Guanajuato, Guanajuato – Das unterirdische Grauen

Absolut sehenswert soll Guanajuato sein, Regierungssitz des gleichnamigen Staates. Der Besuch der Stadt stand ganz fest auf unserer Agenda, doch wieder einmal kommt alles anders. Schon als wir in die Außenbezirke einfahren, versuchen uns wild fuchtelnde Männer am Straßenrand zu stoppen. Dutzende von ihnen werfen sich wie aufdringliche Scheibenputzer an Ampelkreuzungen vors Auto. Bei einem halten wir an um herauszufinden, was hier eigentlich los ist. Der Schlepper klettert ungefragt auf den Truck. Er will uns Informationen andrehen, spricht jedoch nur stark dialektgefärbtes Spanisch. Er fragt, ob wir zum xy-Campground wollen, und wir bejahen. Er zögert, murmelt etwas von wegen der würde nicht mehr operieren. Warum fragt er dann erst? Die Sache ist uns zu undurchsichtig und genervt fahren wir weiter in Richtung Stadt. Erst später am Abend erfahren wir, dass diese jungen Männer freiwillige Collegestudenten sind, die in ihrer Freizeit Ortskundige durch die Stadt führen bzw. dahin, wohin sie wollen. (Für ein Trinkgeld, versteht sich. Leider haben wir sowieso nur zwei Sitze – hätte ich einen auf meinen Schoß nehmen sollen?) Denn in dieser Stadt ist es absolut unmöglich, sich zurechtzufinden, wenn man das erste Mal herkommt. Doch das können wir noch nicht wissen.

Wir vertrauen auf unsere beiden Navigationssysteme, in die wir die GPS-Daten des Campingplatzes eingespeist haben. Die Anfahrt scheint schwierig zu sein, aber wir folgen Lissy und Mandy, wie wir die Navis nennen, bis sie sich an einer Einmündung uneins sind über die Richtung. Wir vertrauen dem falschen Gerät, und ab dem Punkt beginnen die Ereignisse, sich zu überschlagen. Die nächste 180°-Kehre können wir in der engen Gasse nicht fahren, da wird es schon dunkel um uns.

Einer meiner amerikanischen Reiseführer informiert, dass 1965, um die Verkehrsprobleme der Stadt abzubauen, ein trockenes Flussbett unter der Stadt in ein Fahrzeugtunnelsystem umgewandelt wurde. Die Straße windet sich unterirdisch über viele Kilometer wie in einem Labyrinth. Der abschließende Satz des Reiseführers lautet: „Es ist sehr gefährlich und für Besucher nicht empfohlen.“ ??? Welche Aussagekraft hat dieser Satz für einen Europäer? Warum ist es dort gefährlich? Ist es eng, niedrig, verfahre ich mich, oder werde ich dort erschossen? Für einen Amerikaner genügt sicher schon die Andeutung von Gefahr, um sich nicht einmal in die Nähe zu begeben. Wie die mit ihrer Angstneurose Kriege führen können, ist mir schleierhaft. Dafür feiern sie ihre Soldaten auch wie die Helden. Was im Prinzip in Ordnung ginge, wenn sie ihr eigenes Land verteidigen würden.

Doch zurück in den Tunnel, in dem wir völlig unfreiwillig – Gefahr hin oder her – gelandet sind. Kein Zeichen hat uns darauf vorbereitet, kein Schild Höhen-, Breiten- oder Gewichtsrestriktionen verkündet. Wir fahren in den unbeleuchteten Tunnel, der sich nach kurzer Zeit teilt und einspurig wird. Die Wände rechts und link rücken näher, dummerweise auch die Decke. Alles Einbahnstraße, keine Möglichkeit zum Umkehren, und hinter uns drängelt der Verkehr. Jörg rast in stiller Panik durch den stockdunklen Untergrund, stets hoffend, dass nicht einer der alten Stürze ein wenig tiefer in die Fahrbahn hineinragt als die anderen. Immer wieder teilt sich der Tunnel und wir müssen innerhalb von Sekunden entscheiden, welchen Weg wir einschlagen, um nicht in einer engeren oder zugeparkten Röhre stecken zu bleiben. Manchmal reißt Jörg in letzter Sekunde das Steuer herum, weil in einem Tunnelgang plötzlich Menschen ihre Autos waschen und das wohl nicht der richtige Weg ist. Welch eine seltsame Welt unter der Erde das ist!

Ein Trost sind die blau-weißen Bushaltestellenzeichen. Solange wir uns auf der Busroute befinden, gibt es zumindest keine Breitenprobleme. Für die Höhe können wir nur nach wie vor hoffen, denn die Busse sind leider niedriger als unser Arminius. Wenn an wenigen Stellen der Tunnel kurzfristig unterbrochen ist und Tageslicht einfällt, strecke ich meinen Kopf aus dem Fenster und versuche zu ermitteln, wie viel Platz wir nach oben an unseren Außenkanten haben. Viel ist es nicht, es scheinen nur ein paar Zentimeter zu sein. Immerhin. Das geht über Kilometer so, und jeden Moment warten wir auf ein kratzendes, schrammendes Geräusch und ein Solarpaneel, das das in tausend Teile splittert. Doch nichts dergleichen passiert, und nach endlos scheinender Zeit erscheint Tageslicht. Unsere Gänsehaut würde jedem gerupften Federvieh Ehre machen.

Doch noch ist es nicht ganz vorbei. „Bring mich hier raus!“, schreit Jörg. Schnell tippe ich die nächste Stadt ins Navigationssystem, das außerhalb der Tunnel endlich wieder funktioniert. Es sagt links. Vor uns steht ein Polizeiauto, dessen Beamte uns nach rechts winken. Wir ignorieren sie und biegen links ab. Zum Glück ist es ein Kreisverkehr, denn ich habe das Gefühl, das Navi will uns zurück ins Tunnelsystem lotsen, schließlich muss es auch in anderer Richtung unter der Stadt durchgehen. Da taucht ein weiterer wild gestikulierender Polizist auf. Wir halten vorsichtshalber an. Er meint, wir würden nicht durch die Röhre passen und schickt uns zurück zum Polizeiwagen. Ob der Tunnel für den Rückweg wirklich kleiner ist, bleibt zu bezweifeln. Da wir jedoch keinerlei Wert darauf legen, es auszuprobieren, fahren wir brav zurück, wo uns das Einsatzfahrzeug mit Blaulicht aus der Stadt hinauseskortiert und zur Umgehungsstraße lotst. Schon wieder solche doofen Touris, werden die sich denken. Es wäre schick gewesen, wenn auf der anderen Seite der Stadt mal welche gestanden hätten statt der dummdreist winkenden Teenager.

Damit endet unser Guanajuato-Abenteuer und wir kehren dieser vielleicht schönen, aber von Beginn an unsympathischen Stadt den Rücken zu.

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