Valdez, Alaska – Ein Bär beim Fischen

Darf ich auch mal was über Deutsche sagen? Ich meine nicht die Globetrotter, die wie wir Länder bereisen, sondern Touristen, die mit Leihwohnmobilen zwei, drei Wochen Urlaub verbringen. Ausnahmen gibt es immer, aber viele sind irgendwie – seltsam. Kontaktscheu. Unangenehm, andere Deutsche zu treffen? Ja, kann ich verstehen, schließlich sind wir ein Volk von schlechtgelaunten, unzufriedenen, muffeligen, arroganten Autofahrern und Wandersleuten. Gestern Abend fuhren wir auf einen aufgrund seiner wunderbaren See-Bergsicht stark frequentieren Parkplatz. Vor uns stehen Deutsche. Der Mann kommt auf Arminius zu. Freundlich und gesprächsbereit steige ich aus. Der Mann ignoriert mich, steuert gezielt zum Nummernschild, liest es kurz, dreht sich um und geht ohne ein Wort. In der Bewegung muss er mein verwundertes Gesicht gesehen haben. „Ich wollte nur sehen, wo das her ist“, ruft er mir im Weggehen zu. „Na dann“, sage ich, „mal gute Fahrt“. Heute Morgen, immer noch am gleichen Platz, kommen zwei unüberhörbar sächsische Paare mit zwei Wohnmobilen gefahren. Sie steigen aus, positionieren sich, um das Bergpanorama zu fotografieren, drehen sich geschwind um, zack, klick, ein Foto von Arminius gemacht, und schon schauen sie wieder unschuldig in Richtung Berge. Dann beginnen sie schleichend-unauffällig Arminius zu untersuchen, das Kennzeichen ist natürlich von besonderem Interesse. Eine der Frauen lugt vorsichtig durch das Moskitonetz der geöffneten Eingangstür ins Innere. Sie entdeckt meinen schwebenden Fuß, muss annehmen, dass daran noch ein Mensch hängt, und dreht sich peinlich berührt weg. Nur nicht „guten Tag“ oder „hallo“ sagen. Ein amerikanisches Rentnerpaar dagegen unterhielt sich gestern Abend lange mit uns und schenkte uns sogar noch frisch gefangenen Heilbutt und selbstgemachte Rote Beete.

Als wir auf den Worthington Glacier zufahren, kommen die Wolken schon vom Berg hinabgekrochen. Wir sehen nur die Endmoräne und ein Stück von der Gletscherzunge. Auch diesen straßennahen Gletscher erreicht man über einen Wanderweg, aber die Sicht ist so schlecht, dass wir das ausfallen lassen. Vom 816 m hohen Thompson Pass kurz danach soll man einen wunderbaren Ausblick haben auf Berge und Wälder – theoretisch. Die Gegend ist berühmt für schlechtes Wetter mit Nebel und Regen und bereitet ihrem Ruf alle Ehre. Vom Pass aus führt eine einzige, gleichmäßig steile Rampe bis auf Meeresniveau hinunter nach Valdez. Hier endet die 1287 km lange Ölpipeline, Grundbaustein von Alaskas Wohlstand. Die Leitung, gemeinsames Eigentum von fünf Ölgesellschaften, soll marode und undicht sein. Die Teile aber, die sich dem Besucher präsentieren, wirken sauber, nahezu steril. Auch von der Ölpest ist auf den ersten Blick nichts mehr erkennbar. Großangelegte Reinigungsmaßnahmen sowie die Selbstheilungskräfte der Natur haben ihr Übriges getan, die Spuren der Katastrophe zu tilgen. Im März 1989 lief der Supertanker Exxon Valdez aufgrund eines Navigationsfehlers auf ein Riff. Fast 41 Millionen Liter Rohöl flossen aus dem Leck, über 2000 km Küste wurden verseucht, unzählige Tiere verendeten. Wirtschaftlich profitierte Valdez von dem Unglück: Tausende von Helfern mussten zum Teil über Jahre untergebracht und verköstigt werden, die Fischer wurden großzügig entschädigt, und schließlich setzte einträglicher Katastrophentourismus ein. Die Ölpest mag gegangen sein, der Tourismus ist geblieben. Angeln ist das große Thema im Prince William Sound und in den einmündenden Flüssen. Während selbst Hobbyangler riesige Heilbutts aus dem Meer fischen, holen andere die Silberlachse kiloweise aus den Bächen. So eine Lachswanderung ist allerdings nichts für sensible Naturen. Bei Ebbe drängen sich die Fische Körper an Körper in den verbliebenen Rinnsalen, während die bereits toten Leiber vor sich hinmodern. Die sonst so streitlustigen Möwen wandern mit dicken Bäuchen auf dem stinken Fischfriedhof umher. Im Flachwasser noch zuckenden Exemplaren hacken sie zuerst die Augen aus. Dann versuchen sie den Bauch zu öffnen und eventuell verbliebene Eier herauszupicken. An einem Bach, wo sich die silbernen Schuppentiere besonders dicht drängen, fischt ein Schwarzbär mit einer entzückenden weißen V-förmigen Blesse auf der Brust. Das für seine Gattung sehr große Exemplar schlendert in aller Ruhe zum Wasser, nimmt einfach einen Lachs ins Maul, legt sich am Ufer damit hin, nimmt ein paar der für ihn delikatesten Bissen und holt sich den nächsten Fisch, um ihn erneut nur anzuknabbern. Welch scheinbare Verschwendung der Natur. Die verwesenden Leichen aber werden den kalten Regenwald von Valdez düngen und ihm zu neuem üppigem Wachstum verhelfen.

Auf dem Rückweg haben sich sämtliche Wolken der Umgebung auf dem Thompson Pass versammelt und die Sicht sinkt auf unter 50 m. Der Gletscher ist nur noch zu erahnen und auch das Wrangell – St. Elias Gebirge auf der anderen Seite gibt sich heute verhüllt. Hinter Glennallen nehmen wir die Tok-Cut-Off genannte Straße zum Alaska Highway.

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