Dalton Highway, Alaska – Arminius am Ende der Welt

Der James Dalton Highway verläuft nicht überall auf einem meterdicken Schotterbett, wie z.B. der Dempster Highway. Das Geheimnis ist eine isolierende Styroporschicht, die die Fahrbahn vom Permafrost trennt. Dennoch bilden sich im Sommer Senken im Asphalt, die der winterliche Frost dann anhebt, was das Fahren so unkomfortabel macht, weil man im Auto herumfliegt wie beim Trampolinspringen. Trotzdem werden immer weitere strecken geteert, da die Lkw eine Schotterstrecke zu schnell demolieren. Straßensperrungen wegen Auswaschungen durch Regen kann sich die Pipeline Company nicht erlauben; der Schwerlastverkehr muss weiter rollen. Eine junge Bauarbeiterin erklärt uns, dass sie in den kurzen Sommermonaten sehr unter Druck sind. Spätestens ab 13. September dürfen sie wegen des Frostes nicht mehr asphaltieren. Wenn die letzten Blüten des Weidenröschens, der Nationalblume Alaskas, verblüht sind, dauere es noch genau drei Wochen bis zum Wintereinbruch. Es sind nur noch wenige Blüten an den Stängeln.

Die Tundra Alaskas wirkt weniger lieblich, sondern viel rauer und schroffer, die Berge höher, steiler und steiniger. Obwohl wir erst Anfang August haben. Werden die Farben schon herbstlich. Die Birken bekommen gelbe Blätter und Sträucher färben sich braun. Am weißen Himmel kleben noch weißere Wölkchen wie Wattebäusche auf einem Bogen Papier. Bei Coldfoot, der mittleren Versorgungseinheit, geht es erst ganz allmählich, dann immer steiler hinauf in die Berge der Brooks Range. Wir lassen die letzten Bäume hinter uns. Weiter nördlich werden wir keine mehr sehen. Den Atigun Pass, die höchste Erhebung auf der ganzen Strecke, überquert man bei 1448 m. Hier wachsen nur noch ein paar Flechte, Moose und Gräser, sonst ist es kahl. Alleine die Tour durch dieses Gebirge lohnt die Fahrt. Die Erhabenheit und Schönheit dieses Landstrichs sind umwerfend. Zunächst sind nur die Hochtäler zwischen den Steinkolossen mit Gras bewachsen. In schattigen Senken verweilen Gletscher. Auf dem Weg nach unten werden die grauen Riesen zu sanfteren übergrünten Bergen, dann zu Hügeln, bis das Land zu einer einzigen grünen Ebene abflacht, die gleichmäßig zum Meer hin abfällt. North Slope heißt sie. Dazwischen schmiegen sich blaue Bäche und Teiche: Brooks Range bedeutet Bergkette der Bäche. Ein einsames Karibu hüpft davon, während Erdhörnchen mal wieder versuchen, Autos von der Straße zu schreien.

Es hat nach wie vor 27°, aber jetzt ist es nicht mehr heiß, denn es hat Wind, Wind, Wind. Er kommt aus Süd, und ich möchte nicht erleben, wenn er auf Nord dreht. In diesen Breiten kann es zu jeder Jahreszeit schneien. Schnee liegt sogar noch vom letzen Winter. An einer Abbruchkante zieht sich über viele Kilometer ein weißes Band. Etwas Dunkelbraunes, Wehendes galoppiert auf dürren Stelzen durch die Tundra: ein Moschusochse mit kurzen gebogenen Hörnern, die auf der Stirn flach zusammengewachsen sind. Sein angeberisch langes Haarkleid flattert im Wind wie die Fahne auf unserem Autodach. Moschusochsenfell soll acht Mal so warm sein wie Schaffell. Kurz darauf finden wir eine ganze Herde wilder Moschusochsen von knapp 20 Tieren. Um 1800 waren sie schon fast ausgerottet gewesen. Ihr Bestand hat sich erholt, gilt aber nach wie vor als gefährdet. Moschusochsen dürfen nicht gejagt werden, es gibt aber Fleisch von gezüchteten Tieren.

Als Jörg sich mit der Kamera nähert, bleibt die Vorhut stehen, um auf den Rest der Gruppe zu warten. Als der mit dem imposanten Leitbullen eintrifft, herrscht zunächst Ratlosigkeit. Der Bulle schnauft ein paar Mal erbost, rempelt ein paar der anderen Tiere an. Dann erfolgt die typische Übersprunghandlung: erst einmal grasen. Als der lästige Verfolger sich weiter nähert, versucht sich die Herde zurückzuziehen, verfällt zwischendurch in Panik und beginnt zu rennen, bis sie genügend Abstand zwischen sich und Mensch gebracht hat, um sich zu beruhigen. An Moschusochsen kommt man einigermaßen gut heran, da sie ihre Jungtiere zum Schutz erstmal einkreisen. Den Mindestabstand sollte man jedoch respektieren, mit einem gereizten Bullen möchte man sich nicht anlegen. Eine Schar Gänse ist nicht so geduldig und fliegt laut schnatternd davon.

So stelle ich mir den Norden vor: Der Wind legt stürmisch zu und fegt mit 65 km/h über die unendliche platte Grasebene. In den Teichen herrscht regelrecht Wellengang, Brandung spritzt ans Ufer. Wir sind angekommen am Ende der Welt, zumindest am nördlichen befahrbaren Ende des amerikanischen Kontinents. Wir sind in Deadhorse an der Prudhoe Bay. Nach dem Goldrausch, der auch Alaska erfasst hatte, gewann der US-Bundesstaat erneut an Bedeutung, als Erdöl gefunden wurde. Heute steht hier ein unansehnliches Containerdorf auf Stelzen, das zum großen Teil aus Fahrzeugparks, Arbeiterunterkünften und ein paar sehr einfachen Hotels besteht. Ein Blick in eines der Zimmer verrät mir, hier möchte man seinen Urlaub bestimmt nicht verbringen. Die Fahrzeugparks dagegen sind äußerst spannend. Interessante, nie gesehene Kettenfahrzeuge (ein paar Hägglunds sind auch darunter) und fahrende Riesen mit Ballonreifen Im Caribou Inn Hotel buchen wir für morgen eine Tour zu den Ölfeldern und dem Nordpolarmeer. Die gesamte Anlage darf nur mit einer organisierten Führung betreten werden, für Privatfahrzeuge ist in Deadhorse, fünf Meilen vor der Beaufortsee, Schluss.

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