Munaychay, Peru – Steine schleppen und Kartoffelnudeln

Jörg pickt, hackt, stemmt. Ich schaufle, schleppe kleine Steine und rolle die großen, soweit es meine Kräfte zulassen. Aus ausgegrabenen Steinen und Grasteppichen bauen wir eine Rampe für Arminius. Das ist unsere erste Aufgabe im Kinderdorf Munaychay. Als wir gestern Nachmittag ankamen, erhielten wir einen Stellplatz unter einem Dach bei den Bussen. Gut gemeint, aber hier ist es schlammig, dunkel, und das Solarpaneel funktioniert natürlich nicht. Auf einem ungenutzten Wiesenstück haben wir die perfekte Aussicht: auf die schneebedeckten Gipfel der Cordillera Urubamba auf der einen und die grüne Cordillera Vilcabamba auf der anderen Seite.

Leider versperrt uns eine Mauer nach dörflicher Inkabauart mit teils zentnerschweren Blöcken den Weg. Niemand hat etwas dagegen, dass wir ein Stück des Walls entfernen, um eine Zufahrt zu schaffen. Nur haben wir während der Arbeiten verdächtig wenige Zuschauer. Zum Glück stört es in Peru niemanden, wenn Frauen Steine schleppen. Erst als wir nach wenigen Stunden fertig sind, kommen sie nickend hinter den Ecken hervor: „Gute Arbeit!“ Als wir dann in gemeinschaftlicher Arbeit den Unimog rückwärts durch das enge Zaunloch und über die Rampe bugsieren – in unserem bewährten System, ich am Steuer, Jörg weist ein – hat sich das gesamte Dorf zum Zuschauen versammelt. Als ich hinterher aussteige, wissen die Jungs überhaupt nicht, wo sie hinsehen sollen. Das ist irgendwie zuviel Neues auf einmal.

Wir haben uns verpflichtet, im Kinderdorf Munaychay für ein paar Wochen ehrenamtlich mitzuarbeiten. Das Dorf befindet sich in der Nähe von Cusco, in einem Seitental bei Urubamba und gehört zum privaten Hilfsprojekt www.herzenhelfen.de. Es widmet sich in erster Linie der Bildung und Ausbildung von Kindern, der Schaffung von Arbeitsplätzen zur Eindämmung der Landflucht und der Selbstversorgung. Im Freien und in Gewächshäusern werden Kartoffeln und Gemüse gezüchtet, Hühner und Eier werden sogar auf dem Markt verkauft.

Im Laufe der Reise stellten wir fest, dass wir extrem privilegiert sind. Damit meine ich nicht ausschließlich uns Weltreisende, sondern alle Menschen in Deutschland, in Mitteleuropa. Was uns betrifft wollen wir einen Teil unserer Reisezeit und unsere Arbeitskraft guten Zwecken widmen und wählten dieses kleine, unbürokratische Projekt. Wie stets werden wir auch hier mit einem amüsierten und einem kritischen Auge hinter die Kulissen blicken. Natürlich sind wir nicht böse, die Regenzeit in den Bergen auf diese Weise überstehen zu können und die Wartezeit für unsere neuen Reifen zu überbrücken, die noch nicht einmal unterwegs sind, da wir die bürokratischen Importhürden Perus noch nicht überwunden haben.

Als es endlich ein Uhr ist und uns von der schweren körperlichen Arbeit auf 3.400 m Höhe der Magen knurrt, suche ich mit meinem Topf die Küche auf. Das scheinen hier viele so zu machen, obwohl wir auch in den Kinderhäusern essen könnten. Ich halte der Köchin den Pott hin und sage: „Für zwei Personen bitte.“ Wieder dieser Blick. Mondkalb. „Essen???“ fragt sie schließlich. Nein, Klopapier, Haarshampoo, Flohpuder. „Ja, essen für zwei Personen bitte.“ Sie zweifelt immer noch, hebt den Deckel. „Wir haben aber nur das.“ Sie deutet auf Bandnudeln, gemischt mit im Ganzen gekochten Salzkartoffeln. Sehe ich mit meinen wirren, hochgesteckten Haaren, den schlammigen Schuhen und den von der Arbeit dreckigen Jeans aus, als ob ich etwas Besseres wäre? „Das ist prima“, versichere ich, woraufhin ich eine Portion für eine vierköpfige Familie erhalte. Recht so, wir sind hungrig. Die Nudel-Kartoffel-Mischung ist geschmacklich nicht einmal schlecht, sie enthält sogar Spurenelemente von Zwiebeln, Möhren, Erbsen und Fleisch, und reichlich Öl, damit es rutscht und sättigt.

Später schneide ich Jörg die Haare mit dem Haarschneidegerät. Schon ist das minderjährige Publikum wieder da. „Whow, die haben einfach alles.“ Ein paar von den Jungs nutzen die Gelegenheit, um Fragen zu stellen, vor allem zum Auto. Aber da sind auch die anderen. 150 cm Abstand und penetrantes, stummes Starren. Zum Glück wird auch Haare schneiden irgendwann uninteressant.

Am Abend halten es die Kinder nicht mehr aus, vor allem die Mädchen. Allzu viele Kinder sind momentan nicht da, in Peru herrschen im Januar und Februar Schulferien. Die Horde vor dem Fenster hat eine Sprecherin auserkoren, die höflich fragt, ob sie bei uns rein dürfen. Wird wohl auf Dauer nicht zu verhindern sein, also ja. Die Kinder brechen in Entzückensschreie aus. Es gibt ganz klare Prioritäten: Wo ist das Bett? Küche? Herd, klar, Backofen, super, und schau, ein Kühlschrank! Der muss auf und untersucht werden. Ein Waschbecken – kuck da kommt sogar Wasser raus. Toilette? Hier. Dusche auch? Whow. Und wo sind die Klamotten? Schon befindet sich der Kleiderschrank unter Investigation. Wo sind die Schuhe? An der Tür. Alles ist zufriedenstellend, die Kinder hüpfen dreimal raus und wieder rein, alles muss erneut untersucht werden.

Die Kinder sind invasiv, aber ich würde sagen, es ist ungebremste kindliche Neugier. So wie alle Kinder wären, wenn sie nicht wie bei uns umerzogen würden: Schau da nicht so hin! Nicht anfassen! Das tut man nicht! Frag nicht so viel! Die Fragen dieser Kinder sind erstaunlich intelligent, sie machen sich Gedanken über Dinge, über die die meisten Erwachsenen nicht einmal nachdenken. „Habt ihr auch Strom? Wo kommt das Wasser her? Ist es nur kalt oder auch warm? Und wo geht das Wasser aus der Dusche hin? Respekt, Mädels. Ein Junge will wissen: „Habt ihr auch einen Fernseher?“ „Nein, wir haben Bücher. Zum Lesen.“ „Oh…“

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