Baños del Inca (Cajamarca), Peru – Die „gelbe Zitrone” des Autofahrens und: Der letzte Inka

Berge über Berge. Die Anden scheinen nicht aufhören zu wollen, obwohl wir sie nur überqueren. Heute Morgen liegt die Wolkendecke wie ein weißer Wollteppich unter uns. Mit steigender Temperatur beginnen auch die Wolken nach oben zu krabbeln, und wir machen uns auf den Weg. Es hat weitere Erdrutsche gegeben, die schon beseitigt wurden. Nur an einer Stelle ist das Einsatzteam noch bei der Arbeit: zwei Männer mit orangefarbenen Warnwesten, eine Schaufel. Dann wird das Gelände fester, die Berge bestehen aus gewachsenem Stein, die Erdrutsche hören auf. Leider ist auf solchen dem Fels abgetrotzten Straßen nicht allzu viel Platz. Arminius passt noch gut auf diesen einspurigen Weg, aber pausenlos in einen Übelkeit erregenden, anderthalb Kilometer tiefen Abgrund schauen zu müssen – es geht doch hoffentlich niemand davon aus, dass es hier Leitplanken gibt? – und zu hoffen, dass niemand entgegen kommt, ist doch anstrengend.

Es wird talwärts immer trockener, was ich sehr begrüße. Kakteen tauchen auf, Büsche und Bäume, die mich sehr an Mexiko erinnern. Schließlich landen wir im heißen Tal des Rio Marañón auf unter 900 m, die Sonne sticht erbarmungslos. Rundherum herrscht wüstenhafte Trockenheit, aber der Fluss erlaubt äußerst fruchtbare Landwirtschaft. Millionen von Mangos hängen von den Bäumen, einige davon auf idealer Fensterhöhe – es ist ja nur Mundraub.

Im Dorf Balzas, wo es früher auch eine Fähre gegeben hat, öffnet ein Polizist die Schranke für die Hängebrücke. Auf der anderen Seite muss man etwas unglücklich unter den Seilen hindurch fahren; mit größeren Fahrzeugen könnte das spannend werden. Dann klettern wir wieder die Berge hoch, Kakteen kommen und schwinden, Nadelbäume kommen und schwinden. Was bleibt ist Grasland und Landwirtschaft. Alleine auf dieser Fahrt durchqueren wir dutzende von Klimazonen. In der Stadt Celendín ist das Abenteuer vorbei. Zwar bleibt die Straße unasphaltiert, aber sie wird breit genug für zwei Fahrzeuge. Dafür ist sie mit Schlaglöchern durchsetzt.

Auch die Berge zeigen ein völlig anderes Gesicht. Wir müssen einen Pass, den Abra Gran Chimú, in rund 3800 m überqueren, aber davon merkt man eigentlich nichts mehr. Wir fahren durch sanftes Bergland, eine riesige Hochebene, die für Ackerbau und Viehwirtschaft genutzt wird. Hinter Kuélap trafen wir so gut wie keine anderen Fahrzeuge. Hat der Verkehr ab Balzas erheblich zugenommen, wir er ab Celendín rege. Es beginnt wieder zu regnen. Zeigten in Mexiko die Autofahrer bei flotter Fahrweise noch recht viel Geschick, nimmt dieses bei gleicher Fahrgeschwindigkeit in Südamerika rasant ab. Würde es eine „gelbe Zitrone“ nicht nur für das schlechteste Fahrzeug des Jahres geben, sondern auch für Autofahrer eines Landes, ich müsste für Peru stimmen.

Ein Tuktuk rast auf einspuriger Bergpiste ohne Licht durch dichte Wolken, das Kofferradio auf volle Lautstärke gedreht. Wir müssen eine Vollbremsung machen und, obwohl Lkw und obwohl in Bergauffahrt begriffen, rückwärts setzen. Das Tuktuk hat keinen Rückwärtsgang. Später auf der breiten Straße sind wir sogar mehrfach zu Vollbremsungen gezwungen. Entgegenkommende Fahrzeugführer rasen in der Mitte der Straße. Entdecken sie uns, lenken sie nach rechts mit einer Reaktionsgeschwindigkeit, die jahrtausendelangem zu Fuß gehen angepasst ist. Pferde kennen sie ja auch erst von den Spaniern. Und Autos…Wir müssen völlig unnötig stehen bleiben, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Ein Pkw-Führer aus Celendín sieht es nicht ein, hinter einem Lkw (uns) hinterher zu fahren, kommt aber auf der rauen Straße kaum nach. Vor Frust hupt er dauernd, wir sollten doch gefälligst langsamer fahren und ihn vorbeilassen, damit er vorweg fahren kann.

