Skagway, Alaska – Große Hoffnungen und gnadenlose Enttäuschung im Goldrausch

Die Kreuzfahrtschiffe halten jeden Tag in Skagway. Vielmehr noch als Haines lebet diese Stadt von den Schiffstouristen und ist mit entsprechenden Andenkenläden – Juwelen, Indianerkleidung und -kunst – darauf eingerichtet. Der Schiffsanleger befindet sich am Ende der Hauptstraße, und so sieht es aus, als ob die Luxusliner mitten in der Stadt liegen. Die Fassaden der alten Holzhäuser der Hauptstraße wurden restauriert oder originalgetreu ersetzt, sodass der Eindruck entsteht, man wandelt durch eine Stadt vor 100 Jahren. Die Fahrerinnen der Oldtimerbusse, die am Kai auf ausflugswillige Kundschaft warten, sind stilgerecht kostümiert, genau wie die Ranger, mit denen man an einer kostenlosen Stadtführung teilnehmen kann. Im Besucherzentrum gibt es reichliche Informationen zum Klondike Goldrausch und einen Film, der viel von den damaligen Hoffnungen, Strapazen und dem Chaos zeigt.
Da die meisten Goldsucher sich den teuren Wasserweg Pazifik-Yukon nicht leisten konnten, fuhren sie mit dem Schiff nur bis Skagway oder dem heute nicht mehr existierenden Nachbarort Dyea und liefen von da aus zu Fuß weiter bis zum Lake Bennet, wo sie mit selbstgezimmerten Booten über den Yukon bis zu den Klondike Goldfeldern fuhren. Hunderttausend Menschen aus aller Welt, sogar aus Australien, machten sich kurz vor der Jahrhundertwende naiv und nichtsahnend auf den Weg. Sie hofften, das Glück ihres Lebens zu machen. Manche glaubten sogar, die Goldnuggets würden auf Büschen wachsen. Sie machten sich keine Vorstellung, welche Entbehrungen die Strecke ihnen abfordern würde. Die meisten wählten den Weg von Dyea über den Chilkoot Trail, der kürzer, aber steiler war und nur zu Fuß bewältigt werden konnte. Die North West Mounted Police, die später mit der Royal Canadian Mounted Police agglomeriert wurde, schaffte damals Ordnung und forderte von den Stampedern einen Jahresvorrat Lebensmittel, sowie 180 kg Ausrüstung und Kleidung mitzuführen. Zu den 520 kg Nahrungsmitteln gehörten u.a. Mehl, Reis, Bohnen, Salz, Zucker, Kaffee, Tee und Speck. Es dauerte rund drei Wintermonate, die legendäre „Ton of Goods“ stückweise den 53 km langen Trail hoch zu schaffen und leer wieder hinunter zu laufen oder auf dem Hosenboden im Schnee zu rutschen. So kamen leicht 2.000 km Wegstrecke zusammen, die im tiefsten Winter bei unvorstellbarer Kälte zurückgelegt werden mussten, um am See die Boote zu zimmern und bei Aufbrechen des Eises loszufahren. Im Frühsommer wollte man an den Claims sein, um bei Auftauen des Bodens mit dem Schürfen beginnen zu können.
Die Alternativroute von Skagway über den White Pass war länger und etwas weniger steil, sodass auch Packtiere eingesetzt werden konnten. Über 3.000 der Pferde und Maulesel sollen dabei verendet sein, der Großteil erfroren. Trotz der gnadenlosen Härte des Unternehmens schafften es die meisten Männer – und Frauen – lebend in Dawson City anzukommen. Nur um festzustellen, dass alle Mühe umsonst gewesen war. Bereits kurz nach Entdeckung des Goldes waren die Claims bereits aufgeteilt worden und die Stampeder mussten entweder den Rückweg antreten oder sich als schlechtbezahlte Lohnarbeiter auf den Goldfeldern verdingen. Dennoch gab es Erfolgsgeschichten wie die von Diamond Tooth Gertie und anderen Amüsierdamen oder Seriöseres: Eine Frau wurde reich mit Apfelkuchenbacken und managte schließlich die größte Goldmine am Klondike.
Von Skagway geht es steil den Berg zum White Pass hoch. Direkt hinter der Leitplanke sitzt ein junger, noch nicht ganz ausgewachsener Alaska-Braunbär und weidet Löwenzahn. Er lässt sich durch nichts beirren, obwohl wir nur zwei Meter von ihm entfernt stehen und mit der Kamera hantieren. Vorsichtshalber steige ich zum fotografieren nicht aus dem Truck. Aber natürlich nur, damit sich der Bär nicht an Menschen gewöhnt…
Am amerikanischen Grenzposten ist eigentlich keine Ausreiseabfertigung vorgesehen, aber auch hier stehen mehrere Federal Agents, die uns anhalten. Sie versichern uns, nicht zur regulären Grenzabfertigung zu gehören, sondern stichprobenartig bestimmte Aspekte der Ausreise zu kontrollieren. Außer für Feuerwaffen interessieren sie sich vor allen Dingen für Fisch, den man ausführt. Man sollte dann entweder einen Kaufbeleg oder die entsprechende Angellizenz vorweisen können. Sonst könnte sich der Verdacht aufdrängen, der Fisch wurde auf nicht ganz legale Weise beschafft. Also Vorsicht bei geschenkten Fischen: lieber gleich essen. Erst 25 km weiter folgt die kanadische Grenzstation. Diesmal geben wir unser amerikanisches Einreisekärtchen ab in der Hoffnung, damit unser falsches-Visum-Problem beheben zu können.
Der White Pass liegt inmitten einer Landschaft überirdischer Schönheit. Zwischen verstreuten Felsbrocken, die mit zartgelben Moosen überwuchert sind, stehen winzige Weihnachtsbäumchen. Es gibt unzählige Teiche und Tümpel, von denen viele ein ziemlich deplatziert wirkendes karibikblau aufweisen. Doch statt Palmeninseln mit Sandstrand erheben sich Felseninseln mit Tannen aus den Wassern. Über alldem schweben mystische Wolken und Nebelschwaden. Irgendwie erwarte ich, dass um die nächste Ecke ein paar Elfen oder eine Fee geflogen kommen, und bereite schon mal meine drei Wünsche vor.

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