Zunil, Guatemala – Gargekocht

Zum Abschied gibt es einen Dankesbrief an die Kirchentür, dann fahren wir durch Chiantla und Huehuetenango, als wären wir hier zu Hause. Wenn man in eine Hauptrichtung unterwegs ist, folgt man am besten der Hauptverkehrsrichtung – egal was das Navi erzählt. Auf einem Zwischenstopp in der modernen Mall stellen wir im Supermarkt fest, dass es auch hier fast alles gibt, aber etwas teurer ist als in Mexiko, obwohl Guatemala zu den günstigsten Reiseländern Mittelamerikas zählen soll. Nach weiteren knapp 80 km verlassen wir die Panamericana schon wieder bei San Cristóbal Totonicapán, um nach San Andres Xequl zu gelangen.

Das unscheinbare Dorf besitzt die bunteste Kirchenfassade Guatemalas, was man allerdings erst sieht, wenn man auf der Plaza steht. Hinweisschilder oder ähnliches fehlen völlig. Am Ortseingang treffen wir aus Kim aus den USA, die hier für zwei Jahre unentgeltlich bemüht ist, Ökotourismus zu entwickeln. Sie führt uns gerne im Ort herum. Die Kirche aus dem 16. Jahrhundert mit dem knallgelben Hintergrund ist mit plastischen Engelsfiguren, Weinranken und anderen bunten Verzierungen versehen, die der Mayakultur entspringen. Auch die Kalvarienkapelle oberhalb ist bunt bemalt. Daneben befinden sich Mayakultstätten, wo zu Zeremoniezwecken Feuerwerkskörper gezündet und Brandopfer dargebracht werden. Der Blick von hier oben ist toll.

Kim bringt uns auch zu Maximón, den wir alleine vielleicht nicht gefunden hätten. Das ist eine Art Heiliger, der aber eher einen bösen Charakter besitzt und mit Gaben besänftigt werden muss. Maximón ist eine lebensgroße Puppe, die jedes Jahr ihren Gastgeber wechselt und in seiner Gastfamilie für ein Jahr einen eigenen Raum zur Verfügung gestellt bekommt. Bevorzugt spendet man ihm Zigarren oder Schnaps. Erhört er die Gebete der Bittsteller und die sehnlichst erhoffte Reise in die USA, um dort für ein paar Jahre Geld zu verdienen, klappt, bringt man dem Heiligen ein Geschenk mit: einen Hut, eine Sonnebrille, eine Jeans oder Cowboystiefel. So sieht Maximón ein wenig aus wie ein amerikanischer Gangster aus den 60ern. In San Andres Xequl gibt es ihn gleich zweifach. Nachts werden die beiden Puppen sogar ins Bett gelegt, tagsüber sitzen sie in Sesseln. Für 5 Quetzal pro Person darf man auf als Tourist den bösen Buben besuchen und fotografieren. Maximón gibt es noch ein paar Mal in anderen Orten der Umgebung, doch dort wird er weit mehr kommerzialisiert und für jedes einzelne Foto Geld verlangt. Hier dürfen wir sogar einer Zeremonie in einem Nebenraum beiwohnen, wo Zigarren, Limonen, duftende Baumrinde und Kerzen verbrannt werden. Wo ist hier die Grenze zwischen Katholizismus und ursprünglicher Mayareligion, fragt man sich? Gar nicht, Hier sind zwei Religionen zu perfekten Synkretismus verschmolzen.

Wir umgehen die Stadt Quetzaltenango, weitgrößte des Landes, und gelangen über eine Nebenstraße nach Cantel, wo 17 Glasbläser die Kooperative COPAVIC gegründet haben. Ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse gelang es den Gründern erst nach Jahrzehnten, Gewinne zu erwirtschaften, doch heute exportiert man fleißig nach Europa. Besonderheit ist, dass als Rohmaterial ausschließlich Altglas verwendet wird. Leider arbeiten die Handwerker nur von 5 bis 13 Uhr, sodass wir die Produktion nicht sehen können, aber ein Souvenir nehmen wir uns trotzdem mit.

Es sind nur ein paar Kilometer nach Zunil, wo eine winzige Straße zu den Fuentes Georginas abzweigt. Die Hänge sind übersät mit dampfenden Gemüsefeldern, deren Früchte mit warmem Wasser bewässert werden. Zwiebeln, Möhren, Radieschen und rote Beete wachsen auf dieser Höhe zu unglaublicher Perfektion. Hoch in den Bergen auf 2400 m liegen an der Flanke des Vulkans Zunil recht bekannte Thermalquellen. Der Eintritt beträgt stattliche 50 GTQ pP und 10 pro Fahrzeug, und wenn wir für zwei Tage bezahlen, können wir über Nacht bleiben. Das heiße Wasser entspringt direkt dem „inaktiven“ Vulkan und fließt in zwei mit Natursteinen gemauerte Becken mit etwas über Körpertemperatur. Ein drittes Becken ist so heiß, dass man den Einstieg nur mit mutiger Geschwindigkeit schafft. Auch dann kann man nur wenige Minuten bleiben, sonst kollabiert der Kreislauf. Schon bald sind wir krebsrot und gargekocht. Anschließend findet man es nicht mehr ganz so schlimm, dass das Wasser nur kalt aus der Dusche rinnt. Mit kalt meine ich eiskalt, sodass der Kopf unter dem Strahl zu schmerzen beginnt, aber wer möchte schon nach Schwefel duftend im Bett liegen.

Fuentes Georginas, N 14°45’01,3’’ W 91°28’48,5’’

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