Archive for the ‘Kanada’ Category

Victoria, Vancouver Island, British Columbia + Port Angeles, Washington Washington – Abschied und Neubeginn

Mittwoch, Oktober 13th, 2010

Zum Abschied zeigt sich Kanada von seiner allerbesten Seite. An unserem letzten Tag in diesem Land verabschiedet sich eine strahlende Sonne an perfekt blauem Himmel von uns. Wir sagen Goodbye zu Branca und Anton, deren Gastfreundschaft wir so lange in Anspruch nehmen durften. Wir fahren über Duncan, die Stadt der Totempfähle, wo über 80 der Holzpfeiler zur touristischen Beglückung aufgestellt wurden, bis zum Inner Harbour von Victoria. Von diesem Stadthafen aus startet die Fähre nach Port Angeles auf der Olympic Peninsula im US-Staat Washington. Uns bleibt noch Zeit für einen Stadtbummel, bevor wir uns rechtzeitig zur Erledigung der Grenzformalitäten einfinden müssen.

Die US Border Officers sind alle ausnehmend freundlich, wir müssen keine Tür öffnen – im Gegensatz zu anderen Fahrzeugen – und keine lästigen Fragen beantworten. Alle möglichen Fragen waren vermutlich bereits während des persönlichen Interviews bei der Beantragung des amerikanischen Visums in der US-Botschaft gestellt worden. Von Interesse sind lediglich, ob wir eine Adresse für die erste Nacht auf US-Gebiet angeben können – können wir – und welche frischen Lebensmittel wir haben, vor allem Zitrusfrüchte. Wir besitzen nichts außer ein paar Äpfeln, die noch von Ludwig aus dem Okanagan Valley übrig sind. Die dürfen wir behalten. Stirnrunzeln ruft unser „falsches“ Drei-Monats-Visum vom Poker Creek in Alaska hervor. Der Grenzbeamte schüttelt den Kopf über den in seinen Augen vermutlich albernen Karibustempel und fragt mich schließlich, nachdem ihn weiteres wildes Herumblättern im Pass nicht weitergebracht hat, was es damit auf sich hat. Die dortigen Beamten stellten uns das falsche Visum aus, erkläre ich ihm, wussten aber nicht, wie sie den Fehler korrigieren sollten und forderten uns auf, zum nächsten US-Grenzübergang zu fahren, wo man das Problem beheben würde. „Das ist es, was sie sagten?“, fragt der Officer ungläubig. Ich bejahe, und für einen kurzen Moment kann ich in seinem Gesicht erkennen, welche Meinung er von seinen dortigen Kollegen hat. Es ist viel zu professionell, um etwas zu sagen und bittet uns ins Immigrationsbüro, wo man sich der Sache annehmen würde. Mit Spannung erwarten wir, ob das neue Visum mit Beginn am heutigen Tag oder rückwirkend zum ersten Grenzübertritt in die USA ausgestellt werden würde, was dramatische Auswirkungen auf unsere Reisepläne hätte. Nach wenigen Minuten verlassen wir das Büro erleichtert mit einer Aufenthaltsgenehmigung bis April 2011 und mussten dank der strafversetzten Abteilung am Poker Creek nicht noch einmal bezahlen.

Am Auto muss nun ein grüner Zettel unter den Scheibenwischer geklemmt werden. Ein anderer Beamter italo-amerikanischer Abstammung fühlt sich wie Sylvester Stallone und benimmt sich auch so. Er möchte unbedingt selbst auf die Stoßstange klettern, um den Wisch anzubringen. Er soll sich keinen Zwang antun. Nachdem er mir seine körperlichen Vorzüge präsentiert hat, versucht er mich auch von seinen intellektuellen zu überzeugen. Er protzt – nicht ganz zu unrecht – mit seinen umfangreichen Sprachkenntnissen, die ihn vom Gros seiner Mitbürger unterscheiden. Er versucht herauszufinden, ob ich mithalten kann. Gut, ich bin vielleicht blond, aber ich tue ihm den Gefallen und lasse mich auf ein italienisches Palaver ein. Glücklicherweise muss auch dieses Prachtexemplar von Mann irgendwann weiterarbeiten. Nach eineinhalb Stunden Fährüberfahrt müssen wir noch einmal eine Grenzkontrolle passieren, was aber nach zwei Fragen und 30 Sekunden erledigt ist. Wir fahren bis 30 Meilen hinter Sequim, wo uns Wallace erwartet, der uns bei einer Begegnung in Alaska eingeladen hat. Seine Frau Bev ist verreist, aber Wally hat eine Fingerfoodparty für uns organisiert, wo wir all seinen Nachbarn und Freunden die Vor- und Geschichte unserer Reise erzählen.

Das war Kanada: Weite, Wälder, Waldtiere – Wir lieben es!

Mittwoch, Oktober 13th, 2010

In über fünf Monaten Kanada und Alaska fuhren wir unglaubliche 35.000 Kilometer, tankten knapp 7.500 Liter Diesel, nächtigten ganze vier Mal auf einem Campingplatz, rotierten drei Mal Räder, führten zwei Ölwechsel durch, kauften einen Satz neuer Einspritzdüsen und hatten null Polizeikontrollen. Kanada ist ein schönes Land mit grandioser Natur und ausgesprochen netten Menschen, durch das wir gerne gereist sind.

Zu unseren Lieblingszielen gehören die sogenannten Maritimes, die Atlantikanrainerprovinzen im Osten: Nova Scotia mit Cape Breton Island warten hinter jeder Ecke mit unterschiedlichen Landschaften auf und verzeichnen weniger Touristenmassen als der Westen. Die Küsten sind mal lieblich, mal schroff, mal steil, mal flach, grün, steinig oder sandig. Neufundland und Labrador punkten mit rauer, unberührter Natur, vielen Elchen und den wohl gastfreundlichsten Menschen. Prince Edward Island scheint mehr zu polarisieren: Manche finden es ganz toll, unsere Begeisterung hielt sich etwas in Grenzen, obwohl die waldfreie Kartoffelackerlandschaft und die Sanddünen am Nordstrand durchaus Abwechslung zum übrigen Kanada bieten. New Brunswick hat schöne Küsten, aber auch viel eintönige Wälder.

Québecs unberührter Norden ist relativ unzugänglich, doch der eiskalte St.-Lorenz-Strom im Süden schafft eine ganz eigene Szenerie. Und, nicht zu vergessen, Québec City ist die schönst Stadt Kanadas. Das nicht enden wollende Ontario mit vielen Wäldern und Seen hat uns trotzdem überzeugt mit Naturspektakeln wie – aber nicht nur – den Niagarafällen und der ehrenwerten doch heimeligen Hauptstadt Ottawa. Die Prärieprovinzen Manitoba und Saskatchewan haben wir zwar nicht als Höhepunkt der Reise empfunden, doch selbst hier finden sich einige sehenswerte Nationalparks. Die Seenlandschaft im Norden soll durchaus sehenswert sein, dafür hat unsere Zeit nicht gereicht.

Alberta ist, neben den Maritimes, ein weiterer unserer Favoriten. Von der flachsten Prärie über die Badlands, liebliche Vorgebirge (Foothills) bis zu den schroffen Rocky Mountains (mit seinen wunderbaren Parks im Kananaskis Country, Banff und Jasper) dürfte die Bandbreite an unterschiedlichen Landschaftsformen hier mit am größten sein. Calgary ist eine attraktive Stadt mit „Alpenblick“. Kulturstätten gibt es in der Provinz allerorten und das nördliche Ranch- und Farmland ist wieder eine andere Welt. Unser ganz persönliches Lieblingsziel wurde der Norden des Staates. Davon konnten wir gar nicht genug bekommen. Der Yukon, die North West Territorien, das nördliche British Columbia – und Alaska, obwohl das eigentlich nicht in das Kanada-Resümee gehört – haben unser Herz erobert mit ihren unzähligen Gebirgszügen, dramatischen Ausblicken, Flüssen, Seen und Hochebenen, menschenloser Einsamkeit, der bewaldeten Tundra und der baumlosen Taiga. (Und das, obwohl wir Wärme mögende Tropenliebhaber sind.) Von Watson Lake bis Whitehorse, von Dawson City bis Inuvik, wir haben jeden Kilometer geliebt. Auch wenn British Columbia zum erklärten Lieblingsziel der meisten Deutschen gehört, teilen wir diese Meinung nicht ganz und halten es für überbewertet. Es ist touristisch sehr entwickelt mit der entsprechenden Infrastruktur, aber auch den Preisen und der Bereitschaft zum Abkassieren an jeder Ecke. Trotzdem haben natürlich sowohl das zentrale wie das südliche BC absolut schöne Ecken, wie ein paar kleinere Parks in den Rockies oder das Okanagan Valley. Obwohl Vancouver eine sehenswerte Stadt ist, würden wir Calgary oder Whitehorse den Vorzug geben als Ausgangspunkt für eine Kanadareise. Aber das ist nur eine persönliche Ansicht.

Grundsätzlich muss man in Kanada mit viel Wald rechnen, was naturgemäß nicht immer mit den besten Ausblicken verbunden ist, Auch das Befahren von Schotterstraßen gehört einfach zu einer Kanadareise, genau wie das nicht immer zuverlässige Wetter. Obwohl Kanada das Land für Outdoor-Aktivitäten ist, sollte man stets einen „Plan B“ für Regentage haben. Erfreulich sind die äußerst geringe Kriminalitätsrate und die Freundlichkeit, Offenheit und überwältigende Gastfreundschaft der Kanadier. Man kann deutlich spüren, wie Menschen sich wohler fühlen und entspannter sind, wenn sie mehr Raum zum Leben haben. Happy Canada! Eine Lanze brechen möchten wir für die Trucker, die beim Fahren weit besser sind als ihr Ruf – sofern man sich selbst entsprechend rücksichtsvoll verhält. Trotz über 5.000 km Schotterpiste fahren wir mit unserer ersten Windschutzscheibe herum, selbst ohne Glasreparatur.

Ein ernstzunehmender Planungsfaktor für eine Kanadareise sind die hohen Preise: Es ist ein teures Reiseland. Mag sein, dass insgesamt niedrigere Lebenshaltungskosten bedingt durch weniger Steuern, ein nahezu kostenloses Gesundheitssystem für Residenten, weitgehend geringe Grundstücks- und Häuserpreise wie auch Energie- und Wasserkosten und billigere Autos das Leben im Land recht komfortabel machen. Für den durchschnittlichen Reisenden hat das keine Auswirkung und er wird kräftig zur Kasse gebeten. Ob Eintrittsgelder, Restaurantbesuche, Übernachtungskosten, Lebensmittel oder Alkoholika: das meiste liegt deutlich über deutschem Preisniveau. Kraftstoff ist etwas günstiger als zu Hause, wenn auch nicht mehr so billig wie noch vor Jahren. Dank der Größe des Landes – Kanada ist nach Russland das flächenmäßig zweitgrößte Land der Erde – und der riesigen Entfernungen relativiert sich der etwas niedrigere Preis und Benzin oder Diesel werden schnell zum größten bestimmenden Faktor der Reisekasse, bei dem man sich gerne mal verkalkuliert. Lieber großzügig planen!

