit drei Tagen eröffnet. Nach der Sicherheitsschranke zum Prudhoe Bay Ölfeld stehen nochmals mehrere tausend Unterkünfte. Mittlerweile gibt es 1.400 Bohrköpfe, die Erdöl und nebenbei auch Gas fördern. Das Feld wurde 1968 entdeckt. 1977 begann man mit der Förderung, nachdem die Pipeline in den ganzjährig eisfreien Hafen von Valdez im südlichen Alaska fertig gestellt worden war. Während die Leitung gut isoliert ist, um das Erdöl warm und damit flüssig zu halten, sind auf vielen Pipelineträgern Radiatoren zur Kühlung angebracht, damit sie den Permafrostboden nicht auftauen und einsinken. An den Leitungen hängen stellenweise Gewichte, um ein Vibrieren bei Starkwind einzuschränken. Viel Niederschlag gibt es in der „arktischen Wüste“ nicht, im jährlichen Mittel die Hälfte von Phoenix / Arizona. Und da ist es schon trocken. Der stürmische Wind aber kann im Winter den wenigen Schnee so aufwirbeln, dass die Sicht gen Null tendiert. So haben alle Mitarbeiter im Winter Sonderbedingungen: Bei Stufe eins dürfen sie sich normal draußen bewegen. Stufe zwei besagt, dass nur noch im Konvoi mit Pilotfahrzeug gefahren werden darf und bei Stufe drei ist das Verlassen von Gebäuden streng untersagt. Das Problem ist, dass sich die Witterung innerhalb von Minuten ändern kann. Zu der Zeit ist die Beaufortsee zugefroren und man kann über Eis fahren. Jetzt aber bekommen wir Handtücher und können unsere Füße oder auch mehr im arktischen Ozean baden. Er kommt mir milder vor als vermutet, dabei sollen es nur 4° sein. Kein Wunder, das Packeis schwimmt 3 km vor der Küste, der Nordpol ist nur noch 1.900 km entfernt. Die ganze Veranstaltung dauert zweieinhalb Stunden. Die 45 $ pro Person dafür sind nicht wenig, aber eine lohnenswerte Investition. Es gibt viele Informationen über die Ölförderung, aber auch über Natur und Umwelt, man kann ein Ölfeld besichtigen, was sonst kaum möglich ist, und man hat Zugang zum Nordpolarmeer.

Ab jetzt geht es für uns lange, ganz lange Zeit in Hauptrichtung Süden. Auf dem Rückweg sehen wir nochmals zwei Moschusochsenherden und verfolgen eine davon zum Fotografieren. Leider sind wir etwas unvorbereitet und heute weht weniger Wind als gestern. Wenig genug, dass die Mücken sich nicht daran stören. Wir machen erstmals richtig Bekanntschaft mit den vielgerühmten Alaska-Moskitos. Ja, groß sind sie. Viel erschreckender aber ist ihre Anzahl. Sie lassen sich sofort zu Dutzenden auf unseren Jacken nieder, hunderte umschwirren unsere Köpfe und stechen in die wenigen unbedeckten Körperstellen: die Hände, die Kopfhaut, das Gesicht, die Ohren. Leider vergessen die Mädels (es sollen ja nur die Weibchen stechen) manchmal, ihr Betäubungsmittel einzuspritzen, sodass schon der Stich äußerst schmerzhaft ist wie bei einer Wespe. Nein, lustig ist das nicht. Und möglicherweise nicht der Ort meiner Wahl, mich niederzulassen.

Eine Kuriosität muss ich noch loswerden: Alaska ist der nördlichste, westlichste und östlichste US-Bundesstaat. Die beiden ersten Attribute leuchten ja ein. Aber östlich? Ein Teil der zu Alaska gehörenden Aleuten geht über die Datumsgrenze hinweg und befindet sich damit östlich des Restes der Vereinigten Staaten.

Dalton Highway, Alaska – Arminius am Ende der Welt

Montag, August 2nd, 2010

Der James Dalton Highway verläuft nicht überall auf einem meterdicken Schotterbett, wie z.B. der Dempster Highway. Das Geheimnis ist eine isolierende Styroporschicht, die die Fahrbahn vom Permafrost trennt. Dennoch bilden sich im Sommer Senken im Asphalt, die der winterliche Frost dann anhebt, was das Fahren so unkomfortabel macht, weil man im Auto herumfliegt wie beim Trampolinspringen. Trotzdem werden immer weitere strecken geteert, da die Lkw eine Schotterstrecke zu schnell demolieren. Straßensperrungen wegen Auswaschungen durch Regen kann sich die Pipeline Company nicht erlauben; der Schwerlastverkehr muss weiter rollen. Eine junge Bauarbeiterin erklärt uns, dass sie in den kurzen Sommermonaten sehr unter Druck sind. Spätestens ab 13. September dürfen sie wegen des Frostes nicht mehr asphaltieren. Wenn die letzten Blüten des Weidenröschens, der Nationalblume Alaskas, verblüht sind, dauere es noch genau drei Wochen bis zum Wintereinbruch. Es sind nur noch wenige Blüten an den Stängeln.

