Panama City, Panama – Überfall auf Polizeiparkplatz

Wir hätten auf Evelyn hören sollen. Sie sagte uns, dass wir um 10 Uhr an der Polizeistation sein sollen, da ausschließlich zwischen 10 und 11 Uhr die Kontrolle des Kennzeichens und der Fahrgestellnummer erfolgen, was für die Ausfuhr des Fahrzeugs per Schiff notwendig ist. Anschließend erfolgt angeblich eine Prüfung über Interpol, ob das Fahrzeug in irgendwelche Straftaten in Mittelamerika verwickelt war. Das Ergebnis bzw. die Ausfuhrerlaubnis gibt es am Nachmittag. Wir sind zu früh am Morgen da, also warten wir eben. Ein Beamter scheucht uns aus unbekannten Gründen in den hinteren Teil des Parkplatzes, was noch Folgen haben wird. Hier gibt es einen Durchgang auf die Straße hinter dem Parkplatz, wo direkt eines der ganz üblen Elendsviertel von Panama beginnt. Während wir bereits die Fahrerkabinentüren zur Inspektion geöffnet haben, aber noch warten, tauchen auf der mir abgewandten Fahrzeugseite dunkle Füße unter dem Truck auf, die da nicht hingehören. Ich eile dazu, aber der Mann bleibt ganz ruhig, es fehlt auch nichts (hätte eh nur meine Turnschuhe klauen können). Trotzdem knalle ich die Tür erst mal wieder zu. Ein Vorbote? Ein Spion?

Zu einem beliebigen Zeitpunkt nach 10 Uhr beginnen die Beamten der Policia Nacional mit der Inspektion der Fahrzeuge, unseres zuletzt. Es dauert nicht lang, und ich will schon einsteigen. Daher gilt nicht mehr meine volle Aufmerksamkeit meiner Umgebung und ich registriere nicht, dass zwei Afroamerikaner zügig auf mich zukommen. Plötzlich zerrt einer an meiner Handtasche und versucht sie wegzureißen. Idiot! Das geht nicht, die Tasche ist fest mit mir verbunden und hat einen Träger schräg über den Körper, einen zweiten um die Hüfte. Da muss er mich schon mitnehmen, was er ganz sicher nicht will. Diese besondere „Handtasche“ erstand ich in Voraussicht auf mögliche Räuber im berüchtigten südlicheren Kontinentteil in einem Armeeshop in den USA und nannte sie von Anfang an „Mittelamerikatasche“. Hätte der Dieb richtig hingeschaut, hätte er zumindest den Schräggurt sehen können und gewusst, dass er die Tasche nicht einfach wegziehen kann. Auch ein Durchschneiden der Gurte ist schwierig, da sie aus stabilem Cordura und es eben zwei sind.

Alles geht sehr schnell. Jörg stößt den zweiten Angreifer zur Seite und wirft sich zwischen den ersten und mich. Auf einmal sind viele Hände im Spiel, Jörg und ich bekommen jeweils einen kleinen Hieb auf die Wange, was zunächst folgenlos bleibt. Nachdem die erste Schrecksekunde überwunden ist, gehen wir zum Gegenangriff über und drehen den Spieß um. Wir versuchen, die erfolglosen Handtaschenräuber zu fangen, brüllen laut und jagen sie. Die beiden Kerle brüllen auch, jetzt vor Angst, und laufen davon wie die Hasen. Sie sind klug und teilen sich auf. Jörg ist schnell, hat sich aber den falschen ausgesucht, der schneller ist. Der andere fällt über ein parkendes Auto stürzt auf die Straße. Ich aber mit meinen „feinen“ Sandalen, die ich mir extra für den Polizeibesuch angezogen habe (zum Thema Kleidung später noch mehr), bin einfach zu langsam. Die beiden jungen Männer verschwinden in einem Hausdurchgang genau gegenüber dem Parkplatzzugang. Na, wenigstens haben wir ihnen einen Schreck eingejagt und gezeigt, dass nicht alle Touristen einfache Opfer sind. Die anderen am Rand des Viertels herumsitzenden Afroamerikaner, die dem Treiben seelenruhig zugesehen haben, stoppen uns jetzt und raten uns, nicht weiter zu laufen. Sie befürchten wohl, dass wir auf unserer Verfolgungsjagd ins Elendsviertel hineinrennen wollen. Das haben wir bestimmt nicht vor.

