Creel, Chihuahua – Die leichtfüßigen Marihuanabauern

Eines der eigenwilligsten indigenen Völker Mexikos sind die Tarahumara. Vor rund 400 Jahren zogen sie sich in die Berge der Sierra Madre Occidental zurück, um den unliebsamen Ideen der Missionare zu entgehen. Auch heute noch leben sie ihre Traditionen, wenn auch mittlerweile unter dem Deckmäntelchen der katholischen Kirche. Von ihren Riten und ihrer polygamen Lebensweise lassen sie sich dennoch nicht abbringen – zwei Frauen pro Mann sind Standard.

Trotz der harten Lebensbedingungen in den Bergen, die im Winter schneebedeckt und eiskalt sind, im Frühjahr heiß und trocken, und nur im Spätsommer und Herbst während der Regenzeit eine kurze Wachstumsphase für die Landwirtschaft bieten, geben sich die Männer zurückhaltend in Bezug auf Arbeit. Das überlassen sie lieber den Frauen und widmen sich stattdessen Bier und Tequila. Offiziell werden Kartoffeln, Mais und Bohnen angebaut. Unausgesprochen bleibt (das jedenfalls flüstert Jörg eine Einheimische im Zug zu), dass auf geheimen Feldern in unzugänglichen Tälern Marihuana und Schlafmohn angebaut werden. Die Tarahumara nennen sich selbst Rarámuri, was „die Leichtfüßigen“ bedeutet. Ihre Lebensweise zwingt sie zu lange Fußmärschen in großer Höhe, was ihnen zu einer außergewöhnlichen Kondition verhilft. Beim traditionellen Volkssport Rarájipari rennen zwei gegnerische Teams um einen improvisierten Bergkurs und kicken dabei einen Holzball vor sich her – barfuß oder in Sandalen. Das Match kann über mehrere Tage gehen.

Die Frauen im Dörfchen San Ignacio de Arareko tragen bunte Volantröcke, buntere gefältelte Blusen und noch buntere Kopftücher. Die herunter geschoppten Wollsocken sind passend oder kontrastfarbig, auf jeden Fall aber auffallend, gerne quietschpink oder neongelb. In großen Schultertüchern werden Babys umhergetragen, die Kinder sind Miniaturausgaben der Erwachsenen. Die Mädchen gehen den Müttern an den Ständen zur Hand, wo sie Schnitzereien, Flecht- und Webwaren feilbieten, die Jungs werden mit einer kleinen Auswahl losgeschickt, aktiv Souvenirs zu verkaufen oder bei Nichterfolg Geld zu erbetteln. Die niedlichsten der Rotznasen haben naturgemäß die höchste Erfolgsquote. Männer sind dagegen keine zu sehen.

Die rustikale Steinkirche von San Ignacio in Arareko gibt den Tarahumara einen Versammlungsort, wo sie ihre traditionellen Tänze aufführen können. Bänke gibt es keine, nur ein paar an den Wänden für Zuschauer und müde Tänzer – obwohl sonntags ein Pater aus Creel kommt, um die Messe zu lesen. Der Ausflug zu den Rarámuri führt uns auch zu einer ihrer traditionellen Höhlenwohnungen mit offener Feuerstelle und integriertem Hühner- und Ziegenstall. Die umherstehenden Holzhütten, in denen aufgrund der dort lagernden Propanflaschen vermutlich modernere Gasherde stehen, dürfen wir nicht besichtigen. Wir wollen ja schön bei den Klischees bleiben.

Auch der sicher wunderschöne Wasserfall Cascada Cusarare befindet sich auf Tarahumaraland, wenn auch im trockenen Frühjahr kaum noch Wasser rinnt. Das Ganze gehört zum Ökotourismusprojekt Arareko und dient der Unterstützung der Indianer, die neben je 20 Peso Eintritt pro Person für Dorf und Wasserfall ihre Handwerksarbeiten an den Touristen bringen können. Für 250 MXN Ausflugsgebühr bringt man uns noch in ein Museum, wo religiöse Malereien aus der Kolonialzeit ausgestellt sind, sowie zum hufeisenförmigen See Lago Arareco mit seinen eigenwilligen Vulkangesteinsformationen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt trotz der ausschließlich spanischsprachigen Reiseleitung (es gibt auch andere Tourenanbieter in Creel). Wir wollten gerne die Tarahumara besuchen, ohne dass dies in eine touristische Fleischbeschau ausartet, und das ist recht gut geglückt.

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