Die Welt ist nirgendwo perfekt, auch nicht im Norden Nordamerikas. Umweltverschmutzung und andere Umweltsünden vor allem im stärker besiedelten Südgürtel beeinträchtigen stellenweise das Reisevergnügen. Das beginnt beim „kleinen Mann“, der seine Bierflasche in der Natur liegen lässt, seinen Müll in den Wald kippt und einen 35 Liter pro 100 Kilometer fressenden Pick-up fährt. Das „idling“ genannte Laufenlassen des Motors im Stand ist eine weit verbreitete Unsitte unter Privatleuten wie Truckerfahrern, die ihre Maschine gerne mal die ganze Nacht rennen lassen. Industrieanlagen wie z.B. Papierfabriken sind teils mit unzureichenden Filteranlagen ausgestattet, was sich in Sichtweite und Geruch bemerkbar macht. Die Kahlschläge in den Wäldern sind teils schockierend und der Chemiegehalt der Nahrung fast Körperverletzung. Eine erstaunlich hohe Krebs- und Parkinsonrate geben denn auch zu denken.

Persönlich haben wir keinerlei negative Erfahrung hier gemacht, demnach ist Kanada für uns während der vergangenen 25 Wochen ein wunderbares Reiseland gewesen. Vermissen werden wir die stop-slow-Schilder drehenden, Baustellenverkehr regelnden netten Blondinen, denn keine Baustellenampel kann einen „Lollipop“ ersetzen. Dank an die unvollendete Happy Valley-Goose Bay Road, an den Dempster und den Dalton Highway, die für ein wenig „mud on the tyre“ – Schlamm am Reifen – sorgten. Es hat Spaß gemacht. Danke an all die wundervollen Menschen, die zum Gelingen unserer Reise beitrugen und die so unvergleichliche Eindrücke bei uns hinterließen. Unser besonderer Dank für ihre ausgesprochene Gastfreundschaft gilt folgenden lieben Menschen:
Ian und Claire
Vivian und Wally
Melvin
Carmelita und John
Edgar und Darnell
Mélina
Marron und Simon
Leslie und John
Pat und John
Natalie
Mike und Mélie
Dan und Myra
David
Claude und Lynda
John und Lyndel
Al
Archie und Torrie
Ursel und Udo
Rita und Ingo
Ludwig und Irene
Kerri und Simon
Carolyn und Craig
Branca und Anton
Dave und Frau

Duncan, Vancouver Island, British Columbia – Letzte Vorbereitungen

Dienstag, Oktober 12th, 2010

Auto waschen und wachsen, nochmals alles auf Hochglanz bringen, US Fahne hissen, damit wir frisch und sauber in ein neues Land einreisen können. USA, wir kommen!

Duncan, Vancouver Island, British Columbia – Schnurrt wie ein Bienchen

Montag, Oktober 11th, 2010

Nach drei Wochen Fahrpause heute die erste Probefahrt: Motor spring auf Anhieb an und schnurrt beim Fahren wie ein Bienchen. Dann kann es ja bald losgehen.

Duncan, Vancouver Island, British Columbia – Geliebte Marmelade

Sonntag, Oktober 10th, 2010

Wir organisieren uns und versuchen, alles Mitgebrachte einschließlich der Gläser voll selbstgemachter Marmelade im knappen Platz zu verstauen. (Das gekaufte Zeug ist einfach furchtbar süß.) Danke an alle, die uns immer so lieb versorgen!

Frankfurt, Deutschland + Vancouver, British Columbia – Simulation eines Flughafen-Super-GAU

Samstag, Oktober 9th, 2010

Ausgerechnet heute findet am Frankfurter Flughafen die weltweit größte Flugkatastrophen-Simulationsübung statt. Auf der neuen, noch nicht in Betrieb genommenen Startbahn stellen zwei ausrangierte Flugzeuge einen Zusammenstoß dar. Es soll 500 Verletzte geben, allesamt von Schauspielern gemimt. Sämtliche Rettungseinheiten wie Feuerwehr, Krankenwagen, Ärzteteams, Krankenhäuser und andere sind involviert. Aus der Notfallübung sollen Erkenntnisse für den Luftverkehr der nächsten Jahre in ganz Europa gewonnen werden. Nicht einmal den Flughafenangestellten war vorab bekannt, welche Fluggesellschaft von dem „Unfall“ betroffen sein würde. Als wir in der Ankunftshalle des Flughafengebäudes eintreffen, bietet sich ein Bild des Chaos. An den Lufthansa Check-in-Schaltern haben sich von zwei Seiten her mehrere hundert Meter lange Schlangen gebildet. Flughafenangestellte laufen kopfschüttelnd umher. So etwas hätten sie in all ihren Dienstjahren noch nicht gesehen. Condor ist zum Glück nicht betroffen und alles verläuft mehr oder weniger reibungslos.

Früher fand ich Fliegen interessant und spannend. Früher, als die Stewardessen noch jung, hübsch und freundlich waren, die Verpflegung exquisit und man die Beine unter dem Vordersitz ausstrecken konnte. Heute sind die Flugbegleiterinnen immer noch jung, hübsch und freundlich. Manchmal. Das Essen ist eine Zumutung. Zum Abendessen gibt es zum Beispiel ein aufgewärmtes Brötchen, einen Löffel Krautsalat und dazu ein leckeres kaltes paniertes Schnitzel aus Hähnchenformfleisch. Weitere Details gefällig? Eher nicht. Der Sitzabstand grenzt an vorsätzliche Körperverletzung. Ich wundere mich jedes Mal wieder, wie ich nach zehneinhalb Stunden Flug ohne klaustrophobische Anfälle und ohne ernsthafte Thrombose wieder aufstehen kann. Die Luft ist warm und schlecht. Aber ist der Grund für all diese unerfreulichen Details tatsächlich unermessliches Gewinnstreben der Luftfahrtgesellschaften? Oder sind wir es, die immer alles noch billiger haben wollen? Sodass den Flugunternehmen nichts anders übrig bleibt, als den Service zu reduzieren, nachdem man das Personal soweit wie möglich abgebaut hat. Wie viele Arbeitslose hatten wir noch mal in Deutschland?

Frankfurt, Deutschland – Bald Neues

Dienstag, September 21st, 2010

Angekommen!

Ich bitte Euch alle um etwas Geduld. Ab dem 9. Oktober geht es weiter. Ich melde mich wieder mit neuen Abenteuern, Erlebnissen und Kommentaren.

Eine Zusammenfassung und Beurteilung des Reiselandes Kanada erscheint demnächst.

Nächstes Ziel ab Oktober 2010 für mehrere Monate: USA.

Vancouver, British Columbia – Langes Warten, schlechte Organisation?

Montag, September 20th, 2010

Branca bringt uns mit dem Auto zum Fährhafen Duke Point, von da setzen wir in zwei Stunden nach Tsawwassen über. Das Taxi zum Internationalen Flughafen Vancouver kostet nicht wesentlich mehr als der Bus für zwei Personen, aber es ist schneller und bequemer. Unser Flug geht kurz vor 18 Uhr, wir erreichen das Terminal bereits um 13 Uhr. Condor wird auch hier über Lufthansa abgefertigt, allerdings erscheint unser Flug an den Monitoren über den Check-in Schaltern noch nicht. Stattdessen verkündet ein Schild am Ende einer Absperrung: Condor Check-in 13:30. Eine halbe Stunde warten, kein Problem, es sind auch nur ein paar Leute vor uns. 13 Uhr 30 rückt heran, nichts tut sich. Die Schlange hinter uns wir länger. Es wird später, Unmut macht sich unter den Wartenden breit. Es scheint keinen kompetenten Flughafenangestellten zu geben, der Auskunft geben kann, beziehungsweise wenn es einen gibt, hält er sich fern. Die Fragen beantwortenden Volunteers mit den grünen Jacken lassen sich auch nicht blicken. Die Warteschlange wird lang und länger, schließlich ist man aufgefordert, sich mindestens drei Stunden vor Abflug einzufinden. Irgendwann stehen rund 270 Menschen an, das ist die Kapazität unseres heutigen Flugzeugs, und es wird voll sein. Ich habe noch nie eine so lange Schlange gesehen. Oder jedenfalls schon sehr, sehr lange nicht mehr. Am 9. November 1989 vielleicht. Da standen mehr Trabis vor dem innerdeutschen Grenzübergang zu meiner Heimatstadt.

Um 15 Uhr, nach zwei Stunden Warten, ist auch meine afrikanisch geschulte Geduld am Ende, denn das 13:30 Check-in Schild steht immer noch unangetastet am Beginn unserer Reihe. Ich frage einen der eifrig Lufthansagäste eincheckenden Angestellte, nach welcher Zeitzone der Condor Check-in um 13:30 berechnet wurde. Irgendjemand wird sich schon kümmern, meint der Bodensteward lapidar. Sie hätten zwei Lufthansaflüge, die wollten sie erst abwickeln bevor sie mit Condor beginnen würden. Das würde dann wohl noch einmal ein paar Stunden Warten bedeuten, kann ich mir nicht verkneifen und kehre in die Schlange zurück. Ich sehe aber, dass der Mann vom Bodenpersonal sich anscheinend doch kümmert, und etwas später zeigen zwei der Schalterbildschirme das ersehnte Condor-Logo. Kaum ist es 16 Uhr, halten wir unsere Bordkarten in der Hand. Auf unsere Frage, ob denn heute besonders viel los ist, antwortet unser Check-in-Mann, ach naja, bis jetzt hatten sie vier Flüge täglich bearbeiten müssen, jetzt sind es drei, und ab nächster Woche gar nur noch zwei. Laut Abfluginformationstafel starten heute am Vancouver International Airport in neun Stunden ganze zehn Flüge. Diese immensen Mengen scheinen die Logistik des Flughafens nahezu zu überfordern. Vor 20, 30 Jahren noch war es nicht allzu ungewöhnlich, Flüge nur einzeln und nacheinander abzufertigen. Heutige moderne Computertechnik und Logistik ermöglichen jedoch – im Allgemeinen – das parallele Bearbeiten diverser Flüge. Ob es an den Angestellten liegt, die sich durch mehr als einen oder zwei Flüge gleichzeitig zu gestresst fühlen, an überforderter Computertechnik oder veralteter Gepäcklogistik, vermag ich nicht zu sagen. Einen Check-in-Beginn anzukündigen und kommentarlos um eineinhalb Stunden zu verschieben ist nicht gerade die feine Art. Mit dieser Organisation kann der Internationale Flughafen Vancouver jedenfalls nicht punkten!

