Tikal, Guatemala – Nicht nur heile Welt

Der kurzfristige Entschluss, die Ruinenstätte Tikal zu besuchen, beschert uns einen langen Fahrtag über buckelige Straßen. Doch Guatemala hat selbst dem Betrachter hinter der Windschutzscheibe einiges zu bieten. Viele Bergdörfer haben Markttag, der mangels anderer ebener Flächen auf der Straße stattfindet. Die Fahrbahn verengt sich auf Arminiusbreite. Was bei Gegenverkehr passiert, müssen wir zum Glück nicht herausfinden. Markttage sind Festtage für Hunde. Die meisten Indígenas besitzen Hunde und lieben sie auch, doch ihnen fehlt das Geld, sie zu füttern. So laufen die Hunde frei herum und besorgen sich ihr Fressen selbst, sind aber mitnichten Straßenhunde. Ein besonders dreistes Exemplar schnappt sich einen Brocken Fleisch von einem Markttisch und erntet dafür einen kräftigen Tritt in sein Hinterteil. Das Fleischstück, das sich mittlerweile in den Zähnen des Hundes und im Straßendreck befunden hat, landet wieder auf dem Verkaufstisch.

Immer wieder zeigen sich Hinweise, dass Guatemala trotz aller Freundlichkeit und Fröhlichkeit eben nicht die heile Welt ist, die sich der Tourist erträumt. Die meisten Pkw – mehr noch als in Mexiko – wurden mit verdunkelten Scheiben ausgestattet, inklusive der Frontscheibe. Das macht zwar nächtliches Fahren zum Blindflug, schützt aber eventuell die Insassen vor dem beliebt gewordenen Carjacking, dem Autoraub auf offener Straße. Besonders Einzelfahrer neuerer Modelle werden mit Waffengewalt zum Aussteigen und zur Übergabe des Automobils gezwungen. Auch viele Lkw-Fahrer versuchen sich und ihre Ladung mit dunklen Scheiben zu schützen – das hilft vielleicht auch gegen die Sonne. Wobei fast alle Trucker einen mit einer Pump Gun ausgestatteten Beifahrer dabeihaben, manche lassen sich sogar von einem separaten Fahrzeug mit zwei Schusswaffen tragenden Sicherheitsleuten begleiten.

Im Norden des Landes stehen verhältnismäßig viele Polizei- und Militärkontrollen. Wir als Ausländer aber bleiben völlig unbehelligt, meist winkt man uns einfach zu. Lediglich an der Grenze zum Bezirk El Petén gibt es eine Lebensmittelkontrolle, die bei uns sehr oberflächlich durchgeführt wird. Auf Nachfrage erfahre ich, dass Äpfel, Aprikosen, Pfirsiche und Trauben beschlagnahmt werden. Darauf kann man sich jedoch nicht verlassen, je nach Quarantänevorschriften können auch Eier, Hühner und andere Frucht- und Gemüsesorten betroffen sein.

Überall entlang der Straße sind Mauern oder Felsen bunt bemalt. Im September werden Präsidentschaftswahlen stattfinden. Zur Unterscheidung schmücken sich die Parteien mit charakteristischen Farben, was besonders bei einer Analphabetenrate von rund 30 % sinnvoll ist. Da der Präsident eine einzige vierjährige Amtszeit zur Verfügung hat, entstehen Parteien, finanziert von reichen Kandidaten, für diese eine Wahl und verschwinden dann wieder von der Bildfläche. Geworben wird vor allem auf tausenden von Plakaten mit entschlossenen (Männer) und lächelnden (Frauen) Gesichtern und markigen Sprüchen.Unter dutzenden von Menschen, die gerne den Beruf „Präsident“ in ihren Lebenslauf schreiben würden, sind ein Millionär, der sein Geld angeblich mit Drogen macht, ein Arzt, ein Universitätsdekan und eine geschiedene Präsidentengattin, die ihre Wahlkampfkampagne mit abgezapften Steuergeldern finanzieren soll. Sandra Torres’ Kandidatur jedoch wurde diese Woche in letzter Instanz für verfassungswidrig erklärt, da weder ein Amtsinhaber noch sein Ehegatte (die Scheidung liegt erst drei Monate zurück) für eine weitere Regierungsperiode kandidieren darf, um Machtkonzentration zu vermeiden. Eine politische Karriere oder Vorerfahrung ist nicht zwingend notwendig.

