Juntas del Toro, Chile – Wir sitzen fest

April 27th, 2012

Wir hängen fest – an der Grenzstation Junta del Toro, und kommen nicht weiter. Das Wetter trieb uns soweit in den Süden, das Wetter brachte uns hierher, obwohl wir erst morgen fahren wollten, und das Wetter stoppt uns genau an dieser Stelle. Was ist geschehen? Da wir wegen des Reifenkaufs schon nach Chile fahren mussten, können wir genauso gut unsere Reisepläne weiter dem Klima anpassen.

Chile hat mit Argentinien eine über 3.800 km lange Grenze gemein, die auf den Bergrücken der Anden verläuft. Während die Pässe im Süden niedriger und damit ganzjährig befahrbar sind, liegen die nördlichen Passstraßen viel höher und werden im Winter eingeschneit. Einige davon gelten als landschaftlich besonders schön. Daher beschlossen wir, in Chile bis La Serena südlich zu fahren, dann einige Pässe in Richtung Norden „aufzurollen“, dabei die Grenze Chile-Argentinien mehrfach zu queren, soweit es der Wintereinbruch erlaubt, und erst anschließend nach Bolivien zu reisen, was uns dort hoffentlich durch mehr Trockenheit ebenfalls Vorteile verschafft.

Eigentlich wollten wir erst morgen Richtung Paso Agua Negra fahren, aber die über den Bergen drohenden Schneewolken lassen uns spontan aufbrechen in der Hoffnung, noch über die Grenze zu rutschen. Die Weinfelder wurden bis weit ins Tal hinaufverlegt, bis über 1.400 m, wo eine Steinwüste im – bis auf ein Rinnsal – trockenen Flussbett eigentlich nicht dazu einlädt. Bewässerung überwindet die Trockenheit und als Schutz vor den manchmal heftig blasenden Winden wurden Netze quer zwischen den Weinreben gespannt.

Die chilenische Grenzstation befindet sich auf 2.100 m Höhe 90 km vor der Passhöhe auf 4.475 m, der Trennlinie zwischen beiden Ländern. Agua Negra ist der höchste befahrbare Andenpass Chiles und einer der höchsten weltweit. Die argentinische Zollabfertigung wurde in Las Flores, knappe 50 km nach der Kuppe, angesiedelt. Unser Plan war, die chilenischen Formalitäten hinter uns zu bringen und im Niemandsland die Zeit zu verbummeln, bis laut Wetterbereicht am Sonntag die Sonne wieder scheint und uns gute Fotos erlaubt, um erst später offiziell nach Argentinien einzureisen, was erlaubt ist.

Doch Pustekuchen, die Schneewolken haben bereits zugeschlagen. Die Grenzstation Junta del Toro wurde zwischenzeitlich gesperrt und wirkt – offen, verlassen, die Büros unabgesperrt – wie nach einem Atomschlag in einem Science-Fiction-Film. Bei den Carabineros ist wenigstens einer da und gibt Auskunft, dass der Pass wegen Sturm und Schnee geschlossen wurde und vielleicht Montag wieder öffne. Auf jeden Fall sei die Sperrung temporär und nicht endgültig für den Winter. Wir richten uns vor dem Abfertigungsgebäude gemütlich ein und warten: S 29°58’31.2’’ W 70°05’42.5’’. Ein wenig einladender Aufenthaltsraum und Toiletten sind vorhanden.

Vicuña, Chile – Von Pisco, Observatorien und Esoterik

April 26th, 2012

Das Valle de Elqui ist Anziehungspunkt aus mannigfaltigen Gründen: Das milde Klima lässt Obst und ausgesprochen süße Weintrauben wachsen, aus denen sich besonders gut hochprozentiger Pisco brennen lässt. Chiles beste Pisco-Destillerien befinden sich demzufolge hier. Die Luft in den Bergen ist besonders klar, trocken, partikelfrei und die wenigen kleinen Orte strahlen kaum Licht ab – eine erstaunliche Anzahl der größten und weltbesten Himmelobservatorien hat sich in der Umgebung angesammelt. Außerdem sollen besondere Erdenergien spürbar sein, weshalb sich die unterschiedlichsten Vertreter von Naturphilosophien, asiatischen Religionen und Ufogläubigen angesammelt haben.

Mit den Esoterikern hab ich’s nicht so, vor allem, wenn sie mir das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Daher spreche ich auf die ersten beiden Punkte besser an. Die Touristeninformation des Hauptortes Vicuña an der hübschen Plaza de Armas (S 30°02’03.0’’ W 70°42’48.1’’) befindet sich in einem markanten weinroten Holzturm, den Bürgermeister Adolfo Bauer (man bemerke den Namen) 1905 in Ulm fertigen und nach Chile transportieren ließ. Gleich daneben bzw. um die Ecke befinden sich die Büros der Observatorien Pangue und Mamalluca. Der Besuch eines regulären Sternenzentrums ist hier ebenfalls eingeschränkt und schwierig, verbunden mit langwierigen Anmeldungen. Daher bieten sich die beiden Lehrobservatorien an, die vielleicht über kleinere Teleskope, dafür über erklärende Multimediaprogramme verfügen.

Das Observatorio del Pangue hat ein stattliches 25-Zoll-Teleskop und einen ebensolchen Preis: 16.000 CLP (26 €) für die zweistündige Vorführung inkl. Transport. Das Observatorio Mamalluca kann man schon für 4.500 CLP (7,25 €) besuchen (Eigenanfahrt; optionaler Transport 1.500 CLP). Programmdauer mit erfahrenen Astronomen (Englisch oder Spanisch) auch hier zwei Stunden. Das Teleskop hat zwar nur 12 Zoll, aber mir gefällt, dass die Vorführung nur bei wolkenfreiem Himmel stattfindet und man vorher nicht bezahlen muss. Der Tourismus in Vicuña scheint zu schlafen, sodass die Lehrobservatorien momentan keine Wartezeiten erfordern.

Am Stadtrand steht die berühmteste Pisco-Destillerie des Landes, Pisco Capel (S 30°02’18.2’’ W 70°41’51.6’’). Führungen durch die Anlage auch in Englisch werden für 1.500 Peso angeboten. Da sich Brennereien ähneln, interessiere ich mich mehr für das Endprodukt. Wir dürfen verschiedene Sorten probieren (kostenlos), um erstaunt festzustellen, dass es vom stark alkoholischen Vodkageschmack zum Mixen bis zum süßlichen Cognacaroma alles gibt. Ein mildes trauben-fruchtiges Spitzenprodukt (Linea Alto del Carmen), das weich die Kehle hinunter rinnt, gibt es für unglaubliche 6 bis 8,50 €, je nach Reifegrad. Da hilft alles Jammern nichts, mehr als zwei Flaschen kriegen wir nicht unter.

Die Carabineros an Vicuñas Hauptstraße geben freundlich Auskunft zum Zustand der Andenpässe nach Argentinien, die generell um den 15. Mai für den Winter geschlossen werden (nur wenige Hauptpässe werden geräumt), je nach Wetterlage. Der Paso de Agua Negra ist wieder frei, der Paso de San Francisco, der uns nach Chile zurückbringen soll, ist „mit Vorsicht“ und Vierradantrieb befahrbar. In der gleichen Straße wie die Polizei befinden sich eine Shell- und eine Copec-Tankstelle, die letzten bis zum argentinischen Las Flores in 270 km Entfernung, wo man mit Glück Kraftstoff erhascht. Einen Unimarc-Supermarkt gibt es gleich an der Plaza.

Die Wolken ziehen sich jedoch zusammen, sodass unsere nächtliche Sternguckertour abgesagt wird. Zum Trost gibt es an unserem Übernachtungsplatz am Sportplatz von Vicuña (S 30°02’12.7’’ W 70°42’27.3’’) die Abaloneschnecken zum Abendessen, die bereits umfangreiche Vorbereitungen erfahren haben. Man schleudert den Beutel mit den Weichtieren in eine Badewanne oder gegen einen Autoreifen, wie es der Fischer für uns freundlicherweise übernommen hat. (Dasselbe macht man mit großen Tintenfischen, wenn man sie selbst fängt und nicht im Kühlregal kauft.) Gestern kochte ich die Meeresschnecken für eine Stunde im Schnellkochtopf (doppelt so lange wie erwartet).

Heute schneide ich sie in Würfel, mische sie laut Anweisung nur mit Mayonnaise und serviere Papas Mayo dazu, gekochte Kartoffeln mit Mayonnaise, eine beliebte Beilage in Chile. Ziemlich viel Mayo, das Ganze, zum Glück gibt es auch hier die Light-Version. Doch der Parkplatzwächter hatte Recht. Das Fleisch ist so schmackhaft, dass es kaum mehr braucht als etwas zum „Hinunterrutschen“. Und das ist schon nötig, da uns das schlechte Gewissen wegen der bedrohten Tiere ein wenig die Kehle zuschnürt.

Coquimbo, Chile – Fisch und nochmals Fisch

April 25th, 2012

Was soll ich nur nehmen? Die Auswahl fällt schwer. Der Fischmarkt von Coquimbo gilt als einer der besten in Chile. Sämtliche Fischfilets und Shrimps kosten 4.000 CLP pro Kilo, 6,40 €, ganze Fische sind billiger. Da ich mich nicht entscheiden kann, nehme ich je eine Portion Adlerfisch, Seehecht und Reineta, eine Art Flunder, und die Shrimps. Meeresfrüchte für leckere Spaghetti gibt’s schon für unter 5 € das Kilo. Ich verlange ein halbes, erhalte aber 940 g zum Preis von einem Pfund. Ich beklage mich nicht, bin aber dankbar für unser 3*-Gefrierfach. Essen kann man am Markt in Restaurants oder man kauft sich an den Fischständen verschiedene Meeresfrüchtecocktails für je 1.000 Peso, 1,60 € – von zwei Bechern sind wir beide satt.

Zurück am Auto kommt der Parkplatzwächter mit einem Fischer und will uns Locos, „Verrückte“, verkaufen, das Dutzend Weichtiere für 8 €. Wir lassen uns die Zubereitung ganz genau erklären. Später stellen wir fest, dass wir Abaloneschnecken gekauft haben, die als äußerst schmackhaft gelten, aber vom Aussterben bedroht und deshalb stark reglementiert sind – was den stolzen Preis erklärt. Nun haben wir sie schon gekauft, also werden wir sie auch essen.

Coquimbo hat neben dem Fischmarkt zwei seltsame Bauwerke aufzuweisen: das gigantische moderne Betonkreuz des III. Jahrtausends und eine vom marokkanischen Königshaus finanzierte Moschee mit einem 40 m hohen Minarett. Leider ist der Tag heute so bewölkt, dass sich Fotos nicht lohnen. In ein paar Wochen werden wir nochmals vorbeikommen, vielleicht haben wir dann mehr Glück. Südlich von Copiapó beginnt die Halbwüste, es gibt deutlich mehr Niederschläge, was eben auch mehr Wolken bedeutet.

Der Parkplatz beim Fischmarkt befindet sich bei S 29°57’23.7’’ W 71°20’07.8’’. In Coquimbo gibt es außerdem einen Lider und einen Unimarc Supermarkt. In der größeren Schwesterstadt La Serena befindet sich ein großer Lider bei S 29°54’06.4’’ W 71°15’24.7’’ und ein Jumbo mit hervorragender Brotauswahl („Sonnen“, „Roggensauerteig“, „Muenster“ – es werden die deutschen Begriffe verwendet) und Weißwürsten bei S 29°54’58.6’’ W 71°15’32.6’’’. La Serenas Innenstadt wirkt scheinbar kolonial, wurde aber erst Mitte des 20. Jh. von einem Präsidenten so gestaltet, der seine Geburtsstadt „verschönern“ wollte. Die Laubbäume an der Plaza verfärben sich und werfen ihre Blätter ab – eine seltsame Herbststimmung ergreift uns.

Nach dem Einkauf stellen wir wieder einmal fest, dass die Selbstverständnisse südamerikanischer Nationen kranken. Schon die Peruaner, die sich als „Schweiz Südamerikas“ verstehen, konnten uns in diesem Punkt nicht überzeugen, wenn man vom sturen Festhalten an Regeln absieht und natürlich der weit spektakuläreren Berglandschaft. Im organisatorischen und wirtschaftlichen Standard haben die beiden Ländern nichts miteinander zu tun und kulinarisch auch nicht. Es gibt zwar ein paar elitäre Spitzenköche vor allem in Lima, aber der Durchschnittsperuaner isst sehr einfach und in keinem Land haben wir so schlecht eingekauft (außer Kartoffeln) wie dort.

Die Chilenen sehen sich zwar einigermaßen zu Recht als wirtschaftlich erfolgreichstes Land Südamerikas (sie haben halt Bodenschätze), aber zu Unrecht als effektivstes und fleißigstes Volk. Vielleicht stimmt der Vergleich mit Argentinien; mit den Ländern, die wir bislang kennen, hinkt er. In Chile dauert alles furchtbar lange und nirgendwo sonst haben wir das Prinzip der Arbeitsvermeidung – zumindest im einfachen Dienstleistungsbereich – so stark erlebt wie hier. Wir wollen unseren Arminius, der mit ockerfarbenem Salzstaub von den Salzstraßen bedeckt ist, kurz abspritzen lassen. Wieder will es keiner machen. An einer Tankstelle ist der Wäscher schon gegangen, an einer anderen heißt es „nein, nein, heute nicht mehr“ – schließlich ist es schon kurz nach vier. Vor acht oder halb neun beginnt aber keiner zu arbeiten. Der Chef entscheidet dann doch für Waschen. Chile erscheint mir als Land, das fleißigen Einwanderern noch echte Chancen bietet.

Parque Nacionál Pingüino de Humboldt, Chile – Kaltwasserdelfine

April 24th, 2012

So schnell ihn seine kurzen Beinchen tragen, klettert er den Fels hinab. Dabei springt oder gleitet er mehr als er läuft. Einige der erfahreneren Humboldtpinguine legen ihre Eier ganz weit oben, viele Meter hoch auf dem Felsen, um sie so vor den gefräßigen Seeottern zu schützen, die putzig und flink durchs Wasser gleiten. Die Felsinseln dürfen nicht betreten werden, da sich die Pinguine dann panikartig mit selbstmörderischer Geschwindigkeit in Richtung Meer stürzen und sich dabei den Hals brechen würden. So beobachten wir vom Boot aus auch die Seelöwen, Kormorane, Pelikane und Tölpel.

Die Besonderheit des Nationalparks Pingüino de Humboldt ist jedoch eine Gruppe großer Tümmler, die eigentlich im kalten Wasser Chiles nichts zu suchen haben und einzigartig hier sind. Die Delfine kamen vermutlich im El-Niño-Jahr 1978 mit einer warmen Meeresströmung in die Bucht und blieben. Trotz des kalten Meeres scheinen sie sich wohlzufühlen, schwimmen zu den Booten und machen Saltos.

Die Isla de Damas ist die einzige Insel, die betreten werden darf. Entweder können wir am schneeweißen Strand im türkisfarbenen Wasser baden gehen. Das überlassen wir lieber den schmerzfreien Chilenen. Wir wandern auf den angelegten Pfaden, um blühende Kakteen, einsame Wüstenblumen, die wie Krokusse im Schnee ihre Köpfchen aus dem Sand strecken, Eidechsen und Geier zu beobachten.