Der weitere Ablauf verläuft im Rahmen des Normalen: Das Boarding beginnt 20 Minuten zu spät, und dauert auch noch doppelt so lang wie geplant, demzufolge fliegen wir zu spät ab. Aber keine Aufregung, auf einem Langstreckenflug sind Verzögerungen eingeplant und wir werden pünktlich landen.

Duncan, Vancouver Island, British Columbia – Koffer packen

Sonntag, September 19th, 2010

Wir stellen Arminius in eine Ecke auf dem Grundstück, packen unsere Sachen und Geschenke ein. Morgen fliegen wir für knapp drei Wochen nach Hause, ein Geburtstag in der Familie lässt uns unsere Reise für kurze Zeit unterbrechen.

Duncan, Vancouver Island, British Columbia – Nichtsnutzige Vorurteile

Samstag, September 18th, 2010

Heute Morgen bin ich beim Friseur in Duncan. In der gegenüberliegenden Ecke lässt sich eine Frau die Haare färben. Bei ihr sitzt ihr Sohn in seinen Mittzwanzigern, dessen Schneidezähne bis auf die Stümpfe abgefault sind. Vor der Tür des Friseursalons in der Ecke des verlotterten Einkaufszentrums lungert der Rest der wenig vertrauenerweckenden Bande herum, halb weiß, halb indianisch. Der Sohn beginnt ein Gespräch mit mir. Trotz meiner Ressentiments bemühe ich mich um Vorurteilsfreiheit. Er erzählt mir von seiner großen Familie: Seine Mutter hat fünf Kinder, eine Schwester ebenfalls, er erwartet gerade sein zweites. Die Familie mit Kindern, Enkeln und einem Urenkel umfasse 28 Mitglieder, 12 lebten mit der Mutter zusammen. Ich erzähle von meiner Familie. Da verschwindet der junge Mann für eine Weile. Als er wiederkommt, drückt er mir eine kolorierte indianische Holzschnitzerei in die Hand – ein klassisches Bibermotiv. Es ist ein Geschenk für unsere Familie zu Hause, und er hat es selbst gefertigt! Von wegen Vorurteile.

Nanaimo, Vancouver Island, British Columbia –Frische Fische in der Fischfabrik

Freitag, September 17th, 2010

Wir haben eine ruhige Nacht auf einem Rastplatz etwas abseits der Straße mit ausgewiesenen Campingstellplätzen verbracht. Das Ganze war – man glaubt es kaum – kostenlos. Wir bewegen uns in südliche Richtung nach Nanaimo. Die Stadt erfordert keinen Pflichtbesuch, aber wir wollen in die Fischfabrik. Bei Saint Jeans Canary and Smokehouse gibt es nicht nur frischesten Fisch, auch schockgefroren, sondern ebenfalls lokale Spezialitäten. Sie bieten wilden Coho und Sockeye Lachs an. Wir entscheiden uns für letzteren mit tieforangefarbenem Fleisch, das soll der beste sein. Außerdem nehmen wir geräucherten und kandierten Wildlachs, Hummerpastete mit Brandy, Bananen-Pfeffer-Senf und andere Leckereien, die wir unseren Lieben zu Hause in Deutschland mitbringen wollen. Abends sind wir zurück in Duncan bei Branca und Anton.

Telegraph Cove, Vancouver Island, British Columbia – Viele Buckelwale, keine Orcas

Donnerstag, September 16th, 2010

Zum Frühstück gibt es bei Dave frisches, selbstgebackenes Vollkornbrot. Lecker! Dann eilen wir in den Norden der Insel nach Telegraph Cove, wo wir mittags sein müssen. Wir haben dort eine Walbeobachtungstour gebucht. Auch wenn die 105 $ pro Person (inkl. Steuer) nicht wenig sind, das gehört einfach dazu. Warum muss es ausgerechnet Telegraph Cove sein mit der weiten Anfahrt ans nördliche Inselende, wo doch überall auf dem Eiland Whale Watching Tours angeboten werden? Nicht nur unser ziemlich zuverlässiger Reiseführer, sondern vor allem Gespräche mit anderen Reisenden und Kanadiern haben uns überzeugt, die Fahrt auf uns zu nehmen. Bei „Stubbs Island“ werden Walausflüge seit über 30 Jahren angeboten, es sind stets Biologen oder anderes kundiges Personal an Bord und es werden zwei große Verdrängerboote eingesetzt. An vielen anderen Stellen werden Schlauchboote benutzt, und zwar überall da, wo die Entfernungen zu den Beobachtungsplätzen so groß sind, dass man sie besser mit einem schnellen Speedboot überwindet. Nun ist so eine raue Zodiacfahrt nicht jedermanns Sache. Es ist zugig und auch wenn man Schutzkleidung erhält ist man den Elementen doch recht ausgesetzt. So mancher Fahrer sieht in dem Schlauchbootritt mehr Vergnügen denn in der Tierbeobachtung und kostet das entsprechend aus, wurde uns berichtet. Teils haben wir in Tofino selbst beobachten können, wie Zodiacfahrer immer wieder über ihre eigene Bugwelle gefahren sind, um die Fahrgäste zum Kreischen zu bringen und ihnen vermeintlich Vergnügen zu bringen. Wer weiß, vielleicht hat es ja geklappt.

Wir fahren mit dem neueren Aluboot MV Lukwa, dem erfahrenen Kapitän und der Naturalistin aufs Meer hinaus, wo uns dichter Seenebel empfängt, der sich später zeitweise lichtet und Sonnenschein hindurch lässt. Die Inselwelt ist bezaubernd, wie sie zwischen den Nebelschwaden auftaucht, aber unzugänglich. Steile Felsküsten säumen die Eilande, im Inneren stehen Bäume dicht an dicht, von Nebelschwaden umflort. Nur wenige kleine Strände laden zum Anlanden ein. Auf den flacheren Felsstücken sonnen sich kleine dicke Robben, oder sie schwimmen eifrig umher, strecken ihr rundes Köpfchen aus dem Wasser und lugen mit ihren schwarzen Knopfaugen neugierig herum. Einer Schulklasse Kajakfahrern nähern sie sich auf Armeslänge. Die steileren Abschnitte werden von Seelöwen eingenommen, die dank ihrer größeren Vorderflossen besser klettern können. Wir beobachten eine Kolonie Männchen, die laut und recht geruchsintensiv ist. Die jüngeren kleineren Männchen, die noch keine Chance auf die Eroberung eines Weibchenharems haben, schwimmen erst gar nicht zu den weiter nördlich gelegenen Paarungsgebieten, wo sie nur verjagt würden. Die speckfaltigen, bis zu einer Tonne schweren Paschas residieren auf den oberen Rängen. Sie sind bereits von den Paarungsgründen zurückgekehrt, die Weibchen werden mit ihren Kälbern in Kürze folgen.

Besonderes Glück haben wir heute mit den Buckelwalen, die sich uns reichlich zeigen: Blas, Rückenflosse, Rückenflosse, Rückenflosse, Schwanzflosse, weg. Bis zum nächsten Mal. Die Naturalistin kann alle von ihnen anhand ihrer individuellen Zeichnung an der Schwanzflosse identifizieren. Manchmal weiß man genau, wo der nächste Wal auftaucht. Wasservögel haben ihre eigenen Fangtechniken entwickelt. Haben sie einen Schwarm kleiner Fische, wie z.B. Heringe, ausgemacht, stürzen sich die Schwimmvögel wie Möwen von oben auf die Beute, während Tauchvögel wie Kormorane von unten angreifen. Der Fischschwarm ist gefangen zwischen zwei Lagen Vögeln. Dann kommt der Wal, öffnet sein Maul und räumt alles ab. Das kündigt sich dadurch an, dass alle Schwimmvögel auf einmal abheben. Dann weiß man, in wenigen Sekunden kommt der Wal zum Luft holen an die Oberfläche. Der muss übrigens aufpassen, dass er nicht aus Versehen einen der Tauchvögel mit ins Maul bekommt. Die Gaumenspalte eines Buckelwals ist nur etwa handbreit. Da er den Vogel nicht schlucken könnte, müsste er die gesamte Fischladung wieder freilassen. Ein paar Delfine reiten auf unserer Bugwelle, und wir beobachten einige Fischadlerpärchen, die ein Leben lang zusammen bleiben und die uns skeptisch bis grimmig beäugen. Meist überlebt nur das stärkste Küken eines Geleges. 2010 aber, im Jahr des „größten Salmon Run aller Zeiten“ – zumindest der letzten Jahre – wo 35 Millionen Lachse anstatt 1,5 Millionen die Flüsse hinauf gezogen sein sollen, haben auch die Fischadler profitiert. Viele Elternpaare konnten zwei Küken groß ziehen, die alle schon wohlgenährt das Nest verlassen haben. Übrigens sind Fischadler recht gute Schwimmer, wenn auch ihre Technik nicht eben einen Preis in der Kür gewinnen würde. Ergreifen sie unter der Wasseroberfläche einen Fisch, der zu schwer ist als dass sie damit abheben könnten, den sie aber nicht entkommen lassen wollen, paddeln sie mit den Flügeln im Wasser und schleppen den Fisch in den Krallen hinter sich her. Sie zerren ihn dann ans Ufer oder auf einen Stein, wo sie ihn zerlegen.

So viel Glück wir heute mit den Walen auch haben, Orcas zeigen sich uns nicht. Insgeheim haben wir die Tour vor allem wegen der Killerwale gebucht, die wir in freier Natur bis dato noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Auch heute klappt es nicht, daher bleibt uns ein weiteres Ziel auf unserer Südamerikawunschliste.

Campbell River, Vancouver Island, British Columbia – Gestürzte Giganten

Mittwoch, September 15th, 2010

Zum Nebel hat sich Regen gesellt. Unsere Hoffnung auf einen Strandspaziergang am Long Beach unter besseren Bedingungen erfüllt sich nicht. Also geht es zurück auf der aufregenden und vielbefahrenen Strecke nach Port Alberni und bleiben diesmal auf dem Hwy # 4 bis zur Ostküste.