Was aber ist mit den Polizeibeamten, die zwecks Fahrzeuginspektionen nur wenige Meter entfernt auf dem Parkplatz stehen? Erst einige Zeit, nachdem wir wieder bei Arminius sind, kommen sie in aller Ruhe angeschlendert. Sie haben lange genug gewartet um sicherzustellen, dem Treiben nicht in die Quere zu kommen. Uninteressiert fragen sie, was los ist. Danach befehlen sie uns, jetzt sofort abzufahren, denn dies wäre kein sicherer Platz. Ach so? Ich echauffiere mich etwas. A: wollten wir eigentlich gerade abfahren und B: warum befindet sich die Polizeistation dann hier und ich werde gezwungen, mich an einen solchen Ort zu begeben? Die Antwort bleibt aus. In Anbetracht der Tatsache, dass der Überfall am helllichten Tag auf dem Parkplatz der Nationalpolizei stattfand und die Beamten es sicher verstanden, nicht in den Vorfall verwickelt zu werden, darf man sich die berechtigte Frage stellen, kollaborieren die Polizisten mit den bösen Buben? Schwer zu sagen, aber zumindest muss eine gewisse Toleranz solcher Geschehnisse auf Seiten der Polizei vorliegen, sonst hätten sie sich etwas engagierter verhalten.

Blöd ist natürlich auch, dass man für den Besuch der Polizei ggf. Reisepass und weitere Papiere braucht, und daher irgendeine Art von Tasche fast schon nötig ist. Jedenfalls ist dies eine Warnung an alle Reisenden, auf diesem Parkplatz ganz vorne stehen zu bleiben, egal was die Beamten befehlen, Türen verschlossen zu halten und Wertsachen wie auch immer gut zu sichern. Waffen jeglicher sind in dem Fall völlig zwecklos, da das Überraschungsmoment auf Seiten der Räuber liegt. Prävention und, wenn man schnell reagiert, beherztes Zutreten oder Schlagen oder schlicht Geschehenlassen, falls man das bevorzugt, sind wohl die einzigen Dinge, die man tun kann.

Wir wollen keinesfalls einen falschen Eindruck von Panama erwecken, denn das Land hat sich nach dem Noriega-Regime und der gewalttätigen Zeit der US-Intervention beruhigt und gehört zu den sichereren Ländern auf diesem Kontinent. Dennoch gibt es zwei Problemzonen. Das ist Panama City, wo die Differenzen zwischen Arm und Reich extrem sind und die verschiedenen Welten in aneinandergrenzenden Vierteln aufeinanderprallen. Die „guten“ Viertel gelten als sicher, die „schlechten“ sollte man schlicht nicht betreten. Die Hafenstadt Colón auf der Atlantikseite ist seit jeher verschrien mit extrem hoher Arbeitslosigkeit, existentieller Armut und demzufolge extrem hoher Kriminalität. Die Regierung – welche Partei auch immer am Ruder ist – zeigt kein Interesse am Abbau der dortigen Probleme.

Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums der Albrook Mall stellt Jörg plötzlich fest, dass seine Brille weg ist. Im Kampf verloren. Wir fahren zurück. Die Beamten dort schieben schon Panik, weil wir wiederkommen. Für die nächsten Stunden lassen sich sicher erst mal keine Diebe sehen, daher liegt die Brille friedlich auf dem Parkplatz, wo Jörg sie glücklich wieder einsammelt. Während der Wartezeit auf das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen versuche ich, zurück im Einkaufszentrum, ein paar Wandersandalen als Ersatz für meine im Zerfall befindlichen zu erstehen. Wandern ist in diesem Land nicht vorgesehen, schon gar nicht für Frauen. Die schieben höchstens ihre dicken Hintern auf Highheels (so ziemlich das einzig erhältliche) auf einen Autositz. Also keine Schuhe.

Für halb drei Uhr wurden wir in ein anderes Polizeibüro auf der gegenüberliegenden Seite des „Ortes des Verbrechens“ bestellt, das Secretaría General der Nationalpolizei. Zum Betreten des Gebäudes muss man lange Hosen und geschlossene Schuhe tragen, sonst wird man nicht reingelassen. Damen dürfen natürlich auch mit Rock erscheinen, und die Schuhfrage wird nicht so eng gesehen, solange sie schick sind. Bei der Anmeldung sollte man nicht seinen Reisepass, sondern einen anderen Ausweis hinterlegen, den Pass braucht man noch. Die Dame hinter dem Schalter schaut streng, bei unpassender Kleidung abschätzig. In Panama wird, wie in ganz Mittelamerika, auf angemessene Kleidung geachtet, vor allem bei offiziellen Angelegenheiten. Für allzu legere, schmutzige, schlampige oder gar löchrige Kleidung, die manch europäischer Reisender als cool empfindet, hat man hier keinerlei Verständnis. Die Dame kann den Prozess des Wartens erheblich hinauszögern, wenn sie jemanden nicht mag, aber heute ist Freitag, sie will um drei Feierabend machen und arbeitet zügig. Wichtig ist, alle notwendigen Papiere (erklärt alles Evelyn) im Original und als Kopie bei der Hand zu haben. Wir erhalten die notwendige Bestätigung, dass wir keine Bösewichter sind und innerhalb von acht Tagen das Fahrzeug aus dem Land exportieren können.

Zum Abschluss dieses aufregenden Tages begebe ich mich in die Hand eines schwulen Friseursalons. Die Jungs machen das ganz prima, wenn auch mal wieder zu kurz. Egal, der Typ nennt mich immer „Babe“, als wäre ich 20, und das Ergebnis ist schick.

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