Munaychay, Peru – Der peruanische Gulag

Schrill tönt die Pfeife. Nicht schon wieder. Cusco ist übervoll mit Polizeibeamten, die den Touristen Sicherheit vermitteln sollen. Sie pfeifen und winken völlig sinnlos bei grünen Verkehrsampeln und heben die stoppend die Hand bei Rot. Reicht die Ampel nicht oder hätte man sich die stattdessen sparen können? Manchmal aber pfeifen die Polizisten auch Fahrern hinterher, die etwas falsch gemacht haben, und dann gibt es einen Strafzettel. So wie jetzt. Wir wendeten in einer ruhigen Seitenstraße. Der Beamte kommt angelaufen und rügt uns sofort: Das ist verboten! Wir gefährdeten oder behinderten niemand, lächerlich ist es dazu, Wenden zu verbieten, aber das ist egal, ein peruanischer Polizist hat immer Recht. Ich steige aus dem Auto: Blonde Frau, Dackelblick. „Oh, das tut uns Leid, das wussten wir nicht. Wir sind Volontäre und müssen in diesem Geschäft Lebensmittel abholen für die armen Kinder Perus im Kinderdorf Munaychay.“ „Von welcher Organisation seid Ihr?“ „Corazones para Perú.“ „Na, ist schon gut.“

Puh, das ging schneller als erwartet. Schneller auch als gestern, als wir auf einer vierspurigen Straße mit Fahrbahnteiler an einer grünen Ampel wendeten. Gleiches Problem: Das ist verboten. Das kann doch kein Mensch wissen! Da hatten wir noch einen Peruaner im Auto, den Zahnarzt der Organisation, der mit dem Polizisten fünf Minuten diskutieren und buckeln musste, bis der Beamte auf einen Strafzettel verzichtete. Wir mussten sogar sämtliche Wagenpapiere und den Internationalen Führerschein rausholen. Nun, dem Peruaner fehlten die blonden Haare, Dackelblick und … lassen wir das.

Schon am vergangenen Wochenende fuhren wir zwei Mal einen der regelmäßigen Personentransporte von Munaychay nach Urubamba und zurück, und Montag und Dienstag nach Cusco, um Lebensmittel und Computer für Computerschulungen im Dorf Huilloc in einem anderen Tal bei Ollantaytambo zu holen. Und um mal wieder ein Paket auf der Post abzuholen mit kleinen Ersatzteilen, neuen Reiseführern und Wörterbüchern, und natürlich sehnlichst vermisster deutscher Schokolade. Am Montag erhielt ich das Paket nach zwei Stunden Wartezeit nicht, da mir eine notwendige Vollmacht fehlte. „Wir sind ein geordnetes Postamt, auf dem es geordnet zugeht“, erhielt ich als Antwort auf meine Frage, ob ich denn gar nichts tun könne. Nein, bestechlich sind die Peruaner eher nicht.

Dafür wurde mein Paket am Dienstag nur zur Hälfte ausgepackt und die angegebenen Warenbeträge nicht so genau unter die Lupe genommen. Der Zollbeamte hatte wenigstens ein geringfügig schlechtes Gewissen, da er mir zusätzliche 120 Fahrkilometer auferlegt hat. In Peru muss man Pakete, die Geschenke bis zu einem Wert von 100 US$ enthalten, nicht verzollen, wohl aber bei höheren Beträgen bzw. wenn es sich nicht um Geschenke handelt. Und dienstags ist der Andrang auf dem Postamt geringer.

Am Mittwoch können wir uns dann nicht länger vor der gefürchtete Aufgabe drücken: Die matschige Zufahrt zu den Carports muss entschlammt werden. Zweiradgetriebene Fahrzeuge kommen nur noch mit Anlauf durch. Straßenbau von Hand mit einem Vier-Mann/Frau-Team auf dreieinhalbtausend Meter ist Schwerstarbeit. Wir fühlen uns ein wenig wie versetzt in den russischen Gulag, nur in Peru. Trotzdem ist Handarbeit wesentlich schneller als erwartet, nicht unbedingt langsamer als mit Maschinen, wenn man genügend Personal hat, wir sind es nur nicht mehr gewohnt.

Der kräftige Nachtwächter pickt mit der Spitzhacke Rasen, Schlamm, die obere Erdschicht und kleinere Steine lose, bis er auf festeres, steiniges Erdreich trifft. Ich steche eine saubere Rasenkante, was auch nicht so einfach ist wie zu Hause im Garten. Das Gras hat dutzende Zentimeter lange, bis zu einem halben Zentimeter dicke Wurzelgeflechte, die sich nicht so einfach durchtrennen lassen, die Erde ist nasser schwerer Lehm, durchsetzt mit Steinen und Flusskieseln, was unserem Spaten auch nicht so gut tut. Am Abend sind meine Hände geschwollen vom Hämmern auf den Spaten und voller Blasen. Jörg schaufelt die schwere Ladung auf den Pick-up. Der Vierte im Bunde schnippelt derweil mit einer Gartenschere das Gras kurz. Wie gesagt, in Peru stört sich kaum einer an schwer arbeitenden Frauen. Ich will jedoch nicht ungerecht sein, der Rasenschneider und der Nachtwächter schippen den Schlamm, der in der landwirtschaftlichen Basis Santa Rosa nebenan benötigt wird, anschließend von der Ladefläche des Pick-ups.

Am nächsten Tag füllen wir die Zufahrt mit grobem Kies auf, den wir mit einer Schubkarre heranholen und breit rechen. Ein paar Entwässerungskanäle müssen an den tiefsten Stellen gegraben werden, dann walzt Jörg mit einem der Busse den Schotter ein wenig platt. Die feinere Schotterschicht muss bis nächste Woche warten, wenn sich das Grobgestein gesetzt hat. Am Freitag schottert Jörg noch den Werkstattboden, ich erstelle ein paar Problemanalysen bezüglich des Fahrzeugparks und recherchiere im Internet, dann ist auch schon Wochenende, das wir uns – zumindest gefühlt – verdient haben.

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