Die Tundra Alaskas wirkt weniger lieblich, sondern viel rauer und schroffer, die Berge höher, steiler und steiniger. Obwohl wir erst Anfang August haben. Werden die Farben schon herbstlich. Die Birken bekommen gelbe Blätter und Sträucher färben sich braun. Am weißen Himmel kleben noch weißere Wölkchen wie Wattebäusche auf einem Bogen Papier. Bei Coldfoot, der mittleren Versorgungseinheit, geht es erst ganz allmählich, dann immer steiler hinauf in die Berge der Brooks Range. Wir lassen die letzten Bäume hinter uns. Weiter nördlich werden wir keine mehr sehen. Den Atigun Pass, die höchste Erhebung auf der ganzen Strecke, überquert man bei 1448 m. Hier wachsen nur noch ein paar Flechte, Moose und Gräser, sonst ist es kahl. Alleine die Tour durch dieses Gebirge lohnt die Fahrt. Die Erhabenheit und Schönheit dieses Landstrichs sind umwerfend. Zunächst sind nur die Hochtäler zwischen den Steinkolossen mit Gras bewachsen. In schattigen Senken verweilen Gletscher. Auf dem Weg nach unten werden die grauen Riesen zu sanfteren übergrünten Bergen, dann zu Hügeln, bis das Land zu einer einzigen grünen Ebene abflacht, die gleichmäßig zum Meer hin abfällt. North Slope heißt sie. Dazwischen schmiegen sich blaue Bäche und Teiche: Brooks Range bedeutet Bergkette der Bäche. Ein einsames Karibu hüpft davon, während Erdhörnchen mal wieder versuchen, Autos von der Straße zu schreien.

Es hat nach wie vor 27°, aber jetzt ist es nicht mehr heiß, denn es hat Wind, Wind, Wind. Er kommt aus Süd, und ich möchte nicht erleben, wenn er auf Nord dreht. In diesen Breiten kann es zu jeder Jahreszeit schneien. Schnee liegt sogar noch vom letzen Winter. An einer Abbruchkante zieht sich über viele Kilometer ein weißes Band. Etwas Dunkelbraunes, Wehendes galoppiert auf dürren Stelzen durch die Tundra: ein Moschusochse mit kurzen gebogenen Hörnern, die auf der Stirn flach zusammengewachsen sind. Sein angeberisch langes Haarkleid flattert im Wind wie die Fahne auf unserem Autodach. Moschusochsenfell soll acht Mal so warm sein wie Schaffell. Kurz darauf finden wir eine ganze Herde wilder Moschusochsen von knapp 20 Tieren. Um 1800 waren sie schon fast ausgerottet gewesen. Ihr Bestand hat sich erholt, gilt aber nach wie vor als gefährdet. Moschusochsen dürfen nicht gejagt werden, es gibt aber Fleisch von gezüchteten Tieren.

Als Jörg sich mit der Kamera nähert, bleibt die Vorhut stehen, um auf den Rest der Gruppe zu warten. Als der mit dem imposanten Leitbullen eintrifft, herrscht zunächst Ratlosigkeit. Der Bulle schnauft ein paar Mal erbost, rempelt ein paar der anderen Tiere an. Dann erfolgt die typische Übersprunghandlung: erst einmal grasen. Als der lästige Verfolger sich weiter nähert, versucht sich die Herde zurückzuziehen, verfällt zwischendurch in Panik und beginnt zu rennen, bis sie genügend Abstand zwischen sich und Mensch gebracht hat, um sich zu beruhigen. An Moschusochsen kommt man einigermaßen gut heran, da sie ihre Jungtiere zum Schutz erstmal einkreisen. Den Mindestabstand sollte man jedoch respektieren, mit einem gereizten Bullen möchte man sich nicht anlegen. Eine Schar Gänse ist nicht so geduldig und fliegt laut schnatternd davon.

So stelle ich mir den Norden vor: Der Wind legt stürmisch zu und fegt mit 65 km/h über die unendliche platte Grasebene. In den Teichen herrscht regelrecht Wellengang, Brandung spritzt ans Ufer. Wir sind angekommen am Ende der Welt, zumindest am nördlichen befahrbaren Ende des amerikanischen Kontinents. Wir sind in Deadhorse an der Prudhoe Bay. Nach dem Goldrausch, der auch Alaska erfasst hatte, gewann der US-Bundesstaat erneut an Bedeutung, als Erdöl gefunden wurde. Heute steht hier ein unansehnliches Containerdorf auf Stelzen, das zum großen Teil aus Fahrzeugparks, Arbeiterunterkünften und ein paar sehr einfachen Hotels besteht. Ein Blick in eines der Zimmer verrät mir, hier möchte man seinen Urlaub bestimmt nicht verbringen. Die Fahrzeugparks dagegen sind äußerst spannend. Interessante, nie gesehene Kettenfahrzeuge (ein paar Hägglunds sind auch darunter) und fahrende Riesen mit Ballonreifen Im Caribou Inn Hotel buchen wir für morgen eine Tour zu den Ölfeldern und dem Nordpolarmeer. Die gesamte Anlage darf nur mit einer organisierten Führung betreten werden, für Privatfahrzeuge ist in Deadhorse, fünf Meilen vor der Beaufortsee, Schluss.