San Pablo, Peru – Das ist mal ein Wasserfall!

Wie konnte das der Weltöffentlichkeit, der peruanischen Regierung, dem interessierten Auge des Touristen so lange entgehen? Trotz flächendeckender Satellitenüberwachung, trotz Google Earth und trotz Kommunikationszeitalter? Wir schreiben das Jahr 2004. Der Deutsche Stefan Ziemendorff stattet eine Expedition aus mit ein paar Einheimischen und einigen Landvermessungsingenieuren. Das Ergebnis ihrer Messungen ist erstaunlich: Der Gocta-Wasserfall nördlich von Chachapoyas ist einer der höchsten der Erde. Die momentane für korrekt gehaltene Messung stellt ihn mit 771 m auf Rang drei hinter den Angel-Fall in Venezuela und den Tugela-Fall in Südafrika.
Man muss schon ein Stück laufen (oder reiten), will man die Fälle in Augenschein nehmen. Im Tourismusbüro zahlen wir 5 Nuevo Soles (1,35 €) Eintritt pro Person und 20 für Alvaredo, der uns als Führer zugeteilt wird. Man findet den Weg auch ohne Guide, obwohl dieser natürlich kundig ist in Botanik, Zoologie und Geschichte. Die Fälle sind ehrlich beeindruckend. Die obere Fallstufe ist 231 m hoch, die untere 540 m. Selbst die Wassermassen machen Staunen, auch wenn es sonst nur in der Regenzeit (März – Mai) so viel Wasser gibt. Die letzte „Sommer“ genannte Trockenzeit (August – Dezember) fiel aus, seit Monaten regnet es kontinuierlich, was man am Wasserstand der braunen gurgelnden Flüsse ablesen kann. Einige Brücken wurden schon weggespült.
Alvaredo ist sehr lieb, passt seine Geschwindigkeit an, auch wenn er natürlich so schnell läuft, wie man es zulässt. Der Tourismus, erzählt er auf Nachfrage, habe Leuten wie ihm, den Guides, den Hotels und Restaurants neue Verdienstmöglichkeiten eröffnet. Unausgesprochen bleibt, dass viele nicht daran partizipieren können. Selbst sein Einkommen, mit dem er lediglich sich, seine Frau und seinen studierenden Sohn unterstützen muss (der ältere ist bereits verheiratet), reicht gerade fürs Leben. Die berühmten Inkastätten Perus oder die anderen Naturschönheiten wird er nie im Leben zu Gesicht bekommen. Wir müssten wohl sehr reich sein, meint er. Die Wahrheit ist schwer zu erklären und noch schwerer zu begreifen. Für ihn werden wir immer die unvorstellbar reichen Gringos bleiben. Die Fälle in ihrer gesamten Pracht kann man nur von einem einzigen Aussichtspunkt auf dieser Wanderung sehen, alle Fotos von Gocta entstehen hier. Anschließend laufen wir noch zum ersten Fallbecken, in das die obere Stufe hineinrauscht und lassen uns nass spritzen.
Für die, die doch lieber alleine laufen wollen, hier die Anleitung: Wo die Straße in San Pablo an der Plaza (S 06°02’33.2’’ W 77°55’10.3’’) endet, wendet man sich dem Hauptweg entlang nach rechts. Diesem folgt man, bis sich am Ende des Dorfes der Pfad Y-förmig gabelt, in der Mitte steht ein Haus. Hier den linken Zweig nehmen und dann immer der Nase nach. Man kommt an drei überdachten Aussichtspunkten vorbei, von denen man in die grüne Bergwelt und vom letzten auf den oberen Teil des Wasserfalls schauen kann. Nach eineinhalb Stunden bei zügiger Gehweise erreicht man eine weitere Gabelung. Geht man zunächst für wenige Minuten nach rechts unten, kommt man an einer natürlichen Plattform heraus, wo die gesamten Fälle überblickt werden können. (Ein Pfad nach weiter unten führt in acht bis neun Stunden zum Fuß der unteren Stufe und zurück bis zur Hauptstraße.)
Man benötigt weitere 35 Minuten zurück bis zum Abzweig, dann nach rechts und bis zum Ende des Weges. Nach 5 km kommt man an einem Betonfundament vorbei, das einmal ein Hotel werden soll und hoffentlich nie fertig gestellt wird. Ab hier hält man sich im Zweifelsfall links, die rechten Zweige führen zu Badebecken am Fuß der oberen Fallstufe. Am Ende des Weges, nach 5,8 km, ist man dem unteren Ende des Falls ganz nahe. Mutige klettern noch über zwei leiterartige Treppen und einen schmalen Grat, um sich die ultimative Dusche abzuholen. Den Rückweg kann man in flotten 1,5 Stunden schaffen. Die Gocta-Fälle können auch von der anderen Flussseite vom Dörfchen Cocachimba (hinter der Brücke links abbiegen) besucht werden. Der Hinweg dauert hier 3,5 Stunden und ist wesentlich steiler. Zwar kann man den Wasserfall über weite Strecken sehen, aber stets nur den unteren Teil, nie im Ganzen.
Zurück im Dorf sehe ich, dass es eine gute Idee war, mein Handy der Obhut der Tourismusbeauftragten zu überlassen. Sie hat meine Anrufe entgegengenommen und inzwischen organisiert, dass der Collectivo-Fahrer den Umschlag mit unserer Versicherungspolice in dem kleinen Laden an der Brücke abgibt. Ich bitte sie, dort anzurufen und anzukündigen, dass wir den Brief erst morgen abholen werden, denn wir wollen noch eine Nacht im friedlichen San Pablo bleiben. Unsere Versicherungslegalität in Peru rückt näher.

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