Iquique, Chile – Der kollektive Sprachfehler

Ich verstehe die Chilenen nicht. Zur ausgleichenden Gerechtigkeit verstehen sie mich auch nicht und müssen ebenfalls zweimal nachfragen, was ich wohl so sagte. Ich bin mir nicht einmal so sicher, ob sie wirklich Spanisch sprechen, jedenfalls klingt es nicht mal ansatzweise so. Die Chilenen scheinen alle an einem kollektiven, vererbbaren oder ansteckenden dreifachen Sprachfehler zu leiden. Am auffälligsten ist das starke Näseln, das dringendst eine Polypenoperation angeraten scheinen lässt. Hinzu kommen ein Nuscheln und noch ein Lispeln, das jedoch nichts mit den spanischen Zischlauten zu tun hat, sondern eher nach einem Spanischschüler klingt, der nicht weiß, wann man die Zunge zwischen die Zähne nimmt und wann nicht und vorsichtshalber immer lispelt. Dann ist da noch die Betonung der falschen Silben. Statt bu’enas t’ardes zu sagen, nuscheln sie näselnd buenaaas tardeees. Das soll dann guten Tag heißen – da kriegst’e doch ’nen Fön!

Noch ein paar andere Dinge sind gewöhnungsbedürftig: Das Land gibt sich ja erst mal den Anschein von Organisiertheit und Zivilisation, was durchaus mit einer gewissen Überheblichkeit anderen südamerikanischen Nationen gegenüber nach außen getragen wird. Wie oft hörten wir im Vorfeld „Chile ist wie Deutschland“. Mitnichten. Hoffe ich jedenfalls, für Deutschland. Seit zwei Tagen versuchen wir, Arminius waschen zu lassen. Entweder an den Waschstationen standen so lange Schlangen, dass man uns nicht mehr drannehmen wollte oder es schon nach 17 Uhr war, wenn zumindest Waschmänner nicht mehr arbeiten. Am heutigen Samstag dann ist es noch schlechter, denn da arbeitet schon gar keiner. Ist schließlich Wochenende. Schließlich finden wir an einer Tankstelle einen Platz, wo man bereit ist, unseren Dicken abzuspritzen. Wie sich herausstellt, ist gehört die Waschstation einem Peruaner, sein Bruder ist der Wäscher. Wir unterhalten uns sogar angeregt, er versteht mich und ich ihn.

Auch bei Mercedes Kaufmann muss man mehr als durchschnittliche Geduld mitbringen, und Kapital dazu. Wir haben unsere Reifen immer noch nicht. Was ein oder zwei Tage dauern sollte, passiert jetzt vielleicht in einer Woche: der Transport der Reifen von Santiago nach Iquique (der Preis hat sich inzwischen auch ungefähr verdoppelt). Im Laufe dieser Woche hatten wir uns bereits nach verschiedenen Spezialölen erkundigt, irgendwelche Preise waren genannt worden. Als wir jetzt das Öl kaufen wollen, muss man erst hierhin und dahin telefonieren, wobei fast nie jemand ans Telefon geht. Die Richtigkeit des Öls muss noch einmal verifiziert werden, eine E-Mail geschrieben, der Preis nochmals nachgefragt werden. Es dauert geschlagene drei Stunden, bis wir zwei Gallonen Differentialöl kaufen dürfen und wissen, dass wir für 170 € das Schmiermittel hier nicht wechseln lassen (machen wir eben selbst) und außerdem erfahren, dass für 15 l Getriebeöl 320 € verlangt werden. Wir wollen gar nicht mehr wissen, was das Wechseln kosten soll, denn der Preis ist indiskutabel. Wer die Mercedes-Apotheke dennoch in Anspruch nehmen muss: Fortsetzung der Av. Diagonal Francisco Bilbao, am südlichen Stadtrand bei S 20°17’25.8’’ W 70°07’38.2’’.

Hilfsbereit sind die Chilenen dagegen schon, stellen wir erfreut fest. Beim Ölhändler in der Stadt, der uns vielleicht noch das Getriebeöl bestellen kann, besorgt man uns schnell die Telefonnummer eines Unimogimporteurs, der es vielleicht wechseln kann, denn uns fehlt schlicht die benötigte Ölpumpe dazu. Der Mann besteht darauf, uns persönlich abzuholen, da seine nichtöffentliche Werkstatt schwer zu finden wäre. Bislang hatten wir uns in der Stadt eigentlich prima zurechtgefunden. (Kontaktdaten auf Anfrage.)

Als erstes bietet er uns einen Satz neuwertiger Original-Bundeswehr-Unimogreifen an, der nicht unserer gewünschten Größe entspricht und damit nicht zu unserem Ersatzreifen passen würde. Er bietet sie zu einem verlockenden Viertel der Neureifen von Kaufmann an, fast ein Schnäppchen, wenn nicht das Herstellungsdatum 1999 auf dem Rand prangen würde. Trotz „stets trockener Lagerung“ (kleiner Scherz am Rande?), wie der Mann versichert, dürfte das Alter den Gummi so verhärtet haben, dass es um die Haftung nicht mehr allzu gut bestellt ist. Was würde wohl passieren, wenn wir mit unserm 7,5-Tonner in Sand oder Schlamm den Reifendruck reduzieren würden? Ein Flankenbruch im Niemandsland könnte die Schnäppchenreifen zu den teuersten unseres Lebens machen. Immerhin bietet er an, dass wir seine Werkstatt benutzen dürfen.

Dafür aber müssen wir uns zwei Stunden lang altkluge, vor allem für uns nicht zutreffende und damit sinnlose  technische Ratschläge geben lassen. Mein Ehegatte bewahrt erstaunliche Fassung und sagt immer artig „si, si, claro“. Dann werden wir in die absoluten Geheimtipps chilenischer Sehenswürdigkeiten eingewiesen: Es gibt eine Küstenstraße – wer hätte das gedacht? Und durch die Berge könne man auch fahren – nein, so was aber auch! Ich danke dem Herrgott erneut für meine afrikanisch gestählte Geduld, zaubere ein Dauerlächeln auf meine Lippen und murmle „si,si ya, si“. Das ist vielleicht nicht schrecklich ehrlich, zumindest höflich, und verdirbt nicht den Ruf deutscher Reisender. Ändern werden wir den Schnösel sowieso nicht. Er besteht am Ende darauf, uns zur Ausfallstraße aus der Stadt zu bringen, damit wir uns zum Campingplatz zurückfinden. Wir fragen nicht, ob er je etwas von GPS gehört hat, sondern fahren wie gefordert hinter ihm her und winken brav zum Abschied.

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