Chavín de Huántar + Cátac, Peru – Labyrinth unter der Erde

Noch einmal klettern wir auf ein sanftes Hochplateau mit unangenehm feuchtkaltem Klima auf 4.360 m, wo kaum noch Menschen wohnen. Kein Wunder: Hier wächst nichts mehr, und da die meisten Landbewohner auf Eigenanbau von Lebensmitteln angewiesen sind, ist das Leben hier oben besonders hart und arm. Alle, die es trotzdem wagen, betteln die Vorbeifahrenden an. Das kleine Mädchen, das seinen Hut ab- und die Mitleidsmine aufsetzt und hofft, Passanten werfen in den hingehaltenen Hut etwas hinein, genau wie die jungen Männer, die die Löcher in der Straße voll schütten und dafür auf ein Trinkgeld hoffen.

Die Trachten in Peru ähneln sich etwas, auch wenn wie überall vor allem Frauen die Traditionsbewahrer sind. Der große Hut darf nirgends fehlen, in manchen Gegenden schlicht und aus Stroh, in anderen aus Filz und verziert. Strickjacken oder Ponchos helfen gegen die Kälte. Diverse Lagen knielanger Röcke und Unterröcke übereinander getragen (der oberste kann wertvoll bestickt sein) betonen die ohnehin ausladenden Hüften der Indígenas fast wie ein Petticoat. Statt Knie- oder Seidenstrümpfe wie in Ecuador trägt man hier eine dicke fußlose Wollstrumpfhose drunter, wohl der Vorläufer der jetzt so beliebten Leggings.

Kurz vor Huari gibt es plötzlich Autos, Taxen und Privatfahrzeuge, untrügliches Zeichen für eine nahe Asphaltstraße. Richtig, ab Stadteinfahrt Huari verlässt uns der Asphalt nicht mehr so ganz, auch wenn sich die Straßendecke langsam auflöst und die nächsten 120 km von unendlich vielen Schlaglöchern zerbombt sind, die das Fahren unangenehmer und langsamer machen als auf einer ordentlichen Schotterpiste. Sensible Naturen sollten Huari nicht im Oktober besuchen. Dann wird Fiesta de los Gatos gefeiert, eine Fiesta, bei dem die ganze Stadt in Aufregung gerät wegen des Festbratens, der dann serviert wird: Katzen. Niemand weiß, woher die Tradition kommt, aber sicher hat einst eine Notlage oder Missernte die Bewohner gezwungen, ihren Proteinbedarf auf diese ungewöhnliche Weise zu stillen. Schnell wurde aus der Not eine Tugend gemacht, und in einem Jahr musste der Braten sogar ausfallen: Exzessiver Katzengenuss des Vorjahres hatte das Überleben der städtischen Stubentigerpopulation nicht gestattet.

Nach 40 km folgt Chavín de Huántar, ein Dorf mit einer archäologischen Ausgrabung, die zu den ältesten Kulturen Perus zählt. Aus Norden kommend erreicht man zuerst das Museum, das gemeinsam von der peruanischen und japanischen Regierung erbaut wurde. Genau so wirkt es auch: schlicht, elegant, unterkühlt und irgendwie perfekt. Die sparsame Beleuchtung dient dem Schutz der Exponate: fein gemeißelte Stelen und Steinreliefs, äußerst kunstvoll gearbeitete Keramik und mit geometrischen Formen verzierte Muschelschalen, die als Blasinstrumente dienten. Auch einige der skurrilen behauenen Steinköpfe, die einst die Außenmauern des Heiligtums zierten, sind hier ausgestellt. Immer wiederkehrendes Motiv sind kombinierte Mensch-Tiergestalten, oft Menschengesichter mit Schlangenhaaren und Jaguarzähnen. Der Eintritt zum Museum ist frei (S 09°34’35.0’’ W 77°10’38.1’’).