Zum Besuch des Parque Nacionál Pingüino de Humboldt an der Küste zwischen Vallenar und La Serena begibt man sich zunächst zur Conaf-Station in der Siedlung Punta de Choros (S 29°14’50.6’’ W 71°28’05.1’’) und bezahlt seinen Parkeintritt von 2.500 Peso. Gegenüber der Mole an der Boleteria wird man um weitere 9.000 Peso pro Person für die Bootstour erleichtert. Die Fahrt dauert insgesamt drei Stunden, eine davon Aufenthalt auf der Insel Der Ausflug ist nett, jedoch gibt es auf den peruanischen Islas Ballestas den größeren Tierbestand, wenn auch ohne Delfine. In Punta Choros gibt es einige Campingplätze.

70 km weiter „unten“ auf der Landkarte unmittelbar nördlich der Stadt La Serena retten wir mal eben einen Man vom Sandstrand, der seinen neuen Pick-up „made in China“ seiner Familie vorführen möchte. Die Schaufel hilft nicht, also ziehen wir ihn heraus. Das asiatische Billigprodukt ist wohl doch „nicht so gut im Sand“, wie der Man zugibt. Dann suchen wir uns einen Stellplatz direkt neben dem Ausflugsrestaurant von Caleta San Pedro, weswegen wir hergekommen sind. Der ultimative Tipp stammt vom Reifenmechaniker in Copiapó: Hier könne man gut und billig essen.

Und richtig, Hauptgerichte kosten zwischen 5,50 € und 9,50 € – wer keinen Fisch mag, braucht nicht herzukommen. Noch billiger weg kommt man, wenn man Empanadas, verschieden gefüllte Teigtaschen, isst. Bier und Wein stehen nicht auf der Speisekarte, gibt es aber; die Flasche rot oder weiß für 6,50 € – im Restaurant! Das Mineralwasser wird serviert, doch der Wein lässt auf sich warten. Ich nutze die Zeit, die zwei Carabineros, die auf ihr Essen zum Mitnehmen warten, über den Zustand des Passes Agua Negra zu befragen. Die Verkehrspolizisten fühlen sich wichtig, telefonieren und funken, und teilen mir mit, was ich nicht hören will: Die Passüberquerung ist gesperrt, noch nicht wegen Schnees, aber wegen Erdrutschen vor allem auf argentinischer Seite. Wir sollten bis Vicuña fahren, der letzten Stadt vor der Grenze, und da erneut nachfragen. Mit einem Unimog, winken die Beamten ab, sei das alles kein Problem.

Kaum sind die Carabineros gegangen, serviert die Kellnerin den Wein mit der Entschuldigung, sie hätten keine Alkoholausschankgenehmigung und warten müssen, bis die Polizisten gegangen seien. Wir sind eben doch noch in Südamerika. Die Gerichte sind einfach, kochendheiß in Backteig frittiert serviert, aber der Seeaal und vor allem der Adlerfisch sind fangfrisch und einfach nur köstlich. Der direkt nebenan geparkte Camper macht Weiterfahren überflüssig, wenn der Wein schon zu Kopf gestiegen ist: S 29°52’25.8’’ W 71°16’27.1’’.

Copiapó, Chile – Unsere Reifen, (k)eine Wucht?

April 23rd, 2012

Unsere Räder werden wir wohl auch künftig unausgewuchtet fahren müssen. Zumindest erreichen wir in Copiapó, dass das unselige Quarzgranulat wieder aus unseren Reifen entfernt wird. Das angepriesene Selbstauswuchten funktionierte überhaupt nicht, das Auto schüttelt sich in diversen Geschwindigkeitsbereichen. Ob das an der zu geringen Rotationszahl der extrem großen Reifen liegt, dem hohen Reifengewicht, oder ob das System einfach nicht funktioniert, weiß niemand.

Schlimmer jedoch war, dass der Quarzstaub unsere Ventile verstopfte. Beim Reduzieren des Reifendrucks entwich nur wenig Luft und vor allen Dingen blieben alle vier Ventile jeweils in geöffneter Position hängen und ließen sich nur mit viel Gefummel zum Schließen überreden. Mittlerweile versuchten wir schon, das regelmäßige Anpassen des Reifenluftdrucks an Asphalt- bzw. Pistenfahrten wenn irgend möglich zu vermeiden.

Die hiesige Michelin Reifenwerkstatt demontiert unsere Räder, zieht die Reifen von der Felge, entfernt das Quarz per Hand, mit Pressluft und Staubsauger und montiert die Reifen erneut. Gewuchtet wird auch hier nur mit Granulat, also ziehen wir weiter zu Goodyear. Señor Michel, der Manager der Mercedes-Kaufmann-Filiale, begleitet uns persönlich durch den Tag. Hier jedoch kann man nicht einmal unsere Achse liften, sie ist zu hoch.

Der Mechaniker zuckt die Achseln und sieht sich außerstande, das Problem zu lösen (oder ihm fehlt die Lust). Immerhin überreden wir ihn, den Wagenheber mit ein paar untergelegten Brettern zu erhöhen. Doch das mobile Wuchtgerät, das Lkw- und Busreifen an der Achse balancieren soll, schafft es nicht, unsere Räder zu drehen. Und die stationäre Maschine eignet sich sowieso nur für kleine Pkw-Räder. In einer weiteren Reifenwerkstatt Coiapós sowie der nächsten Stadt verwende man die gleichen Systeme. Vielleicht könne man es in Santiago oder in Argentinien…

Teils unverrichteter Dinge verabschieden wir uns von Michel, der Mercedes in wenigen Tagen verlassen und zu einer anderen Firma wechseln wird, sodass er künftigen Reisenden nicht mehr zur Verfügung steht. Wir verlassen die Stadt um festzustellen, dass die Räder jetzt geringere Unwuchten aufweisen als mit den Quarzbröseln vorher. So freuen wir uns zumindest über die Verbesserung. An der Mautstation südlich von Copiapó werden wir ohne Nachfragen plötzlich als Kleinwagen eingestuft und sparen so ganze 10 € – es scheint also doch Diskussionspotenzial zu geben. Bei Domeyko verlassen wir die Panamericana nach Westen in Richtung Parque Nacionál Pingüino de Humboldt und campen abseits des Weges in der Wüste bei S 28°59’12.2’’ W 70°57’58.1’’.

Copiapó, Chile – Tatort am Wüstengolfplatz

April 22nd, 2012

Vielleicht sind es die schönsten Strände Chiles, wie mein Reiseführer andeutet, vielleicht auch nicht. Bei mehr als 7.000 km Küstenlinie ist das schwer zu sagen. Jedenfalls ist der Sand weiß, das Meer blau und die Bucht geschützt, wenn man bei Caldera von der PanAm abfährt mit Fahrziel Bahia Inglesa. Der Hippieort hat außer dem Strand (S 27°06’35.4’’ W 70°51’07.3’’) die typische Ansammlung von Diskotheken, Bars, Restaurants und Souvenirgeschäften zu bieten. Hier treffen wir auch wieder auf die Sorte Mensch, die sich vor unserem Wagen positioniert und sich vom Lebensabschnittspartner ablichten lässt, ohne zu fragen – obwohl ich mit heruntergelassenem Fenster im Auto sitze. Ich sollte mir ein Sparschwein zulegen, das ich bei solchen Gelegenheiten aus dem Fenster halte: ein Foto, ein Dollar.

Noch schöner und vor allem ruhiger werden die Strände weiter südlich Richtung Puerto Viejo (prima zum Campen), bevor wir zurück zur Panamericana nach Copiapó fahren. In den Genuss der hier autobahnähnlich ausgebauten Ruta 5 kommen wir für kaum mehr als 20 km, als uns die erste Mautstation Chiles ereilt. Hier gibt es, wie befürchtet, nichts zu diskutieren, denn Unimog sind als Militärfahrzeuge im eigenen Land bekannt und fallen nun mal nicht in die Pkw-Kategorie. Schwer schluckend müssen wir den Lkw-Tarif von 9,50 € zahlen, dreimal soviel wie ein Kleinwagen. Vielleicht fahren wir künftig doch lieber durch die Botanik, aber leider hat Chile nur wenig Straßenauswahl.

Zumindest die Übernachtungen kann man meist kostenfrei gestalten, so wie auch heute wieder. Zufällig finden wir den Golfplatz von Copiapó, ein 18-Loch-Ereignis mitten im Wüstensand, jedermann frei zugänglich. Mangels Spielern stört sich niemand daran, wenn wir quer über den Court fahren, um an eine ruhige Stelle zu gelangen: S 27°16’13.3’’ W 70°22’07.1’’. Am Abend freuen wir uns über den guten Internetempfang mitten in der Wüste, den wir der Nähe zur Stadt verdanken, und die erstmals unlimitierte monatliche Datenmenge in Chile, sodass auch größere Datenpakete kein Problem sind. So gönnen wir uns zum Sonntagabend zwei Folgen Tatort des Deutschen Fernsehens – zu Hause alltäglich, für den Reisenden ein Luxus.

Chañaral, Chile – Ein Zuckerbrot aus Guano

April 21st, 2012

Aufstehen fällt schwer. Sonnenaufgang ist erst um 8 Uhr, doch dann dauert es je nach Lage bis zu eineinhalb Stunden, bis die Sonne über die Küstenberge kriecht und den schmalen Uferstreifen erhellt. Dann steigt sie hoch in den Norden (wir sind schließlich auf der Südhalbkugel!), um erst gegen halb acht im Meer zu versinken. Die Chilenen verlängerten in diesem Jahr erstmals die Sommerzeit bis Ende April, was uns zu einem ungewohnten Tagesrhythmus verhilft.

Ab Taltal könnte man wieder zur PanAm fahren oder hübscher noch ein Stück der Küste entlang, wo zwar fehlende Niederschläge, aber regelmäßig aufsteigende Küstennebel eine Vegetation aus Kakteen und Büschen wachsen lässt. Dann schwingt sich die Straße zwischen bunten Wüstenbergen in Richtung Ruta 5, Panamericana. Ein lohnender Abstecher von 70 km mit Salz befestigter Piste und einem kurzen Stück Asphalt dazwischen.

Nur rund 15 km legen wir auf der PanAm zurück, um erneut auf eine Salzstraße in den Parque Nacionál Pan de Azúcar abzubiegen. Knapp 60 km führt diese Piste durch den Nationalpark, im nördlichen Bereich durch wunderschöne farbige Wüstenlandschaft, die ebenfalls teilweise begrünt ist. Weiter südlich liegen and den teils schneeweißen Stränden vier schön angelegte Campingplätze. Die Preise schwanken stark zwischen Neben- und Hauptsaison, nachfragen lohnt sich. Der Eintritt in den Park von 3.500 Peso für Ausländer wird in der Nebenzeit nur im Rangerhaus in der Mitte des Parks erhoben, an dem man extra vorbeifahren müsste.

Seinen Namen hat der Park von einem vorgelagerten Felsen, der im oberen Stockwerk von zahlreichen Seevögeln (Humboldtpinguinen, Pelikanen und Kormoranen), im Parterre von Robben bewohnt wird und wegen einer dicken Lage Vogelmist wie weiß überzuckert aussieht: Pan de Azúcar bedeutet Zuckerbrot. Bootsausflüge zu der Insel, die nicht betreten werden darf, werden ebenso angeboten wie frische Fischmahlzeiten in der einzigen Siedlung des Parks, wo ein paar Fischer leben (S 26°08’31.3’’ W 70°39’39.0’’). Auf zwei schönen Wanderungen nach Las Lomitas (10 km hin und zurück) und dem Mirador (5 km) kann man vielleicht Guanakos und Füchse sehen.

Zwischen der Parkgrenze und der nächsten Stadt Chañaral liegen auf 15 km Länge weitere traumhaft weiße Strände, die zum Bleiben einladen. Aber Vorsicht, der Sand ist weich und man sinkt leicht ein. Hinter Chañaral stößt man wieder auf die Panamericana, die ab da für die nächsten 86 km am Meer entlangführt. Auch hier lassen sich Campingmöglichkeiten finden (nicht mehr so schön), auch wenn es überall Fischercamps gibt, z.B. bei Torres del Inca, S 26°38’52.2’’ W 70°43’09.5’’, 50 km südlich der Stadt.

Taltal, Chile – Der unendliche Himmel

April 20th, 2012

Die Wüstenhand winkt noch einmal zum Abschied, als wir uns nach Taltal aufmachen. Um die (an sich uninteressante) Stadt am Meer zu erreichen, gibt es drei Möglichkeiten: Man folgt der PanAm, die in weitem Bogen durch die eher öde Wüste führt. 16 km nördlich der Wüstenhand führt eine andere asphaltierte Straße auf kürzerem Wege ebenfalls durch die Wüste, vorbei am Observatorium Paranal (zweimal im Monat mit Voranmeldung für Besucher zugänglich) bis Paposo und von da weiter nach Taltal.

Die Alternativstrecke entlang der Küste zweigt 16 km nach der PanAm von ebendieser Route rechts ab in Richtung Caleta El Cobre und von da Richtung Süden wieder als Ruta 1 immer dem Pazifik entlang, bis sie nach 146 unasphaltierten Kilometern bei Paposo wieder auf die Asphaltstraße trifft. Die Schotterpiste ist teils rau, wird aber in Schuss gehalten und führt wunderbar einsam durch dunkelrote Berge, die sich krass vom Himmel und später vom Meer abheben.

Spätestens hier wird klar, dass sich die chilenischen Autofahrer von peruanischen wohltuend abheben: Sie stoppen nicht nur vor Zebrastreifen, um Fußgänger passieren zu lassen, halten sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen und scheren rechtzeitig vor Überholverbotsschildern wieder ein. Sobald sie unserer auf der einspurigen Straße ansichtig werden, nutzen sie die nächste Ausweichstelle und warten dort auf uns. Das entspannt das Fahren doch ein wenig.

Entlang der Felsenküste gibt es leider wenige Campingmöglichkeiten, vor allem im Norden. Im Süden wird es besser, allerdings liegt umso mehr Müll am Strand, je näher man der Zivilisation kommt. In der Beziehung kommen die Chilenen eher unterentwickelten Wilden gleich. Sie feuern ihren Abfall überall hin, stören sich dann aber auch nicht daran und campen entspannt neben der Halde am Strand. Die saubersten Fleckchen befinden sich auf den Klippen, vielleicht weil der Wind den Abfall hinunterfegt, z.B. 30 km nördlich von Taltal bei S 25°09’43.4’’ W 70°27’23.2’’.

Als der Grill und das Lagerfeuer so langsam verglühen, wird klar, warum einige der besten Observatorien der Welt in dieser Gegend stehen. Der Himmel ist klar, bar von Verschmutzung, Feuchtigkeit und Licht. Die Sterne sind so nah, so zahlreich und hell, die Milchstraße so dicht, dass sich die Annahme verfestigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir die einzigen sind, gering ist und dass es da draußen einfach noch etwas oder jemanden geben muss.

Antofagasta, Chile – Die Wüstenhand

April 19th, 2012

Der Herbst zieht mit Macht herein. Waren unsere ersten Nächte in Iquique noch sonnentopshortswarm, sind die Grillabende jetzt schon fleecejackenkalt. Tagsüber erreichen wir gerade noch 25°, wenn der kühle Pazifikwind uns auf der Küstenstraße ins Gesicht bläst und den Geruch von trocknendem Seetang mit sich bringt, der hier in großen Mengen geerntet wird. Kelp wird in großen Mengen als Bindemittel in der Nahrungsmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie benötigt, aber auch als Dünge- oder Nahrungsmittel und Isolationsmaterial.

