Juli / Titicacasee, Peru – Von der Unmöglichkeit des Reifenimports nach Peru

Ein lautes tiefes Tuten reißt mich aus dem Schlaf. Ein Zug rattert zwei Meter neben unserer Kabine vorbei. Es ist 6 Uhr 30 und die Nacht war viel zu kurz oder der Abend mit Ela und Stefan viel zu lang, doch die Diskussionen interessant. Parken mit Weck-Zug für 15 $ finde ich unerhört, aber da wir schon mal wach sind, können wir ebenso gut aufstehen, zumal die Züge jetzt in regelmäßigen Abständen fahren und hupen. Wir wollen noch ein Stück auf der peruanischen Seite des Titicacasees entlangfahren, bevor wir umdrehen. Unser ursprünglicher Plan lautete, von hier nach Bolivien einzureisen und später nach Chile zu fahren. Wir mussten unseren Plan ändern.

Der Grund ist: Wir brauchen nach zwei Jahren und 100.000 Kilometern einen Satz neuer Reifen – nicht allzu verwunderlich. Dass unser Reifentyp in Südamerika nicht erhältlich ist, wussten wir. Doch wozu gibt es Speditionen und Schiffe? So dachten wir, ohne mit Perus Sturheit gerechnet zu haben. Vor mehr als zwei Monaten begannen wir unsere Recherchen. Ein peruanischer Minenunternehmer zeigte sich spontan bereit, die Reifen für uns zu importieren. Auf mehrfache Nachfrage stellte sich heraus, dass er das selbst nicht kann und er vermittelte uns zu seiner Importfirma, die sich als außergewöhnlich schnell, hilfsbereit und zuverlässig herausstellt. Dennoch dauert natürlich alles seine Zeit: Kostenvoranschlag für See- oder Lufttransport der Pneus erstellen, Zollkosten eruieren.

Parallel arbeitet auf der anderen Seite der Welt die Firma Hellgeth, die unseren Unimog technisch umgerüstet hat, die uns die neuen Reifen schicken will und die uns in beispielloser Weise unterstützt, mit Hochdruck daran, uns ebenfalls mit Kostenvoranschlägen, mit Adressen und Alternativmöglichkeiten zu versorgen. Dann die große Überraschung: Man kann sich Reifen nicht einfach nach Peru schicken lassen, zum Import braucht man eine Ausnahmegenehmigung des Produktionsministeriums. Wir stellen den Antrag, zahlen 30 € Gebühr und sollen eine Woche auf das Ergebnis warten. Mittlerweile sind mehr als vier Wochen vergangen und das Ministerium hüllt sich weiter in Schweigen.

Natürlich sind wir in dieser Zeit nicht untätig. Sowohl die Mercedes- als auch die Michelinvertretungen in Peru sind zwar willig, können uns aber im Endeffekt wenig helfen. Es gibt einen Satz Michelinreifen im Land, der uns eine Nummer zu groß und vor allem nicht für unsere Geschwindigkeit ausgelegt ist, den wir für 7.000 US$ kaufen könnten. Unsere Reifen aus Deutschland könne man nicht importieren, da man dafür keine Genehmigung habe, die Prozedur vier Monate dauere und sich der Aufwand für vier Stück nicht lohne. Plausibel. Eine Anfrage bei der deutschen Botschaft ergibt zumindest die freundliche Empfehlung, wir sollten uns an die von ihnen genutzte Spedition wenden. Der dortige deutschstämmige Manager kennt die aussichtslose Rechtslage Perus sehr genau, verspricht dennoch, sich zu kümmern. Wir hören nicht wieder von ihm.

