Pisagua – Cerro Pintado, Chile – Das Massengrab, der Gigant und das Schießpulver

Nur 300 Einwohner hat das Dorf, und doch hat es vieles, gar Schreckliches zu erzählen. Zunächst wurde es als Salpeterhafen gegründet. Der adrette blau-weiße britische Uhrenturm steht noch aus dieser Zeit auf einem Hügel über dem Ort. Vom einstmals vornehmen Theater wird nur noch die Fassade erhalten, das Gebäude dahinter ist dem Verfall anheim gegeben. In der Dorfmitte steht ein täuschend freundlich rosa gestrichenes Gebäude mit vergitterten Fenstern. Der chilenische Diktator Pinochet wandelte es nach dem Militärputsch 1973 in ein Gefangenenlager um, wo politische Gegner inhaftiert und gefoltert wurden.

Ein Stück außerhalb des Ortes auf der unteren Straße Richtung Pisagua Vieja liegt ein Friedhof (S 19°34’04.0’’ W 70°12’19.1’’). Die Holzkreuze und dekorativen Holzzäune vom Ende des 19. und Beginn des 20. Jh. erzählen viele Geschichten. Ein 20jähriger britischer Seefahrer liegt hier begraben, ein Schicksal, das er mit vielen anderen jungen Männern teilt. Die Salpeterminen und damit auch der Abtransport des Rohstoffs lagen überwiegend in britischer Hand. Das größte Grab ist einem kleinen Mädchen gewidmet, das genau an seinem vierten Geburtstag starb. Ein paar Meter weiter stellt sich das Grauen endgültig ein. Wir starren in ein riesiges gähnendes Loch. Hier ließ Pinochet ein Massengrab für die Opfer des Konzentrationslagers einrichten. Ein Monument gedenkt der Toten und gibt ihnen einen Namen. Das Grab wurde erst 1990 entdeckt.

Auch auf der anderen Dorfseite, wieder in Richtung Panamericana, liegt ein hübscher Friedhof. An einem Kindergrab wurde vor Jahrzehnten das inzwischen völlig verrostete winzige Fahrrad angekettet, auf dem Kreuz stapelt sich Münzgeld. Ein anderes Grab wurde in vorauseilender Hellsichtigkeit angelegt: Die Grabgröße wurde in den Sand gezeichnet, das Holzkreuz mit Namen und Geburtsjahr versehen, nur beim Sterbejahr steht 20.. – makaber genug, der Patient ist noch nicht tot.

Zurück auf der PanAm folgt nach Süden das erste Stück des dreiteiligen Naturreservats Pampa de Tamarugal. Früher bedeckten die Tamarugo-Bäume in lichten Wäldern die versalzten Wüstenböden über weite Teile, bis man sie für den Aufbau der Salpeterstädte komplett abholzte. Die niedrigen Bäume können sich das Grundwasser mit ihren Wurzeln aus bis zu 12 m Tiefe holen. Die heutigen Bestände sind komplett aufgeforstet. Die Tamarugo-Bäume sind nicht nur in Aussehen und Habitat den nordafrikanischen Akazienbäumen ähnlich, sie sind auch eng mit ihnen verwandt.

Die Atacamawüste Chiles gilt in ihrem Kernbereich als trockenste Wüste der Erde. Seit Menschengedenken scharren hier Bewohner Bilder in den Sand, die wir Geoglyphen nennen. Chile hat unendlich viele Linien, wenn auch nicht so große und mysteriöse wir die Nasca-Linien Perus. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass sie meist an Hängen gestaltet wurden, sodass man sie aus einiger Entfernung gut sehen kann. Bekannteste Bodenzeichnung Chiles ist der Gigante de Atacama, mit 86 m Höhe die angeblich größte menschliche Figur die je gefunden wurde. Dazu biegt man bei Huara nach Osten ab und 14 km weiter den Sandweg nach Norden, der Beschilderung Cerro Unita folgend, der einzigen Erhebung in der Umgebung (S 19°56’57.8’’ W 69°38’09.4’’, Westhang, fotografieren bei Nachmittagslicht, gut auch zum Campen, Eintritt frei).

An der Abzweigung nach Iquique befinden sich die Oficinas Humberstone und Santa Laura. Die verlassenen Salpeterabbaustellen wurden 1872 bzw. 1862 eröffnet, 1960 geschlossen und sind heute Industriemuseen. Es waren die Deutschen, die den Salpeterboom starteten und auch beendeten: Der Forschungsreisende Thaddaeus Haenke entdeckte Anfang des. 19. Jh., dass in der Atacama reiche Salpetervorkommen liegen. Der Stoff war damals Basis für die Herstellung von Schießpulver. Als Justis Liebig herausfand, dass sich daraus auch Kunstdünger herstellen lässt, startete der Boom erst richtig. Um 1920 dann entdeckte der Berliner Chemiker Fritz Haber, dass man Natriumnitrat – so der wissenschaftliche Name – künstlich billiger herstellen kann.

Nach nicht einmal 40 Jahren wurde das weiße Gold Chiles schon wieder überflüssig und die Mühen, ein folgenreicher Krieg und der Bau ganzer Städte umsonst. Bis 1879 teilten sich Peru und Bolivien die Atacama-Region bis hinunter nach Antofagasta. Als Bolivien die Salpeterminen hoch besteuern und schließlich verstaatlichen wollte, erklärte Chile den beiden Ländern den Krieg, aus dem es 1883 als Sieger hervorging. Peru verlor einen großen Teil seines Territoriums, Bolivien jedoch seinen Meerzugang und war fortan Binnenstaat, auch wenn ihm die Nutzung zweier Häfen zugesagt wurde.

Die noch vor dem Salpeterkrieg erbauten Minenstädte wurden von neuen Besitzern, meist britischen Gesellschaften, weiterbetrieben. Es handelte sich um in sich geschlossenen Einheiten, die zum Arbeiten, Wohnen und Leben alles Nötige boten: die Maschinenparks, kleine Wohnhäuser für Ledige, mittlere für verheiratete Arbeiter und große für Manager. Es gab Geschäfte, Märkte, Hotels und Hospitäler, im Falle Humberstone sogar Freizeiteinrichtungen wie einen beleuchteten Tennisplatz, ein Theater und ein Schwimmbad, das aus den Überresten eines Schiffswracks zusammengenietet worden war.

Dem Minenbesitzer gehörte alles, er druckte und prägte sogar seine eigene Währung, die natürlich nur in seiner Stadt galt und in der auch die Löhne ausgezahlt wurden. Auf diese Art stellte der Minenbaron sicher, dass alles Geld zu ihm zurückfloss. Der Besuch der Oficina Salitrera Santa Laura ist kostenlos, das hübsch restaurierte Humberstone kostet 2.000 Peso pro Person (S 20°12’34.2’’ W 69°47’52.0’’).

Rund 20 km südlich gibt es auf der Westseite der PanAm einen Campingplatz im schöneren Teil des Tamarugal-Reservats (8 € pro Fzg.), nochmals gute 20 km später geht ein Schotterweg nach Westen ab. Nach 5 km stehen am Parkplatz der Geoglyphen Cerros Pintados Picknicktische, bei denen man auch campen kann (S 20°37’20.7’’ W 69°39’45.2’’). Der Eintritt von 2.000 CLP pP wird am geschlossenen Kassenhäuschen derzeit nicht erhoben.

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