Xilatla, San Luis Potosí – Kultur im Dschungel

Bei wieder erträglich-tropischen Temperaturen finden wir uns auf Anhieb zur Cascada de Tamul. Von Flüssen und Wasserfällen wimmelt es hier nur so. Dieser angeblich beeindruckendste Fall dieser Gegend ergießt sich aus über 100 m Höhe in einen Fluss und ist nur auf einer vier Kilometer langen Fahrt mit dem Boot zu erreichen. Leider nerven uns die Schlepper bei Annäherung an die Attraktion dermaßen und verschrecken uns mit ihrer Forderung von fast 50 US$, dass uns die Lust aufs Verhandeln und den Wasserfall vergehen. Stattdessen fahren wir durchs Herzland der Huasteca Potosina, genießen tropische Palmen, Bananenstauden, Bambusstängel und Orchideen. Die Huastecen leben hier in Holzhütten mit Stroh- oder Blechdach, ein Ein-Zimmer-Haus aus Ziegeln ist schon Luxus. Fließendes Wasser gibt es nicht, aber Strom. Feuerholz und Wasser werden meist von jungen Frauen herangeschafft. Wäsche und Geschirr werden in Becken oder Schüsseln vor der Hütte gewaschen.

Erst kurz vor Xilatla legen wir wieder einen Stopp ein. Las Pozas ist eine einmalige Schrägheit im Tropendschungel. Der aus einer äußerst reichen britischen Familie stammende und mittlerweile verstorbene Edward James hatte sich hier im 20. Jahrhundert einen Lebenstraum verwirklicht. Er verschmolz den riesigen exotischen Garten mit einer Unzahl von Kunstobjekten aus Beton und Metall. Edward James war selbst nur ein mäßig erfolgreicher Poet und Künstler gewesen, jedoch einer der größten Kunstmäzene seiner Zeit. Zu seinem engen Freundeskreis zählten Salvador Dalí, Pablo Picasso und René Magritte. Dalí sagte einst über den Exzentriker, er sei „verrückter als alle Surrealisten zusammen genommen“.

Das zeigt sich auch auf seinem Grundstück, das James zunächst zum Orchideenzüchten, später als Zoo und schließlich zur Verwirklichung seiner architektonischen Fantasien nutzte. Mit zeitweise bis zu 150 lokalen Arbeitern baute er 30 Jahre lang an diesem Projekt, das allerdings nie richtig fertig gestellt wurde. Unzählige von ihm geschaffene Kunstobjekte, seltsame sinnentfremdete Gebäude, Wasserfälle, Becken und Bäche wurden in ein unüberschaubares riesiges Labyrinth am Hang integriert. Den Führer lehnten wir, nachdem wir unsere 50 Pesos Eintritt pro Person entrichtet hatten, freundlich ab. Wenn man so lange im Tourismus arbeitete wie wir, entwickelt man zwangsläufig eine Schlepper- und Guideallergie. Einen Orientierungsplan für das Gelände gibt es nicht, dann würde man ja keinen Führer benötigen.

Konsequenz ist, dass wir nach wenigen hundert Metern vor einem Teich stehen und uns nicht klar ist, wie wir dieses Hindernis überwinden, das tief und glitschig ist. Jörg beschließt, seine Shorts auszuziehen, das T-Shirt zu raffen und mit den Kameras über dem Kopf durch den Teich zu waten. Ich wähle den Weg über die wasserüberspülte glitschige Mauereinfriedung des Pools, auf der einen Seite Wasser, auf der anderen mehrere Meter nichts. Der Engländer hatte einen echt schrägen Humor. Jörg läuft fortan völlig surreal im klitschnassen Slip durch den Kunstpark, die Shorts in der Hand, bei mir sind nur die Schuhe nass. Edward James hätte seine Freude an uns gehabt. Zum Glück sind wir die einzigen Besucher.

Der Park verfällt heute zusehends. Der Millionär hatte ihn den Kindern seines mexikanischen Angestellten und Vertrauten vererbt, da er selbst keine Nachkommen hatte. Seine einzige Heirat mit einer ungarischen Balletttänzerin endete in einer skandalösen Scheidung. Ein von James inspiriertes Grundstück steht nur ein paar Meter weiter. Eine Art moderne Hippiekolonie, bestehend aus einigen jungen Mexikanern, einem nicht mehr so jungen Amerikaner und einer vor vier Tagen angereisten sehr jungen Deutschen, betreibt ein esoterisches Hostel. Der Platz ist gut gewählt, hier gibt es wirklich „Spirit“. Trotz Einladung entscheiden wir uns für die Weiterfahrt, denn wir haben bald eine Verabredung in Mexico City.

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