Am Parkplatz des MacMillan Provincial Parks ist fast keine Stellmöglichkeit mehr vorhanden. Wie mag es hier erst in der Hochsaison zugehen? Die Cathedral Grove genannte Ecke dieses Parks ist ein kleines naturbelassenes Stück Regenwald mit riesigen uralten Douglastannen, aber es wachsen auch beeindruckende Rotzedern und Hemlocktannen. Die Parkverwaltung hat einige Pfade angelegt, auf denen man den Urwald erkunden kann. Die Bäume sind so hoch und das Nadeldach so dicht, dass kaum Licht den Boden erreicht. Ausschließlich Farne mit genügsamen Ansprüchen an Sonnenlicht können hier gedeihen. Lindgrüne Moose überwuchern untere Stämme und Äste der Bäume und hängen herunter wie Staubweben auf einem vergessenen Dachboden. Douglastannen werden im Binnenland bis zu 42 m hoch, die Küstenvariante sogar 85 m. Der größte noch lebende Gigant der Cathedral Cove ist über 800 Jahre alt, misst 76 m in der Höhe und 9 m im Umfang. Pilze, Parasiten und Krankheiten können die Wurzeln schwächen und starker Wind kann ihr Leben vorzeitig beenden. So sind während des Neujahrssturmes 1997 etliche der Urzeitriesen umgestürzt. Sie liegen kreuz und quer im Park herum. Lediglich die blockierten Wege hat man frei geschnitten, den Rest aber liegen lassen als teil des natürlichen Erneuerungsprozesses, denn die vermodernden Stämme geben den noch lebenden Nahrung. Erst vor kurzem muss eine Tanne gefallen sein und hat dabei eine Brücke zerstört. Ein Teil des Wegenetzes ist dabei unpassierbar geworden. Warnschilder raten dringend an, den Wald bei Wind zu verlassen. Es ist offensichtlich warum. Wo sicht der Wald auf diese Weise lichtet, entstehen Möglichkeiten für neue Arten. Beeren und andere lichtbedürftige Sträucher bedecken den Boden. Die unterdrückten Hemlocktannen ergreifen ihre Chance und werden vielleicht in einigen hundert Jahren das Regiment übernommen haben.

Nach dem Verlassen des Regenwalds erreichen wir unmittelbar den Cameron Lake und nach wenigen Kilometern den Little Qualicum Falls Provincial Park. Der Little Qualicum River fließt durch eine Schlucht mit Stromschnellen und mehreren kleinen Fällen, wo das Wasser weiß schäumt. Sobald es sich aber beruhigt und in tieferen Becken sammelt, nimmt es eine klar-grüne Götterspeisenfarbe an. Zwei Brücken und einige Kilometer Wanderwege wurden hier angelegt, auf denen man dem Verlauf des Flusses folgen kann. Am Ende des Tages rasten wir bei Dave und seiner Familie in Campbell River. Er hat bis vor wenigen Jahren selbst einen Unimog älteren Baujahrs besessen und bat uns vorbei zu schauen. Dave braut sein Bier selbst mit etwas mehr Stammwürze als sonst in Kanada üblich. Das erfreut natürlich die deutsche Bierseele.

Tofino, Vancouver Island, British Columbia – Seenebel am Treibholzstrand

Dienstag, September 14th, 2010

Ein zweites Mal fahren wir über den Cowichan Lake, da wir Port Alberni über Logging Roads, geschotterte Forststraßen, erreichen wollen. Der Regenwald sieht, zugegeben, bei Sonnenschein nicht mehr ganz so mystisch aus. Wir passieren Nitinat River, der in den Nitinat Lake mündet, den einzigen Gezeitensee Kanadas, der bei Flut mit dem Meer verbunden ist, bei Ebbe nicht. Jetzt im Spätsommer soll die Zeit besonders gut sein, um Salzwasserfische, im Süßwasser gefangen, angeln zu können. Wir müssen einen weiten Umweg tief ins Landesinnere hinein nehmen um den 50 km langen Meeresarm Alberni Inlet zu umfahren. Bei Port Alberni erreichen wir den Hwy # 4 und biegen wieder zur Westküste ab. Diese Strecke gilt als das Beste, was Vancouver Island zu bieten hat. Und wirklich: schön ist es hier. Die teils enge Straße biegt und windet sich nach oben und unten, nach links und rechts, manchmal dicht an Felswänden entlang. Bewaldete Berge säumen die Strecke. Zunächst geht es am Sproat Lake entlang, dann begleitet uns der Kennedy River, ein lustiger Fluss, dessen Bett aus riesigen geglätteten Felsbrocken besteht, auf denen man an vielen Stellen herumklettern kann. Plötzlich verschwindet der Fluss, die Straße sackt steile 18 % runter, um am Kennedy Lake herauszukommen. Wo ist der Fluss geblieben? Ein Wasserfall vielleicht? Sehen konnte ich keinen. Das Seewasser glitzert in der Sonne, Landschaft und Wetter machen gute Laune.

Nur wenige Kilometer weiter stößt Hwy # 4 auf die Küstenstraße, die zwischen Ucluelet im Süden und Tofino im Norden durch den befahrbaren Teil des Pacific Rim National Park verläuft. An der Kreuzung erwartet uns eine Überraschung: Nebel. Die gesamte Küstenlinie ist von dichten Schwaden umgeben. Wir fahren bis Ucluelet, einem nicht ganz so überlaufenen uninteressanten Touristenort, und dann zurück Richtung Tofino. Wir parken am berühmten Long Beach, einem kilometerlangen Sandstrand, der der schönste in ganz British Columbia sein soll. Riesige Treibholzstämme liegen zwischen Strand und Wald, von Flut und nicht zu unterschätzenden Wellen angespült. Auf dem Strand liegen außerdem jede Menge seltsamer brauner Gummischlangen herum. Sie sind mehrere Meter lang und verjüngen sich zu einem Ende hin. Das dickere Ende mündet in einen Ball, an dem gut einen halben Meter lange Gummibänder hängen. Das gummiartige Material des Schlauchs ist ein bis zwei Zentimeter dick und extrem stabil. Man kann sich darauf stellen, ohne dass es sich verformt. Die Gebilde sind Bull Kelp, eine große Riesenseetangart, für die es keine deutsche Bezeichnung gibt, die in kalten flachen Gewässern des Nordpazifiks gedeiht und vielen hundert anderen Spezies Nahrung und Lebensraum bietet. Das dünne Ende ist mit einigen Wurzeln ausgestattet, mit denen sich die Pflanze an einem Stein am Boden festklammert. Der Ball ist der Schwimmkörper, der die Alge aufrecht hält und dem Licht zuführt, die Gummibänder sind die „Blätter“. Der Ball ist zum Auftrieb mit genügend Kohlendioxid gefüllt, ein kleines Huhn zu ersticken. Bull Kelp gehört zu den am schnellsten wachsenden Lebewesen der Erde. An sonnigen Tagen sollen sie bis zu 60 cm zulegen können, im Durchschnitt immerhin 20 cm. Ihre Maximallänge beträgt um 30 m, aber sie leben nur ein Jahr. Dann sterben sie ab und werden an die Strände gespült.

Baden ist wegen des kalten Wassers und der Unterströmung nur etwas für Unentwegte, aber die Küste ist berühmtes Surfrevier. Irgendwo da draußen im Nebel erspähen wir zwei einsame Wellenreiter. Viel mehr werden es wohl nicht sein, denn die Saison ist so gut wie vorbei. Auf den Parkplätzen stehen fast keine Fahrzeuge mehr, am sonst vollen Strand sind kaum Menschen, aber regelmäßig begegnen wir einigen späten deutschen Urlaubern, denn Deutsche lieben British Columbia. Man kann lange Wanderungen am Strand oder durch die angrenzenden Wälder unternehmen, aber leider ist kaum etwas zu sehen. Die Gegend ist bekannt für ihre Seenebel, auch wenn hinter den Bergen die Sonne scheint.

Wir fahren die Straße bis Tofino zu Ende aus reiner Neugier. Das wenig sehenswerte „Touristenkaff“ besteht aus Hotels, Restaurants und Veranstaltern. Hier kann man Kanu- und Kajakausflüge, Surfkurse, Walbeobachtungstrips, Angeltouren, sogar Tauchgänge buchen. Wir schauen eine Weile den zurückkehrenden Angelausflüglern zu, wie sie ihren Fang wiegen, ihre Fische geköpft und ausgenommen werden. Die Möwen machen einen Mordsspektakel, wenn die Innereien im Wasser landen, aber sie sind so vollgefressen, dass sie nicht einen Flügelschlag investieren und die mögliche Beute achtlos versinken lassen.

Duncan, Vancouver Island, British Columbia – Illegaler Alkoholtransport

Montag, September 13th, 2010

Auch am nächsten Morgen noch überzeugen Wein und Schnaps: keine Nachwirkungen. Ich könnte glatt ein neuer Fan werden. Dann lassen wir uns den ganzen Tag verwöhnen wie bei Muttern.

Am Nachmittag fahre ich mit Branca in die Stadt, um ein paar Besorgungen zu machen. Im Okanagan Valley haben wir eine Flasche Wein für Mike und Mélie besorgt, die wir ihnen als Überraschung schicken wollen. Ich hoffe auf der Post einen gepolsterten Falschenkarton kaufen zu können wie es in Deutschland üblich ist. Dort dann die große Überraschung: Die Postangestellte wirft mir einen pikierten Blick zu und belehrt mich: „Das Versenden von Alkohol ist in Kanada illegal“. Ähnlich wie die europäischen Nordländer führt Kanada eine restriktive Alkoholpolitik. Alkoholgenuss ist erst ab einem Alter von 19 legal. Alkoholika werden nur in staatlich lizenzierten Läden hoch besteuert verkauft (Ausnahme Québec). Der Genuss von alkoholischen Getränken auf öffentlichem Raum ist verboten. Das bedeutet: kein Sundowner-Bier am Strand, keine Straßencafés mit Alkoholausschank, keine sommerlichen Biergärten. Es ist untersagt, geöffnete Behältnisse mit alkoholischem Inhalt in der Öffentlichkeit (dazu gehören sowohl Einkaufstasche als auch das eigene Fahrzeug) mit sich zu führen. Erfreuliche Auswirkung der strengen Gesetze: Es gibt keine pöbelnden alkoholisierten Menschen auf den Straßen und alkoholgetriggerte Aggressivität in der Öffentlichkeit wohl eher selten. Die berühmte RCMP Polizei greift bei Verstößen harsch durch. Wird deswegen weniger getrunken? Wohl kaum.

Ich beschließe, nicht gegen Kanadas Gesetze verstoßen zu wollen und deponiere die Weinflasche bei Anton und Branca, wo sie von den Adressaten persönlich abgeholt werden kann.

Duncan, Vancouver Island, British Columbia – Urwaldfragmente

Sonntag, September 12th, 2010

Am Nordufer des Cowichan Lake fahren wir nach Duncan. Noch einmal passieren wir Regenwaldfragmente, die wie ein Märchenwald wirken. Gigantische Bäume aus der Vorzeit ragen in luftige Höhen und verdunkeln den Himmel. Stämme und Blätter sind dunkel von Regen und Nässe, von den Blättern tropft es herunter. Der Boden ist mit Farnen bedeckt, die mit dem wenigen Restlich zurechtkommen. Ein Wald könnte mystischer nicht aussehen.

In Duncan werden wir bereits von Branca und Anton erwartet, Mikes Eltern. Toni keltert selbst weißen und roten Wein und brennt ein wenig Schnaps. Ich kämpfe mich durch die gesamte Palette und muss sagen: Gar nicht mal schlecht.