Unmittelbar südlich von Cerro Moreno überfahren wir den Wendekreis des Steinbocks und verlassen damit zum ersten Mal seit einem Dreivierteljahr die Tropen, seit wir in Mexiko den Wendekreis des Krebses querten, wo die Sonne jeweils am 21. Juni bzw. 21. Dezember ihren höchsten Stand erreicht. Ein hässliches Monument weist auf den besonderen Breitengrad hin. Nur ein paar Kilometer südlich liegt das La Portada genannte Wahrzeichen der Stadt Antofagasta: ein großes vorgelagertes Felsentor, wild umtost von grüner Pazifikbrandung und oft gezeigt auf Chiles Postkartenmotiven (S 23°29’58.5’’ W 70°25’42.9’’, Fotolicht: nachmittags). Hier in der Nähe könnte man gut campen.

Antofagasta selbst ist eine saubere, aufgeräumte Stadt mit begrünter, gepflegter Uferpromenade. Die beiden großen Supermärkte Lider und Tottus sowie der Baumarkt Sodimac liegen an der Küsten-Durchgangsstraße. Wir folgen der Zubringerstraße zur PanAm (Ruta 5), denn dort steht nach ca. 60 km ein Monument, das kein Reisender versäumen möchte: Mano del Desierto. Ein Künstler hat hier eine Riesenhand geschaffen, die aus dem Wüstenboden zu wachsen scheint – ein tolles Fotomotiv im Nachmittagslicht vor stets stahlblauem Himmel: S 24°09’30.8’’ W 70°09’22.9’’. In der Nähe lässt es sich etwas abseits der PanAm ruhig campen.

Iquique, Chile – Opportunistische Seelöwen und billiger Wein

April 18th, 2012

Eilig drängelt sich der fette Seelöwe zwischen den parkenden Autos durch, hat aber Mühe, die renitenten Pelikane zu vertreiben, die nicht weichen wollen. Auch sie verlangen ihren Anteil an den Fischabfällen, die der Fischermann gerade wegwirft. Riesige Fischskelette verschwinden in den Kröpfen der Vögel, die sie zu schlucken versuchen. Jetzt kommen auch noch hupend Autos gefahren und die Pelikane wissen nicht, ob sie erst schlucken oder weglaufen sollen. Dazwischen tobt noch der Seelöwe herum und das Chaos bricht vollends aus.

Der kleine Fischmarkt am Strand ist ein Ort, wo man stundenlang beobachten könnte. Es ist auch einer der wenigen Möglichkeiten in Stadtnähe, wo man größere Fahrzeuge parken kann. Doch selbst auf diesem Sandplatz braucht man Glück, eine Stellmöglichkeit zu finden. Nur ein paar Blöcke läuft man zur zentralen Plaza Prat, wo einige schöne Bauten aus dem 19. Jh. stehen wie der Uhrenturm, das Theater und das Gewerkschaftshaus. Auf dem Platz wurden sämtliche Strom- und Telefonleitungen unterirdisch verlegt, damit dem Fotovergnügen nichts im Wege steht – eine absolute Ausnahme in Chile.

Von der Plaza geht die Avenida Baquedano ab, Prachtstraße und Fußhängerzone, die mit ihren etwas heruntergekommenen Villen und den hölzernen Bürgersteigen noch original erhalten ist. Die gesamte Stadt quetscht sich zwischen die über 600 m hohe Steilwand der Küstenkordillere und das Pazifikufer und kann nur nach Nord und Süd wachsen. Trotz bestehender Erdbebengefahr ist man wegen des Platzmangels zum Bau von Hochhäusern übergegangen. Den begrenzten Platz teilt sich Iquique auch noch mit einer riesigen, mehrere Hundert Meter hohen Sanddüne, die wegen ihrer Drachenform El Dragón genannt wird. Dank ihrer gleichmäßigen Thermik gilt die Stadt als einer der zehn weltbesten Spots für Gleitschirmfliegen von der Klippe bis hinunter an den Strand.

Zum Abschluss unseres Iquique-Aufenthalts decken wir uns noch einmal im Jumbo-Supermarkt ein, wo es wirklich fast alles zu kaufen gibt: ein Glas Kühne-Gürkchen für 3,20 €, eine Dose mexikanisches Bohnepüree, ein Pfennigprodukt, für 2 €, Knäckebrot für 6 €. Selbst lokale Produkte wie Philadelphia oder anderer Frischkäse müssen mit 3,20 € die kleine Packung teuer bezahlt werden. Wurst (auch Bierschinken); Käse und Brot (Kasseler Müslibrot oder toskanisches Ciabatta) haben deutsches Preisniveau. Dabei sind die Löhne recht niedrig, der durchschnittliche Chilene kann sich nicht viel leisten.

Kopfschüttelnd stellen wir fest, dass es in Chile nichts Günstiges gibt, außer einer Sache: Wein. Rot, weiß, in völlig unüberschaubarer Auswahl und teils billiger als Bier. Den trinkbaren Rebsortenwein aus dem Tetrapack gibt’s schon für unter 1,50 €, gute Tropfen ab 3 € die Flasche. Und das alles dank Verzicht auf Schwefelung völlig kopfwehfrei. Chile kann auf eine jahrhundertelange Weinbautradition zurückblicken, auch wenn es erst seit den 1980er Jahren nach Qualität strebt und ins Exportgeschäft eingestiegen ist.

Das Land wurde sowohl von der Mitte des 19. Jh. grassierenden Weinpest als auch von der Reblaus aus noch nicht erforschten Gründen verschont. Damit ist Chile als weltweit einziges Land im Besitz von Rebstöcken, die sämtlich auf ihren Originalwurzeln stehen und auch von andernorts ausgestorbenen Rebsorten. Wir fahren noch gut 100 km an der Küstenroute # 1 in den Süden, um am Strand Boca del Diablo zu campen (oder an jedem anderen der zahlreichen Strände) und uns eine gute Flasche Carmenière zu gönnen: S 21°10’33.8’’ W 70°06’25.1’’.

Iquique, Chile – Letzte Wartungsarbeiten

April 17th, 2012

Das bestellte Getriebeöl ist endlich das richtige, und nach zehn Tagen weiß man auch so langsam, wo man Öl, Filter, Keilriemen und was auch immer in dieser Stadt zu kaufen bekommt. Den Ölwechsel dürfen wir in der Werkstatt von Jorge Neira durchführen, den wir am Samstag bereits getroffen haben und er BMW-Motorräder als auch die Fahrzeuge des chilenischen Militärs – darunter auch Unimog – repariert. Wir dürfen uns sogar kostenlos ein paar original Bundeswehr-Ersatzkanister mitnehmen, die in der zollfreien Zone immerhin 23 € das Stück kosten. Wir haben zwar schon vier, aber mit weiteren vier kommen wir vielleicht in Bolivien weiter, die Kraftstoff nicht so gerne an Ausländer verkaufen oder in Argentinien, wo es stellenweise Versorgungsschwierigkeiten gibt.

Wer Hilfe bei Motorrad oder Geländefahrzeugwartung bzw. Reparatur benötigt: Jorge Neira, jneirah@samltda.com, 057 418554, der Mann spricht Spanisch, aber versteht gut Englisch und Deutsch.

Iquique, Chile – Land des Wartens

April 16th, 2012

Wir warten. Zunächst eine Dreiviertelstunde, bis unsere Reifen bei Mercedes Kaufmann in Iquique gefunden werden. Sie sind ja auch so klein, dass man sie leicht übersehen kann. Als nächstes kann sich die Sekretärin überhaupt nicht mehr entsinnen, dass wir die Reifen nicht selbst zur Reifenwerkstatt transportieren können und dass sie dafür letzte Woche noch herumtelefoniert hat. Aber bei so vielen ausländischen Besuchern, die täglich abnormale Reifengrößen bestellen, kann das schon mal untergehen.

Dann hat auch noch jemand mitgedacht, was meist ganz schlecht ist. Statt des einen Schlauchs und Felgenbands als Ersatzteil bekommen wir vier geliefert. Bis das wieder aus dem System ausgebucht ist, vergeht Zeit, viel Zeit. Insgesamt brauchen wir drei Stunden bei Mercedes bis wir unsere Reifen bezahlt haben und zusammen mit dem Pick-up-Fahrer abfahren können. Wir haben gar nicht so den Eindruck, dass die Menschen nicht arbeiten. Eher scheint der Verwaltungsapparat dermaßen aufgebläht und undurchdacht, die teure SAP-Software schlecht programmiert und unvernetzt, dass jeder einzelne Vorgang schrecklich lange dauert.

Eine halbe Stunde später treffen wir bei der Reifenwerkstatt in Alto Hospicio ein. Hier ist noch eine Stunde Mittagspause, also warten wir. Auch nach dem Essen müssen erst einige andere Fahrzeuge – ausschließlich Lkw und Busse – abgefertigt werden. Es dauert dreieinhalb Stunden, bis wir endlich an der Reihe sind und weitere zwei, bis Arminius auf neuen Schuhen steht. Obwohl auch hier die Männer zügig arbeiten. Leider kann man, trotz Zusage, unsere Räder schlussendlich nicht auswuchten. Man schüttet stattdessen Quarzgranulat in die Reifen, was eine dauerhafte Selbstauswuchtung gewährleisten soll. Na, mal sehen. Eine Wahl haben wir sowieso nicht. Insgesamt benötigen wir heute neun Stunden, die Reifen zu bezahlen und zu montieren. Was könnte dieses Land wohl erreichen, wenn es etwas effektiver organisiert wäre?

Iquique, Chile – Der kollektive Sprachfehler

April 14th, 2012

Ich verstehe die Chilenen nicht. Zur ausgleichenden Gerechtigkeit verstehen sie mich auch nicht und müssen ebenfalls zweimal nachfragen, was ich wohl so sagte. Ich bin mir nicht einmal so sicher, ob sie wirklich Spanisch sprechen, jedenfalls klingt es nicht mal ansatzweise so. Die Chilenen scheinen alle an einem kollektiven, vererbbaren oder ansteckenden dreifachen Sprachfehler zu leiden. Am auffälligsten ist das starke Näseln, das dringendst eine Polypenoperation angeraten scheinen lässt. Hinzu kommen ein Nuscheln und noch ein Lispeln, das jedoch nichts mit den spanischen Zischlauten zu tun hat, sondern eher nach einem Spanischschüler klingt, der nicht weiß, wann man die Zunge zwischen die Zähne nimmt und wann nicht und vorsichtshalber immer lispelt. Dann ist da noch die Betonung der falschen Silben. Statt bu’enas t’ardes zu sagen, nuscheln sie näselnd buenaaas tardeees. Das soll dann guten Tag heißen – da kriegst’e doch ’nen Fön!

Noch ein paar andere Dinge sind gewöhnungsbedürftig: Das Land gibt sich ja erst mal den Anschein von Organisiertheit und Zivilisation, was durchaus mit einer gewissen Überheblichkeit anderen südamerikanischen Nationen gegenüber nach außen getragen wird. Wie oft hörten wir im Vorfeld „Chile ist wie Deutschland“. Mitnichten. Hoffe ich jedenfalls, für Deutschland. Seit zwei Tagen versuchen wir, Arminius waschen zu lassen. Entweder an den Waschstationen standen so lange Schlangen, dass man uns nicht mehr drannehmen wollte oder es schon nach 17 Uhr war, wenn zumindest Waschmänner nicht mehr arbeiten. Am heutigen Samstag dann ist es noch schlechter, denn da arbeitet schon gar keiner. Ist schließlich Wochenende. Schließlich finden wir an einer Tankstelle einen Platz, wo man bereit ist, unseren Dicken abzuspritzen. Wie sich herausstellt, ist gehört die Waschstation einem Peruaner, sein Bruder ist der Wäscher. Wir unterhalten uns sogar angeregt, er versteht mich und ich ihn.

Auch bei Mercedes Kaufmann muss man mehr als durchschnittliche Geduld mitbringen, und Kapital dazu. Wir haben unsere Reifen immer noch nicht. Was ein oder zwei Tage dauern sollte, passiert jetzt vielleicht in einer Woche: der Transport der Reifen von Santiago nach Iquique (der Preis hat sich inzwischen auch ungefähr verdoppelt). Im Laufe dieser Woche hatten wir uns bereits nach verschiedenen Spezialölen erkundigt, irgendwelche Preise waren genannt worden. Als wir jetzt das Öl kaufen wollen, muss man erst hierhin und dahin telefonieren, wobei fast nie jemand ans Telefon geht. Die Richtigkeit des Öls muss noch einmal verifiziert werden, eine E-Mail geschrieben, der Preis nochmals nachgefragt werden. Es dauert geschlagene drei Stunden, bis wir zwei Gallonen Differentialöl kaufen dürfen und wissen, dass wir für 170 € das Schmiermittel hier nicht wechseln lassen (machen wir eben selbst) und außerdem erfahren, dass für 15 l Getriebeöl 320 € verlangt werden. Wir wollen gar nicht mehr wissen, was das Wechseln kosten soll, denn der Preis ist indiskutabel. Wer die Mercedes-Apotheke dennoch in Anspruch nehmen muss: Fortsetzung der Av. Diagonal Francisco Bilbao, am südlichen Stadtrand bei S 20°17’25.8’’ W 70°07’38.2’’.

Hilfsbereit sind die Chilenen dagegen schon, stellen wir erfreut fest. Beim Ölhändler in der Stadt, der uns vielleicht noch das Getriebeöl bestellen kann, besorgt man uns schnell die Telefonnummer eines Unimogimporteurs, der es vielleicht wechseln kann, denn uns fehlt schlicht die benötigte Ölpumpe dazu. Der Mann besteht darauf, uns persönlich abzuholen, da seine nichtöffentliche Werkstatt schwer zu finden wäre. Bislang hatten wir uns in der Stadt eigentlich prima zurechtgefunden. (Kontaktdaten auf Anfrage.)

Als erstes bietet er uns einen Satz neuwertiger Original-Bundeswehr-Unimogreifen an, der nicht unserer gewünschten Größe entspricht und damit nicht zu unserem Ersatzreifen passen würde. Er bietet sie zu einem verlockenden Viertel der Neureifen von Kaufmann an, fast ein Schnäppchen, wenn nicht das Herstellungsdatum 1999 auf dem Rand prangen würde. Trotz „stets trockener Lagerung“ (kleiner Scherz am Rande?), wie der Mann versichert, dürfte das Alter den Gummi so verhärtet haben, dass es um die Haftung nicht mehr allzu gut bestellt ist. Was würde wohl passieren, wenn wir mit unserm 7,5-Tonner in Sand oder Schlamm den Reifendruck reduzieren würden? Ein Flankenbruch im Niemandsland könnte die Schnäppchenreifen zu den teuersten unseres Lebens machen. Immerhin bietet er an, dass wir seine Werkstatt benutzen dürfen.

