Archive for Juni, 2011

Ciudad de México, D.F., México – Die lange Geschichte Mexikos

Mittwoch, Juni 29th, 2011

Das anthropologische Nationalmuseum in Mexiko Stadt ist ein Juwel – selbst für Museumsmuffel ist es ein muss, will man ein wenig Licht ins Gewirr der vielfältigen mesoamerikanischen Kulturen bringen. Das Museum ist riesig und fast zu viel für einen Tag. Das Erdgeschoss des u-förmigen Gebäudes beherbergt neben einer Einführung in die Anthropologie, also die Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung, zwölf Galerien, die sich mit den unterschiedlichen Hochkulturen Mexikos beschäftigen, darunter die Tolteken, die Maya, die Azteken, Teotihuacán, Oaxaca und anderen Regionen. Das Obergeschoss birgt Sammlungen von Kleidern, Häusern, Kunstgegenständen, religiösen Artefakten sowie Informationen über Festivitäten und soziale Organisation der 56 überlebenden indigenen Nationen Mexikos. Im Innenhof des Museo Nacionál de Antropología steht eine elf Meter hohe Säule, umgeben von einem Wasservorhang, auf der eine 84 m lange Überdachung ruht. Man nimmt an, dass dies die größte Betonstruktur der Welt ist, die auf einer einzelnen Säule ruht. Eine Sonderausstellung informiert derzeit über die fünf großen Pyramidenstätten Mexikos (Museumseintritt 51 Peso pP).

Ein hervorragend ausgebautes und relativ sicheres Verkehrsmittel in Mexiko ist die Metro. Für nur 3 Peso pro Fahrt kann man beliebig oft umsteigen. Mit einem Metroplan ist es ganz einfach. Während der Stoßzeiten ist die U-Bahn, die teils überirdisch fährt, krachend voll. Zwischendurch aber ist es recht unterhaltsam. Geduldete Verkäufer streifen durch die Waggons und versuchen, Taschenlampen, Scheren, Süßigkeiten, Kaugummis, Spielzeug, Einreibemittel oder Tabletten zu verkaufen – meist für einen Einheitspreis von 5 Peso. Bettler gibt es auch, meist jedoch versuchen selbst Blinde oder Taubstumme etwas zu verkaufen oder zumindest zu singen oder zu musizieren.

Coyoacán, México – Werkstattwesen

Dienstag, Juni 28th, 2011

In einer von Bernardos drei wollen wir einiges am Unimog erledigen. Obwohl es sich nur um Wartungsarbeiten handelt, die Jörg sonst selbst erledigen kann – Ölwechsel, Öl- und Kraftstofffilter austauschen und die vorderen Bremsbeläge erneuern, die wir bislang noch nicht gewechselt haben – springen fünf Mechaniker eilfertig und hilfsbereit um uns herum. Bernardos Werkstätten reparieren nicht nur Unimogs, sonders alles vom Pkw bis zum Lkw, was den Mechanikern ein enormes Wissen abverlangt. Bernardo hat einen Vertrag mit der Policia Federal, der Staatspolizei, alle ihre Fahrzeuge instand zu halten. Außerdem tauschen wir unsere Heizung, deren Boiler ja vor einigen Wochen undicht geworden ist und den wir schweißen lassen mussten. Bernardo weigert sich, Geld für die Mechanikerstunden zu annehmen.

Coyoacán, México – Gehobene Gastfreundschaft

Montag, Juni 27th, 2011

Gastfreundschaft ist in vielen Ländern ein hohes Gut. Eigentlich hielt ich uns Deutsche für nicht ausgesprochen vorbildlich, das scheint aber in der Fremde anders gesehen zu werden: Alle Ausländer, die wir bislang trafen und die bereits in Deutschland waren, bereichten einhellig über die hohe Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber Fremden – auch und gerade im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Wie erfreulich – also bitte: weiter so! Derweil beschämen uns unser mexikanischer Freund Bernardo und seine Freundin Alma mit ihrer Freigiebigkeit und ihrem Vertrauen. Als erstes erhalten wir einen Schlüssel zu ihrem wunderschönen Stadthaus und dürfen alles benutzen. Am Abend lädt uns Bernardo in ein sehr gutes Restaurant in Coyoacán ein, um uns gehobene, doch traditionelle mexikanische Küche zu zeigen. Wir versichern, alles zu essen, und so bestellt er eine Auswahl verschiedener Gerichte zum Probieren, die uns schlicht umwerfen. Alles ist köstlich.

