Quito, Ecuador – Vier Jahreszeiten an einem Tag

Quito gilt schon seit rund 12.000 Jahren als besiedelt, und die Inka machten es ab dem Ende des 15. Jh. zu einem wichtigen Handels- und Machzentrum. Doch zerstörten die Inka die Stadt, bevor die Spanier sie auch nur gesehen hatten. Ende 1532 trafen die Südeuropäer auf ihrem unaufhaltsamen Eroberungszug Südamerikas in der Stadt Cajamarca im heutigen Peru ein und nahmen den regierenden Inkakönig Atahualpa gefangen. Mitte des darauffolgenden Jahres wurde der letzte Herrscher des mächtigen Volkes von den Spaniern heimtückisch hingerichtet, obwohl er die geforderten Lösegeldzahlungen – ein Raum gefüllt mit Gold, zwei mit Silber – herbeigeschafft hatte. So nahm nicht nur das Inkareich ein rasches und unerwartetes Ende. Der Inkageneral Rumiñahui – damals wie heute ein Volksheld – ließ aus Rache für den Tod des Sonnenkönigs und in Voraussicht auf den unabänderlichen Vorstoß der Spanier Quito niederbrennen, doch zuvor sämtliches Gold wegschaffen.

Ein Jahr später erreichte der erste völlig enttäuschte Spanier die zerstörte Stadt. Die Schätze wurden bis heute nicht wiedergefunden und werden in den unzugänglichen Llanganatis-Bergen vermutet. Eine erste provisorische Stadtneugründung erfolgte kurz darauf, und am 6. Dezember 1534 wurde das eigentliche San Francisco de Quito an seiner heutigen Stelle offiziell errichtet. Dieses Jubiläum wird gerade groß gefeiert. Eine Woche lang herrscht in der Altstadt von Quito und an anderen Plätzen Feststimmung. Musiker und Artisten treten auf, Ausstellungen und Feuerwerke finden statt. So ist die Atmosphäre am heutigen Sonntag im kolonialen Quito besonders heiter.

Das historische Zentrum birgt eine Unmenge von katholischen Kirchen, Kapellen, Basiliken und Kathedralen, aber auch Regierungsgebäude und Privatpaläste. Viele Gebäude wurden im Laufe der Zeit von Erdbeben zerstört, das meiste ist aber restauriert und in hervorragendem Zustand. So wie die Calle La Ronda, die älteste Gasse von Quito. Auch die Plaza Grande ist umgeben mit Gebäuden von geschichtlicher Bedeutung. Der Bischofssitz zum Beispiel beheimatet ein kleines Einkaufszentrum mit Andenkenläden und Restaurants im schönen überdachten Innenhof. Hier treffen wir zufällig auf Ray und Jo wieder, mit denen wir die ersten Tage in Kolumbien unterwegs waren. Welch ein Zufall! Von der Plaza Grande aus hat man auch einen guten Blick zum Panecillo-Hügel mit der etwas unförmigen Schutzherrin Virgen de Quito aus Aluminium, der schon immer strategische Bedeutung hatte und der heute beliebter Aussichtspunkt ist.

Quito ist berüchtigt für seine teils mit Rasiermessern bestückten Taschendiebe. Das geht so weit, dass empfohlen wird, Kameras nicht sichtbar mit sich zu führen und Rucksäcke am Bauch statt Rücken zu tragen. Wir bleiben aufmerksam und die einzige zweifelhafte Begegnung beschert uns ein junger Schwarzer, der auf Jörg zustürmt und ihm die Hand reichen möchte. Jörg hält stattdessen lieber seine Kamera fest, da verschwindet der junge Mann auch schon wieder. Nachdem die Spanier die indigene Bevölkerung mit harter Zwangsarbeit und eingeschleppten Seuchen fast ausgerottet hatten, holten sie sich widerstandsfähige Sklaven aus Afrika. Die schwarze Bevölkerung lebt heute in Mittel- und Südamerika bevorzugt an den Küsten, doch in Ecuador haben sich die Ethnien gut durchmischt.

Wir teilen die oft knapp bekleideten dunkelhäutigen Frauen in Gefahrgutklassen ein. Auf einer Skala von eins bis fünf treffen wir heute zwei Fünfen. Eine der jungen Frauen mit geschätzter Kleidergröße 50 trägt eine weiße Hotpants, in die sie ausschließlich mit einem Sprung aus dem dritten Stockwerk hineingeraten sein konnte. Dabei wirken ihr riesiges Hinterteil und die taillendicken Schenkel keineswegs fett und schwabbelig wie das bei uns Weißen der Fall wäre. Sie wirkt einfach nur massig, bullig und schrecklich furchteinflößend. Viel freundlicher dagegen erscheinen die Indígenas, die in Ecuador einen beachtlichen Bevölkerungsanteil bilden und die hier oft noch ihre traditionellen Trachten tragen.

Je nachdem aus welcher Region tragen die Frauen lange dunkle Röcke, eine Art Wickelrock, weiße bestickte Blusen und einen Überwurf, der aus zwei rechteckigen Stück Stoff besteht, einmal über der einen und einmal unter der anderen Schulter geknotet. Noch eigenwilliger wirkt eine Kombination, die schon an Peru erinnert. Ein damenhaft knielanger, schmaler glänzender Taft- oder Samtrock wird stets von Seidenstrümpfen und eleganten Halbschuhen mit Blockabsatz ergänzt. Als Reminiszenz an die Moderne dürfen es auch schon mal Netzstrümpfe und Highheels sein – was haben die nur vor Erfindung der Strumpfhose getragen? Dazu gibt es die unvermeidliche Strickjacke und ein Schultertuch mit oder ohne Fransen. Natürlich geht Frau nie ohne Hut aus dem Haus. Hier handelt es sich um einen astreinen Tirolerhut aus meist dunkelgrünem Filz, selbst die Feder darf nicht fehlen.

Quito steht in dem Ruf, alle vier Jahreszeiten an einem Tag zu bieten. Und tatsächlich, am Morgen ist es meist sonnig und mild, mittags dagegen sommerlich warm mit intensiver Sonneneinstrahlung. Am Nachmittag bricht oft ein Regenschauer oder ein bösartiges herbstliches Gewitter herein. Zum Glück sitzen wir schon im Bus zurück nach Conocoto, als es losbricht. Busfahren ist in Ecuador äußerst günstig, für die gut halbstündige Fahrt zahlen wir 30 US-Cent. Danach wird es so kalt, dass man sich nur noch einkuscheln möchte. Nachts sinkt die Temperatur auf unter 10° C.

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