Dafür aber müssen wir uns zwei Stunden lang altkluge, vor allem für uns nicht zutreffende und damit sinnlose  technische Ratschläge geben lassen. Mein Ehegatte bewahrt erstaunliche Fassung und sagt immer artig „si, si, claro“. Dann werden wir in die absoluten Geheimtipps chilenischer Sehenswürdigkeiten eingewiesen: Es gibt eine Küstenstraße – wer hätte das gedacht? Und durch die Berge könne man auch fahren – nein, so was aber auch! Ich danke dem Herrgott erneut für meine afrikanisch gestählte Geduld, zaubere ein Dauerlächeln auf meine Lippen und murmle „si,si ya, si“. Das ist vielleicht nicht schrecklich ehrlich, zumindest höflich, und verdirbt nicht den Ruf deutscher Reisender. Ändern werden wir den Schnösel sowieso nicht. Er besteht am Ende darauf, uns zur Ausfallstraße aus der Stadt zu bringen, damit wir uns zum Campingplatz zurückfinden. Wir fragen nicht, ob er je etwas von GPS gehört hat, sondern fahren wie gefordert hinter ihm her und winken brav zum Abschied.

Iquique, Chile – Einkaufparadies Zofri?

April 11th, 2012

Die Hauptattraktion Iquiques heißt Zofri. So nennt man die zollbegünstigte Freihandelszone der Stadt, die den Namen auch verdient, da man dort gekaufte Waren auch bei Verlassen des Bereichs nicht weiter verzollen muss. Theoretisch gibt es eine Einkaufsbeschränkung auf 1.250 US$ pro Person, die niemand kontrolliert. In einem alten Gebäude und einer neuen Mall wird so gut wie alles verschachert, von Elektronik über Haushaltswaren, Spielzeug und Bekleidung bis hin zu Shampoo und Lebensmitteln, das meiste natürlich made in China. Die 12er-Packung Socken gibt es für 2,40 €, ein Spitzen-BH/Slip-Set für unglaubliche 3,20 €. Allerdings sollte man sich nicht zu große Hoffnungen machen: Elektronik ist selbst ohne Zoll noch immer teurer als in Deutschland und nur für den Langzeitreisenden eventuell interessant.

In die Zofri kommt man gut mit dem Stadtbus, die Linien, die ihre Endstation dort haben, sind entsprechend gekennzeichnet. Alle Fahrten (wir sitzen immerhin fast eine Stunde im Bus) kosten 350 Peso pP (0,56 €), nur aus der Zofri raus ist es ein wenig teurer. Eine andere schöne Transportmöglichkeit in der Stadt sind Sammeltaxen, die auch wirklich solche sind. Schwarze Taxen mit gelbem Dach halten an, sofern sie noch Platz haben (4 Passagiere max.). Man nennt sein Fahrziel, und der Fahrer teilt mit, ob er es anfahren wird. Sonst stoppt man das nächste Collectivo. Sobald ein Platz frei wird, versucht der Fahrer, ihn wieder zu besetzen und liefert die Passagiere der Reihe nach an ihren Wunschzielen ab. Diesen Service gibt’s für 90 Cent pro Passagier in der Innenstadt, längere Strecken können teurer sein. „Richtige“ Taxen sind ebenfalls relativ bezahlbar.

Für den Kauf von Lebensmitteln eignet sich die Zofri nur bedingt. Zum Aufstocken sind die Supermärkte besser:
Unimarc ist der dem Campingplatz nächste: S 20°15’27.5’’ W 70°07’58.3’’, an der Ecke Av. Arturo Prat und Av. Diagonal Francisco Bilbao.
Jumbo gilt als der hochwertigste: S 20°14’17.6’’ W 70°08’40.5’’
Lider ist der chilenische Ableger des amerikanischen Wal-Mart, bei Lider Hiper gibt es alles, bei Lider Express nur in beschränkter Auswahl: Lider Hiper S 20°14’10.0’’ W 70°08’36.2’’, daneben Einkaufsmall und Baumarkt.
Beide Supermärkte Av. Héroes de la Concepción.

Cerros Pintados + Pica + Iquique, Chile – Erste Begegnungen

April 8th, 2012

Ein rennender Fuchs, ein Hirsch mit Geweih, ein Lama. Eine Eule, Kondore und Adler. Männer, eine schwangere Frau und Astronauten. Eine Speerspitze, kunstvolle Pfeile und das helvetische Kreuz. Mit mehr als 400 Bodenzeichnungen dürften die Cerros Pintados die größte Ansammlung von Geoglyphen sein, alle an die sandigen Schräghänge der Hügel gezeichnet. Sowohl geometrische Figuren wie auch Tier- und Menschdarstellungen finden sich hier. Auch sämtliche Techniken tauchen auf: das Wegscharren des verwitterten Sandes, um die darunterliegende hellere Schicht freizulegen, das Auslegen von Figuren mit dunkleren Steinen oder eine Kombination aus beiden. Für uns sind das die bislang schönsten Geoglyphen in Chile. Einige wenige sind im späten Abendlich gut zu fotografieren, die meisten aber werden von der frühen Morgensonne beschienen. Steigt die Sonne, schwinden die Kontraste, und auch hier gilt: weiter weg ist besser, dafür mit Teleobjektiv.

Die Schotterpiste zurückfahrend überqueren wir die Panamericana und fahren bis Pica, eine Oase in der Wüste. Mineralwasserquellen in Grotten laden hier zum Baden ein, allerdings nicht am Ostersonntag. Die Anzahl an Ausflugsfahrzeugen, Schwimmringen und aufblasbaren Krokodilen ist so abschreckend, dass wir die Flucht ergreifen. Allerdings machen wir vorher noch die Bekanntschaft seltsamer Hilfsbereitschaft. Etwas unschlüssig stehen wir noch im Dorf, da hält ein Van und der Fahrer ruft „Wo wollt ihr hin?“. „Zum Schwimmbad.“ Er winkt, wir folgen eine kurze Strecke. Am Straßenrand anhaltend verlangt der Fahrer 1000 Peso, 1,60 €. Wir schauen wohl so dumm, dass der Mann abzieht, ohne sein Geld zu erhalten. Es passiert uns zum ersten Mal, dass jemand für eine (unverlangte) Hilfeleistung Geld erwartet.

Bevor wir Pica unverrichteter Dinge wieder verlassen, kaufen wir ein paar Mangos und Limonen, für die die Oase berühmt ist (die Limonen sind aromatisch, die Mangos jedoch die geschmacklosesten, die wir je aßen). Eine andere Straße führt zurück zur PanAm, wo uns eine Polizeikontrolle stoppt. Wenn ich behaupte, dass der Beamte ausgesprochen freundlich war, kann man das getrost als pure Ironie auffassen. Die Goldrand-Pilotenbrille Marke Ray Ban scheint zur Dienstuniform zu gehören (alle tragen die gleiche). Der Polizist sieht in verachtender Arroganz zu uns auf – herabschauen kann er dummerweise nicht zu uns. Nach Kontrolle der Fahrzeugpapiere, ausführlicher Außeninspektion unseres Arminius und der mündlichen Absicherung, dass es sich wirklich um ein Wohnmobil handelt, dürfen wir weiterfahren. Einen Kommentar zu unseren abgefahrenenen Reifen verkneift sich die Brille gerade so. Bislang wurden wir in ganz Nord-, Mittel- und Südamerika von Polizisten mit ausgesuchter Freundlichkeit behandelt. Ob das hier anders ist?

Ein paar Kilometer hinter der Abzweigung nach Iquique stellt sich erneut Verwirrung ein, als Verkehrsschilder und Navigationsgerät sich widersprechen. Wir erhalten keine Chance, die kurze Denkpause am Straßenrand durchzuführen. Schon hält ein alter Mann, der uns vorher schon durch gefährlich-bremsende Fahrweise aufgefallen ist. Weiter gefährlich bremsend versucht er, uns zu unserem Campingplatz zu bringen, obwohl das GPS funktioniert und er selbst den Weg nicht genau kennt. Egal, er möchte doch so gerne ein Abschiedfoto mit uns, das soll er haben.

Hauptsache, wir sind auf dem Campingplatz angelangt. Zwar gibt es in Iquique auch andere Übernachtungsmöglichkeiten, u.a. auch kostenfrei am Strand, aber wir erhielten schon im Vorfeld viel Hilfe bei unserer Reifenproblematik, dass wir in Philip Maltrys El Altazor Skypark auch übernachten wollen. Der Schweizer betreibt eine Paragliding-Flugschule mit Zimmervermietung und Campingplatz. Campen kostet 4.000 Peso pro Person mit Strom, Wasser, WC, Dusche, Küche, Picknicktischen und Internet, eine frische Brise weht vom Meer her zu uns hinauf. Die einmalige Benutzung der amerikanischen Billigwaschmaschine kostet stattliche 3.000 Peso (knapp 5 € inkl. Waschpulver), dafür darf man sie nur halbvoll laden, sonst wird die Wäsche nicht sauber. In Anbetracht der Wäschereipreise in der Stadt (um 1.500 CLP / 2,40 € pro Kilo) trotzdem eine echte Alternative. Ein Tandemflug mit dem Gleitschirm kostet ca. 50 € für eine halbe Stunde. (S 20°17’01.3“ W 70°07’29.0“)

Pisagua – Cerro Pintado, Chile – Das Massengrab, der Gigant und das Schießpulver

April 7th, 2012

Nur 300 Einwohner hat das Dorf, und doch hat es vieles, gar Schreckliches zu erzählen. Zunächst wurde es als Salpeterhafen gegründet. Der adrette blau-weiße britische Uhrenturm steht noch aus dieser Zeit auf einem Hügel über dem Ort. Vom einstmals vornehmen Theater wird nur noch die Fassade erhalten, das Gebäude dahinter ist dem Verfall anheim gegeben. In der Dorfmitte steht ein täuschend freundlich rosa gestrichenes Gebäude mit vergitterten Fenstern. Der chilenische Diktator Pinochet wandelte es nach dem Militärputsch 1973 in ein Gefangenenlager um, wo politische Gegner inhaftiert und gefoltert wurden.

Ein Stück außerhalb des Ortes auf der unteren Straße Richtung Pisagua Vieja liegt ein Friedhof (S 19°34’04.0’’ W 70°12’19.1’’). Die Holzkreuze und dekorativen Holzzäune vom Ende des 19. und Beginn des 20. Jh. erzählen viele Geschichten. Ein 20jähriger britischer Seefahrer liegt hier begraben, ein Schicksal, das er mit vielen anderen jungen Männern teilt. Die Salpeterminen und damit auch der Abtransport des Rohstoffs lagen überwiegend in britischer Hand. Das größte Grab ist einem kleinen Mädchen gewidmet, das genau an seinem vierten Geburtstag starb. Ein paar Meter weiter stellt sich das Grauen endgültig ein. Wir starren in ein riesiges gähnendes Loch. Hier ließ Pinochet ein Massengrab für die Opfer des Konzentrationslagers einrichten. Ein Monument gedenkt der Toten und gibt ihnen einen Namen. Das Grab wurde erst 1990 entdeckt.

Auch auf der anderen Dorfseite, wieder in Richtung Panamericana, liegt ein hübscher Friedhof. An einem Kindergrab wurde vor Jahrzehnten das inzwischen völlig verrostete winzige Fahrrad angekettet, auf dem Kreuz stapelt sich Münzgeld. Ein anderes Grab wurde in vorauseilender Hellsichtigkeit angelegt: Die Grabgröße wurde in den Sand gezeichnet, das Holzkreuz mit Namen und Geburtsjahr versehen, nur beim Sterbejahr steht 20.. – makaber genug, der Patient ist noch nicht tot.

Zurück auf der PanAm folgt nach Süden das erste Stück des dreiteiligen Naturreservats Pampa de Tamarugal. Früher bedeckten die Tamarugo-Bäume in lichten Wäldern die versalzten Wüstenböden über weite Teile, bis man sie für den Aufbau der Salpeterstädte komplett abholzte. Die niedrigen Bäume können sich das Grundwasser mit ihren Wurzeln aus bis zu 12 m Tiefe holen. Die heutigen Bestände sind komplett aufgeforstet. Die Tamarugo-Bäume sind nicht nur in Aussehen und Habitat den nordafrikanischen Akazienbäumen ähnlich, sie sind auch eng mit ihnen verwandt.

Die Atacamawüste Chiles gilt in ihrem Kernbereich als trockenste Wüste der Erde. Seit Menschengedenken scharren hier Bewohner Bilder in den Sand, die wir Geoglyphen nennen. Chile hat unendlich viele Linien, wenn auch nicht so große und mysteriöse wir die Nasca-Linien Perus. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass sie meist an Hängen gestaltet wurden, sodass man sie aus einiger Entfernung gut sehen kann. Bekannteste Bodenzeichnung Chiles ist der Gigante de Atacama, mit 86 m Höhe die angeblich größte menschliche Figur die je gefunden wurde. Dazu biegt man bei Huara nach Osten ab und 14 km weiter den Sandweg nach Norden, der Beschilderung Cerro Unita folgend, der einzigen Erhebung in der Umgebung (S 19°56’57.8’’ W 69°38’09.4’’, Westhang, fotografieren bei Nachmittagslicht, gut auch zum Campen, Eintritt frei).

An der Abzweigung nach Iquique befinden sich die Oficinas Humberstone und Santa Laura. Die verlassenen Salpeterabbaustellen wurden 1872 bzw. 1862 eröffnet, 1960 geschlossen und sind heute Industriemuseen. Es waren die Deutschen, die den Salpeterboom starteten und auch beendeten: Der Forschungsreisende Thaddaeus Haenke entdeckte Anfang des. 19. Jh., dass in der Atacama reiche Salpetervorkommen liegen. Der Stoff war damals Basis für die Herstellung von Schießpulver. Als Justis Liebig herausfand, dass sich daraus auch Kunstdünger herstellen lässt, startete der Boom erst richtig. Um 1920 dann entdeckte der Berliner Chemiker Fritz Haber, dass man Natriumnitrat – so der wissenschaftliche Name – künstlich billiger herstellen kann.

Nach nicht einmal 40 Jahren wurde das weiße Gold Chiles schon wieder überflüssig und die Mühen, ein folgenreicher Krieg und der Bau ganzer Städte umsonst. Bis 1879 teilten sich Peru und Bolivien die Atacama-Region bis hinunter nach Antofagasta. Als Bolivien die Salpeterminen hoch besteuern und schließlich verstaatlichen wollte, erklärte Chile den beiden Ländern den Krieg, aus dem es 1883 als Sieger hervorging. Peru verlor einen großen Teil seines Territoriums, Bolivien jedoch seinen Meerzugang und war fortan Binnenstaat, auch wenn ihm die Nutzung zweier Häfen zugesagt wurde.

Die noch vor dem Salpeterkrieg erbauten Minenstädte wurden von neuen Besitzern, meist britischen Gesellschaften, weiterbetrieben. Es handelte sich um in sich geschlossenen Einheiten, die zum Arbeiten, Wohnen und Leben alles Nötige boten: die Maschinenparks, kleine Wohnhäuser für Ledige, mittlere für verheiratete Arbeiter und große für Manager. Es gab Geschäfte, Märkte, Hotels und Hospitäler, im Falle Humberstone sogar Freizeiteinrichtungen wie einen beleuchteten Tennisplatz, ein Theater und ein Schwimmbad, das aus den Überresten eines Schiffswracks zusammengenietet worden war.

Dem Minenbesitzer gehörte alles, er druckte und prägte sogar seine eigene Währung, die natürlich nur in seiner Stadt galt und in der auch die Löhne ausgezahlt wurden. Auf diese Art stellte der Minenbaron sicher, dass alles Geld zu ihm zurückfloss. Der Besuch der Oficina Salitrera Santa Laura ist kostenlos, das hübsch restaurierte Humberstone kostet 2.000 Peso pro Person (S 20°12’34.2’’ W 69°47’52.0’’).

