Munaychay, Peru – Sonntagsbraten aus dem Kinderzimmer

Das Thema verfolgt mich schon lange, bereits seit Monaten, doch wollte ich es Euch, meiner zartbesaiteten Leserschaft nicht zumuten, solange es sich vermeiden lässt. Jetzt ist es nicht länger zu verhindern. Denn wir essen Meerschweinchen: die kleinen putzigen Säugetiere, einsame Gesellschafter noch einsamerer Menschen, Spielgefährten von Einzelkindern, fiepende Wollschweinchen. Fast jeder hat wohl schon von der exotischen peruanischen Gepflogenheit gehört, unsere lebendigen Spielzeuge zu verspeisen. Wie weit verbreitet diese Sitte wirklich ist, dringt kaum nach Europa vor. Und wie barbarisch das ist, wie hinterwäldlerisch, wie rückständig, wie grausam!

Ich muss Euch enttäuschen: Wir alle aßen Meerschweinchen. Vielleicht nicht wir persönlich, aber möglicherweise unsere Großeltern. Meerschweinchen wurden im 16. Jh. von Südamerika nach Europa gebracht und bis zum Zweiten Weltkrieg durchaus zu kulinarischen Zwecken gehalten und gezüchtet. Es konnte sich jedoch nie gegenüber traditionellen Schlachttieren durchsetzen und verlor daher an Bedeutung. In einigen Ländern ist der Konsum von Meerschweinchen mittlerweile gänzlich verpönt. In Südamerika dagegen (in Afrika übrigens auch) werden sie in Peru und den angrenzenden Ländern, darunter vor allem in Ecuador und im südlichen Kolumbien, gerne gegessen.

Waren sie früher billiger und oft einziger Proteinlieferant der armen andinen Bevölkerung, haben sich Cuys, so der spanische Name, unter dem sie zum Teil auch in Deutschland bekannt sind, inzwischen zur Delikatesse entwickelt. Am Spieß gebraten sieht man sie oft an Straßenimbissständen, Restaurants bieten sie auch aus dem Ofen an. Das Speisetier ist mittlerweile so teuer geworden (um die 15 US$ für eines in Ecuador und Kolumbien, etwas günstiger in Peru), dass die Bergbevölkerung, die die Meerschweinchen züchtet, sie mittlerweile eher als gute Einnahmequelle ansieht.

Die Tiere werden meist, wie Hühner auch, auf dem Lehmboden in der Küche gehalten. Da dem Hausmeerschwein im Gegensatz zur Wildform das Sprungverhalten abhanden gekommen ist, genügt eine niedrige Barriere, um sie an der Flucht zu hindern. Praktisch ist es zudem. Kommt Besuch, hat man das Frischfleisch gleich parat – auch ohne Kühlschrank. Niedlich sind die Tiere mitnichten: Wie sie in Massenhaltung stinkend in ihren Ställen am Boden hocken, erweckt das kaum mehr Mitleid als ein Huhn oder Schwein im Stall. Und essen wir nicht auch eigentlich putzige Kaninchen? Was ist mit süßen Lämmern? Und überhaupt, hat ein glupschäugiger Fisch weniger Lebensrecht, nur weil er nicht so ganz in unser Kindchenschema passt?

Das Hilfsprojekt Corazones para Perú, Herzen für eine neue Welt, hat eine Hühner- und Meerschweinchenzucht in der landwirtschaftlichen Anlage Santa Rosa gleich neben dem Kinderdorf Munaychay zum Teil für Eigenbedarf und vor allem zum Verkauf. Mitarbeiter können sich ein Meerschwein für 30 Nuevo Soles (ca. 8,25 Euro) mit Beilagen zubereiten lassen. Wir haben uns zwei für heute Abend bestellt und teilen schon bald die enttäuschte Ansicht der meisten anderen europäischen Cuy-Esser: Es ist nichts Besonderes. Es schmeckt nicht nach Huhn, wie manche behaupten, das Fleisch ist dunkler und etwas intensiver, eher wie Fasan oder Wildhase, allerdings ohne den feinen Wildgeschmack.

Die Haut ist dick und zäh wie Leder, eigentlich nicht essbar. Fleisch ist an dem pummeligen Nager kaum dran. Das Tier besteht wohl mehr aus Pelz und Innereien, um das viele Gras verdauen zu können. Daher werden die Innereien stets mitserviert, damit man satt wird. Die Zubereitung ist wohl auch ein wenig Schuld an unserer mangelnden Begeisterung: Der Braten war zu lange im Ofen, sodass das Fleisch vertrocknet ist, und außerdem ist es versalzen. Nun gut, wir haben es probiert, für essbar, aber nicht erstrebenswert befunden. Der Haus- und Hofhund Meilo, der mehr als der Rest des Kinderdorfes unter Proteinmangel leidet, wird sich morgen an den Resten erfreuen. Und zum Glück haben wir stets einen Jägermeister im Kühlschrank.

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