Die Firma Mercedes Kaufmann in Chile sieht sich ebenfalls außer Stande, uns zu helfen, aber da haben wir uns wohl unglücklich im Netz der Telefonzentrale eines großen Unternehmens verfangen. Bald zeigt sich ein Lichtblick: Der Schweizer Philip Maltry, der in Iquique / Chile eine Gleitschirmschule, eine Pension und einen Campingplatz betreibt (www.altazor.cl) offeriert uns seine Adresse und seinen Importeur, der keinerlei Probleme sieht, etwas nach Chile einzuführen. Da sich die Zollgebühren für Normalimport oder in die Freihandelszone erheblich unterscheiden, ist die Entscheidung schnell gefällt. Der nachfolgende Schock lässt nicht lange auf sich warten: Das nächste Schiff nach Chile fährt erst in ein paar Wochen, sodass wir über zwei Monate auf unsere Reifen warten müssten. Das lässt sich schlecht mit unseren Reiseplänen und der verbliebenen Profiltiefe vereinbaren. Der Lufttransport nach Chile kostet mit 2.500 € doppelt so viel wie nach Peru und ist damit indiskutabel.

Bevor sich völlige Ratlosigkeit breitmachen kann, kommt uns der Zufall zu Hilfe. Die Firma Hellgeth erhält Besuch von einem Teilnehmer des BMW-Teams der Dakar Rallye. Als im vergangenen Jahr einer ihrer Unimog einen Schaden erlitt, erwies sich der Manager der Mercedes-Kaufmann-Filiale in Copiapó / Chile als sehr hilfreich. Ich begebe mich auf die Suche nach dem Mann, finde sowohl in als auch die Empfehlung bestätigt und meine Erwartungen übertroffen. Señor Michel findet passende Reifen zu einem Preis unter dem europäischen und schickt sie an jede beliebige Kaufmann-Vertretung, in unserem Fall nach Iquique. Es handelt sich zwar nicht um Markenpneus, doch in Anbetracht unserer Notlage werden es die tschechischen Mitas-Gummis (vormals Barum), die in vielen südamerikanischen Ländern erhältlich sind (natürlich nicht in Peru), ihren Dienst erst einmal tun. Señor Michel Gazabatt spricht Spanisch sowie etwas Englisch und Französisch, kann aber den Google-Übersetzer betätigen. (Fa. Mercedes Kaufmann, Filiale Copiapó, Tel. +56-52-218870, mgazabatt@kaufmann.cl, www.kaufmann.cl)

So fahren wir mit unseren profilarmen Reifen bis Juli. Ein paar gegensätzliche Besonderheiten kennzeichnen die 8000-Seelen-Gemeinde: ein postmoderner, völlig überdimensionierter Hafen am Titicacasee, der zudem ungenutzt scheint. Der Titicacasee ist der Welt höchster schiffbarer See, sogar etwas größer als der Nicaraguasee, liegt auf gut 3.800 m Höhe und ist bis zu 274 m tief. Auch die Anzahl an ungewöhnlich heruntergekommenen oder verfallenen Kolonialkirchen steht in überproportionalem Verhältnis zur Einwohnerzahl des Dorfes. Juli war jedoch im 16. und 17. Jahrhundert Stütz- und Ausgangspunkt für die Christianisierung der Inka- und Aymaravölker am Titicacasee. Hier wurden die Jesuitenmönche auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet. Die Kirchen werden langsam restauriert, doch nur wenige sind zugänglich.

Eine der Ausnahmen bildet die einstmals pfirsichfarbene San Juan de Letrán, heute als Museum für 6 PEN zugänglich. Die Kirche ist ein koloniales Kleinod. Riesige Gemälde im Stile der sogenannten Cusco-Schule über das Leben und Sterben des Hl. Johannes des Täufers und der Hl. Teresa pflastern die Wände. Die dicken Rahmen aus fein geschnitztem Holz sind vergoldet, ihr Muster setzt sich darunter in Stein gemeißelt fort. Auch der Hauptaltar und die beiden Seitenkapellen wurden aus feinst behauenem Stein gefertigt. Alabasterfenster mit ebenfalls üppigen Goldrahmen tauchen das Kirchenschiff in sanftes Licht. Fotografieren ist verboten, aber es gibt ja nur einen Wächter. Hier ist der Punkt umzukehren und zurückzufahren, um unsere letzten zwei Peruwochen anzugehen.

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