Rund 20 km südlich gibt es auf der Westseite der PanAm einen Campingplatz im schöneren Teil des Tamarugal-Reservats (8 € pro Fzg.), nochmals gute 20 km später geht ein Schotterweg nach Westen ab. Nach 5 km stehen am Parkplatz der Geoglyphen Cerros Pintados Picknicktische, bei denen man auch campen kann (S 20°37’20.7’’ W 69°39’45.2’’). Der Eintritt von 2.000 CLP pP wird am geschlossenen Kassenhäuschen derzeit nicht erhoben.

San Miguel + Pisagua, Chile – Die Chinchorro-Mumien

April 6th, 2012

In Chile geht es geordnet zu: Man hupt nicht andauernd auf der Straße, bei Warteschlangen stellt man sich hinten an. Es gibt Verkehrszeichen, die die Vorfahrt regulieren, schöne deutsche „Vorfahrt gewähren“ und nicht ausschließlich die sinnlosen Stoppschilder, and die sich sowieso kein Mensch hält. Außerhalb der Städte sind gefährliche Stellen wie Kurven, Kreuzungen und Brücken nachts von Solarlaternen erhellt. Die Verkehrspolizei trägt Uniformen, die eine perfekte Kopie deutscher Polizeibekleidung des 20 Jh. in moosgrün/beige mit grüner Dienstmütze sind, wo sie ursprünglich herkommen. Und wenn dann noch ein dunkelblonder Einsneunzigmann drinsteckt, fühle ich mich vollends nach Hause versetzt.

Nicht ganz. Zwar sind die Menschen hier genauso wohlgenährt wie in den anderen Ländern der heutigen zivilisierten Welt. (Damit meine ich nicht die dralle Rundlichkeit der hier nicht vorhandenen Indígenas, sondern schlicht weißhäutige Fettleibigkeit.) Inklusive der Jugend. Nur dass hier die Schuluniformröcke wieder so kurz sind wie in Mexiko, sodass es fast an Folter grenzt, Mädchen dieses Formats derartige Kleidungsstücke tragen zu lassen. Und noch etwas erinnert mehr an ein Dritte-Welt-Land denn an ein Schwellenland, das kurz davor steht, eine Industrienation zu werden: das großzügige Verteilen von Müll – sei es am Strand, sei es aus dem Autofenster. Auch wenn es mittlerweile einige gute Ansatzpunkte für Umweltschutz gibt: Chile hat von jeher seine wirtschaftliche Entwicklung in den Vordergrund gestellt, auf Kosten der Umwelt und auch auf Kosten des Menschen.

Dagegen steht der Mensch im Mittelpunkt des Interesses des Archäologischen Museums San Miguel de Azapa im gleichnamigen Ort (S 18°30’58.9’’ W 70°10’53.0’’), oder zumindest menschliche Überreste. Der hier ausgestellte Sensationsfund sind die Mumien der Chinchorro-Indianer, deren Alter mittels der C 14-Methode auf 7810 +/- 180 Jahre ermittelt wurde. Die angewandte Mumifizierungstechnik war besonders kompliziert: Unter Zuhilfenahme von Holz, Stroh und Lehm wurde die Weichteile des Körpers neu nachgebildet. Das Museum gibt auch einen guten Überblick über die Lebensweise der Chinchorro. Es befindet sich 12 km östlich von Arica, Eintritt kostet 2.000 CLP pro Person.

Die Panamericana führt zunächst durch spannende Wüstenlandschaft nach Süden. Wo heute maximal Rinnsale laufen, haben sich in der Vorzeit mächtige Flüsse ihren Weg zum Pazifik gebrochen. Kilometerlange Rampen führen die 1.200 m hohen Wände zum Flussbett hinunter, über eine Brücke und wieder hinaus. Chile fördert ein Projekt „Kunst in der Wüste“, wo Bildhauer ihre Skulpturen in der Natur aufstellen können. So sieht man hin und wieder interessante Kunstobjekte im Nichts. Bei Cuya gibt es einen SAG-Posten, doch werden derzeit keine Lebensmittelkontrollen durchgeführt (S 19°09’37.2’’ W 70°10’49.0’’). Inzwischen nimmt der Wind zu. Immer stärker bläst er, fegt die Motorradfahrer fast von der Straße und lässt hunderte von Minitornados entstehen. Nachts dann schläft der Wind komplett ein.

Südlich von Tiliviche biegen wir von der PanAm zur Küste ab. 39 km sind es bis Pisagua, einem geschichtsträchtigen Dorf. Auf der Suche nach einem ruhigen Übernachtungsplatz – es ist Osterwochenende, und auch die Chilenen lieben campen – folgen wir der Beschilderung nach Pisagua Viejo, ein paar Ruinen, wo wir auf einer Anhöhe über dem Meer gut aufgehoben sind: S 19°33’21.7’’ W 70°12’10.5’’. Hübsch wäre auch: S 19°33’45.4’’ W 70’12’25.6’’. Im neuen Ort selbst gibt es eine Campingzone bei S 19°35’44.8’’ W 70°12’31.0’’.

Arica, Chile – Keine Gurken für Chile

April 5th, 2012

Fünf Minuten. Länger dauert es nicht, bis der Ausreisestempel und das Fahrzeugzollpapier abgestempelt sind. Ein peruanischer Beamter begleitet uns, damit wir uns zurechtfinden. Auch auf der chilenischen Seite überschlagen sie sich vor Freundlichkeit, fast wirkt es, als stehen sie in Konkurrenzkampf. Bei den Chilenen dauert es nur so lange, da wir an jeder Station ein Formular ausfüllen müssen: zunächst bei der Passbehörde, dann beim Hygieneamt. Nach Chile darf nichts auch nur ansatzweise Frisches oder Lebendes eingeführt werden. Die gemeine Fruchtfliege ist das Corpus Delicti, die Reblaus und ein paar andere Schädlinge und Krankheiten, die Chile nicht hat und vor allem nicht haben möchte. Das Ganze grenzt an Paranoia, andererseits ist es verständlich. Listen mit den erlaubten Lebensmitteln sowie eine Karte der Kontrollstellen innerhalb des Landes gibt es unter www.sag.cl (nur Spanisch, ich kann die Formulare auf E-Mailanfrage auch weiterleiten). Die Strafen für Schmuggel sind drastisch und betragen mindestens 150 bis 10.000 Euro.

Da man als Camper eigentlich immer etwas Verbotenes dabei hat, kreuzt man in jedem Fall „ja“ bei der entsprechenden Formularfrage an. Zwei Beamte kommen mit in die Kabine. Meine Gurke, die Limonen und die halbe Zwiebel biete ich freiwillig an, ja wir kauften sogar extra ein wenig mehr, damit wir etwas Billiges zum Abgeben haben und keinen Verdacht erwecken. Der Beamte braucht schließlich Erfolgserlebnisse. Der kleine Käserest und zwei Scheibchen Wurst müssen auch dran glauben, nur originalverschweißte Ware darf ins Land. Der Kühlschrank wird geöffnet: „Oh, Eier sind auch nicht erlaubt!“ Weiß ich doch, „die sind gekocht“. Die Eier dürfen im Fach bleiben, meine Behauptung wird nicht geprüft, genauso wenig wie der Rest des Kühlschranks, nicht einmal das Gefrierfach. Lediglich die Backofen- und die Badtür werden aufgemacht, doch sonst nicht ein einziger Schrank auf der Suche nach verbotenen Lebensmitteln. Andererseits, womit wir wieder beim Thema wären: Können diese Augen lügen?

Auch das letzte Zollformular wird korrekt, geordnet und höflich lächelnd abgearbeitet, freundlich werden wir darauf hingewiesen, dass wir samt Fahrzeug drei Monate in Chile bleiben dürfen, die Aufenthaltsdauer aber an jeder beliebigen Aduana-Station verlängern lassen können. Die beiden Grenzübergänge kosten uns weniger als eine Stunde, keinen Cent und keine einzige Kopie. Chile befindet sich in einer anderen Zeitzone, außerdem hat es (noch) Sommerzeit, sodass wir unsere Uhren zwei Stunden vorstellen müssen.

In der Grenzstadt Arica kaufen wir an der ersten COPEC-Tankstelle das sehr nützliche Set Chiletur COPEC 2012, bestehend aus drei Reiseführern für Nord-/Mittel-/Südchile, einem Camping- und Nationalparkführer sowie einem Heft mit Landkarten und Stadtplänen. Die Bücher sind auf Spanisch, mit sehr guten Detailkarten und alle auch einzeln zu erhalten. Kostenpunkt fürs Set: 13.990 chilenische Peso, wobei 1.000 CLP etwa 1,60 € entsprechen.

Der nächste Gang führt uns in einen Handyladen, wo ich eine entel SIM-Karte (7.000 CLP inkl. 10.000 CLP Gesprächsguthaben) sowie einen entel Internetstick (24.000 CLP inkl. 10.000 CLP Guthaben) erstehe. Die Aktivierung des Modems, so wird sich später herausstellen, ist etwas kompliziert, da man dazu das braucht, was man in den USA Sozialversicherungsnummer, in Peru DNI und in Chile RUT nennt. Doch die Dame vom technischen Callcenter ist hilfreich und gibt ihre eigene Nummer heraus. Als Adresse nehme ich die nächste, die das Navigationssystem anzeigt, und schon sind wir online. Für die 10.000 Peso können wir eine Woche unbegrenzt surfen, ein Monat ohne Datenlimit schlägt mit 35.000 Peso zu Buche.

Viel gibt es in Arica nicht zu sehen. Sowohl die Aduana, das ehemalige Zollgebäude, wie auch die Kirche San Marcos von 1875 (S 18°28’43.5’’ W 70°19’21.4’’) sind Eisenkonstruktionen des französischen Stararchitekten Gustave Eiffel, der 1889 den Eiffelturm schuf. Die Stadt hat einige Strände in der Nahzone nördlich und südlich aufzuweisen, an denen man campen kann. Sicherheitsprobleme gibt es in Chile kaum. Im Stadtbereich ist uns zu viel los, wir entscheiden uns für die Playa Corazones im äußersten Süden, wo es am Ende der Straße einen asphaltierten Parkplatz gibt (S 18°32’53.8’’ W 70°19’50.8’’). Leider schließen Gründonnerstagnacht die Diskotheken morgens um fünf, und die Jungs und Mädels müssen irgendwohin, bevorzugt an diesen Strand, aber das konnten wir nicht wissen.

Ilo, Peru – Der letzte Tag

April 4th, 2012

Der Süden Perus ist so unterschiedlich wie das ganze Land. Während sich weiter östlich der Altiplano auf 3.800 m um den Titicacasee zieht, schwingt sich im Westen die Panamericana durch endlose Wüste hinab gen Meer und zum einzigen Grenzübergang mit Chile. Bei Moquegua, kurz vor der großen Kreuzung PanAm (Tacna, Chile) und PE 32 (Puno, Bolivien) gibt es eine Lebensmittelkontrolle. Die Einfuhr der allermeisten Früchte, Avocados, Tomaten und anderer Gemüsesorten ist wegen möglicher Fruchtfliegenübertragung verboten. Da der Import frischer Lebensmittel nach Chile sowieso so gut wie ausgeschlossen ist, haben wir fast nichts dabei. Unsere Limonen, Gurke und die halbe Zwiebel dürfen wir behalten. Die Beamtin bewundert zwar unsere Kabine, öffnet jedoch keine Türe, nicht einmal den Kühlschrank. Sie glaubt mir auch so.

Knapp 50 km weiter zweigt rechts eine Straße nach Ilo ab. Von da ziehen sich für die nächsten 130 km einsame Strände hin, die zum Campen einladen, bevor man die Panamericana wieder trifft, z.B. S 17°43’42.5’’ W 71°16’51.5’’.

Arequipa, Peru – Das Kloster Santa Catalina: Eine wahre Geschichte in mehreren Teilen

April 3rd, 2012

Nachdem sie unter dem Bogen durchgeschritten waren, mussten sie ihre Lippen verschließen und ein Leben in feierlichem Schweigen verbringen. Die Novizinnen des Klosters Santa Catalina verbrachten vier Jahre, bevor sie ihr Gelübde ablegen oder sich entscheiden konnten, zu ihren Familien zurückzukehren. Letzteres hätte jedoch ohne Zweifel Schande über die Familie gebracht. In spanischen Oberklassefamilien war es in kolonialen Zeiten üblich, dass der zweite Sohn oder die zweite Tochter in den kirchlichen Dienst eintrat. Das Kloster Santa Catalina wurde 1580 von einer reichen Witwe gegründet, die ihre Nonnen sorgfältig aussuchte. Sie kamen nur aus den besten spanischen Patrizierfamilien und mussten eine ansehnliche Mitgift und jährliche Alimente zahlen.

Hier beginnt der zweite Teil der Geschichte: Normalerweise bedeutete das zumindest für die Töchter ein Leben in der keuschen Armut eines Nonnenklosters. Nicht so in Santa Catalina. Nach Ablegen des Gelübdes wurde das Armuts- und Schweigegelöbnis nicht mehr so streng gehandhabt, auch Besucher durften empfangen werden, wenn auch getrennt durch Sprechgitter. Hinter den Klostermauern jedoch lebten die 150 privilegierten Frauen in Saus und Braus. Jede von ihnen hatte ein bis vier meist schwarze Dienerinnen oder Sklavinnen, lebte in verhältnismäßig großen, prachtvollen Räumen, ausgestattet mit Küchen und edelstem Porzellan, je nach Reichtung der jeweiligen Nonne. Sie luden Musiker ein, veranstalteten Partys und lebten ihr gewohntes reiches Leben weiter.

Part drei scheint unvermeidlich: Nach drei Jahrhunderten hedonistischen Ausschweifungen sandte Papst Pius IX Schwester Josefa, eine strenge Dominikanernonne, um die Dinge gerade zu rücken. Wie ein Tornado fegte sie 1871 durch das Kloster, schickte die Partynonnen nach Hause und befreite die Dienerinnen und Sklavinnen. Einige von ihnen verblieben als Nonnen. Die vierte Episode der Catalina-Saga bleibt dagegen ein Geheimnis der katholischen Kirche. Für 100 Jahre drang nicht ein Wort mehr nach außen, bis das Kloster 1970 – nicht zuletzt auf Drängen des Bürgermeisters von Arequipa – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und damit die fünfte und bislang letzte Etappe begann.

Die 20.000 qm große Anlage ist eine Stadt in der Stadt, ein Fort mit Straßen und Plätzen, umgeben von einer imposanten Schutzmauer. Nach den verheerenden Erdbeben von 1958 und 60 wurden die Gebäude nicht vollständig restauriert, auf den Wiederaufbau der zweiten Stockwerke wurde verzichtet. Viele der recht komfortablen Zellen stehen frei zur Besichtigung, genau wie die Klosterküche und -bäckerei, die Badewanne der Nonnen, der Waschplatz, der untere Chor, wo die Nonnen ungesehen am Gottesdienst teilnehmen konnten, die Pinakothek mit zahlreichen Gemälden und der Kreuzgang.