Es gibt eine schmackhafte Suppe aus gerösteten und zusammen mit Chilis pürierten Schweinehäuten (die gibt es sonst als Knabberei zu kaufen, bislang machten wir jedoch angewidert einen großen Bogen darum), eine andere mildere Suppe aus pürierten schwarzen Bohnen. Wir bekommen Tacos mit Entenfleisch und Avocados sowie Tortillas mit gekochter Zunge in Essigsud mit Zwiebeln und Möhren. Dann probieren wir zwei verschiedene Fischgerichte mit Weißfisch unter Zwiebel-Habanerohaube und Tunfisch in Bohnensoße sowie drei verschiedene Desserts: Ein selbstgemachtes Fruchteis, ein herbes Schokoladensoufflee und eine Art Strudel – eine Pastete mit eingebackenen Früchten und einem wenig gesalzenen Frischkäse, der Panela heißt und dem italienischen Mozarella etwas ähnelt (eine verlockende Kombination!). Wir lernen, dass Mezcal, ein Agavenschnaps wie Tequila, nicht wie Tequila schmecken muss, sondern wie Grappa (und aus verschiedenen Agavensorten besteht). Die knusprig gerösteten Grashüpfer hätte es auch gegeben, aber die probiere ich beim nächsten Mal…

Coyoacán, México – Das Land des Lärms

Sonntag, Juni 26th, 2011

Mexiko ist laut. Das ist eine unserer Grunderkenntnisse über dieses schöne Land. Überall wird möglichst viel Lärm gemacht, um – ja, um was? Um aufzufallen, um sich aus der Masse herauszuheben? Musik dröhnt, Menschen schreien, Autos hupen, Lautsprecher kreischen. Vor vielen Läden werden Musikboxen aufgestellt, die Passanten bis zur Taubheit berieseln und sie in das Geschäft locken sollen, weil es dort vielleicht leiser ist? Junge Menschen sitzen mit heruntergekurbeltem Fenster und lässig heraushängendem Ellbogen in ihren Autos, das Radio auf volle Lautstärke gedreht und hören – völlig uncoole – Mariachi-Musik, die auch ihren Urgroßeltern gefallen würde. (Ich gebe zu, dass ich mit meinem eingeschränkten westlichen Musikverständnis wohl nie ein Fan des unrhythmischen und unmelodiösen Mariachi werde, wo Sänger einfach nur laut quäken, selbst wenn es sich um ein Liebeslied handelt.)

Egal ob am Strand oder auf dem Campingplatz: Autotüren werden aufgerissen, Musik rücksichtslos aufgedreht in dem Versuch, den Nachbarn zu übertönen, und das bis in die frühen Morgenstunden. Souvenirhändler in Teotihuacán verkaufen eine Art Pfeifen, die schreckliche laute Geräusche erzeugen, die wohl einen Jaguar oder andere Tiere nachahmen sollen, und die überall auf dem Gelände zu hören sind. Irgendwo in der Stadt wurde heute Nacht eine auch auf dem Campingplatz hörbare Open-Air-Technoparty gefeiert, was mir zwar den Glauben an die junge mexikanische Generation wiedergibt, mir dann aber doch wieder Sorgen über möglichen Drogenmissbrauch bereitet, da die Feier auch um 10 Uhr des nächsten Vormittags nicht beendet ist. Selbst die Kirche macht mit: Zu ehren des Namenspatrons der Stadt reisten Pilger aus dem kompletten Land an, um die ganze Nacht in der Kathedrale zu beten. Das wird untermalt einem stündlichen (!) Glockenläuten, unterbrochen von Böllerschüssen, die die Nacht zerfetzen wie Kanonenkugeln. Die Kathedrale steht neben dem Campingplatz.

