Parque Nacional Chimborazo, Ecuador – Die 5000er-Marke geknackt

Schwer schnaufe ich bei jedem Schritt. Lächerliche 900 m sind zu gehen und dabei 200 Höhenmeter zu überwinden. Ein Klacks – wenn wir uns nicht in 5.000 m Höhe befinden würden. Der Vulkan Chimborazo, der vor etwa 5 Mio. Jahren zum letzten Mal ausgebrochen ist, bietet eine der selten Gelegenheiten für Nicht-Bergsteiger, in diese Höhen zu gelangen. Vom Refugio Hermanos Carrel, der unteres Schutzhütte, steigt man durch tiefen Schnee zum Refugio Edward Whymper auf ziemlich genau 5.000 m auf (S 01°28’21.9’’ W 78°50’18.9’’). Hier bekommt man kleine „Beweis-Aufkleber“ für einen Dollar das Stück. Der einsame Hüttenwart bedankt sich überschwänglich, wenn man ihm etwas von seiner original ecuadorianischen Schokolade oder seinen Keksen zu – in Anbetracht der Lokalität – wohl kaum überhöhten Preisen abkauft.

Die Atmosphäre hier ist ruhiger als am Cotopaxi, noch viel winterlicher und Ehrfurcht gebietend. Nachts sinkt die Temperatur auf unter 0° C. Oberhalb der Hütte kann man noch ein wenig herumlaufen, wir erreichen über 5.100 m Höhe für unser Logbuch. In den Gletscher sollte man als Hobbyandinist nicht einsteigen, zu viele Gedenktafeln an der unteren Hütte erinnern an die zahlreichen tödlich ausgegangenen Versuche, den Gipfel zu bezwingen oder sich ohne ausreichende Erfahrung oder einen Bergführer auch nur zu weit vorzuwagen.

Alexander von Humboldt war übrigens auch auf dem Chimborazo ein Pionier. 1802 war er der erste Mensch, der eine Gipfelbesteigung versuchte. Auch wenn er sein Ziel nicht erreichte und auf – heute geschätzten – 5.900 m umkehren musste, konnte er sich bis zu seinem Tod 1859 rühmen, der einzige Mensch zu sein, der diese Höhe erreicht hatte. 1886 gelang dem Engländer Edward Whymper zusammen mit den italienischen Brüdern Carrel die Erstbesteigung. Erst 1939 konnte die deutsch-italienische Expedition Kühn-Ghilione mithilfe genauer Messgeräte die wahre Höhe des Vulkanriesen bestimmen.

Trotz allen Keuchens ist Laufen noch besser als alles andere. Essen, Trinken und Schlafen gehören neben Schuhe binden zu den dümmsten Tätigkeiten, die man in dieser Höhe durchführen kann. Da man beim Essen und Trinken nicht ungehindert weiteratmen kann, ohne sich zu verschlucken, entsteht unweigerlich Atemnot, die man durch heftiges Luftschnappen wett machen muss. Noch schlechter sind die Nächte. An Schlaf ist kaum zu denken. Konzentriert man sich im Halbwachzustand noch auf eine tiefe und schnelle Atmung, verfällt man beim Einschlafen sofort in die angelernte Flachatmung und man wacht nach Luft ringend sofort wieder auf. Die ganze Nacht fühlt sich an wie ein Stunden anhaltender, leichter Asthmaanfall. Nur Bücken ist schlimmer. Da man dann nicht mehr das Gesamtvolumen der Lunge zur Verfügung hat, ist es unmöglich, seine Schuhe ohne Erstickungsanfall zuzubinden.

Beim Wandern wird die Atmung automatisch schneller und tiefer und an der frischen Luft fühlen wir uns wie befreit. Den Aufstieg im Tiefschnee schaffen wir in einer knappen halben Stunde, abwärts sausen wir in zehn Minuten. Eine entgegenkommende Wanderergruppe, die sich gerade nach oben kämpft, sieht uns verständnislos an, wie wir durch den Schnee sprinten. Als ob wir von einem anderen Planten kämen.

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