In einem kleinen abgelegenen Teil modernerer Bauweise des Klosters leben die heute verbliebenen Nonnen. Wie Geister huschen sie manchmal durch die Gänge. Noch immer backen sie Süßigkeiten zum Verkauf und sündige süße fette Torten, die im hauseigenen Café angeboten werden. Jörg schafft zwei Stück, ich kämpfe schon mit dem einen und brauche später dringend einen Jägermeister, da die ungewohnte Eine-Million-Kalorienbombe meinem Magen zu schaffen macht.

Das Kloster Santa Catalina die die Attraktion Arequipas, wenn auch mit 35 PEN Eintritt  (10 €) nicht gerade günstig. Deshalb auf den Besuch zu verzichten wäre schade, denn die Stimmung ist mythisch, die Erinnerung an die verwegenen Nonnen lebendig und die Motive für Fotografen zahllos. Eine Führerin bekommt man für 20 PEN pro Gruppe (auch in Deutsch), die Tour dauert eine Stunde. Dabei werden viele Zellen ausgelassen, die man anschließend noch selbstständig aufsuchen kann. Wir gehen lieber alleine. Am Ticketschalter erhält man einen exakten Plan, auf dem jede einzelne Zelle eingezeichnet ist, die man besuchen kann, und mit dem man sich im Gassengewirr nicht verlaufen kann. Zwei bis drei Stunden Zeit sollte man sich mindestens gönnen. Dienstags und donnerstags hat das Kloster bis 20 Uhr geöffnet und wird dann von Laternen stimmungsvoll beleuchtet.

Arequipa, Peru – Start in die heilige Karwoche

April 1st, 2012

Klar und hell tönt die Stimme der jungen Frau, sie singt zum Herzerweichen schön. Leider kann man das über die nachfolgende Predigt des Bischofs nicht sagen. Lustlos leise leiert er seine Psalmen herunter. Dank eines hallenden Mirkofons verstehen wir nicht ein Wort. Als die ersten Gläubigen auf den Bänken neben uns einzunicken beginnen, verlassen wir die Kathedrale. Durch Zufall sind wir in die Heilige Messe geplatzt, angelockt von der Engelsstimme und der Langeweile der endlosen Verspätung des Umzugs. Um 16 Uhr sollte es losgehen, um 17 Uhr tut sich noch immer nichts, und endlich um 17 Uhr 30, als das Licht schon schwindet, zeigen sich erste Aktivitäten. Da sitzen wir schon längst beim Bier auf einem der Balkone rund um die Plaza mit Erste-Reihe-Blick auf das Geschehen.

In ganz Lateinamerika gilt die Semana Santa, die Karwoche, als das wichtigste Fest im ganzen Jahr. Je nach Region wird Urlaub gemacht, gefeiert, vor allem reichlich getrunken, oder auch ganz vorschriftsmäßig in die Kirche gegangen und Prozessionen gelaufen. In Arequipa gelten die Osterfeierlichkeiten als besonders festlich und nahe am spanischen Original aus Sevilla – heute vielleicht noch originaler als das Original. Bereits am Wochenende vor Ostern beginnen die Festumzüge. Der Bischof quält seine Schäfchen noch ein wenig länger als geplant, dann endlich darf das Soldatencorps in die Kathedrale. Schwankenden Ganges kommen die 28 Soldaten wieder heraus, auf den Schultern eine überlebensgroße, unendlich schwer scheinende Jesusstatue auf einem Holztableau, die selbst schwer an ihrem Kreuz zu tragen hat.

Danach trägt eine noch größere Gruppe Gläubiger die Heilige Jungfrau von Chapi, Schutzheilige der Stadt, auf einer ebensolchen Holzplattform aus der Kirche. Den Männern fehlen der Gleichschritt-Schliff und die regelmäßige körperliche Ertüchtigung der Soldaten, daher schwanken sie noch mehr und scheinen unter ihrer schweren Last fast zusammenzubrechen. Untermalt wird das ganze noch dramatisch von Musik aus dem Lautsprecher oder einer klagenden Sängerin. Mittlerweile ist es stockdunkel, zum Glück sind die beiden Statuen beleuchtet, als sie ihren langen Weg durch die Stadt und später zurück zur Kathedrale beginnen.

Arequipa ist mit einer knappen Million Einwohner die zweitgrößte Stadt Perus mit einem schönen, überschaubaren historischen Zentrum, das wie so vieles in den letzten Jahrzehnten zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt wurde. Die kolonialen Gebäude um die zentrale Plaza de Armas mit Springbrunnen und altem Palmenbestand und vieler angrenzender Straßen sind aus hellgrauem Sillar, einem Vulkanstein erbaut, was Arequipa den Beinamen „weiße Stadt“ eintrug. Eine Seite der Plaza wird komplett von der Kathedrale eingenommen, eine zweite von der Stadtverwaltung mit untervermieteten Räumen. Die beiden anderen gegenüberliegenden Seiten werden ebenfalls von Arkadengängen mit unzähligen Läden gesäumt, auf den Balkonen der ersten Stockwerke liegen die Restaurants.

Arequipa weist ein einmaliges Frühlingsklima auf: Auf 2.350 m üNN herrschen warme Tagestemperaturen von um die 25°, nachts angenehm kühle 15° C. Das Paradies wurde trotzdem noch nicht wiedergefunden. Zahlreiche Katastrophen zerstörten mehrfach Kathedrale und Stadt: Brände und immer wieder Erdbeben, das letzte 2001. Unermüdlich werden die historischen Gebäude nach jeder Naturkatastrophe wieder aufgebaut, und dank solider und vor allem flacher Bauweise bleibt das meiste erhalten. Überragt wird die Stadt von einigen mächtigen schneebedeckten Vulkanen: dem perfekt kegelförmigen El Misti, Arequipas 5.822 m hohes Wahrzeichen, dem höheren und zerklüfteteren Chachani (6.075 m) zur Linken und dem 5.571 m hohen Pichu Pichu auf der rechten Seite. Trotz blauen Himmels sind die Berge wegen des Smogs der Millionenstadt leider nur selten klar zu erkennen. Wer einen besseren Tag erwischt, fragt in der Stadtverwaltung, ob er vom Balkon im ersten Stock ein Foto machen darf. Dann erscheint El Misti genau zwischen den beiden Türmen der Kathedrale – das perfekte Postkartenmotiv.

Arequipa, Peru – Flamingos und Elefantenrennen

März 30th, 2012

Peru ist nicht gerade gesegnet mit Wildtieren. Die Küste ist bewohnt oder mit Hühnerfarmen zugepflastert. Dei Anden sind leer gejagt und -gefressen. Umso mehr genießen wir unsere Fahrt durch die Berge. Immer wieder kreuzen scheue Vikunjas unseren Weg, drei Kondore kreisen ganz umsonst für uns. An einem roten Salzsee lebt eine kleine Kolonie Flamingos. Es ist schon seltsam, Vögel, die für uns (fälschlicherweise) Tropen und Hitze symbolisieren, auf kalten 4.200 m zu sehen. Die quietschrosa Wasservögel staksen durch die salzige Lagune, den Schlamm nach Plankton durchkämmend. Ein paar grau gefiederte Jungtiere sind auch dabei. Die poppige Gefiederfarbe erhalten sie erst im Laufe der Zeit durch Farbstoffe, die sie mit ihrer Nahrung, vor allem aus bestimmten Algensorten, zu sich nehmen.

Die 120 km Schotterstraße von Huambo zur Panamericana sind gut befahrbar. Mehrfach überqueren wir Pässe auf gut 5.000 m Höhe. Als sich die Piste endgültig von den fast vegetationslosen Höhen verabschiedet, durchqueren wir eine Vielzahl von Klimazonen: Auf Gras folgen Krüppelbäume, dann Kakteen, schließlich trockene oder auch bewässerte und landwirtschaftlich genutzte Wüste, durch die ein scharfer, doch warmer Pazifikwind pfeift. Die Temperatur steigt auf 29°. Sonne, Wärme und Sauerstoffüberschuss lassen uns übermütig werden. Mit 90 Sachen sausen wir über die breite Wellblechpiste hinweg. Auf der brettlebenen Panamericana angekommen, immerhin noch 1.500 m über dem Meeresspiegel, fordert uns der Fahrer eines leeren Lkw zum Rennen heraus, was wir mit 130 zu 120 km/h gewinnen – nach GPS, nicht nach Tacho! Die Crew auf der Ladefläche feuert uns begeistert an und winkt beim Überholen mit einer imaginären Zielflagge.

Für die Zweifler unter Euch: Wir werden ein Beweisfoto nachreichen, aber erst, wenn wir die neuen Reifen haben und in Meeresnähe sind, dann wird das Ergebnis dank größeren Abrollumfangs und höheren Sauerstoffgehalts noch spektakulärer ausfallen. Ansonsten aber müssen wir sagen, dass das Befahren enger, steiler, unbefestigter Bergstrecken trotz Steinschlag-, Erdrutsch- und Abbruchgefahr weit sicherer ist, als sich mit den Fahrern auf der PanAm und dem Highway nach Arequipa herumzuschlagen. Haarsträubende Überholmanöver und egozentrisches Kreuzung versperren begleiten uns in Perus zweitgrößte Stadt hinein.

Wir schaffen es unfallfrei bis ins Zentrum, wo das Hostal Las Mercedes Camping im Innenhof anbietet – Arequipas einzige Möglichkeit. Das Hostal liegt günstig zentrumsnah, zu unserem Leidwesen an einer vielbefahrenen Hauptstraße. Der Campingbereich auf Rasen liegt hinter einer Mauer direkt neben der lauten Straße, für uns Naturfreaks kaum mehr als eine Nacht ertragbar. Mittlerweile jedoch nutze ich südamerikanischen Machismo – das stolze Betonen vermeintlich männlicher Stärken – schamlos aus, macht er doch eine Hälfte der Bevölkerung leicht manipulierbar. Ich schließe schnell Freundschaft mit dem Rezeptionisten. Wir dürfen direkt neben dem Hotelgebäude hinter einer Art Wall parken. Das ist nicht nur weiter von der Straße entfernt, der Wall hält den Schall zusätzlich ab. Außerdem haben wir hier vollen WiFi-Empfang, der im Camperbereich auf Null sinkt. Der Einheitspreis inkl. Wasser, Strom, Toilette, heißer Dusche und Internet beträgt 22 PEN pro Person und Nacht. Das Personal ist freundlich, Camper werden wie Gäste behandelt. Hostal Las Mercedes, Arequipa: S 16°24’02.7’’ W 71°32’31.2’’.

Cañon de Colca, Peru – Der wahre König der Lüfte

März 29th, 2012

Kondore halten sich nicht an Zeitpläne oder Reiseführer. Um 7 Uhr tut sich noch nichts, auch um 8 Uhr noch nicht. Erst um halb neun ist es warm genug, dass sich der erste langsam kreisend in die Luft schraubt. Die majestätischen Vögel benötigen Thermik, die jetzt in Form eines kräftigen Aufwinds vom Talboden her hoch bläst. Fliegen ist bei bis zu 3,20 m Flügelspannweite zu energieaufwändig. Elegant segelnd fast ohne Anstrengung lässt sich der Welt größter Greifvogel in Höhen über 5.000 m tragen, von wo aus er Ausschau nach Aas hält.

Trotzdem bleibt der Andenkondor ein Raubvogel und ist durchaus in der Lage, ein Schaf oder ein junges Kleinkamel zu reißen. Jahrhundertelang (insbesondere seit der spanischen Eroberung) wurde er dafür von den Bauern gejagt und fast ausgerottet. Dabei bevorzugt der Vogel Aas und räumt Kadaver weg. Der männliche Andenkondor wiegt bis zu 15 kg, Weibchen sind etwas leichter. Mit unseren Altweltgeiern ist er nicht verwandt, dafür mit den Störchen.

Die schwarz-grauen Vögel bleiben lange bei uns. Selbst um die Mittagszeit noch erheben sich Spätaufsteher in den blauen Himmel. Eine kleine pummelige falbfarbene Wildkatze versteht es bestens, von den staunenden Massen nicht gesehen und fotografiert zu werden. Am Canyonrand tummeln sich Viscachas. Viel zu spät können wir uns von den Luftgleitern trennen. Nur 60 km weit kommen wir an diesem Tag auf der Erdpiste weiter, vorbei an Hängen, die mit unzähligen Terrassenfeldern übersät sind, die seit der Inkazeit in Schuss gehalten werden. Kurz hinter Huambo gibt es eine alte unbenutzte Fluglandepiste, auf der wir es uns für die Nacht gemütlich machen.

Kaum zwei Stunden später klopft es dezent an Kabinenwand. „Polizei!“ ruft es, als ich das Fenster öffne. Die beiden armen Beamten müssen in ihren Capes im strömenden Regen Streife laufen. Ich weiß nicht, was sie gedacht haben, jedenfalls sind sie erleichtert, dass wir Touristen sind. Die Gegend sei gefährlich, Viehdiebstahl, Wilderei, Raub und sogar Mord gebe es hier. Ich vergesse zu fragen, wann das letzte Mal etwas passiert ist. Für Peruaner ist immer alles schrecklich gefährlich. Am liebsten hätte man uns stets auf der Plaza de Armas, dem zentralen Platz mitten im Ort. Bestimmt ein sicherer, wenn auch nicht unbedingt ruhiger Ort zum Übernachten. Ich glaube, das peruanische Volk ist noch immer traumatisiert von der Zeit, als Sendero Luminoso das Land mit Gewalt überzog. So gefährlich scheint die bewachsene Landebahn dann doch nicht zu sein, denn wir werden nicht vertrieben. Wir sollten vorsichtig sein und uns gut einschließen, werden wir gemahnt. Machen wir. Und jetzt, wo die beiden Streife laufen, können wir ja beruhigt schlafen. Wer sich’s auch traut: S 15°44’40.3’’ W 72°06’46.1’’.

Cañon de Colca, Peru – Bei Nacht und Nebel

März 28th, 2012

Es gibt eine Abkürzung. Von der Straße PE 30A Juliaca-Arequipa in Richtung Colca Canyon geht von Imata eine kleine Schotterpiste nach Chucura, was die Kilometerzahl von hier halbieren würde. Zu zweit (mit dem schweizerischen MAN) ist man natürlich mutiger, trotzdem erkundige ich mich in Imata beim einzigen Mann, den ich finden kann, nach dem Straßenzustand. Der Mann sieht mich etwas verstört an, was schon Alarmglocken schrillen lässt, aber er meint, die Straße wäre „norrmall“ – ein hübscher peruanischer Ausdruck, den wir öfter zu hören bekommen, vor allem wenn es um Straßen geht. Also los geht’s. Nach nur wenigen Kilometern wirkt der Weg verdächtig unbefahren, wir müssen uns eine Furt durch einen Fluss suchen, da es auf Straßenhöhe nur eine Abbruchkante gibt. Wir kommen nicht weit, da endet die Piste in einer Wasserfläche: ein Stausee, der auf unseren Karten und Navigationssystemen nicht vermerkt ist.

Wir kehren zurück zur letzten Abzweigung, nehmen einen anderen Trail und finden schließlich hinter der Staumauer unsere alte Route wieder. Nach etlichen Kilometern versperrt uns eine Bake erneut den Weg – ein weiterer Stausee, wie wir erfahren. Was nun? Ein vorbeikommender Pick-up-Fahrer zeichnet uns den „einzigen Weg“, wie er versichert, in den Sand. Seine Angaben stellen sich als präzise heraus, allerdings fahren wir im Endeffekt genauso viele Kilometer Schotter, wie wir auf Asphalt gefahren wären, brauchen aber doppelt so lang.

