San Francisco, Kalifornien – Begegnung der unheimlichen Art: Die Fahrradpolizistin

San Francisco ist eine der ältesten Städte der Vereinigten Staaten. Sie wurde 1776 als spanische Missionsstation errichtet. Im Jahr 1906 fielen 80 % aller Gebäude einer Feuersbrunst zum Opfer, die einem schweren Erdbeben gefolgt war. Die Stadt wurde nicht aufgegeben und zählt heute 780.000 Einwohner, mit Umland fünf Millionen. San Francisco unterscheidet sich wesentlich von anderen amerikanischen Städten. Ihre Lage in einer Bucht, ihr nicht den Jahreszeiten folgendes Klima (es ist tatsächlich sonnig-warm heute), ihre gewachsene Innenstadt, eine der größten Chinatowns in den USA, die berüchtigte Gefängnisinsel Alcatraz, Pier 39 mit seinen Restaurants, Souvenirgeschäften und den auf Schwimmpontons dösenden Seelöwen kreieren ein ganz besonderes Flair.

Bei unserem letzten Besuch in Frisco 2007 verbrachten wir mehrere Tage hier, daher lassen wir es diesmal entspannt angehen. Von unserem Baumarktparkplatz aus – die Strategie bewährt sich – fahren wir zu DEM Wahrzeichen San Franciscos: der Golden Gate Bridge. Vom Aussichtspunkt auf der Südseite hat man einen prima Blick auf die Hängebrücke. Dann fahren wir auf die Nordseite, wo ebenfalls ein Viewpoint eingerichtet wurde. Von hier sieht man das 1937 errichtete Bauwerk in einem interessanten spitzen Winkel und man hat einen guten Blick auf Alcatraz und die Stadt. Es gibt noch einen dritten, besseren Aussichtspunkt, wenn man die Conzelman Road hochfährt.

Doch zwischen uns und dem Fotovergnügen steht erst mal eine Fahrradpolizistin. Sie radelt heran, dreht eine Runde, baut sich vor uns auf, studiert unsere Kennzeichen – sowohl das amtliche deutsche als auch die „Ziernummernschilder“ an unserem Dachgarten – und signalisiert dann, die Fahrertüre zu öffnen. Kein Guten Tag, keine Vorstellung, ihre einleitenden Worte lauten: „Sie können mit diesem Nummernschild nicht in Kalifornien herumfahren.“ „Nein? Wieso?“ Wenn man durch Kalifornien fahre, brauche man ein kalifornisches Kennzeichen, klärt sie uns auf. „Seit wann? Das haben wir noch nie gehört.“ Das sei schon immer so, meint sie. Es entspinnt sich eine mindestens zehnminütige, sinnlose und völlig unverständliche Diskussion, in deren Verlauf sie uns nacheinander mehr oder weniger direkt beschuldigt, Diebe, Waffenschmuggler, Drogentransporteure und Menschenhändler zu sein. Mit unserem Pass, Visum und Fahrzeugpapieren kann sie auch nicht allzu viel anfangen. Ob wir ein Bett in der Kabine haben und kochen könnten (Geht die das was an?). Wenn sie einen Strafzettel an die oben hängenden Nummernschilder schickt, was dann passieren würde (Woher soll ich das wissen? Aber kein Wort davon, dass die Schilder da oben nicht erlaubt wären.). Sie fragt, wo die (amerikanischen und kanadischen) Kennzeichen an unserem Dachgepäckträger her sind. „Die haben wir geschenkt bekommen.“ „Von wem“, fragt sie. „Von Leuten, die wir auf unserer Reise getroffen haben.“ „Von welchen Leuten? Wie haben Sie sie kennen gelernt?“, insistiert sie. Die denkt, wir haben sie geklaut.

Und so geht es weiter. Wo wir in die USA eingereist seien, ob man uns da nicht über die Kennzeichenpflicht aufgeklärt habe, und ob man uns an der Grenze denn nicht gründlich durchsucht habe. „Nein, die Beamten waren nett und freundlich und haben uns weiterfahren lassen.“ Das sei ja völlig unverantwortlich, wettert sie, in SO einem Fahrzeug könne man ja Tonnen von Waffen schmuggeln oder Drogen oder gar Menschen!!! Hat die zu viele schlechte Filme geguckt? Ob wir noch nie von Polizisten angehalten und kontrolliert worden seien, will sie wissen. Nein, und wenn waren es stets nur nette Fragen persönlichen Interesses gewesen, keine offizielle Kontrolle. Ihr Weltbild gerät ins Wanken.