Das ist eben Brauch und Mentalität der Leute. Trotzdem sind wir nicht übermäßig traurig weiterzuziehen. Unser nächstes Ziel liegt in Mexico City und heißt Coyoacán, wo wir erwartet werden. Wir fahren tatsächlich mitten durch die Stadt, allerdings auf der „normalen“ Straße und vorsichtshalber nicht auf der Periférico. Der Verkehr ist dicht, aber nicht undiszipliniert, an jeder Kreuzung steht ein Polizeifahrzeug. Niemand hält uns an oder interessiert sich auch nur für uns. Mexico City mag zwar die größte Stadt der Welt sein, aber problemlos fahrbar – kein Vergleich zum anarchischen, chaotischen, nicht gekennzeichneten und völlig überlasteten Kairo. Vor dem Haus unserer Freunde parkend patrouillieren Polizeifahrzeuge und Fußstreifen, doch immer wieder stoßen wir nur auf Neugier und Interesse, das der Portier der Wohnanlage mit seinem neuerworbenen Wissen bestens zu stillen weiß.

Teotihuacán, México – Die geheimnisvolle Pyramidenstadt

Samstag, Juni 25th, 2011

Wer waren sie? Woher kamen sie? Wie lebten sie? Und warum gingen sie? Bis heute weiß man sehr wenig über die Schöpfer der Stadt Teotihuacán, selbst ihr ursprünglicher Name ist unbekannt. Erbaut wurde sie um 200 vor Christus, ihre Blütezeit erlebte sie zwischen 200 und 500 n.Ch. mit geschätzten 85.000 Bewohnern und einer Ausdehnung von über 20 km2. Als die Azteken 1250 hier ankamen, war die Pyramidenstätte bereits seit hunderten von Jahren verlassen und teilweise zerstört. Sie nahmen an, überwältigt von der Anlage, dass hier die Götter selbst entstammten und alles seinen Anfang nahm. Teotihuacán, Heimat der Götter, nannten sie den Ort. Die beiden größten Pyramiden tauften sie nach Sonne und Mond, die 40 m breite und zwei Kilometer lange Hauptstraße Calzada de los Muertos, Straße der Toten, in der Annahme, die Pyramidenstümpfe entlang der Hauptachse seien Begräbnisstätten.

Damit und in fast allem anderen irrten die Azteken. Menschen – wenn auch mit enormen mathematischen und astronomischen Kenntnissen – waren die Erbauer der Stadt. Man nimmt an, dass sie die Anlage teils selbst zerstörten, als sie sie verließen. Vielleicht wegen Ressourcenmangel infolge Überbevölkerung? Dass die Pyramidensockel keine Gräber sind, weiß man heute. Ihr Zweck liegt jedoch nach wie vor im Dunkeln. Sicher ist dagegen, dass es Wohneinheiten und spezielle Viertel für Berufsgruppen wie Webern, Färber, Töpfer, Bauern und Händler gab. Außerdem war ihr kunsthandwerkliches Können so weit entwickelt, dass ihre kreativen Schöpfungen von Vögeln und der gefiederten Schlange ganze Völkergruppen ihrer Zeit bis nach Guatemala beeinflussten.