Zumindest die Landschaft war es wert: hoher weiter Altiplano, riesige Ebene mit hohen Bergen und Gletschern an den Horizonten, endlose Lama- und Alpakaherden vermischt mit wilden Vikunjas und zahllose Flussdurchfahrten. Die Route ist kompliziert und wegen der Kilometerzahl nicht unbedingt sinnvoll, aber eben off-road bzw. bei Imata könnte man in der Nähe des ersten Stausees nicht allzu weit von der Straße entfernt einen ruhigen Übernachtungsplatz finden (in der Gegend von S 15°49’17.8’’ W 71°08°52.6’’). Zurück auf der Straße finden wir Diana und Rüdiger aus Weiden mit ihrem Landrover am Wegesrand, die später den Nachtplatz mit uns teilen werden. Kurz darauf kommen uns Alexandra und Markus entgegen, die beiden Radfahrer, die wir bereits auf einem Campingplatz in einem Weinort südlich von Lima getroffen haben.

Bei Yanque fahren wir in den Cañon de Colca ein, hier befindet sich die Kontrollstation, wo der Eintritt entrichtet werden muss. Auch hier muss man ein Boleto Turistico lösen, das mittlerweile unglaubliche 70 Nuevo Soles (knapp 20 €) pro Person kostet. Die spinnen, die Peruaner! Nicht mit mir. Den Latino-Tarif gibt es schon für 40 PEN (11 €). Dass in dem Fall Blondhaar und blaue Augen nicht gerade förderlich sind, dürfte klar sein. Doch die Dackelblick-Nummer zieht auch bei den hiesigen Machos. Eine gute Begründung, warum man den Ausländertarif nicht bezahlen möchte, muss sich schon jeder selbst suchen. Die Eintrittskarte gilt theoretisch für eine unbedeutende Ruine, das Valle de los Volcanes, wo man bei gutem Wetter mehrere Vulkane sehen kann, sowie den Cañon de Colca, in den man hinabsteigen kann.

Der Colca Canyon galt mit 3.191 m Tiefe eine Zeit lang als tiefste Schlucht der Erde, zumindest aber der westlichen Hemisphäre. Diesen Rang hat ihm der 150 m tiefere benachbarte Cañon del Cotohuasi abgelaufen. Der 100 km lange Colca Canyon ist zwar immer noch doppelt so tief wie der Grand Canyon in den Vereinigten Staaten, dennoch kein Vergleich mit dem. In Arizona schnitt sich der Colorado River von einer Ebene aus beeindruckende1.500 m in die Tiefe. In Peru schaut man rund 1.000 m zum Rio Colca hinunter, der sich ein V-förmiges Tal schuf, darüber ragen die Berge 2.000 m hoch. Trotzdem ist der Cañon de Colca ein schöner Anblick.

Hauptattraktion jedoch ist der Aussichtspunkt Cruz del Condor, wo man Kondore beobachten kann. Auf der Zufahrt von Süden gibt es keinen Kontrollposten doch werden am Miradór häufig die Eintrittskarten kontrolliert. Auf dem großen Asphaltparkplatz daneben soll Campen angeblich nicht erlaubt sein. Als wir hier eintreffen, ist die Dunkelheit bereits eingebrochen und dichter Nebel mit Sichtweiten unter 20 m hüllt uns ein. Schon aus Sicherheitsgründen würden wir keinen Meter weiter fahren, doch niemand vertreibt uns hier: S 15°36’45.0’’ W 71°54’14.5’’.

Sillustani, Peru – Die Begräbnistürme von Sillustani

März 27th, 2012

Sie waren ein kriegerisches Volk, das seinen Adel so verehrte, dass es ihm Türme für die letzte Reise baute. Die Colla dominierten einst den Titicacasee, nach ihrer „Eingliederung“ wurden sie die südöstlichste Gruppe der Inka und führten die Tradition der Begräbnistürme auf höherem bautechnischem Niveau fort. Solche runden Türme finden sich überall in der Gegend. Die größten und am besten erhaltenen sog. Chullpas befinden sich in Sillustani auf einer hügeligen Halbinsel im Umayo-See. Je höher die Position eines Adeligen gewesen war, desto größer war der Turm, in dem er beigesetzt wurde. Ganze Familien fanden samt Hab und Gut und sogar Nahrungsmitteln in dem Bauwerk ihre letzte Ruhestätte.

Die älteren Grabtürme sind niedriger und aus unbehauenen Steinen recht grob zusammengezimmert. Die Inka-Baukünstler dagegen verwendeten passgenaue Blöcke, die sie bis zu 12 m hoch und sich nach oben verbreiternd aufmauerten und die sie teilweise mit erhabenen Steinreliefs aus Tiermotiven wie Eidechse oder Schlange verzierten. Die Grabbeigaben fielen lange vor Ankunft der Wissenschaft und des Tourismus Grabräubern zum Opfer. Der Eintrittspreis zu den Begräbnistürmen von Sillustani ist auf 10 PEN gestiegen. Dafür kann man auf dem Parkplatz hinter der Schranke (S 15°43’26.2’’ W 70°09’03.4’’) kostenlos campen, wenn man das Eintrittsticket vorher löst, wie wir es gestern Abend taten.

Auf dem Parkplatz treffen wir heute Silvia und Diego mit ihren beiden jungendlichen Kindern und ihrem MAN-Lkw auf Ein-Jahres-Südamerikareise. Die schweizerische Familie und wir beschließen, ein Stück gemeinsam zu reisen. Vorher aber besuchen wir eines der Häuser im Pukara-Stil am Weg zurück zur Hauptstraße. Die Ortsansässigen öffnen ihre Heime dem ausländischen Besucher und wissen genau, was der gemeine Tourist benötigt. Ein paar Lamas und Alpakas zum Fotografieren, dazu ein armes Baby-Guanako, das die nach uns eintreffende asiatische Busgruppe gar nicht erbaulich findet.

Wir konzentrieren uns aufs Innere: Eine Mauer mit einem kleinen Rundtor umschließt einen quadratischen Hof, der an drei Ecken kleine Adobe-Einraumhäuser beherbergt, die als Wohn- oder Lagerstatt dienen. In einer Ecke, die vielleicht sonst Gemüsegarten wäre, führt man uns den Gebrauch der traditionellen Feldwerkzeuge vor. Hier werden auch die Meerschweinchen unter freiem Himmel gezüchtet, allerdings besitzen sie ein eigenes kleines Haus als Unterstand. Das Bett im Wohnhaus besteht aus einem Gestell, einer Schilfgrasmatratze mit Lamafellauflagen und bunten selbstgewebten Decken, die man selbstverständlich kaufen kann. Genau wie die selbstgeknüpften Lamateppiche, deren Herstellungstechnik man uns prompt vorführt.

Die Kochstelle befindet sich im Freien, und zur touristischen Erbauung hat man die Früchte der lokalen Agrarprodukte ausgestellt: Quinoa, diverse, zum Teil spiralförmige Kartoffelsorten, Oca, eine ebenfalls stärkehaltige Knollenfrucht, und Chuño, eine Bitterkartoffel, die bis 4.500 m angebaut und im indigenen Gefriertrocknungsverfahren haltbar gemacht wird. Die Kartoffel wird nachts Frost ausgesetzt und am Tag in der warmen Sonne wieder getrocknet. So wird sie extrem leicht zu transportieren und jahrelang haltbar. Appetitlich sieht die schmutzige Schrumpfknolle allerdings nicht aus. Ein weiteres Kuriosum ist Arcilla, essbarer Lehm, der als Soße zu gekochten Kartoffeln serviert wird. Eintritt wird nicht verlangt, allerdings eine freiwillige Spende oder der Kauf eines Souvenirs erwartet. Wir entscheiden uns für letzteres, davon haben wenigstens auch wir etwas.

Auf dem Weg über das Altiplano Richtung Arequipa / Colca Canyon besorgen wir den Schweizern noch einen Internetstick, dessen Kauf man ihnen verwehrt hat. Auf dem Weg zu unserem vor ausgewählten Übernachtungsplatz an der Laguna Saralocha bei Santa Lucia (S 15°48’47.8’’ W 70°37’18.7’’) passieren wir die staatliche Forschungsstation für biotechnologische Kamelzucht. Was auch immer die da genau machen, die Anzahl der umherlaufenden Lamas und Alpakas lässt auf ein erfolgreiches Programm schließen.

Juli / Titicacasee, Peru – Von der Unmöglichkeit des Reifenimports nach Peru

März 26th, 2012

Ein lautes tiefes Tuten reißt mich aus dem Schlaf. Ein Zug rattert zwei Meter neben unserer Kabine vorbei. Es ist 6 Uhr 30 und die Nacht war viel zu kurz oder der Abend mit Ela und Stefan viel zu lang, doch die Diskussionen interessant. Parken mit Weck-Zug für 15 $ finde ich unerhört, aber da wir schon mal wach sind, können wir ebenso gut aufstehen, zumal die Züge jetzt in regelmäßigen Abständen fahren und hupen. Wir wollen noch ein Stück auf der peruanischen Seite des Titicacasees entlangfahren, bevor wir umdrehen. Unser ursprünglicher Plan lautete, von hier nach Bolivien einzureisen und später nach Chile zu fahren. Wir mussten unseren Plan ändern.

Der Grund ist: Wir brauchen nach zwei Jahren und 100.000 Kilometern einen Satz neuer Reifen – nicht allzu verwunderlich. Dass unser Reifentyp in Südamerika nicht erhältlich ist, wussten wir. Doch wozu gibt es Speditionen und Schiffe? So dachten wir, ohne mit Perus Sturheit gerechnet zu haben. Vor mehr als zwei Monaten begannen wir unsere Recherchen. Ein peruanischer Minenunternehmer zeigte sich spontan bereit, die Reifen für uns zu importieren. Auf mehrfache Nachfrage stellte sich heraus, dass er das selbst nicht kann und er vermittelte uns zu seiner Importfirma, die sich als außergewöhnlich schnell, hilfsbereit und zuverlässig herausstellt. Dennoch dauert natürlich alles seine Zeit: Kostenvoranschlag für See- oder Lufttransport der Pneus erstellen, Zollkosten eruieren.

Parallel arbeitet auf der anderen Seite der Welt die Firma Hellgeth, die unseren Unimog technisch umgerüstet hat, die uns die neuen Reifen schicken will und die uns in beispielloser Weise unterstützt, mit Hochdruck daran, uns ebenfalls mit Kostenvoranschlägen, mit Adressen und Alternativmöglichkeiten zu versorgen. Dann die große Überraschung: Man kann sich Reifen nicht einfach nach Peru schicken lassen, zum Import braucht man eine Ausnahmegenehmigung des Produktionsministeriums. Wir stellen den Antrag, zahlen 30 € Gebühr und sollen eine Woche auf das Ergebnis warten. Mittlerweile sind mehr als vier Wochen vergangen und das Ministerium hüllt sich weiter in Schweigen.

Natürlich sind wir in dieser Zeit nicht untätig. Sowohl die Mercedes- als auch die Michelinvertretungen in Peru sind zwar willig, können uns aber im Endeffekt wenig helfen. Es gibt einen Satz Michelinreifen im Land, der uns eine Nummer zu groß und vor allem nicht für unsere Geschwindigkeit ausgelegt ist, den wir für 7.000 US$ kaufen könnten. Unsere Reifen aus Deutschland könne man nicht importieren, da man dafür keine Genehmigung habe, die Prozedur vier Monate dauere und sich der Aufwand für vier Stück nicht lohne. Plausibel. Eine Anfrage bei der deutschen Botschaft ergibt zumindest die freundliche Empfehlung, wir sollten uns an die von ihnen genutzte Spedition wenden. Der dortige deutschstämmige Manager kennt die aussichtslose Rechtslage Perus sehr genau, verspricht dennoch, sich zu kümmern. Wir hören nicht wieder von ihm.

Die Firma Mercedes Kaufmann in Chile sieht sich ebenfalls außer Stande, uns zu helfen, aber da haben wir uns wohl unglücklich im Netz der Telefonzentrale eines großen Unternehmens verfangen. Bald zeigt sich ein Lichtblick: Der Schweizer Philip Maltry, der in Iquique / Chile eine Gleitschirmschule, eine Pension und einen Campingplatz betreibt (www.altazor.cl) offeriert uns seine Adresse und seinen Importeur, der keinerlei Probleme sieht, etwas nach Chile einzuführen. Da sich die Zollgebühren für Normalimport oder in die Freihandelszone erheblich unterscheiden, ist die Entscheidung schnell gefällt. Der nachfolgende Schock lässt nicht lange auf sich warten: Das nächste Schiff nach Chile fährt erst in ein paar Wochen, sodass wir über zwei Monate auf unsere Reifen warten müssten. Das lässt sich schlecht mit unseren Reiseplänen und der verbliebenen Profiltiefe vereinbaren. Der Lufttransport nach Chile kostet mit 2.500 € doppelt so viel wie nach Peru und ist damit indiskutabel.

Bevor sich völlige Ratlosigkeit breitmachen kann, kommt uns der Zufall zu Hilfe. Die Firma Hellgeth erhält Besuch von einem Teilnehmer des BMW-Teams der Dakar Rallye. Als im vergangenen Jahr einer ihrer Unimog einen Schaden erlitt, erwies sich der Manager der Mercedes-Kaufmann-Filiale in Copiapó / Chile als sehr hilfreich. Ich begebe mich auf die Suche nach dem Mann, finde sowohl in als auch die Empfehlung bestätigt und meine Erwartungen übertroffen. Señor Michel findet passende Reifen zu einem Preis unter dem europäischen und schickt sie an jede beliebige Kaufmann-Vertretung, in unserem Fall nach Iquique. Es handelt sich zwar nicht um Markenpneus, doch in Anbetracht unserer Notlage werden es die tschechischen Mitas-Gummis (vormals Barum), die in vielen südamerikanischen Ländern erhältlich sind (natürlich nicht in Peru), ihren Dienst erst einmal tun. Señor Michel Gazabatt spricht Spanisch sowie etwas Englisch und Französisch, kann aber den Google-Übersetzer betätigen. (Fa. Mercedes Kaufmann, Filiale Copiapó, Tel. +56-52-218870, mgazabatt@kaufmann.cl, www.kaufmann.cl)

So fahren wir mit unseren profilarmen Reifen bis Juli. Ein paar gegensätzliche Besonderheiten kennzeichnen die 8000-Seelen-Gemeinde: ein postmoderner, völlig überdimensionierter Hafen am Titicacasee, der zudem ungenutzt scheint. Der Titicacasee ist der Welt höchster schiffbarer See, sogar etwas größer als der Nicaraguasee, liegt auf gut 3.800 m Höhe und ist bis zu 274 m tief. Auch die Anzahl an ungewöhnlich heruntergekommenen oder verfallenen Kolonialkirchen steht in überproportionalem Verhältnis zur Einwohnerzahl des Dorfes. Juli war jedoch im 16. und 17. Jahrhundert Stütz- und Ausgangspunkt für die Christianisierung der Inka- und Aymaravölker am Titicacasee. Hier wurden die Jesuitenmönche auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet. Die Kirchen werden langsam restauriert, doch nur wenige sind zugänglich.