Die Ausgrabung selbst liegt am südlichen Ortsende (S 09°35’33.8’’ W 77°10’43.2’’) und kostet 10 PEN Eintritt. Die Anlage besteht aus mehreren Tempeln, erbaut zwischen 1200 und 800 v.Ch. mit einem ausgeklügelten Drainagesystem, das Regenwasser in den Fluss ableitete und groß genug war, als Geheimgang zu dienen. Zwar hat der überirdische Teil des Heiligtums durch Baumaßnahmen, Entwenden der Steine und einen Erdrutsch infolge eines Erdbebens stark gelitten, doch bekommt man noch einen Eindruck von den Ausmaßen des Geländes. Der interessanteste Teil jedoch sind die unterirdischen Gänge und Labyrinthe mit ihren unzähligen Sackgassen, Fensterchen, Schall- und Belüftungsöffnungen.

Forschungen ergaben, dass möglicherweise Ungläubige mit dem halluzinogenen San Pedro Kaktus betäubt und dann ins Kellerlabyrinth geschickt wurden. Mit den Muscheln erzeugten Priester unheimliche Laute, die sich auf geheimnisvolle Weise durch Gänge und Öffnungen fortpflanzten und von überallher zu kommen schienen. Als Höhepunkt landete der zu Bekehrende vor einer größeren Fensteröffnung und vor ihm stand plötzlich die unheimliche, grausame Mensch-Tier-Gottheit, von flackernden Fackeln zum Leben erweckt. Selbst heute noch ist es ein Moment des Erstaunens, wenn man die große, sorgfältig behauene Steinstele erblickt. Um in die unterirdischen Gänge zu gelangen, muss man über riesige Stufen bei gleichzeitig niedriger Decke krabbeln. Die Anlage ist gut ausgeschildert und kann auch ohne Führer besucht werden, Zeitbedarf ein bis zwei Stunden.

Die restlichen knapp 70 km zurück bis zur Hauptstraße sind ebenso zerfressener Asphalt, von wo aus man schließlich in schnellen 25 km Huaráz im Norden erreichen könnte. 47 km vor Erreichen der Hauptstraße führt die Straße durch einen schnurgeraden Tunnel in über 4.500 m Höhe. Kommt man von Westen, fährt man genau auf eine Christusstatue zu, die auf einem Hügel gegenüber dem Tunnel aufgestellt wurde. Das Heiligtum Chavín de Huántar kann schneller von Huaráz angefahren werden, am günstigsten und Camper schonendsten sogar mit einer organisierten Tour.

Der von den wenigsten Reisenden besuchte Rundweg Carhuaz-Chacas-San Luis-Huari-Chavín de Huántar-Recuay/Cátac ist eine wunderbare Andenrundfahrt durch spektakuläre Landschaften für Allradfahrzeuge. Die Asphaltierung schreitet voran, sodass die Route bald allen Fahrzeugen zugänglich sein dürfte. Die beschriebene Strecke ist 280 km lang und in zwei Tagen zu bewältigen. Die ersten 100 km bis San Luis sind teilweise asphaltiert, teils raue Piste mit einem Pass auf 4.900 m. Die folgenden 60 km sind gut zu befahrender Schotter / Erde, ab Huari bis zum Ende zieht sich die unangenehm aufgelöste Asphaltstraße.

Campen kann man in Chavín de Huántar weder am Museum (nicht erlaubt), noch an den Ruinen (kein Platz). Es bietet sich die Plaza gegenüber der Polizeistation an (S 09°35’02.0’’ W 77°10’39.4’’), oder ruhiger, weil nördlich außerhalb auf einer großen Schotterfläche, dafür unbewacht (S 09°33’48.4’’ W 77°10’29.9’’). Wir fahren durch bis Cátac und schlafen an der Grasplaza gegenüber der Polizei vor der (also solcher kaum erkennbaren) Kirche, was wegen der Straße nicht unbedingt eine ruhige Nacht verspricht (S 09°47’53.3’’ W 77°25’54.6’’).

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