Arequipa, Peru – Start in die heilige Karwoche

Klar und hell tönt die Stimme der jungen Frau, sie singt zum Herzerweichen schön. Leider kann man das über die nachfolgende Predigt des Bischofs nicht sagen. Lustlos leise leiert er seine Psalmen herunter. Dank eines hallenden Mirkofons verstehen wir nicht ein Wort. Als die ersten Gläubigen auf den Bänken neben uns einzunicken beginnen, verlassen wir die Kathedrale. Durch Zufall sind wir in die Heilige Messe geplatzt, angelockt von der Engelsstimme und der Langeweile der endlosen Verspätung des Umzugs. Um 16 Uhr sollte es losgehen, um 17 Uhr tut sich noch immer nichts, und endlich um 17 Uhr 30, als das Licht schon schwindet, zeigen sich erste Aktivitäten. Da sitzen wir schon längst beim Bier auf einem der Balkone rund um die Plaza mit Erste-Reihe-Blick auf das Geschehen.

In ganz Lateinamerika gilt die Semana Santa, die Karwoche, als das wichtigste Fest im ganzen Jahr. Je nach Region wird Urlaub gemacht, gefeiert, vor allem reichlich getrunken, oder auch ganz vorschriftsmäßig in die Kirche gegangen und Prozessionen gelaufen. In Arequipa gelten die Osterfeierlichkeiten als besonders festlich und nahe am spanischen Original aus Sevilla – heute vielleicht noch originaler als das Original. Bereits am Wochenende vor Ostern beginnen die Festumzüge. Der Bischof quält seine Schäfchen noch ein wenig länger als geplant, dann endlich darf das Soldatencorps in die Kathedrale. Schwankenden Ganges kommen die 28 Soldaten wieder heraus, auf den Schultern eine überlebensgroße, unendlich schwer scheinende Jesusstatue auf einem Holztableau, die selbst schwer an ihrem Kreuz zu tragen hat.

Danach trägt eine noch größere Gruppe Gläubiger die Heilige Jungfrau von Chapi, Schutzheilige der Stadt, auf einer ebensolchen Holzplattform aus der Kirche. Den Männern fehlen der Gleichschritt-Schliff und die regelmäßige körperliche Ertüchtigung der Soldaten, daher schwanken sie noch mehr und scheinen unter ihrer schweren Last fast zusammenzubrechen. Untermalt wird das ganze noch dramatisch von Musik aus dem Lautsprecher oder einer klagenden Sängerin. Mittlerweile ist es stockdunkel, zum Glück sind die beiden Statuen beleuchtet, als sie ihren langen Weg durch die Stadt und später zurück zur Kathedrale beginnen.

Arequipa ist mit einer knappen Million Einwohner die zweitgrößte Stadt Perus mit einem schönen, überschaubaren historischen Zentrum, das wie so vieles in den letzten Jahrzehnten zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt wurde. Die kolonialen Gebäude um die zentrale Plaza de Armas mit Springbrunnen und altem Palmenbestand und vieler angrenzender Straßen sind aus hellgrauem Sillar, einem Vulkanstein erbaut, was Arequipa den Beinamen „weiße Stadt“ eintrug. Eine Seite der Plaza wird komplett von der Kathedrale eingenommen, eine zweite von der Stadtverwaltung mit untervermieteten Räumen. Die beiden anderen gegenüberliegenden Seiten werden ebenfalls von Arkadengängen mit unzähligen Läden gesäumt, auf den Balkonen der ersten Stockwerke liegen die Restaurants.

Arequipa weist ein einmaliges Frühlingsklima auf: Auf 2.350 m üNN herrschen warme Tagestemperaturen von um die 25°, nachts angenehm kühle 15° C. Das Paradies wurde trotzdem noch nicht wiedergefunden. Zahlreiche Katastrophen zerstörten mehrfach Kathedrale und Stadt: Brände und immer wieder Erdbeben, das letzte 2001. Unermüdlich werden die historischen Gebäude nach jeder Naturkatastrophe wieder aufgebaut, und dank solider und vor allem flacher Bauweise bleibt das meiste erhalten. Überragt wird die Stadt von einigen mächtigen schneebedeckten Vulkanen: dem perfekt kegelförmigen El Misti, Arequipas 5.822 m hohes Wahrzeichen, dem höheren und zerklüfteteren Chachani (6.075 m) zur Linken und dem 5.571 m hohen Pichu Pichu auf der rechten Seite. Trotz blauen Himmels sind die Berge wegen des Smogs der Millionenstadt leider nur selten klar zu erkennen. Wer einen besseren Tag erwischt, fragt in der Stadtverwaltung, ob er vom Balkon im ersten Stock ein Foto machen darf. Dann erscheint El Misti genau zwischen den beiden Türmen der Kathedrale – das perfekte Postkartenmotiv.

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