Port Renfrew, Vancouver Island, British Columbia – Kahlschlag auf ganzer Linie

Samstag, September 11th, 2010

Anstatt auf direktem Weg nach Duncan zu fahren, drehen wir eine Runde über Sooke, Port Renfrew und den Cowichan Lake. Die teils schlecht asphaltierte Straße ist stellenweise eng, mit einspurigen Brücken und Spitzkehren, aber zumindest schon stellenweise frisch geteert. Sie führt durch Mischwaldflecken mit riesigen Bäumen, die vor unserer Zeit entstanden sind und mit Unterholz so dicht, dass selbst Wild es schwer hat hindurchzukommen. An den meisten Stellen aber sieht der Wald anders aus. Nadelwaldmonokulturen unterschiedlicher Altersstufen prägen das Bild. Stets  informieren Schilder stolz, wann wiederaufgeforstet wurde. Aber wie! Es ist nicht dasselbe. Der aufgeforstete Wald hat nichts, gar nichts mit der ursprünglichen Vegetation des Regenwalds zu tun.

Nur wenigen Menschen ist bekannt, dass es auch außerhalb der Tropen temperierte Regenwälder gibt. Leider sind diese genauso gefährdet wie die Tropenwälder. Über 50 % des kanadischen Regenwaldbestands auf Vancouver Island, and den Küsten und im Inneren British Columbias sind bereits abgeholzt und die wenigen mächtigen Forstkonzerne tun ihr Bestes, die Urwälder weiter zu dezimieren. Aber B. Cs. Arbeitsmarkt, seine Exporte und damit Einnahmen sind zu weiten Teilen abhängig von der Holzindustrie, wenn auch rückläufig. Daher erhalten die Unternehmen großzügige Abholzungsrechte und Handlungsfreiheit. Umweltschützer haben es nicht einfach, gegen monetäre Interessen anzukommen. Haben Regierung wie Bevölkerung bis vor wenigen Jahren mit Ablehnung und Ignoranz auf die Problematik reagiert, lenkte die Politik schließlich etwas ein und stimmte dem Erhalt einiger Regenwälder zu. Im Verlauf unserer heutigen Fahrt bekommen wir noch weit katastrophalere Umweltsünden zu sehen. Kaum jemand macht sich im Inneren Vancouver Islands die Mühe, Wälder verantwortungsvoll auszudünnen und wieder aufzuforsten. Clear Cuts, die vollständige Abholzung ganzer Landstriche, sind die billigste und effektivste Methode für die Forstunternehmen. Kilometerlange Berghänge sind dem totalen Kahlschlag zum Opfer gefallen. Zum Großteil ist nicht einmal aufgeforstet worden, was dramatische ökologische Auswirkungen hat: Bodenerosion, Nährstoffverlust und häufige Erdrutsche. An einigen Stellen wurden aus der Luft Grassamen abgeworfen zur „Begrünung“ der Hänge mit der Folge, dass sich Hirsche überproportional vermehren und zur Plage werden können, Waldtiere wie Pumas aber immer weniger Lebensraum finden. An machen Bergen ließ man winzige Waldflecken zwischen den Abholzungsfeldern stehen, die vermeintlich als Windbrecher dienen sollen um Erosion zu verringern. Dennoch wirkt der totale Kahlschlag verheerend.

Ein Stückchen intakten Regenwald kann man auf dem West Coast Trail durch den Pacific Rim National Park sehen. Der Fernwanderweg war früher Rettungspfad für Schiffbrüchige. Heute ist der Trail lange kein Geheimtipp mehr, sondern ein äußerst populärer Wanderweg mit reglementiertem Zugang. Mit Gebühren für Genehmigung, Reservierung, Fährverbindungen und Busrücktransport ist man für zwei Personen leicht weit über 500 $ los. Ausrüstung und Verpflegung muss man selbstverständlich selbst mitbringen. Mag der West Coast Trail ein grandioses Erlebnis sein, für uns außerhalb des Rahmens.

Womit wir beim zweiten Thema wären, das mich heute berührt: BC, kurz für British Columbia, scherzt man, heißt „bring cash“ – bring Bares. Das Preisniveau soll insgesamt höher sein als das in den anderen Provinzen, was sich für den Reisenden zunächst nur teilweise bemerkbar macht. Kraftstoff ist teurer als in den anderen südlichen Gebieten, aber nicht so teuer wie im Norden. Lebensmittel bewegen sich auf dem üblich hohen kanadischen Preisniveau. Es sind eher die vielen „touristischen“ Ecken, an denen einem Geld bzw. unverhältnismäßig viel Geld abgeknöpft wird. Mein an sich äußerst zuverlässiger Hauptreiseführer ist 2008 gedruckt worden. Seitdem ist nicht nur jeder Eintritt teurer geworden, es hat sich auch sonst einiges geändert. Die Zufahrtstraße von Port Renfrew, einem ehemaligen Hippie- und Aussteigerdorf, zum Botanical Beach wird als ausgesprochen schlecht beschrieben. Heute ist sie asphaltiert, dafür muss man am Ende 3 $ fürs Parken bezahlen, wenn man bei Ebbe am Strand in den Gezeitentümpeln herumstöbern will. Am breiten Strand der San Juan Bucht soll man unorganisiert campen können. Unsere Hoffnungen zerstreuen sich an einem Schild an der Zufahrt: Tagesparken 10 $, Übernachten 25 $ – ohne Service, versteht sich. Weiter am Cowichan Lake fahren wir eine Runde um den See. Die drei hier aktiven Forstunternehmen haben etliche Forestry Service Campgrounds eingerichtet, die man in winzige Flecken Regenwald platziert hat. Trotz der schönen Umgebung sieht es nicht immer gepflegt und sauber aus, die Plumpsklos machen keinen sehr einladenden Eindruck. Vielleicht ist das nahende Saisonende der Grund. Bezahlen muss man jedoch den vollen Preis: zwischen 17,50 und 22,50 $. Kostet die Nacht. Genau so viel haben wir in den gut besuchten Banff und Jasper Nationalparks gezahlt, doch jetzt stehen wir mitten im Niemandsland in einem Wald an einer Schotterpiste mit null Infrastruktur drum herum. Ein stolzer Preis. Mein Reiseführer besagt, am Cowichan Lake gibt es genügend Möglichkeiten zum „privaten“ Übernachten. Auch diese Aussage hat so keinen Bestand mehr. „Privat“, „verboten“, „nicht erlaubt“ lesen wir überall. Wo nichts geschrieben steht, finden wir eine Schranke oder Kette. Am ganzen See finden wir einen einzigen Parkplatz ohne Verbotsschild. Hier steht schon ein Jäger, und wir gesellen uns für die Nacht dazu.

Victoria, Vancouver Island, British Columbia – Britische Teezeremonie und Herrenhäuser

Freitag, September 10th, 2010

Es gibt drei Hauptfährrouten von Vancouver nach Vancouver Island, die alle das gleiche kosten und gut eineinhalb bis zwei Stunden brauchen. Wir wählen die Verbindung Tsawwassen – Swartz Bay, da wir als erstes in British Columbias Hauptstadt Victoria wollen. Außerdem gilt die Strecke als die schönste, weil sie zwischen kleineren Inseln hindurchführt. Auf der Fähre lernen wir ein nettes kanadisch-mexikanisches Pärchen kennen, mit dem wir gefundene, vom Lkw gefallene Bio-Kürbisse gegen geschenkte, selbstgepflückte Bio-Äpfel tauschen. Sie laden uns nach Mexiko ein, darauf freuen wir uns schon.

Auf einer vierspurigen, dicht befahrenen Autobahn fallen wir nach Victoria ein, das einen gediegenen-britischen Eindruck hinterlässt. Bestärkt wird dieser vom ehrwürdigen Parlamentsgebäude mit der vergoldeten George Vancouver Statue auf der Kuppel sowie dem noblen 1908 erbauten The Fairmont Empress Hotel, wo man im Sommer für eine britische Teezeremonie mit Biscuits oder Gurkensandwiches um die 60 $ hinblättern und dennoch reservieren muss. Vor dem Parlament, das man kostenlos besichtigen kann, und am gegenüberliegenden Hafen stehen ein paar Totempfähle der Westküstenindianer. Wir beginnen hier eine Rundfahrt am teilweise ausgeschilderten Scenic Marine Drive von der Süd- an die Ostküste der Saanich Peninsula, in deren Süden sich Victoria befindet. Nach wenigen Minuten erreicht man das Denkmal Mile 0, wo der Trans Canada Highway offiziell beginnt, auch wenn die Strecke bis Nanaimo insgeheim dazugerechnet wird. Im weiteren Verlauf des Scenic Marine Drive fahren wir zunächst an alten Herrenhäusern mit gepflegten Gärten vorbei und erhaschen immer wieder schöne Blicke aufs Meer. In den Uplands schließlich werden die Grundstücke riesig, die Häuser nicht minder, deren Wert ich nicht einmal abzuschätzen vermag. Jeder Hausbesitzer muss mindestens einen Ganztagesgärtner beschäftigen, auf die akkurat getrimmten Hecken und Zierbüsche zu schließen. Die Route führt uns schließlich bis zur Cordova Bay, von wo aus wir zurück nach Victoria fahren, wo wir Carolyn und ihre Familie besuchen. Sie ist die Schwester von Mike, den wir in Québec kennen gelernt haben.

Vancouver, British Columbia – Von Gastown bis Granville

Donnerstag, September 9th, 2010

Der SkyTrain ist ein moderner führerloser Nahverkehrszug, der größtenteils überirdisch und oft auf Stelzen fährt. Wir nehmen die Expo Line von der Endstation King George in Surrey, einer Vorstadt Vacouvers, wo man auch Wohnmobile gut parken kann, bis zum Ende an der Waterfront Station in der Innenstadt. Das Tagesticket für 9 c$ erlaubt die Nutzung sämtlicher städtischer Nahverkehrsmittel (SkyTrain, Bus, SeaBus). Während der Zugfahrt genießen wir den Ausblick auf die Stadt, Skyline, Hafen, Berge. Die letzten Stationen verlaufen unterirdisch, aber dann ist man auch schon da, direkt neben dem Canada Place. Von da aus sind es nur wenige Schritte nach Gastown hinein, einem ursprünglich heruntergekommenen, jetzt renovierten auf nostalgisch getrimmten Stadtteil, der als „Altstadt“ fungiert. Beliebtestes Fotomotiv ist die Steam Clock, eine wasserdampfbetriebene Standuhr, die alle 15 Minuten pfeift und Dampf ablässt. Antriebskraft ist das zentrale Dampfheizungssystem in Gastown.

