Cañon de Colca, Peru – Der wahre König der Lüfte

Kondore halten sich nicht an Zeitpläne oder Reiseführer. Um 7 Uhr tut sich noch nichts, auch um 8 Uhr noch nicht. Erst um halb neun ist es warm genug, dass sich der erste langsam kreisend in die Luft schraubt. Die majestätischen Vögel benötigen Thermik, die jetzt in Form eines kräftigen Aufwinds vom Talboden her hoch bläst. Fliegen ist bei bis zu 3,20 m Flügelspannweite zu energieaufwändig. Elegant segelnd fast ohne Anstrengung lässt sich der Welt größter Greifvogel in Höhen über 5.000 m tragen, von wo aus er Ausschau nach Aas hält.

Trotzdem bleibt der Andenkondor ein Raubvogel und ist durchaus in der Lage, ein Schaf oder ein junges Kleinkamel zu reißen. Jahrhundertelang (insbesondere seit der spanischen Eroberung) wurde er dafür von den Bauern gejagt und fast ausgerottet. Dabei bevorzugt der Vogel Aas und räumt Kadaver weg. Der männliche Andenkondor wiegt bis zu 15 kg, Weibchen sind etwas leichter. Mit unseren Altweltgeiern ist er nicht verwandt, dafür mit den Störchen.

Die schwarz-grauen Vögel bleiben lange bei uns. Selbst um die Mittagszeit noch erheben sich Spätaufsteher in den blauen Himmel. Eine kleine pummelige falbfarbene Wildkatze versteht es bestens, von den staunenden Massen nicht gesehen und fotografiert zu werden. Am Canyonrand tummeln sich Viscachas. Viel zu spät können wir uns von den Luftgleitern trennen. Nur 60 km weit kommen wir an diesem Tag auf der Erdpiste weiter, vorbei an Hängen, die mit unzähligen Terrassenfeldern übersät sind, die seit der Inkazeit in Schuss gehalten werden. Kurz hinter Huambo gibt es eine alte unbenutzte Fluglandepiste, auf der wir es uns für die Nacht gemütlich machen.

Kaum zwei Stunden später klopft es dezent an Kabinenwand. „Polizei!“ ruft es, als ich das Fenster öffne. Die beiden armen Beamten müssen in ihren Capes im strömenden Regen Streife laufen. Ich weiß nicht, was sie gedacht haben, jedenfalls sind sie erleichtert, dass wir Touristen sind. Die Gegend sei gefährlich, Viehdiebstahl, Wilderei, Raub und sogar Mord gebe es hier. Ich vergesse zu fragen, wann das letzte Mal etwas passiert ist. Für Peruaner ist immer alles schrecklich gefährlich. Am liebsten hätte man uns stets auf der Plaza de Armas, dem zentralen Platz mitten im Ort. Bestimmt ein sicherer, wenn auch nicht unbedingt ruhiger Ort zum Übernachten. Ich glaube, das peruanische Volk ist noch immer traumatisiert von der Zeit, als Sendero Luminoso das Land mit Gewalt überzog. So gefährlich scheint die bewachsene Landebahn dann doch nicht zu sein, denn wir werden nicht vertrieben. Wir sollten vorsichtig sein und uns gut einschließen, werden wir gemahnt. Machen wir. Und jetzt, wo die beiden Streife laufen, können wir ja beruhigt schlafen. Wer sich’s auch traut: S 15°44’40.3’’ W 72°06’46.1’’.

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