Eine der Ausnahmen bildet die einstmals pfirsichfarbene San Juan de Letrán, heute als Museum für 6 PEN zugänglich. Die Kirche ist ein koloniales Kleinod. Riesige Gemälde im Stile der sogenannten Cusco-Schule über das Leben und Sterben des Hl. Johannes des Täufers und der Hl. Teresa pflastern die Wände. Die dicken Rahmen aus fein geschnitztem Holz sind vergoldet, ihr Muster setzt sich darunter in Stein gemeißelt fort. Auch der Hauptaltar und die beiden Seitenkapellen wurden aus feinst behauenem Stein gefertigt. Alabasterfenster mit ebenfalls üppigen Goldrahmen tauchen das Kirchenschiff in sanftes Licht. Fotografieren ist verboten, aber es gibt ja nur einen Wächter. Hier ist der Punkt umzukehren und zurückzufahren, um unsere letzten zwei Peruwochen anzugehen.

Puno / Titicacasee, Peru – Schockierender Kommerz: die schwimmenden Inseln der Uros

März 25th, 2012

Eines darf man nicht erwarten: Authentizität. Wenn man aufs Schlimmste, ja aufs Allerschlimmste gefasst ist, dann kann man dem Ganzen mit einer guten Prise Humor und Verständnis für das Bestreben der Menschen, Geld zu verdienen und ein vermeintlich besseres Leben zu führen, wie für das, was Tourismus anrichten kann, etwas abgewinnen. Nämlich, dass man die schwimmenden Inseln der Uros einmal gesehen und vor allem betreten hat. Was einst als bitterer Ernst begann, ist heute Show und Kommerz. Das kleine Volk der Uro lebte ursprünglich an den Ufern des Titicacasees. Auf der Flucht vor den aggressiven Collas, den Inkas und schließlich den Spaniern flüchteten sie zunächst mit Booten und bauten sich dann schwimmende Inseln im See, um ihre Kultur zu schützen und ihr eigenes Leben zu leben (das Ziel scheinen sie etwas aus den Augen verloren zu haben).

Die Inseln bestehen aus Totora-Schilf, das in den flachen Zonen des Sees bis 15 m Tiefe in rauen Mengen wächst. Jede Insel besteht aus vielen Schichten, die von unten wegfaulen und von oben immer wieder ersetzt werden müssen. Auch die traditionellen Boote sind dicht aus Reet geflochten und überdauern nur einige Monate. Schilf wird ebenfalls verwendet für den Hausbau – die traditionelle Tipi-Form wie das moderne Rechteckhaus mit einem Dach aus Plastikfolie – die handgefertigten Souvenirs, die Touristen zum Kauf angeboten werden und ist sogar teilweise essbar.

Puno ist der Ausgangspunkt für Ausflüge zu den Uro-Inseln. Im Hafen erhaschen wir ein Boot, das nur wenige Minuten später abfährt. Die Hin- und Rückfahrt kostet 10 PEN plus 5 PEN Eintritt auf eine Insel, dauert 30 Minuten und geht stündlich oder öfter. Eine ganze Ansammlung von Inseln liegt im Kreis in einer „Lichtung“ des Schilfgrases. Alle ähneln sich, wirken wie Uro-Modellinseln für Touristen (was sie wohl auch sind) und werden abwechselnd angefahren. Zum Glück ist heute nicht viel los.

Auf der Insel betreten wir erstmals den schwankenden Boden, der bei jedem Schritt nachgibt – es läuft sich schon sehr komisch. Eine der jungen Frauen in Uro-Tracht mit lustigen schwarzen Bommeln an den Zopfenden erklärt sich zu unserem Guide und mit Hilfe eines modernen Digitaldruckplakats den Titicacasee. Mit kleinen Modellen veranschaulicht sie uns den Aufbau der Inseln, wie sie fest gepflockt werden, um nicht wegzuschwimmen, und erzählt lediglich die halbe Geschichte der Uros – gejammert wird nur über die Spanier. Das verdächtig unbenutzt aussehende Häuschen enthält ein Bett, auf dem angeblich die Kinder schlafen (die Eltern auf dem Boden), ein paar Kleidungsstücke, ein Solarpaneel, eine Autobatterie und einen uralten kaputten Fernseher, den nicht einmal mehr ein Uro-Indianer benutzen würde. Alles darf kostenlos fotografiert werden.

Die Bewohner Punos behaupten, die Uro würden gar nicht mehr auf den Inseln leben, sondern auf dem Festland schlafen. Möglich ist das, andererseits stehen am äußeren Rand des Inselkreises richtige Häuser auf Pontons, die aussehen, als ob sie bewohnbar wären. Nach der Hausbesichtigung werden wir zum Verkaufsstand geführt, wo man das Kunsthandwerk der Uros erstehen kann. Wir hörten sogar schon, dass die Damen durchaus verärgert reagieren können, wenn man nichts kauft. Wir lassen es nicht so weit kommen, sind doch die Miniaturschilfboote recht niedlich. Für weitere 5 PEN kann man sich mit einem kunstvoll gefertigten Reetboot auf die Hauptinsel fahren lassen, oder man fährt mit dem Ausflugsboot hinüber, wo man noch mehr Souvenirstände und ein Restaurant besuchen kann.

Zur Verabschiedung des Schilfboots liefern die beiden Hauptakteurinnen eine perfekte Touristenshow: Erst singen sie mit hohen Sopranstimmen ein Aymara-Lied, denn durch vielfache Heiraten mit Aymara-Indianern gibt es keine reinblütigen Uro mehr und haben sie deren Sprache angenommen. Anschließend tragen sie in synchroner Choreographie den spanischen Hit „Vamos a la playa, oh-oho-oho“ vor. Das wäre der richtige Zeitpunkt, einen Schreikrampf zu bekommen. Wenn man aber aufs Schlimmste, ja aufs Allerschlimmste gefasst ist, erträgt man auch das mit einem nachsichtigen Lächeln. Gesamtdauer der Unternehmung: 2,5 Stunden. Mit einem Privatboot kann man sich auf weitere entfernte und weniger touristische Inseln fahren lassen – zum entsprechenden Preis.

Die einzige Übernachtungsmöglichkeit für Wohnmobilreisende in Puno ist das Sonesta-Hotel Posadas del Inca. Das bekanntere El Libertador akzeptiert keine Camper mehr. Eventuell könnte man den Hafenparkplatz nutzen, wie es allerdings um die Sicherheit bestellt ist, wissen wir nicht – der peruanische Titicacasee genießt in der Beziehung nicht den besten Ruf. Das Posadas del Inca verlangt für eine Nacht auf dem Hotelparkplatz stramme 15 US$ (auf Nachfrage dürfen Dusche und Toilette benutzt werden), mit Strom 20 US$. Das nach uns eintreffende deutsche Paar Ela und Stefan, das wir unterwegs trafen und mit dem wir uns hier verabredeten, sollen sogar 20 $ fürs „trockene“ Campen zahlen, doch das lässt sich schnell klären. (S 15°49’26.2’’ W 70°00’19.6’’)

Cusco, Peru – Praktisches

März 24th, 2012

Zwei praktische Nachträge zu Cusco:

Gas füllen kann man bei Llamagas an der Ausfallstraße nach Puno (Verlängerung der Av. de la Cultura) außerhalb der Stadt bei S 13°33’29.7’’ W 71°51’04.6’’ – nicht von der vor gehängten Kette abschrecken lassen.

Der beste und größte Supermarkt bei dennoch beschränkter Auswahl ist Mega: S 13°31’24.5’’ W 71°58’38.9’’

Tipón + Santa Rosa, Peru – Unterwegs ins Altiplano

März 24th, 2012

Dunkelrot erstrahlen die Felder, sanft wiegen sich die Halme. Das Getreide ähnelt unserer Hirse, hat aber weit puscheligere Ähren, die bei einem bestimmten Reifestand die intensive Farbe annehmen. „Kiwicha für die Welt“ verkündet ein Banner das Motto des Agrarprodukts. Ich sehe das etwas kritischer. Ich kann nichts bio-, öko- oder sonst wie logisches daran entdecken, im Reformhaus Getreide zu kaufen, das über tausende von Kilometern Entfernung mit dem Schiff oder Flugzeug die Erdatmosphäre belastend herangekarrt wurde. Kiwicha ist der Quechua-Ausdruck für Quinoa bzw. Amarant, wie er auch genannt wird. Vor Ort aber finde ich die Quinoa-Kekse ausgesprochen lecker.

Wir lassen Urubamba und Pisac hinter uns und fahren in Richtung Titicacasee. Im Gepäck haben wir ein paar Souvenirs, die wir in Munaychay erstanden haben. Immer samstags können sich Kinder wie Tias künstlerisch betätigen – es kommt sogar eigens eine Kunstlehrerin. Die Werke werden dann verkauft, die Erlöse kommen dem Kinderdorf zugute. Eine Gruppe töpfert feine Keramikwaren, ohne Drehscheibe und in dennoch perfekt runder Form. Andere glasieren und bemalen das Steingut. Eine weitere Gruppe fertigt die niedlichen Grußkarten aus Blütenblättern, die Vögel, Schmetterlinge, Blumen und Menschen darstellen. Viele der Kinder zeigen erstaunliches kreatives Geschick und malen Wandbilder, die man Erwachsenen zuschreiben würde. Handarbeitsbegeisterte stricken Schals oder, besonders attraktiv und auch bei den Jungs sehr beliebt, weben kleine Wandteppiche.

Inzwischen haben wir Cusco umfahren und Tipón auf seiner Süd-Ost-Seite erreicht. Hier befinden sich ausnehmend schöne Inka-Terrassierungen. Das Besondere hier ist, dass es sich nicht um Hangterrassen handelt, sondern dass ein ansteigendes Tal bebaut und kultiviert wurde, was größere Ackerflächen erlaubt. Die Stützmauern jeder Ebene wie auch die ausgeklügelten, teils unterirdischen Bewässerungskanäle wurden im Hinblick auf Haltbarkeit, Perfektion und Schönheit angelegt. Die Arbeiterunterkünfte an den Rändern dagegen, deren Ruinen noch stehen, sind eher mit Pragmatismus denn mit Detailliebe gebaut.

Der aufwändige Terrassenbau schaffte nicht nur große Anbauflächen, er wirkte auch der Bodenerosion entgegen. Heutiger Feldbau an den Schräghängen begünstigt Erdrutsche und liefert wegen mangelnder Kontrolle über Be- und Entwässerung schlechtere Erträge. Eines muss man den Inka lassen: Sie scheinen mir die einzigen gewesen zu sein, die es schafften, südamerikanische Schlampigkeit in geordnete Bahnen zu lenken, jedenfalls noch weit besser, als die Spanier nach ihnen. Eintritt zur archäologischen Stätte Tipón mit Boleto Turistico oder für 10 PEN pP (S 13°34’17.9’’ W 71°47’03.6’’).

Während der Ort Tipón als Geheimtipp für gutes und günstiges Cuy-Essen gilt (mein Meerschweinbedarf ist gedeckt), bezeichnet sich das nächste Dorf als Hauptstadt des Brotes. Kaum halten wir am Fahrbahnrand an, klettert schon ein Junge die Trittstufen hoch und knallt mir durch die offene Scheibe eine Packung Brot auf den Schoß. Zwei wagenradgroße süßliche Fladenbrote und ein Extra-Teilchen dazu für 5 Nuevo Soles, 1,50 €. Dafür muss ich nicht einmal aussteigen – der schnellste macht das Geschäft.

Einem sanften Tal folgend klettern wir fast unmerklich ohne Serpentinen und größere Steigungen in die Höhe. Endlich weitet sich der Blick, nachdem wir Wochen in dem engen Chicón-Tal oberhalb von Urubamba eingezwängt zwischen den Andenwänden lebten. Der 5.443 m hohe Cerro Cunurana ragt schroff und schneebedeckt in den Himmel. Der Abra La Raya, 4.360 m hohe Passüberquerung, markiert nicht nur die höchste Stelle dieser Strecke und die Wasserscheide zwischen Atlantik und Pazifik, sondern auch den Beginn des Altiplano, dem ausgedehnten, abflusslosen Hochplateau zwischen zwei Andenketten auf durchschnittlich 3.600 m Höhe, das sich bis weit nach Bolivien hineinzieht.

Ein Stück weiter, südlich der Ortschaft Santa Rosa, finden wir in einem Schotterweg, der sich praktischerweise als Sackgasse herausstellt, einen äußerst friedlichen Stellplatz am rauschenden Fluss: S 14°46’44.5’’ W 70°43’51.0’’.

Munaychay, Peru – Abschied vom Herzensprojekt

März 23rd, 2012

Wir räumen. Alles muss so langsam wieder an seinen Platz, wenn wir wieder fahren wollen. Alle Erkenntnisse bezüglich des Fahrzeugparks des Kinderdorfs müssen noch einmal in ausführlichen Analysen zusammengefasst werden. Der Fahrer des Kinderdorfes erhält eine Werkzeugausstattung für seine Werkstatt, die wir ihm in Cusco besorgt haben. Das Landwirtschaftszentrum Santa Rosa versorgt uns ein letztes Mal mit Bioeiern und -gemüse für die Fahrt. Wir verabschieden und vom liebenswürdigen Schreiner Teofilo mit zwei Paar Arbeitshandschuhen, mit denen er sein Moped fahren möchte – sicher besser als ganz ohne Handschutz. Der Eiermann bekommt meine alten Sportschuhe, die ihm mit Größe 40 vermutlich immer noch zu groß sind, selbst die Männer reichen uns ja nur bis zur Schulter.

Wir sagen Lebewohl zur resoluten Köchin Señora Martina, die ein echtes Musterbeispiel einer Quechua-Indianerin abgibt: zwei taillenlange schwarze Zöpfe, die am Rücken zusammengebunden werden, damit sie nicht ins Feuer oder den Kochtopf fallen. Die kugelrunde Indígena trägt die typischen pastellbunten knielangen in der Taille gerafften mehrfachen Glockenröcke, die immer ein wenig zu kurz wirken – im Rücken wegen des ausladenden Hinterteils noch kürzer als vorne. Ihre außergewöhnlich strammen Waden stecken zum Schutz vor Kälte in handgestrickten Zopfmusterstulpen, die Füße meist barfuß in Halbschuhen oder bei der ganz einfachen Landbevölkerung in Sandalen aus Altreifen. Über einem Pullover oder einer Bluse wärmt die unvermeidliche Strickjacke, und über allem prangt eine glänzende rosafarbene Schürze.

Señora Martina schafft es in dieser Woche, meine Aussage, „ich esse alles“ auf „fast alles“ zu revidieren, als sie nämlich Reis mit Kartoffel-Gemüse-Gulasch serviert, das verdächtige, entfernt an Baumpilze erinnernde Stückchen enthält: Kutteln aus Pansenmagen. Während der Geschmack sich neutral verhält, ist die gummiartige Konsistenz mit den bürstenartigen Auswüchsen völlig inakzeptabel. Der Haus- und Hofhund freut sich jedenfalls.

Dann ist es Freitagabend und Herzen für eine neue Welt lädt uns zu einem Abschiedsessen in die Pizzeria in Urubamba ein. Doch die festangestellten Deutschen des Hilfsprojekts haben noch eine weitere Überraschung für uns: ein paar entzückende Abschiedsgeschenke. Eine Danksagungskarte, handgefertigt aus Blütenblättern in Munaychay. Ein Schnappschuss von Jörg, als er den Straßenschlamm wegschaufelt. Und ein Notizbuch, dessen Einband von den Kindern des Kinderdorfes handbemalt wurde – in erstaunlicher künstlerischer Qualität. Danke an alle!