Glücklose Goldsucher ließen sich 1858 am Burrard Inlet nieder. 1867 traf John Deighton, genannt Gassy Jack, „geschwätziger Hans“, mit einem Fass Whiskey ein und eröffnete postwendend einen Saloon. Er gilt als offizieller Stadtgründer, und so hieß die Siedlung drei Jahre lang Gastown, später Granville, bis sie 1886 den ehrenwerteren Namen Vancouver erhielt. Heute steht im Stadtteil Gastown ein Denkmal zu Ehren des Stadtgründers Gassy Jack auf einem Whiskeyfass. Gleich neben Gastown liegt Chinatown. Interessant für Besucher, die noch nie eine Chinatown besucht haben. Da mittlerweile der Anteil Einwohner asiatischer Abstammung an der Gesamtbevölkerung so stark gewachsen ist und sich durchmischt hat, ist der Reiz dieses Viertels ein wenig gesunken.

Wir laufen durch Downtown mit all seinen Läden und Kneipen auf die andere Seite der Halbinsel und nehmen von da aus die Aquabus Passagierfähre nach Granville Island, um dem Public Market einen Besuch abzustatten. Frischer Fisch, Fleisch und Geflügel, Obst, Gemüse und Feinkost, Käse, Brot und Gebäck, alles zu akzeptablen Preisen, laden zum Kauf ein. Auch wir können dem Fresstempel nicht ganz widerstehen. Bei einem Metzger, der dutzende von selbstgemachten Würstchen- und Salamisorten anbietet, erstehen wir Weißwürste und frisches Sauerkraut, ein paar Schritte weiter gibt es leckeres (richtiges!) Brot. Der Aquabus bringt uns zurück ans andere Ufer, aber diesmal nehmen wir den Bus zurück zur Waterfront SkyTrain Station. Die Buslinie führt noch einmal durch das jetzt niedlich beleuchtete Gastown hindurch, und der Skytrain schwebt über die illuminierte Stadt.

Der Parkplatz kostet nur 6 $ für 12 Stunden, so lösen wir später am Abend noch ein Ticket für die Nacht. Die großen alten Bäume wurden stehen gelassen, und nicht überall blenden die gleißenden Straßenlaternen, sodass man ein hübsches ruhiges Plätzchen finden kann. Die Weißwürste sind, wie ich es mag, nicht nur aus Schweine-, sondern auch aus Kalbfleisch gemacht und schmecken gar nicht mal schlecht. Jedenfalls besser als das, was man außerhalb Bayerns in Supermarktkühlregalen abgepackt kaufen kann.

Langley, British Columbia – Nur Arbeit

Mittwoch, September 8th, 2010

Ein arbeitsreicher Tag, an dem ich den Computer zum Glühen bringe, um Euch auf dem Laufenden zu halten. Viel Spaß weiterhin beim Lesen!

Vancouver, British Columbia – Eine grüne Stadt

Dienstag, September 7th, 2010

Vancouver gilt als eine der schönsten Städte Nordamerikas. Die Bevölkerung ist so gemischt, dass es keine erkennbare Minderheit mehr gibt. In den letzten 20 Jahren ist der Anteil an Bewohnern asiatischer Abstammung auf über ein Drittel gestiegen. Als eine der Hauptattraktionen gilt Stanley Park, nur wenige Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Die über 4 km2 große Grünanlage ist im Ostteil eher gepflegter Park, im Westen ist der Regenwald fast unberührt geblieben. Man kann den Park mit Auto oder Fahrrad umrunden. Ein 81 km langes für motorisierte Fahrzeuge unzugängliches Wegenetz durchzieht die Grünanlage. Von hier aus kann man auf den Canada Place sehen, ein an ein Segelschiff erinnerndes Gebäude, das zur Expo 1986 errichtet wurde. Auch Downtown mit seinen neuen Hochhäusern, deren türkisfarbene Fronten je nach Sonnenlichteinfall ihre Farbe wechseln, und die Lions Gate Bridge hat man im Blick. Kurz hinter Stanley Park befindet sich English Bay. Von dem schönen Sandstrand aus hat man Aussicht auf City, Hafen und die Coast Mountains. Zum Sonnenuntergang versammeln sich dutzende von Zuschauern und Fotografen, wenn Wasser, Sonne, Wolken, Berge und Schiffe sich ein farbliches Stelldichein liefern.

Langley, British Columbia – Vom Himmel hinab zu Meer: den Sea-to-Sky-Highway nach Vancouver

Montag, September 6th, 2010

Noch einmal klettern wir auf das Chaos aus Baumstämmen, Steinen und mittlerweile fast fest gebackenem zementartigem Schlamm, bevor wir zurückfahren auf den Highway, der sich jetzt Sea-to-Sky Highway nennt. Wir statten Whistler einen kurzen Besuch ab, neben Vancouver der Hauptaustragungsort der Olympischen Winterspiele 2010. Hübsch, ordentlich, organisiert touristisch und teuer. Ein weiterer Stopp gilt den Shannon Falls, ein Wasserfall, der über mehrere Stufen imposante 335 m in die Tiefe fällt. Auf der vierspurig ausgebauten Autobahn hoch über der Stadt und dem Pazifik fahren wir nach Vancouver. Auf jeden Fall sollte man von Norden kommend in Squamish bzw. von Westen kommend in Chilliwack noch einmal tanken, da Kraftstoff in Vancouver teurer ist wegen einer Sondersteuer zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrssystems. Vancouver selbst hat rund 580.000 Einwohner, der Einzugsbereich mit Vorstädten 2,3 Millionen. Eine davon ist Langley, unser heutiges Ziel, wo uns Simon und Kerri erwarten, die uns eingeladen haben, da sie sich für den Kauf eines Unimog interessieren.

Pemberton, British Columbia – Gletscherabgang – Spuren einer Katastrophe

Sonntag, September 5th, 2010

Die Duffey Lake Road, wie der Hwy # 99 hier heißt, windet sich in einer endlosen Abfolge von Kurven in schwindelerregender Höhe über dem Cayoosh Creek. Leitplanken werden als überflüssig angesehen. Manchmal schaut man einfach lieber zu den Bergen hoch als zum Fluss hinunter. Obwohl der Cayoosh Creek diese seltene transparentgrüne Farbgebung hat als ob ein Schulkind seinen mit grüner Wasserfarbe getränkten Pinsel in einem Glas Wasser ausspült. Am Cayoosh Pass auf 1275 m Höhe kann man zu den drei Joffre Lakes wandern, türkisfarbene Kleinode inmitten von Bergen und Gletschern. Leider ist an langen Wochenenden wie diesem der Hike ausgesprochen populär. Danach geht es auf einer Strecke von 13 km gute 1000 Höhenmeter kontinuierlich abwärts. In Pemberton machen wir am Visitor Centre kurz Halt, da man hier seinen Abwassertank leeren kann.

Bis zum 6. August 2010 hätte man in der Nähe die Meager Hot Springs besuchen können, sollte man bereit gewesen sein, 70 km zu fahren, davon 35 km extrem schlechte geschotterte Forststraße. Doch leider sind die Thermalquellen nicht mehr erreichbar. Die größte Schlammlawine Nordamerikas hat die Piste dorthin einfach begraben. Am frühen Morgen des 6. August brach ein Stück des Gletschers vom Meager Mountain ab und riss Schlammmassen, Schotter und Steine mit sich in die Tiefe den Capricorn Creek hinunter und blockierte zeitweise den Lillooet River und die einzige Zugangsstraße in diese abgelegene Region. Die Meager Hot Springs waren wegen eines vorangegangenen Erdrutsches erst neu renoviert worden, für wenige Wochen geöffnet, und wegen der Augusthitze wieder gesperrt worden. Denn Hitze ist einer der Faktoren, die Lawinen begünstigen. Die vulkanisch aktive Gegend ist bekannt für Überflutungen, Steinschläge, Schnee- und Schlammlawinen – insgesamt 57 ernsthafte Abgänge wurden während der letzten 100 Jahre verzeichnet. Diesmal wurden 13 Menschen von den Steinmassen eingeschlossen, einige Minenarbeiter und etliche Camper, aber sie alle hatten sich rechtzeitig in höherem Gelände in Sicherheit bringen können, da der Lärm der anrückenden Gesteinsmassen sie rechtzeitig gewarnt hatte. Später wurden sie unverletzt per Hubschrauber geborgen.

Ein Einheimischer erzählt uns an der Besucherinfo, dass die komplett verschüttete Straße seit kurzem wieder befahrbar ist. Bagger hätten sich ihren Weg mitten durch die Geröllmassen gebahnt, um die Passage für die dort ansässigen Bergbauunternehmen zu öffnen. Wir folgen der Schotterpiste, anfangs ein fürchterliches Waschbrett, leider zu eng, zu kurvig und zu unübersichtlich um genügend Geschwindigkeit aufzunehmen, darüber hinweg zu gleiten, denn hin und wieder kommt Gegenverkehr. Später ist die Straße mit großen Steinen durchsetzt, die über das Fahrbahnniveau hinausragen, sodass man darüber rumpeln muss. Trotz gesenkten Reifendrucks ist das eine Bewährungsprobe für sämtliche Schrankinhalte. Am Zusammenfluss von Meager Creek und Lillooet River offenbart sich das gesamte Ausmaß der Katastrophe. Gletschereis hat sich mit Millionen Tonnen gemahlenem Steinmehl vermischt, Steine, Felsblöcke und Unmengen von Bäumen mit sich gerissen und auf über zwei Kilometer Breite die Landschaft unter sich begraben. Die Arbeitsmaschinen haben sich in wochenlanger Arbeit durch das Chaos gewühlt, um die Straße wieder freizulegen. Links und rechts türmen sich drei Meter hohe Geröllmassen auf. Wie durch ein Wunder ist ein Campingplatz 36 km vor den Thermalquellen verschont geblieben. Die Lawine hat sich geteilt und ist um den Campground herumgeflossen. So haben wir eine Übernachtungsmöglichkeit für heute Abend, aber außer einem Pärchen auf Motorrädern sind wir alleine.