Jörgs Aggressivitätslevel steigt zusehends. Seine Antworten werden immer pampiger. Bei mir ist es noch schlimmer. Ich versuche verzweifelt, Contenance zu wahren. Ich bemühe mich redlich, die Beamtin nicht wissen zu lassen, was ich von ihrer offensichtlichen Neurose und insbesondere ihrem mangelnden Fachwissen halte. Am besten, ich sage überhaupt nichts. Was nicht einfach ist. Tief durchatmen, bis zehn zählen, hilft nichts. Weitermachen, 20, 30,… Da fängt sie schon wieder mit ihren dämlichen kalifornischen Kennzeichen an. Jörg hat mittlerweile einen roten Kopf, um Gelassenheit bemüht, aber der Seismograph weist jetzt ganz deutlich auf eine bevorstehende Eruption hin. Dann endlich merkt es auch die behelmte Fahrradpolizistin. Jörg solle sich beruhigen, wir plauderten ja nur. Plaudern? Hatte ich mir immer ganz anders vorgestellt.

Sie lenkt jetzt ein und versucht, Interesse für unser Fahrzeug und unsere Reise vorzuheucheln. Bis sie wohl die Rückspultaste an ihrem implantierten Kassettenrekorder gefunden hat, auf re-play drückt und die Leier mit den kalifornischen Kennzeichen erneut beginnt. Vielleicht beinhaltet ihre Neurose eine Männerphobie? Vielleicht sollte ich doch etwas sagen? „Wir haben das Fahrzeug doch gar nicht importiert.“ „Neeeiiin?“, entweicht es ihrem Mund. „Und wenn man es nicht importiert und nicht länger als 12 Monate im Land ist, braucht man auch keine amerikanischen Kennzeichen.“ Aber wir seien ja auf dem Landweg eingereist, da sei das völlig anders als wenn man das Fahrzeug verschiffe, zweifelt sie noch immer. „Nein“, erkläre ich bestimmt, „das spielt keine Rolle. Wenn man nicht importiert, bekommt man auch kein Kennzeichen. Und wenn man keinen Wohnsitz in den Vereinigten Staaten hat, kann man gar nicht importieren.“, behaupte ich. Sie scheint nicht überzeugt, aber ansatzweise nachdenklich. Vielleicht wägt sie auch ab, ob es besser wäre, sich auf der anderen Seite der Fahrerkabine nicht noch einen Feind zu schaffen. Ihr Überlebensinstinkt siegt. Wer weiß schon, welche Waffen in DEM Fahrzeug gelagert sind? (Und ich bin bereit sie zu zücken!) Sie wünscht uns halbherzig gute Fahrt und tritt in die Pedale. Schade, ich hatte sie doch noch nach ihrem Namen, Dienstgrad, Dienststelle und Vorgesetzten fragen wollen.

Während ich beim Losfahren noch darüber nachdenke, ob ich Kalifornien vorbehaltlos in mein Herz schließen werde, verkündet ein Schild an der Conzelman Road: „No RVs and Busses.“ Bei derartigen Vorschriften geht es meist um die Fahrzeuggröße und da unsere Grundfläche nicht mehr Raum beansprucht als ein durchschnittlicher Stellplatz betrifft uns dann meist nicht. Was aber, wenn die radelnde Furie einen Rappel bekommt und den Berg hoch schnauft? Ich will gar nicht darüber nachdenken. Wir treten besser den Rückzug an. Außerdem haben wir ein ganz anderes Problem: Unser Motor verliert langsam Öl. Das Filtergehäuse scheint einen Riss zu haben. Das ist gar nicht gut, denn unser Öldruckgeber gab gestern seinen Geist auf. In Kombination ist das ungefähr so, als würde man mit einem Fallschirm, den man nicht selbst zusammengelegt hat, aus dem Flugzeug springen. Vielleicht geht es gut, vielleicht auch nicht. Außerdem besteht die Gefahr, dass ein Quäntchen Öls auf das ökologisch-reine Straßenpflaster San Franciscos tropft. Und wenn das der zweiradbetriebene Arm des Gesetzes zu Gesicht bekommt…oh Gott, Kalifornien praktiziert dank Arnies Engagement immer noch die Todesstrafe. Nichts wie weg.

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