Bis heute halten die Ausgrabungen an, nur etwa 15 % wurden bislang freigelegt. Das Gebiet, das bereits besichtigt werden kann, ist riesig. Bequeme Schuhe, Sonnen- und Regenschutz sowie Proviant sind dringend angesagt. Auf dem Gelände selbst gibt es zwar jede Menge Souvenirverkäufer (ein oder zwei freundliche „gracias“ genügen meist, sie zu vertreiben), aber es gibt nur wenige Verpflegungsmöglichkeiten. Die Sonnen- und Mondpyramide können bestiegen werden und bieten hervorragende Übersicht über die Stadt. Erstere gilt als drittgrößte Pyramide der Welt – nach Ägypten. Sie hat fast die gleiche Grundfläche wie die Cheopspyramide in Gizeh, ist mit 66 m aber nur halb so hoch. Es ist übrigens einfacher, die überhöhten Stufen schräg hinauf und hinunter zu gehen. Der Eintritt beträgt 51 Peso pP, Parken extra. Busse verkehren ständig vom Campingplatz und zurück, man kann aber auch laufen (Entfernung ca. 3 km).

San Juan Teotihuacán, México – Hoy no circula? Ich versteh’ nur Spanisch!

Freitag, Juni 24th, 2011

In Mexico City gibt es viele undurchsichtige und zum Teil unverständliche Verkehrsvorschriften. Wir wollen ein paar dieser Gerüchte aufklären, um anderen Reisenden die Fahrt zu erleichtern:

1. Der äußere Nordring um Mexico City ist fertig gestellt. Er heißt Arco Norte und trägt die Bezeichnung MEX 40D. Die Straße ist kostenpflichtig, aber eine gute Einfallroute von Norden kommend, und bei weitem nicht so teuer und nicht so befahren wie die Autobahnen weiter in der Stadt. Achtung: Es gibt an der 40D keine Tankstellen, Parkplätze, Toiletten oder Verpflegung zwischen Tula und der MEX 132D.

2. Es gibt zwei hinlänglich bekannte Campingplätze am Rande Mexikos, Pepe’s Hotel Posada in Tepotzotlán und Teotihuacán Trailer Park in San Juan Teotihuacán. Beide haben gute Busanbindung für Besuche der Innenstadt, doch letzterer wird von vielen Reisenden bevorzugt, da die weltbekannte Pyramidenstätte Teotihuacán nur wenige Kilometer entfernt liegt. Der einzig vernünftige Weg der Annäherung ist die MEX 132, die auch Anbindung and die MEX 40D hat. Der Campground liegt NICHT in der hoy no circula Zone (dazu mehr später) versichert die Besitzerin, auch wenn das manchmal behauptet wird, selbst in der „Bibel“ Mexican Camping von Church & Church. Die im gleichen Werk erwähnte Einbahnstraßenregelung bei Anfahrt des Campgrounds existiert bei unserem Besuch nicht, man fährt einfach zum Eingangstor.

3. Hoy no circula bedeutet soviel wie „heute nicht fahren“ und ist eine Regelung Mexikos zur Eindämmung der Abgasbelastung. An jedem Wochentag sowie an jedem Samstag des Monats dürfen zwei Fahrzeugkennzeichen-Endziffern nicht im Stadtgebiet fahren, als da wären: 5 und 6 Montag (und 1. Samstag im Monat), 7 und 8 Dienstag (und 2. Samstag im Monat), 3 und 4 Mittwoch (und 3. Samstag im Monat), 1 und 2 Donnerstag (und 4. Samstag im Monat), 9 und 0 Freitag (und 5. Samstag im Monat, wenn zutreffend). Diese Regelung gilt NICHT für Fahrzeuge, die jünger als acht Jahre alt sind. Ausländische Fahrzeuge sind den gleichen Bestimmungen unterworfen. Berichte, sie gelten nicht für Ausländer, treffen nicht zu. Man kann natürlich Glück haben und auf einen verständnisvollen, unwissenden oder keinen Polizeibeamten treffen. Die Chancen hierfür in Mexico City, dessen Polizisten für ihre Unnachgiebigkeit und Korruption verschrien sind, stehen nicht allzu gut. Zudem dürfen Fahrzeuge, die kein Kennzeichen von Mexico City (Distrito Federal) bzw. des Bundesstaates México besitzen, an Wochentagen von 5 bis 11 Uhr morgens nicht verkehren. All diese Regelungen können bei Smog erweitert werden. Genaue Auskünfte gibt es an den PEMEX-Tankstellen um México.