Einer der aussichtsreichsten Kandidaten dürfte Otto Pérez Molina sein. Der Ex-Militärgeneral wird von vielen Guatemalteken (Ladinos) präferiert, obwohl seine Einheiten während des Bürgerkrieges für mehrere Massaker (an Indígenas) verantwortlich zeichnen. Obwohl das Militär nicht besonders beliebt ist, verspricht er die starke Hand, die Ordnung und Sicherheit ins Land bringt und die Todesstrafe wieder mehr anwenden wird. Bei den letzten Wahlen war Otto Pérez seinem Widersacher Alvaro Colom bei der Stichwahl nur knapp unterlegen.

Ebenfalls bei den letzten Wahlen angetreten war die wohl interessanteste Kandidatin. Damals war Rigoberta Menchú Tum mit nur 3 % der Stimmen abgeschlagen auf dem sechsten Platz gelandet. Die Nobelpreisträgerin hatte ein hartes Leben mit grausamen Erfahrungen. Sie wurde 1959 in einem Dorf fernab jeglicher Zivilisation geboren. Noch als Kind musste sie als Erntehelferin auf die Kaffee- und Zuckerrohrplantagen an der Karibikküste wechseln, da die Ernteerträge ihrer Familie als Einkommen nicht ausreichten. Spanisch lernte sie erst während ihrer Zeit als Dienstmädchen in der Hauptstadt. Später trat die Quiché-Indígena der Bauernvereinigung CUC bei, die von ihrem Vater gegründet worden war und die sich gegen den Raub des Agrarlands durch Großgrundbesitzer und Militärs wehrte. In der schlimmsten Phase des Bürgerkriegs zu Beginn der 80er Jahre ging sie in den Untergrund. Nachdem ihre Eltern und ein Bruder vom Militär gefoltert und ermordet worden waren, floh sie nach Mexiko. Ihre dort erschienene Biographie „Leben in Guatemala“ (1983) machte sie weltbekannt. Ihr unermüdlicher Kampf für die Rechte ihres unterdrückten Volks brachte ihr 1992 den Friedensnobelpreis ein. Nach ihrer Rückkehr nach Guatemala setzte sie sich auch weiterhin für Menschenrechte ein und tritt nun zum zweiten Mal zu den Präsidentschaftswahlen an.

Auf dem Weg ins karibische Tiefland verändern sich die Menschen: Hier leben Garífuna, Nachkommen schwarzer afrikanischer Sklaven und Karibikindianer, die weniger als 1 % der Bevölkerung ausmachen. Im Ort Sayaxché gibt es keine Brücke. Wir müssen den Rio de la Pasión mittels Fähre überqueren. Gestern soll eine gesunken sein, eine Überdachung ragt noch aus dem Wasser. Der seitlich von zwei Außenbordmotoren angetriebene Schwimmponton wirkt einigermaßen kenterresistent, auch wenn nur wenige Lkw pro Fahrt mitgenommen werden. Die Wartezeit, bis wir an der Reihe sind, wirft uns im engen Zeitplan zurück. Wir wissen nicht, ob wir in Tikal nach den offiziellen Öffnungszeiten noch aufs Gelände kommen, um zu übernachten. Nachdem wir den Lago de Petén Itzá, einen großen hübschen See, passiert haben, erhalten wir einen weiteren Rückschlag. Als es zu gewittern beginnt, hakt sich unser Scheibenwischergestänge aus. Jörg muss in strömendem Regen Werkzeug holen gehen. Um 17:45 fliegen wir schließlich mit einer Viertelstunde Reserve in Tikal ein. Auf einer Wiese campiert man hier für 50 GTQ pP. Toiletten und kalte Duschen sind vorhanden (N 17°13’29,4’’ W 89°36’40,2’’).

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