Die Krönung intelligenten Fahrverhaltens zeigt das nächste Dorf. Hier war Markttag, und als die Riesenparty vorbei ist, wollen alle gleichzeitig los, in unterschiedliche Richtungen natürlich. Die Straße ist rechts und links zugeparkt, in der Mitte gerade Platz für ein Fahrzeug und nun stehen sich die Lenker wie Stiere entgegen. Man muss dazusagen, dass bei solchen Feiern immer jede Menge Alkohol im Spiel ist. Irgendwie quetschen sich die meisten Entgegenkommenden und die vor uns in irgendwelche Lücken, bis ein Taxifahrer vor uns steht, der eindeutig zu tief ins Glas geschaut hat. Oder einfach einen Schatten hat. Er fährt vor unsere Vorderräder und hupt und hupt und hupt. Wir sollten gefälligst rückwärts fahren oder uns noch besser in Luft auflösen. Selbst ersteres geht schon nicht, da sich hinter uns eine Fahrzeugschlange befindet. Schließlich legt Jörg den Rückwärtsgang ein, um einen halben Kilometer Autos hinter uns zum Rückwärtssetzen zu bewegen und rangiert zur Seite, um den Taxifahrer vorbei zu lassen. Doch der Wicht weigert sich schlicht. Er kennt seine Fahrzeugmaße nicht, er hat Angst, keine Ahnung, oder alles auf einmal. Er hupt aggressiv weiter und gestikuliert wild mit den Händen. Er findet das jetzt lustig, den dummen ausländischen Lkw-Fahrer mitsamt der Schlange dahinter vor sich herzuscheuchen.

Jörg gibt nochmals nach, setzt weiter zurück, bis rechts eine Lücke erscheint, in die wir vorwärts hineinziehen könnten. Das geht nur nicht, da der Depp vor uns bis an unsere Stoßstange aufgefahren ist. Erneut weigert er sich, auch nur einen Zentimeter rückwärts zu fahren. Vielleicht kann er es nicht? Er geht in Dauerhupen über. Nun, unsere Hupe ist lauter. Ich überlege schon, ob ich den Zwerg vor uns mit körperlicher oder auch mit Waffengewalt zum Bewegen des Taxis zwingen muss, da verliert auch mein besonnener Fahrer die Geduld. Er lässt Arminus ein paar Mal einige Zentimeter vorspringen und droht so, den Pkw von der Straße zu schubsen. Irgendwann merkt selbst der bedudelte oder anderweitig beschränkte Taxifahrer, dass der Spaß vorbei ist und fährt zur Seite. Jungs, ihr beginnt zu nerven.

Apropos Zwerge: Die Andenbewohner hier tragen fast schon albern riesige Strohhüte mit einer wagendradgroßen Krempe, gekrönt von einem zylinderartig hohen Topf. Regenschirme brauchen die hier jedenfalls keine. Ich beobachte eine Gruppe Männer, die stehenden Fußes mitsamt Hut in einen Minibus einsteigt. Wenn nochmals einer frech wird, nehme ich ihm einfach den Hut weg.
35 km vor Cajamarca beginnt Asphalt. Ein paar Kilometer vor der Stadt liegt das Nationaldenkmal Baños del Inca. In diesen Thermalquellen soll der letzte Inkakönig Atahualpa gebadet haben, bevor die Spanier sich ihn schnappten. Heute laben sich täglich Hunderte in den dampfenden Becken. Selbst zu dieser Abendstunde sind es noch so viele, dass Jörg den Besuch verweigert mit dem Hinweis auf die fragwürdigen hygienischen Zustände. Auf dem Schotterplatz hinter dem Hauptparkplatz kann man ruhig nächtigen, die Restaurants schließen gegen 18 Uhr (S 07°09’43.3’’ W 78°27’51.6’’).

Dem Inka wird’s egal sein, der ist schon lange tot, gemeuchelt von den Spaniern. Den entscheidenden strategischen Fehler hatte wohl Atahualpas Vater begangen, der das mächtige Inkareich in zwei Hälften teilte, die er den jeweils ältesten Söhnen seiner zwei Frauen vermachte. Huáscar, der reinblütige „legitime“ Erbe aus dem Süden, begann daraufhin 1527 einen Krieg. Zwar ging Atahualpa 1532 als Sieger hervor, doch war das Reich so geschwächt, das es den gleichzeitig eindringenden Spaniern wenig entgegenzusetzen hatte. In Baños del Inca kampierte der König, so sagt man, um seine Kriegsverletzungen auszukurieren. Auf der Plaza von Cajamarca traf er ahnungslos – wenn auch mit seiner Leibgarde und 40.000 Soldaten im Hintergrund – auf den in lächerlicher Unterzahl befindlichen spanischen Eroberer Francisco Pizarro.

Doch die nicht einmal 200 Spanier hatten Feuerwaffen und Kanonen, die den Inkas noch unbekannt waren. Erstere ballerten ein wenig herum, woraufhin letztere kopflos flohen. Pizarro nahm Atahualpa gefangen, der die Kolonialisten für reine Schatzjäger hielt – ein fataler Fehler. Er bot ihnen als Lösegeldzahlung an, einen Raum mit Gold und zwei weitere mit Silber zu füllen. Nachdem die Schätze herbeigeschafft waren, ließ Pizarro den Sohn des Sonnenkönigs kein Jahr nach seiner Gefangennahme in einem Schnellverfahren aburteilen und – trotz Proteste aus eigenen Reihen – hinrichten. Damit nahm eine Jahrhunderte alte, äußerst erfolgreiche Hochkultur ein jähes, unerwartetes Ende.

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