4. Ob die Periférico von Campingfahrzeugen wie dem unseren oder größeren befahren werden darf, konnten wir nicht mit Sicherheit herausfinden. Die Periférico ist eine zum Teil auf Stelzen gebaute, kreuzungs- und ampelfreie Autobahn durch Mexico City. Sie darf nicht von Liefer-Lkw benutzt werden. Ob sich die Regelung lediglich auf Fahrzeuge mit „Truck“-Kennzeichnung oder auf die Fahrzeuggröße bezieht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Weitere Erkenntnisse, sofern vorhanden, werden wir nachreichen.

5. Die Strafen für Zuwiderhandlungen sind drastisch. Polizeibeamte haben das Recht, Fahrzeuge zu konfiszieren. Sie stehen dann für einen Tag auf einem abgesperrten Gelände und können nur gegen hohe Gebühr ausgelöst werden. Kein Wunder, dass viele Fahrer die Zahlung eines niedrigeren Bestechungsgeldes vorziehen. Als Ausländer sollen Freundlichkeit, Bestimmtheit und die Androhung eines Anrufs bei der eigenen Botschaft manchmal helfen.

Jalpan, Querétaro – Durch alle Klimazonen Mexikos

Donnerstag, Juni 23rd, 2011

Das Rückgrat des Teufels ist hier. Vergesst Espinoza del Diablo von Mazatlán nach Durango. Das hier ist um Vieles besser. Die MEX 120 von Xilatla nach San Juan del Rio hat nicht nur viel mehr Kurven als die MEX 40. Es sind weit mehr Höhenmeter auf und ab zu bewältigen und die landschaftliche Vielfalt ist enorm. Wir beginnen im tropischen Regenwald der Huasteca Potosina, schrauben uns hoch ins Biosphärenreservat Sierra Gorda mit dichter grüner, alpin wirkender Nadelwaldflora auf über 2500 m Höhe und fahren nur ein paar hundert Meter wieder hinab in die mit Büschen und Kakteen bestandene Halbwüste des zentralen Hochlands.

Dazwischen gibt es noch feine barocke Architektur. Die „fünf Missionen“ im Nordosten des Staates Querétaro sind nicht allzu bekannt. Alle wurden vom gleichen Pater um die Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut, um die ansässigen Indigenas zu missionieren. Zwei der Kirchen liegen direkt an der MEX 120, Landa de Matamoros und Jalpan. Sie wurden sorgfältig konserviert, sodass ihre farbigen dekorierten Fassaden mit den eindeutig indianischen Elementen gut zur Geltung kommen. Ob Kirchenfreund oder nicht – man sollte sich in Mittelamerika nicht allzu früh daran satt sehen, denn das sind nun mal die architektonischen Highlights.

Xilatla, San Luis Potosí – Kultur im Dschungel

Mittwoch, Juni 22nd, 2011

Bei wieder erträglich-tropischen Temperaturen finden wir uns auf Anhieb zur Cascada de Tamul. Von Flüssen und Wasserfällen wimmelt es hier nur so. Dieser angeblich beeindruckendste Fall dieser Gegend ergießt sich aus über 100 m Höhe in einen Fluss und ist nur auf einer vier Kilometer langen Fahrt mit dem Boot zu erreichen. Leider nerven uns die Schlepper bei Annäherung an die Attraktion dermaßen und verschrecken uns mit ihrer Forderung von fast 50 US$, dass uns die Lust aufs Verhandeln und den Wasserfall vergehen. Stattdessen fahren wir durchs Herzland der Huasteca Potosina, genießen tropische Palmen, Bananenstauden, Bambusstängel und Orchideen. Die Huastecen leben hier in Holzhütten mit Stroh- oder Blechdach, ein Ein-Zimmer-Haus aus Ziegeln ist schon Luxus. Fließendes Wasser gibt es nicht, aber Strom. Feuerholz und Wasser werden meist von jungen Frauen herangeschafft. Wäsche und Geschirr werden in Becken oder Schüsseln vor der Hütte gewaschen.

