Granada, Nicaragua – Koloniale Romantik, Bettler und Klebstoffschnüffler

Das Gewitter heute Nacht war gewaltig. Seen ziehen so was ja an. Ein Dauerblitzen erhellt die Nacht für eine Stunde. Ich zähle mit: Die längste Pause zwischen zwei Blitzen liegt unter zwei Sekunden. Derjenige, der fast zeitgleich mit einem ohrenbetäubenden Donnerkrachen in unmittelbarer Nähe einschlägt, lässt die Erde und Arminius erbeben. Schön zu wissen, dass auch eine Camperkabine (mit hochgezogener Leiter) ein Faradayscher Käfig ist.

Am Morgen herrscht wieder eitel Sonneschein und wir können Granada besichtigen. Das unbestrittene Zentrum des nicaraguanischen Tourismus hat ein historisches Zentrum mit aufwändig restaurierten Kolonialgebäuden, darunter die sonnengelbe Kathedrale mit den roten Kuppeln, das Wahrzeichen nicht nur der Stadt, sondern des ganzen Landes, ein paar weitere Kirchen und Paläste. Auf den Glockenturm der Kirche La Merced darf man für 1 US$ / 20 NIO die enge Wendeltreppe hochsteigen und hat von dort einen wunderbaren 360°-Blick auf die Stadt und den See. Unweit der Kirche liegt das zu La Merced gehörende, religiös jedoch unabhängige Tio Antonio Centro Social. Die soziale Institution hat eine Manufaktur für Hängematten mit behinderten und sozial ausgegrenzten Jugendlichen eingerichtet. Die Türen stehen jederzeit offen, sodass man die Produktion hochwertiger Hängematten aus organisch gefärbter Baumwolle live erleben kann. Selbst wenn man keinen Stauraum für eine Hängematte hat, lohnt sich der Besuch. Wenn man etwas kauft, kommt das natürlich den Kindern der Stiftung zugute.

Eine weitere Spezialität Granadas sind Pferdekutschen, mit denen man Stadtrundfahrten (nicht billig ab 20 $) unternehmen kann. Doch Vorsicht: Man sollte sich nicht von der romantischen Beschaulichkeit und Ruhe im historischen Distrikt täuschen lassen. Verlässt man den Touristenbereich, zeigt sich eine lebendige, quirlige Stadt mit 120.000 Einwohnern. Vermeintlich wohlhabende Touristen ziehen natürlich auch Bettler an, vor allem Kinder können enervierend sein. Dabei wird man in allen Reiseführern und sogar auf den Speisekarten von Restaurants darum gebeten, Kindern nichts zu geben, sein Geld besser lokalen Hilfsorganisationen zu spenden, die es dann sinnvoll verwenden. Viele Kinder werden von ihren Eltern zum Betteln angehalten, mitunter sogar gezwungen, da sie mehr Geld ergattern als Erwachsene. Das produziert auf längere Sicht nur eine weitere Generation Bettler. Warum sollten sie etwas lernen, wenn das Leben so einfach ist? Andere Kinder haben schlicht keine Lust auf Schule, schwänzen den Unterricht und streunen herum. Mit dem erbettelten Geld kaufen sie sich dann etwas Hübsches, z.B. eine Dose Klebstoff. So wie der Jungendliche, den wir treffen, der sich etwas Kleber in ein kleines Marmeladenglas abgefüllt hat, das er sich beim Laufen, den Deckel leicht geliftet, ans Gesicht presst, um keinen Atemzug zu verpassen. Sein Leben ist eigentlich schon vorbei, bevor es richtig angefangen hat.

Trotz der dunklen Seiten ist Granada eine wunderschöne Stadt. Leider liegt der Nicaraguasee auf nur 20 m üNN und somit ist es das ganze Jahr heiß. Wer nach einer kühlen Nacht strebt, ist am Mirador de Catarina gut bedient, ca. 20 km südwestlich von Granada an der Laguna de Apoyo gelegen. Mit 540 m Höhe ist das einer der kühlsten Orte in der Umgebung. Der Aussichtspunkt beim gleichnamigen Dorf gilt als der beste Nicaraguas. Von hier überblickt man Granada, den Nicaraguasee, den Vulkan Mombacho und natürlich die Laguna de Apoyo. Dies ist der größte und einer der ältesten Kraterseen des Landes. Seine kreisrunde Form ist perfekt, er misst sechs Kilometer im Durchmesser und ist 200 m tief mit klarem blauem Wasser.

Ruhig steht man allerdings hier nicht. Wie üblich macht man aus so etwas eine Touristenattraktion (für Einheimische) mit zahlreichen lauten Restaurants (um 22:30 Uhr ist Zapfenstreich) und Souvenirshops. Man lässt uns auf dem Parkplatz kostenlos campen, doch das Eintrittsgeld müssen wir verhandeln. Die 100 Córdoba für einen Reisebus scheinen mir dann doch übertrieben. So groß sind wir schließlich nicht, und zudem nur zu zweit. Die Dame reduziert auf 50. Allerdings braucht der Sicherheitsmann noch ein Trinkgeld, damit er ein Auge auf uns hält. Von meinen 1 $ entsprechenden 20 Córdoba zeigt er sich wenig begeistert, akzeptiert aber. Mirador de Catarina: N 11°54’47.7’’ W 86°04’11.9’’.

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