Lillooet, British Columbia – Perfektionsgetarnte Jäger mit Pfeil und Bogen

Samstag, September 4th, 2010

In der Nacht pustet der Wind einen Wetterwechsel verheißend über die Bergrücken. Am Morgen hat es noch einmal 24° mit Sonnenschein, aber rings um Merritt sind die Wolken kreisförmig an den Bergspritzen hängen geblieben. Trotzig ziehen wir Shorts an, aber die Freude hält nicht lange an Innerhalb einer halben Stunde plumpst die Temperatur auf 9°, die Sonne wechselt sich mit Gewitter- und Regenschauern ab. Noch einmal zwängen wir uns auf engen Wegen durch den Wald, über Berge und durch Täler, schlittern im Schlamm, bewerfen uns mit Dreckklumpen, treffen Jäger und Angler, und manchmal auch lange niemanden. Ein Pärchen mit Tarnanzügen und einem tarnfarbenen Quad nimmt ihrem mit Tarnpulloverchen gekleideten Yorkshire Terrier mit auf die Jagd mit tarngemusterten Compoundbögen. Wir genießen das BC-Offroad-Gefühl, das sich dem Durchschnittstouristen kaum erschließt. Immer wieder setzt sich trockene Steppe gegen den Wald durch, wo außer blassgrünen Salbeibüschen kaum etwas anderes wächst. An anderen Stellen hingegen ist der Wald so feucht, dass lindgrüne Moosbüschel tote Äste überwuchern. Wir teilen uns die Wege wieder mit den Kühen, die zu deren Territorium gehören. Bei Ashcroft erreichen wir Asphaltstraße. Die terrassenförmigen Berge kleiden sich nur noch braun ohne einen Schimmer von gelb. Im Tal fließt der Thompson River durch den Black Canyon. Die Schlucht macht ihrem Namen alle Ehre, denn ihre Wände sind kohlrabenschwarz. Über Cache Creek gelangen wir auf dem Hwy # 99 nach Lillooet. Vor gut 150 Jahren war der Ort während des hiesigen Goldrauschs eine der größten Städte nördlich von San Francisco. Davon ist heute gar nichts mehr zu merken. Selbst die deutsche Bäckerei schließt schon nachmittags, sodass wir nicht einmal Brot oder Kuchen kaufen können. Hinter Lillooet tauchen plötzlich imposante, finstere Berge auf, es blitzt und donnert um uns herum und die dunklen Regenwolken machen uns glauben, es sei mitten in der Nacht.

Der Stromerzeuger BC Hydro betreibt einige Rastplätze und kostenlose Campgrounds, einen davon am Seton Lake südlich von Lillooet, wo trotz des langen Feiertagswochenendes wenig los ist. Gerade als wir einparken lichtet sich in einem Dreieck zwischen den Bergen ein winziger Streifen blauer Himmel. Nach einer halben Stunde strahlt die Sonne, der Regenbogen verblasst langsam und die frische dicke Schneeschicht auf den Gipfeln glitzert. Viel zu früh im Jahr, meinen die Kanadier um uns herum. Wir entschließen uns zu einem gemeinsamen Abendessen, Lagerfeuer und Bier, um den heutigen Jagderfolg der Gruppe zu feiern. Die Frau hat ihren ersten Hirsch geschossen. Wir bekommen Hirschsteaks und Elchburger mit auf den Weg und revanchieren uns mit selbstgepflückten Bioäpfeln.

Merritt, British Columbia – Kanadisches Outdoorvergnügen

Freitag, September 3rd, 2010

Die Waldwege werden immer enger und schlechter befahrbar, es geht auf 1200 m hoch und wieder hinunter, aber Arminius fühlt sich sichtlich wohl hier. Die Mischwälder sind manchmal lichter, manchmal dichter. Mancherorts stehen riesige alte Bäume, an anderen Stellen gibt es Kahlschlag. Natürlich wird heutzutage wieder aufgeforstet. Viele Nadelbäume sind braun und tot. Der Pine Beetle, eine Art Borkenkäfer, legt seine Eier unter die Rinde. Die Larven fressen sich dann durch das Holz, zerstören die Nährstoff- und Wasserleitungen des Baums und bringen ihn so um. Früher haben strenge Winter einen Teil der Käfer getötet. Wenige Tage unter -40° genügen. BC wartet schon seit Jahren auf derart niedrige Temperaturen. So vermehrt sich der Pine Beetle ungeniert und zerstört ganze Wälder. Ein fast noch größeres Problem aber ist, dass die vertrockneten Bäume sehr anfällig und gefundenes Fressen für Waldbrände sind, die sich so leicht ausbreiten können und weitere Verwüstungen anrichten.

In BC ist es Vorschrift, dass Holzfirmen je nach Abholzung in bestimmten Abständen Campingplätze einrichten müssen. In dieser Gegend sind es viele, absolut idyllisch an kleinen Seen gelegen an kaum befahrenen Waldwegen. Da wegen eines Feiertages am Montag, dem Labour Day, ein langes Wochenende bevorsteht und das Wetter noch immer traumhaft ist, sind viele Plätze schon belegt. Stille Campingfreuden sind das aber nicht. Kanadisches Outdoorvergnügen ist Action. Auf dem See wird (Elektro-) Boot gefahren und geangelt, zwischen den Bäumen dröhnen Quads und ganze Familien reiten mit kleinen Kindern mit der Körpergröße angepassten Geländemotorrädern in die Wälder. Hunde bellen, denn Kanadier lieben Hunde und ganz viele Familien haben einen oder zwei. Wiewohl die meisten Hunde weit besser erzogen sind als unsere verhätschelten europäischen Tölen. Die Barbecuegrills werden in Vorfreude auf den Fangerfolg schon mal vorgeheizt. Auf dem benachbarten Campingplatz hat jemand die Musiklautstärke so weit aufgedreht, dass die ganze Umgebung davon partizipieren kann. Niemanden stört das auch nur ansatzweise. Nach der Mittagspause fahren wir weiter und fädeln uns zwischen Kühen durch, die stoisch die Wege okkupieren. Trotz des trockenen Klimas werden die weniger bewaldeten Areale als Ranchland genutzt. Es gibt kaum Gras, das nicht vertrocknet ist, aber die Rinder bewegen sich frei auf riesigen Gebieten, irgendetwas Grünes finden sie zu Fressen. Zudem sind es keine unter Leistungsdruck stehenden Milchkühe, sondern Fleischrinder, die in Ruhe heranwachsen können.

Am Nachmittag erreichen wir Merritt, eine Kleinstadt, die vielleicht nicht als Kleinod zu bezeichnen ist, aber eine privilegierte Lage in einem Tal umgeben von sommertrockenen Bergen innehat. Nachdem wir mit unseren Erledigungen wie Wäscherei und Einkaufen durch sind – noch niemals habe ich in Kanada so billiges Brot und Kuchen gekauft, dafür mussten wir für Bier das Doppelte investieren – senkt sich schon die Dämmerung über die Stadt. Die Tage werden merklich kürzer und wir müssen früher nach einem Übernachtungsplatz Ausschau halten. Walmart ist immer noch keine Option für uns, doch die Zeit wird knapp. Wir versuchen unser Glück am View Point, dem Aussichtspunkt der Stadt. Hier ist nächtliches Parken nicht verboten, und so ergattern wir einen Platz oberhalb der Stadt mit Blick wie aus einem Adlerhorst.

Osoyoos, British Columbia – begehrte Bioäpfel

Donnerstag, September 2nd, 2010

Vom Anarchist Mountain fahren wir wieder an den Osoyoos Lake ins Tal, um Ludwig und seiner Frau Irene einen Besuch abzustatten. Seine 20.000 Obstbäume sind nur Hobby, wie er sagt. Sein Geld verdiene er mit selbst entwickelten und produzierten, patentierten Halterungen für Obstbäume und Bewässerungsleitungen. Zu meiner Freude schaltet er eine der ratternden Maschinen an, die im Sekundentakt die gebogenen Drähte meißelt. Ludwig fährt mich mit seinem Elektrogolfcart in die Plantage und wir pflücken Äpfel. Er schenkt uns die ganze Kiste, die jetzt im Badezimmer steht mangels Platz unter dem Tisch. Wir schlendern durch seinen Privatgarten und das „Versuchsfeld“, wo es Früchte gibt, die aus Pflaumen und Aprikosen gezogen sind, winzige Äpfel, die wie Birnen schmecken und große Äpfel, die wie Birnen schmecken. Außerdem wächst hier eine Apfelsorte, die so lecker ist, dass man nie welche ernten kann, weil die Vögel sie vorher auspicken, sodass nur noch die Schale übrig bleibt. Man könnte Spritzmittel verwenden, Selbstschussanlagen oder Netze, aber Ludwig will das alles nicht. Er möchte Äpfel, die man ungewaschen vom Baum essen kann. Und die Vögel mögen eben auch Äpfel. Irene gibt uns noch eine Flasche selbstgemachten, kaltgepressten Apfelsaft mit, der gefroren gelagert werden muss, weil er ohne Zusätze hergestellt wird. Er schmeckt süß und köstlich nach Äpfeln und Aprikosen.

Wir fahren in Richtung Westen auf dem Hwy # 3 nach Princetown. Wir haben uns ein Backroad Mapbook für BC zugelegt, das in kleinem Maßstab sämtliche Nebenstraßen, Waldwege und Wanderpfade zeigt. Hinter Tulameen schlagen wir uns in die Büsche und finden eine hübsche Lichtung zum Schlafen.

Osoyoos, British Columbia – Deutsche in Osoyoos

Mittwoch, September 1st, 2010

Wir schlagen uns durch bis in den äußersten Süden zur US-amerikanischen Grenze. Die vielen Weingüter erleichtern uns das Leben nicht, aber irgendwann ist der Karton voll, der sich seit gestern den Platz unter unserem Tisch mit den Ciabattabroten teilt. Das Wetter ist, wie es im Okanagan Valley sein soll, sonnig, trocken und zumindest warm. Das bringt das südeuropäisch anmutende Ambiente erst richtig zur Geltung: die mit Gras bewachsenen, aber seit dem Frühsommer vertrockneten Hügel; die langgestreckten Seen im Tal; die bewässerten und daher üppig grünen Weinberge und endlosen Obstplantagen; die unzähligen Obst- und Gemüsestände entlang der Straße oder die Angebote zum Selbstpflücken. Die Straße ist recht dicht befahren und dies Areal stark besiedelt, aber die Anwesen sind allesamt nicht unattraktiv. Kurz vor Osoyoos gibt es ein kleines Stück unverbaute Wüste, die man gegen Eintritt (7 $) besuchen kann. Sie erinnert stark an die mit Büschen bewachsene Steppenlandschaft Texas’. Entsprechend hat sich die Grenzstadt mit mexikanischer Architektur ausgestattet, was nicht ganz unpassend wirkt, vergisst man die Tatsache, sich in Kanada zu befinden. Wir fahren den Hwy # 3 ein Stück in Richtung Osten, um auf den Aussichtspunkt auf dem Anarchist Mountain zu gelangen, von wo aus man das perfekte Foto vom südlichen Okanagan Valley schießen kann. Zurück in Osoyoos beim Kaffeetrinken am Seeufer sind wir einmal wieder die Dorfattraktion. Rita liest uns auf, lädt uns ein und beschreibt uns den weg nach Hause, weil sie in der Stadt noch zu tun hat. Wir aber kommen einfach nicht weg, weil wir so viele Fragen beantworten müssen und gute Ratschläge zur näheren Streckenführung entgegennehmen. Dann kommt auch noch Ludwig. Trotz seines Rentenalters und trotz seiner über 20 Jahre in Kanada ist er ein typischer Ur-Bayer geblieben. Zurück möchte er nicht mehr. Warum auch? „Hier isses wia dahoam am Tegernsee. Ner net so koit. Ober den Schnee brach’i nimmer.“ Wir haben für heute Abend schon eine Einladung, aber wir versprechen, morgen vor der Weiterfahrt vorbei zu kommen.

