Homer + Seward, Alaska – Russland in Amerika

Vom Aussichtspunkt vor Homer sehe ich mindestens sieben blau schimmernde Gletscher auf der anderen Uferseite. Bei besserer Sicht wären es vermutlich noch mehr. Sie alle gehören zu den Ausläufern der schroffen, tief verschneiten Alaska Range. Am Ende der Kenai Halbinsel liegt Homer, ein kleines Städtchen, das einen eisfreien Hafen besitzt, vom Fischfang und vom Tourismus lebt. Der Homer Spit ist eine 7 km lange schmale Sandzunge, die ins Meer ragt. Campingplatz reiht sich an Souvenirshop. Hier kann man Bootsfahrten oder Flüge nach Kodiak buchen, der Insel, wo 3000 der berühmten Kodiakbären leben. Da man auf Kodiak weitere Flüge buchen muss, um ins abgelegen Hinterland zu gelangen, wo man vielleicht die Bären beim Fischfang beobachten kann, geht dieser Ausflug schnell ins Geld. Und das Wetter auf der Insel soll noch unbeständiger sein als auf dem Festland.

Am Ende der Landzunge stehen Angler in 10-m-Abständen und holen im Minutentakt Fische aus dem Wasser. Eine Anglerin japanischer Abkunft klärt uns in ihrem lustigen Englisch auf: Heilbutt ist gut, begehrt aber sind die Schollen. Kabeljau ist ein Allesfresser und stinkt, die großen schmecken schlammig, aber manche mögen lieber die großen Fische. Am besten wäre Lachs, ein „sauberer“ Fisch, aber der beißt noch nicht. In Homer. Aus einem unterirdischen Rohr blubbert es hin und wieder schäumend. Niemand scheint sich dafür zu interessieren, aber wir verzichten auf den angebotenen Fisch. Daneben angelt ein altes russisches Pärchen, das ein noch unverständlicheres Englisch spricht. Die Amerikanisierung scheint an ihnen vorbei gegangen zu sein. Die derben Schuhe, der lange geblümte Rock und das andersfarbig geblümte Kopftuch der Frau gehören einem anderen Zeitalter an.

Vieles deutet hier noch auf die ursprünglich russische Besiedlung hin. Die allererste Besiedlung erfolgte vermutlich vor etwas 12.000 Jahren aus Sibirien über die damals ausgetrocknete Meeresstraße. Der Name Alyeska, „mächtiges Land“, stammt aus dieser Zeit. Nachdem der Däne Vitus Bering 1728 im Auftrag Peters des Großen statt der vermuteten Landbrücke eine Meerenge vorfand, startete er 1741 eine weitere Expedition über die später nach ihm benannte Beringstraße. Nach der Inselkette der Aleuten erreichte er nordamerikanisches Festland am Golf von Alaska und nahm es für den Zaren in Besitz. Ungeachtet der Vermessungsarbeiten des Engländers James Cook besiedelten russische Trapper und Pelzhändler ab 1784 Alaska. Nachdem sie die Seeotter fast ausgerottet und zahlreiche andere Pelztiere erheblich dezimiert hatten und die Kolonie das Zarenreich mehr Geld kostete als sie einbrachte, wurde Alaska Mitte des 19. Jahrhunderts zum Kauf angeboten. Die ganze Welt lachte damals über US-Außenminister Seward, der den Russen den vermeintlich nichtsnutzigen „Eiskasten“ für 7,2 Mio. Dollar abkaufte. Sie lachte nicht lange. Bereits 13 Jahre später fand Joe Juneau das erste Gold. 1959 wurde Alaska als 49. Bundesstaat der USA konstituiert und 1968 entdeckte man bekanntlich Erdöl in der Prudhoe Bay, was Alaska zu relativem Wohlstand mit entsprechend hohen Lebenshaltungskosten verhalf. Viele Ortsnamen wie Skilak, Soldotna oder Kachemak zeugen auch heute noch vom russischen Erbe, genau wie so mancher Straßenname, z.B. Kalifornsky Beach Road. Sowohl in Ninchilik als auch in Kenai, das ursprünglich als Nikolask Redoubt gegründet worden ist, stehen russisch-orthodoxe Kirchen mit ihren charakteristischen Zwiebeltürmchen.

Auf der Rückfahrt biegen wir vom Sterling in den Seward Highway ein. Diese Strecke gilt als besonders attraktiv, führt sie doch durch die Chugach Mountains. Leider hängen die Wolken bis ins Tal, sodass außer Straße und hin und wieder einem türkisblauen Fluss oder See nichts zu sehen ist. Wir fahren bis zum Ende der Straße nach Seward, das auf fast schockierende Weise touristisch ist. An der Uferlinie klebt ein Campingplatz am anderen, aber eigentlich sind es ganz gewöhnliche Parkplätze, auf denen dicht an dicht hunderte, mehr noch tausende von Campmobilen, Anhängern und Zelten stehen. Wir verlassen das Grauen schnell und biegen nördlich der Stadt zum Exit Gletscher ab. Die Sicht ist hier nicht besser, also parken wir und hoffen auf mehr Wetterglück für morgen.

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