Rocky Mountain National Park, Colorado – Hier fehlt nur Heidi

Die Rocky Mountains sind mit über 4500 km Länge von Mexiko bis Alaska die längste Bergkette der Erde, wenn auch lange nicht ihre höchste. Dennoch finden sich im relativen Süden des Massivs, im Rocky Mountain Nationalpark in Colorado, über 40 Gipfel, die über die 12.000-Fuß-Marke hinausragen, das sind mehr als 3.650 m. Auch hier wurden bereits einige Parkwege aufgrund winterlicher Verhältnisse geschlossen, aber der schönste Bereich des Parks, die Baer Lake Area, ist zugänglich, zusammen mit ein paar weiteren Straßen. Der Bear Lake am Ende der Sackgasse liegt bereits auf knapp 3.000 m Höhe – selbst moderate Steigungen lassen einen da ganz schön schnaufen. Die Wege sind etwas vereist, wurden wir gewarnt, und so wollen wir es bei ein paar kürzeren Wanderungen belassen, um das Sturzrisiko zu minimieren. Der Pfad rund um den See ist an schattigen Stellen tatsächlich glatt. Vorangegangener Schneefall, Tauwetter am Tag mit Nachtfrösten haben schlüpfrige Stellen geschaffen. Der See ist absolut romantisch und postkartenkitschig zwischen den Bergen gelegen, aber irgendwie stören mich die kreischenden, schreienden, laut lachenden Amerikaner auf der anderen Seite, die deutlich zu hören sind. Ich bin regelrecht etwas pikiert, möchte ich doch lieber das Bergpanorama im Stillen genießen. Doch auf der Rückseite des Sees kommt es plötzlich anders. Zunächst bin ich ratlos, dann wütend, und am Ende lache ich genauso haltlos wie meine Vor-Gänger. Kleine Wasserfälle verbreiten tagsüber Tautropfen über die feste Schneefläche auf dem Weg und frieren nachts zu einer soliden Eisbahn. In diesem Bereich gibt es kleine Steigungen und Gefälle, die bei Eisglätte fast unüberwindlich werden. Anfangs komme ich überhaupt nicht vorwärts, dann versuche ich es mit Geschwindigkeit, aber es hilft alles nichts: Immer wieder rutsche ich rückwärts. Schließlich krabble ich auf allen Vieren, verzweifelt an kleinen Steinen, Erdklümpchen und winzigen Zweigen Halt suchend, den Hügel hoch. Besonders anmutig wirkt das Fernglas, das ich in einer Hand balancieren muss, da mir ausgerechnet zu Beginn der Wanderung der Trageriemen abgerissen ist. Ich sehe mich um: Keiner da, der ein Beweisfoto machen könnte. Jörg ist mit seinem eigenen Vorwärtskommen beschäftigt. Abwärts ist der geplante Hosenbodeneinsatz immer noch die ungefährlichste Methode. Es gibt so einige Wasserfälle und etliche Steigungen und Gefälle hier…

Der Sprague Lake liegt nur 400 m tiefer, aber damit klimatisch in einer ganz anderen Zone. Der sonnig gelegene Rundweg ist schon fast wieder abgetrocknet. Nur die Seeoberfläche ist noch zu großen Teilen gefroren, was die Forellen nicht daran hindert, in sonnigen Zonen Wärme zu tanken. Der Rocky Mountain Park greift heute ganz tief in seinen Farbtopf: Der Himmel ist kobaltblau, die Berghänge grauer Stein, die Gipfel schneeweiß. Die Nadelwälder sind tiefgrün, das Gras gelb, die Seen klar. Eigentlich müsste Heidi mit ihrer Geiß den nächsten Hang hinuntergetollt kommen. Der Wildbestand unterscheidet sich mächtig von den Alpen und ist vor allen Dingen reichlich sichtbar. Maultierhirsche und riesige Wapitiherden äsen auf den Lichtungen. Kojoten, Rotluchse und Dickhornschafe sind nur mit Glück zu sehen. Dafür schwirrt der prachtvoll kobaltblau und schwarz gefärbte Diademhäher überall herum. Schwarzbären sind schon in den Winterschlaf gegangen, genau wie Murmeltiere. Die Wiederansiedlung der ausgerotteten Grizzlys und Wölfe konnte bis heute nicht in Angriff genommen werden. Der Park ist nicht sonderlich groß, umherziehende Tiere könnten leicht über die Grenzen hinausgeraten und unerwünscht in von Menschen besiedelten Arealen landen. In der Tierwelt sind uns Europäern die Rockies wirklich überlegen, da können wir nicht mithalten. Ansonsten aber, ich habe es in Kanada schon einmal erwähnt, sieht es hier den Alpen äußerst ähnlich und unser Hausgebirge muss sich wahrlich nicht verstecken. Aber wer die Alpen liebt, Berge und schöne Landschaften, der wird auch die Rockies lieben!

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.