Wir fahren wieder den Anarchist Mountain hoch, wo Rita und Ingo ein Blockhaus oben auf dem Berg mit wunderbarem Seeblick haben. Die nach Südwesten ausgerichtete Giebelseite ist komplett verglast und offeriert eine Traumaussicht auf See, Berge, die Stadt, sogar den Grenzübergang und die amerikanische Seite. Die beiden haben vor 20 Jahren ihre drei Kinder nach Kanada gebracht, sich mit einer Ferien- und Pferderanch in den Rocky Mountains den frühen Ruhestand gesichert und sind schließlich ins milde Klima des Okanagan gezogen.

Okanagan Valley, British Columbia – Weinproben und Schulbusbewohner

Dienstag, August 31st, 2010

Bei Vernon erreichen wir das Okanagan Valley, eines der touristisch am besten erschlossenen Gebiete British Columbias. Das Tal gilt als nördlichster Zipfel des intramontanen Beckens, das sich zwischen Sierra Nevada bzw. Kaskaden im Westen und den Rocky Mountains im Osten von Mexiko durch den gesamten Westen der Vereinigten Staaten bis in den Süden Kanadas zieht. Die Region soll erholsam unkanadisches Wetter haben: trocken und heiß. Davon ist heute nichts zu merken, es hat mit 12° und Dauerregen ab vormittags eher Alaska-Qualitäten. Das Okanagan Valley liegt auf gleicher geographischer Breite wie das Rheintal von Mainz nach Karlsruhe und folgerichtig wird auch hier Wein angebaut. De facto ist es das größte kanadische Weinanbaugebiet mit fast 90 Weingütern. Wir werden es nicht mal ansatzweise schaffen, alle zu besuchen, aber selbst wenn man sich Selbstbeschränkungen auferlegt ist es dennoch ein herausfordernder Job, sich von Weinprobe zu Weinprobe durchzuarbeiten. Ein wirklich harter Tag.

Die wenigen Campingplätze sind teuer und laut, weil am Highway. Wir fahren in der stark besiedelten Gegen eine Straße den Berg hoch. Hier stehen kaum Häuser, aber neben dem Wendeplatz am Straßenende ist auf dem Rasen ein ausrangierter Schulbus geparkt, der nicht in bestem Zustand scheint. Drinnen werkelt jemand und brennt gerade etwas auf der offenen Flamme eines Campingkochers an. Aus dem Fenster schaut ein vorsichtig ausgedrückt nicht sehr wohlhabender Mann. Er lebt offensichtlich in dem Bus, und das nicht gerade komfortabel. Sein graues Haar trägt er lang, um den Friseur zu sparen, genau wie das Geld für Rasierklingen, was in einen wuchernden Bart ausartet. Wir wollen von Ralph, so heißt er, wissen, ob wir uns dazu stellen können. Aber er hat offensichtlich Angst, dass zwei Fahrzeuge mehr Aufmerksamkeit erregen als eines und fürchtet vielleicht Konkurrenz. Er sucht Jobs als Pflücker. Kirschen, Pfirsiche, Nektarinen und Pflaumen sind schon reif, die Äpfel werden nicht lange auf sich warten lassen. Wir könnten uns auf ein unverkauftes Grundstück ein paar Meter weiter unten stellen, das sollte niemanden stören. Als wir ihm glaubhaft machen können, dass wir morgen wieder abfahren und sogar ein zugelassenes Fahrzeug mit gültigem Kennzeichen besitzen, ist er beruhigt und lenkt ein, aber wir stellen uns trotzdem auf das Nachbargrundstück. Eine Stunde später, wir sind beim Kochen, klopft es an die Tür. Es ist Ralph mit einem ziemlich großen Wasserkanister in der Hand. Er würde sich gerne einen Kaffee kochen, aber er hätte kein Wasser mehr. Ob wir ihm aushelfen könnten? Wasser haben wir genug. Er wäre auch nicht dazu gekommen, Zucker kaufen zu gehen, ob ich ein paar Päckchen für ihn hätte. Ich fülle ihm etwas ab und lege noch ein paar von den Ciabattabroten aus der Restaurantpackung dazu. Er entschuldigt sich, dass er nichts hätte, was er uns zurückgeben könnte. Singend und pfeifend läuft er über das Brachland zurück zu seinem Bus, offensichtlich haben wir jemanden glücklich gemacht.

Kamloops, British Columbia – Unterhaltungsmusikalische Warteschleifen am Hochzeitstag

Montag, August 30th, 2010

Kamloops ist Industriestadt, Verkehrsknotenpunkt und ideale Versorgungsstation für Reisende. Bei Costco erstehen wir das obligatorische Hähnchen und Schinken, Käse, Kuchen – alles natürlich teurer als in Alaska. Das Lustigste, das wir kaufen, ist eine Tüte von der Größe eines halben Kartoffelsacks mit 18 kleinen Ciabattabroten. Sie liegt jetzt unter unserem Tisch, da sie anderswo keinen Platz findet. Vielleicht sollte ich einen Handel eröffnen. Mag sein, dass die Stadt selbst ohne Reiz ist. Ihre Lage indessen ist fantastisch. Sie schmiegt sich in ein Flussdreieck zwischen unzähligen braun-grünen Hügeln, die alle von in der Sommerhitze vertrocknetem Gras bedeckt sind. Flüsse haben vor Jahrmillionen Täler und Schluchten in die Hügel geschnitten. Grüne Flächen gibt es nur, wo bewässert wird. Wälder wachsen nur licht, aber langsam mischen sich „südlichere“ Bäume wie Zypressen und Trauerweiden ins Bild. Kamloops gilt als wärmste Stadt Kanadas. Zu unserer Freude macht sie ihrem Ruf heute alle Ehre. Nach einer langen Schlechtwetterperiode entlang des Nordpazifiks gibt es heute den ersten Tag mit durchgängigem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen, blauem Himmel mit Ferienwölkchen.

Ansonsten versuchen wir, in einem Rogers-Laden, der mehr Videothek denn Handyvertretung ist, einen Disput bezüglich unserer Internetrechnung beizulegen. Ich telefoniere geschlagene eineinhalb Stunden mit Rogers, und das ist nicht anders als mit einer deutschen Telefon- und Internetgesellschaft. Ich werde eine halbe Stunde mit Unterhaltungsmusik bedudelt, bevor ich einen Kundenbetreuer ans Rohr bekomme, der mich irgendwann zu einem Spezialisten der Rechnungsabteilung durchstellt – mit musikalisch unterlegter Wartezeit, versteht sich – der mich dann, als ihm das Problem zu kompliziert wird, wieder in die Instrumentalmusikschleife legt. Nach einer weiteren halben Stunde habe ich wiederum einen der allgemeinen Kundebetreuer am Apparat und stehe erneut am Anfang. Meine in so vielen Jahren Afrika erworbene Geduld ist unerschöpflich, aber ich überzeuge den jungen Mann, dass ich es wirklich gutheißen würde, wenn sich jetzt und sofort jemand meines Problems annehmen würde. Und siehe da, nach kaum einer Viertelstunde einigen wir uns, der Internetstick funktioniert wieder.

An einem Stellplatz an einem See außerhalb der Stadt lassen wir unseren 16. Hochzeitstag würdig ausklingen. In der Nacht bricht ein heftiger Sturm über uns herein. Ohne Niederschlag, aber die Wellen auf den Teichen nehmen eine beachtliche Größe an und der Wind heult beängstigend.

Wells Gray Provincial Park, British Columbia – Hohe Bäume, tiefes Wasser

Sonntag, August 29th, 2010

Der Wells Gray Provincial Park ist mit 540.000 km2 einer der größten Provinzparks in British Columbia, der größte Teil davon unerschlossene Wildnis. Er gilt als eines der Highlights und kostet nicht einmal Eintritt. Bekannt ist er für seine miteinander verbundenen Seen, Stromschnellen und Wasserfälle inmitten der Hochgebirgsgipfel der Caribou Mountains. Sowohl Kanubegeisterte als auch Wildwasserrafter finden hier ein Paradies. Es gibt sogar Stromschnellen der Kategorie 5+ – das ist so etwas wie eine dunkelschwarze Skiabfahrtsstrecke. Viele Attraktionen sind aber auch mit dem Auto bzw. kurzen Wanderungen erreichbar. So z.B. die Spahat Falls, wo das Wasser eines Bachs aus einem höhlenartigen Canyon weit in hinunter fällt, und seine Reise in einem tiefen Canyon mit riesigen Steilwänden fortsetzt. Eine Aussichtsplattform bietet nicht nur Blicke in die schwindelerregenden Tiefen, sondern auch in die grüne Waldlandschaft des Parks.

Die Serpentinen der Zufahrtspiste zum über 1000 m hohen Green Mountain sind für Wohnmobile problematisch eng. Oben wurde ein Aussichtsturm errichtet, von dem man über die Baumwipfel hinweg eine tolle Aussicht auf die umgebenden Berge hat. Die Dawson Falls sind weniger wegen ihrer 18 m Höhe, sondern wegen ihrer immensen Wassermassen auf 91 m Breite sehenswert. Das spektakuläre Markenzeichen des Wells Gray Parks aber sind die Helmcken Falls. Aus einer Engstelle schießt das Wasser im freien Fall 141 m in die Tiefe, wo es in einem riesigen Schüssel-Halbrund landet, das sich vor Jahrtausenden geschaffen haben muss. Auch hier fließt der Fluss zwischen kerzengerade aufragenden Canyonwänden weiter.

Im August und September jeden Jahres kann man an den Bailey’s Chute Rapids eine besonderes Naturschauspiel beobachten. Bis zu 22 kg schwere Chinook Lachse versuchen mit großen Sprüngen, die Stromschnellen zu überwinden. Keiner schafft es weiter als bis zur Hälfte. Am Ende der Reise müssen sie feststellen, dass ihnen für diesen letzten Gewaltakt die Kraft fehlt. Sie müssen umkehren und lassen sich ein Stück stromabwärts treiben, wo sie in etwas ruhigerem Wasser laichen und sterben. Am Ende der knapp 70 km langen Parkstraße liegt der Clearwater Lake, der dank des kristallklaren Wassers seinen Namen zu Recht trägt und der Zugang zu diversen – unmotorisierten – Wassersportmöglichkeiten bietet. Im gesamten Parkgelände fallen die riesigen uralten Rotzedern auf. Die Nadelbäume werden über 30 m hoch und haben bis zu 180 cm dicke Stämme, weiter im Süden können sie sogar noch größer werden. Sie erreichen ein durchschnittliches Alter von 300 bis 700 Jahren, können aber bis zu 1000 Jahre alt werden.