San Javier, Baja California Sur – Die längsten 50 km unseres Lebens

Eigentlich fing der Tag gar nicht so schlecht an. Einige der Fischer fuhren in den frühen Morgenstunden noch bei tiefer Dunkelheit hinaus und kehren am frühen Vormittag zurück. Da kommt auch schon der Lieferwagen, für den der Strand stundenlang bewässert worden ist, damit die Fahrspuren hart sind. Die Männer wiegen den Fang, notieren alles und beladen den Lkw. Flunder, Gitarrenrochen, Ammenhaie, Bonitos und große Makrelen sind darunter. Ich sehe meinen Colamann von gestern nicht, also frage ich den Verantwortlichen, das scheint mir der Mann mit Buch und Stift zu sein, ob ich einen Fisch kaufen kann. Er antwortet: „Ja.“ Ende der Durchsage. Ich übe mich in Geduld, doch nach ein paar Minuten deute ich auf einen Flunder, den ich haben möchte. Der Mensch schafft es, mich völlig zu ignorieren, was angesichts meiner 1,77 m gar nicht so einfach ist. So leicht aber wird man mich nicht los. Ich warte eine Viertelstunde, bis aller Fisch gewogen, notiert und verladen ist.

Der Fischer schaut noch ein paar Minuten ins Leere, aber da sich seine Hoffnungen nicht erfüllen und ich mich bis dahin nicht in Luft aufgelöst habe, wendet er mir doch seine Aufmerksamkeit zu und fragt etwas, das ich nicht verstehe. Mein Spanisch sei nicht so gut, teile ich ihm mit, worauf er einen blöden Witz reißt. Na gut. Dann fragt er mich verständlicher, wie viel Fisch ich möchte. Er klettert auf den Lkw und hält zwei große Makrelen hoch. Da ich Diskussionen mit dem Schweiger für sinnlos erachte, nicke ich pflichtschuldigst und will wissen, was das kostet. „Nichts.“ Großartig. Da ich intelligenterweise keine Tüte mitbrachte, dackle ich glücklich mit meinen beiden Fischen ab, in jeder Hand einen. Vermutlich bin ich der Lacher für den Rest des Tages. Ist mir egal, ich zerlege, filetiere und enthäute die Beute gleich und friere den Großteil ein bis auf das, was es am Freitagabend im katholischen Mexiko geben soll.

Dann fahren wir die größtenteils asphaltierten 40 km nach Comondú, das eigentlich aus zwei Orten, San José de Comondú und San Miguel de Comondú, besteht. In den beiden hübschen Oasendörfern werden Datteln, Feigen, Mangos, Bananen, Zitrusfrüchte, Mais, Trauben und Zuckerrohr angepflanzt, wiederum gespeist von einem Fluss mit Wasser aus den Vulkanbergen. Der zweite Ort hatte eine der größten Missionen ganz Kaliforniens aufzuweisen, die in den Jahren 1751 bis 62 erbaut wurde. In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts jedoch riss man aus praktischen Gründen den Großteil des Gebäudes nieder, um mit den Steinen eine Schule und Privathäuser zu bauen. Was noch übrig ist, war vermutlich die Unterkunft für Missionare gewesen und wird heute von den Gemeinden als Kirche genutzt.

Wir folgen der Beschilderung nach San Javier. In meiner Beschreibung steht, dass die ersten 30 km in relativ schlechtem Zustand sind, sich die letzten 20 aber erheblich verbessern. Das ist die Untertreibung des Jahres. Wobei ich zugeben muss, dass die Angabe zum Zeitpunkt der Drucklegung vielleicht stimmte, sich die Situation nach den letzten heftigen Regenfällen dann dramatisch änderte. Die Schotterpiste ist eigentlich gar nicht mehr befahrbar mit ihren ernstzunehmenden Auswaschungen. Es sei denn, man ist unverbesserlicher Offroadfan, hat das entsprechende Fahrzeug sowie die Erfahrung, liebt den Nervenkitzel, in das Hunderte Meter tiefer gelegene Tal abstürzen zu drohen, weil der Pfad einfach nicht mehr breit genug ist und ist bereit, für die 50 km eine Fahrzeit von vier dreiviertel Stunden zu investieren, wobei knappe vier Stunden auf die ersten 30 km entfallen. Bin ich eigentlich nicht, aber das weiß ich vorher nicht.

Als uns klar wird, dass mit der Straße etwas nicht stimmt, ist es zu spät zum Umkehren. Es gibt schlicht keine Wendemöglichkeit, und als sich die erste nur ansatzweise ungefährliche anbietet, sind wir schon so weit gefahren, dass wir gar nicht mehr zurück wollen. Man denkt ja immer, schlimmer kann es nicht kommen. Es kann immer schlimmer kommen, daher geht der Tag in meine Annalen ein. Die Auswaschungen laufen quer oder längs, meist ist der Schotter bis auf die großen Fundamentsteine weggespült. Besonders problematisch ist die Situation an den zahlreichen Steigungen und Gefällen und in den Spitzkehren, wo das Wasser besonders schnell lief und fast alles mit sich riss, was nicht schwer genug war liegenzubleiben. Einziger Lichtblick ist, dass vor uns irgendwann einmal ein Fahrzeug gefahren sein muss, dessen Spur erkennbar ist, wenn auch mit schmälerem Radstand und vermutlich niedrigerem Schwerpunkt. Jörg wird heute Abend zu mir sagen, dass er mich zum ersten Mal im Leben etwas gestresst gesehen hat. Das will wohl etwas heißen.

In einem Tal liegen Dutzende von Kuh- und Ziegenkadavern, über deren fast vertrockneten Resten noch die allgegenwärtigen Geier kreisen. Es scheint als ob die Tiere ertrunken sind und hier angespült wurden. Ertrunken in der Wüste – das sind die realen Gefahren des Lebens. Am Ende des Tages erreichen wir dann doch San Javier, ein hübsches Städtchen mit gepflasterten Straßen und einer der besterhaltenen Missionen auf Baja California. Während die erste Kirche 1699 wegen einer Indiorevolte aufgegeben worden war und verfiel, wurde die heute zu sehende Mission von 1744 bis 58 erbaut und zeigt im Inneren drei wertvolle barocke Altarbilder, geschnitzt und vergoldet. Erleichtert stellen wir fest, dass man hinter der Mission kostenlos campen kann, neben den landwirtschaftlich genutzten Flächen mit Zwiebeln, Guaven, Papayas, Zitrusfrüchten, Mais, Trauben, Chilis, Datteln und brüllenden Kühen.

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