Hyder, Alaska – Jammernde Gletscher und jagende Schwabbelbären

Der Stewart Highway ist eine Sackgasse und führt in den äußersten Südzipfel von – ein letztes Mal – Alaska. Dabei passieren wir den Bear Gletscher, der fotogen auf der gegenüberliegenden Flussseite liegt. Stewart, British Columbia, hat nichts außer einem Visitor Centre und zwei kleinen Supermärkten, wo es vertrocknetes Toastbrot zu kaufen gibt. Zugegeben, Metzgereien und Bäckereien gibt es in Deutschland in solch abgelegenen Gebieten auch nicht mehr, aber zumindest werden von der Großindustrie gefertigte Teiglinge frisch aufgebacken, die wenigstens am ersten Tag eine gewisse Ähnlichkeit mit Brot haben. Es wird Zeit, mal wieder selbst ein Brot zu backen.

Der amerikanische Grenzposten von Stewart nach Hyder wurde aufgegeben, da es keinerlei Verbindung zu anderen Alaska- oder US-Gebieten gibt. Der Hafen am Portland Canal, einem der längsten Fjords der Welt, wurde schon vor Jahren außer Betrieb gesetzt. Entsprechend wirkt Hyder: vergessen. Es gibt nichts außer Motels, Bead & Breakfasts, Campingplätzen, Restaurants und Souvenirshops. Alles wenig einladend. Es gibt nicht einmal mehr einen Liquor Store, wo man sich mit günstigerem amerikanischem Bier eindecken könnte. Dafür gibt es schlagartig schlechte schlaglöcherübersäte Straßen. Immerhin hat Hyder ein Postamt, von wo aus man Post aus Alaska an die Lieben daheim schicken könnte, falls man nicht weiter nördlich fährt. Die Schotterpiste geht noch rund 50 km weiter bis zu einer alten verlassenen Kupfermine. Bereits unterwegs gibt es Hinweise auf Silber- und Titanabbau, aktive Kupferminen gibt es auch heute noch. Einige Kilometer nach Hyder quert die Straße wieder auf kanadisches Territorium, wo sie verbleibt. Man kann beidseitig die in den Wald geschlagene Schneise als Grenzmarkierung erkennen. Gleichzeitig verändert sich die Fahrbahn wieder zur normal befahrbaren Schotterpiste. Wenn auch ursprünglich nicht für touristische Zwecke, wurde die Mining Road sehr schön angelegt. Sie wurde auf einer Talseite in den Berg gehauen, hoch oben über dem Salmon River, und führt bis über 1200 m hoch. Allerdings gibt es auf der Bergseite regelmäßig Steinschläge, darunter durchaus Brocken von mehreren Tonnen, und auf der Talseite keine Leitplanke. Dann kommt der Salmon Glacier in Sicht, der größte per Straße zugängliche Gletscher der Welt. Es ist wirklich beeindruckend, wie die Mining Road die sich windende Gletscherautobahn für mehrere Kilometer begleitet, bevor der Gletscher in die Berge abbiegt und dort irgendwo verschwindet. Wenn ein Gletscher talwärts fließt, bilden sich diese Querrillen, dutzende von Metern tiefe Spalten, die den Eindruck erwecken, im Gletscherinneren glimme ein blaues Licht. Wir sind ganz alleine hier oben, kein Geräusch stört uns: Wir wollen den Gletscher hören. Und tatsächlich, wenn er sich bewegt, wenn er bricht, dann knackt es, knarrt es, und manchmal jammert er als plage ihn das Reißen.

Auf dem Rückweg halten wir sechs Kilometer vor Hyder an der Hauptattraktion. Der Fish Creek ist ein kleiner Bach, an dem Grizzlys, Schwarzbären, Stein- und Weißkopfseeadler die Wanderung so manchen Lachses frühzeitig beenden. Natürlich nicht alle gleichzeitig, hier gilt das Recht des Stärkeren. Da in den letzten Jahren mehr und mehr Schaulustige diesen Platz ausgesucht haben, wurde ein langer Aussichtssteg errichtet, Ranger führen Aufsicht und kassieren Eintritt. Allerdings gilt auch hier die „America the Beautiful“-Jahreskarte. Es ist jetzt Abend, die beste Beobachtungszeit, und so müssen wir nicht lange warten. Ein ausgewachsenes Schwarzbärenmännchen pirscht sich von hinten an eine Fischgruppe heran. Erspähen die Lachse den Feind, sind sie durchaus in der Lage, im flachen Wasser mehrere Meter Gas zu geben. Leichte Beute sind sie nicht. Der Bär setzt seine herbstlichen Fettmassen und den Schwabbelbauch in Bewegung und erreicht eine ansehnliche Endgeschwindigkeit. Dennoch gelingt nur etwa jeder zweite Angriff. Schnappt der Bär eines der Kiementiere, spritzt dies seine Eier oder Samen in hohem Bogen ins Wasser, vielleicht nützt es ja noch etwas. Da dieser Bach nur flach und langsam ist, plätschert er relativ leise und die nachfolgenden Geräusche sind deutlich und markerschütternd zu hören: Hat der Bär den Fisch an Land mit seinen Tatzen fixiert, haut er seine Kiefer unterhalb des Kopfes in den Laib. Dabei kratzen die Zähne über das Rückgrat, bis es krachend bricht. Das Fleisch reißt laut, wenn das Raubtier das Filet abzerrt. Er wiederholt das mit der anderen Seite, zurück bleiben Kopf und Gräten. Dann trabt das Pelztier los auf der Jagd nach dem nächsten Lachs, um sein eigenes Überleben während des Winterschlafs zu sichern.

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