Erst kurz vor Xilatla legen wir wieder einen Stopp ein. Las Pozas ist eine einmalige Schrägheit im Tropendschungel. Der aus einer äußerst reichen britischen Familie stammende und mittlerweile verstorbene Edward James hatte sich hier im 20. Jahrhundert einen Lebenstraum verwirklicht. Er verschmolz den riesigen exotischen Garten mit einer Unzahl von Kunstobjekten aus Beton und Metall. Edward James war selbst nur ein mäßig erfolgreicher Poet und Künstler gewesen, jedoch einer der größten Kunstmäzene seiner Zeit. Zu seinem engen Freundeskreis zählten Salvador Dalí, Pablo Picasso und René Magritte. Dalí sagte einst über den Exzentriker, er sei „verrückter als alle Surrealisten zusammen genommen“.

Das zeigt sich auch auf seinem Grundstück, das James zunächst zum Orchideenzüchten, später als Zoo und schließlich zur Verwirklichung seiner architektonischen Fantasien nutzte. Mit zeitweise bis zu 150 lokalen Arbeitern baute er 30 Jahre lang an diesem Projekt, das allerdings nie richtig fertig gestellt wurde. Unzählige von ihm geschaffene Kunstobjekte, seltsame sinnentfremdete Gebäude, Wasserfälle, Becken und Bäche wurden in ein unüberschaubares riesiges Labyrinth am Hang integriert. Den Führer lehnten wir, nachdem wir unsere 50 Pesos Eintritt pro Person entrichtet hatten, freundlich ab. Wenn man so lange im Tourismus arbeitete wie wir, entwickelt man zwangsläufig eine Schlepper- und Guideallergie. Einen Orientierungsplan für das Gelände gibt es nicht, dann würde man ja keinen Führer benötigen.

Konsequenz ist, dass wir nach wenigen hundert Metern vor einem Teich stehen und uns nicht klar ist, wie wir dieses Hindernis überwinden, das tief und glitschig ist. Jörg beschließt, seine Shorts auszuziehen, das T-Shirt zu raffen und mit den Kameras über dem Kopf durch den Teich zu waten. Ich wähle den Weg über die wasserüberspülte glitschige Mauereinfriedung des Pools, auf der einen Seite Wasser, auf der anderen mehrere Meter nichts. Der Engländer hatte einen echt schrägen Humor. Jörg läuft fortan völlig surreal im klitschnassen Slip durch den Kunstpark, die Shorts in der Hand, bei mir sind nur die Schuhe nass. Edward James hätte seine Freude an uns gehabt. Zum Glück sind wir die einzigen Besucher.

Der Park verfällt heute zusehends. Der Millionär hatte ihn den Kindern seines mexikanischen Angestellten und Vertrauten vererbt, da er selbst keine Nachkommen hatte. Seine einzige Heirat mit einer ungarischen Balletttänzerin endete in einer skandalösen Scheidung. Ein von James inspiriertes Grundstück steht nur ein paar Meter weiter. Eine Art moderne Hippiekolonie, bestehend aus einigen jungen Mexikanern, einem nicht mehr so jungen Amerikaner und einer vor vier Tagen angereisten sehr jungen Deutschen, betreibt ein esoterisches Hostel. Der Platz ist gut gewählt, hier gibt es wirklich „Spirit“. Trotz Einladung entscheiden wir uns für die Weiterfahrt, denn wir haben bald eine Verabredung in Mexico City.

Micos, San Luis Potosí – Im Dschungel

Dienstag, Juni 21st, 2011

Der Abschied fiel schwer und war nur nach einigen Badegängen möglich, aber wir wollen noch zu den Wasserfällen von Micos. Wir verfahren uns höchstens drei- oder viermal, da Micos weder unseren Karten, noch unseren Navigationssystemen bekannt ist und die Angaben befragter Personen zwar grundsätzlich richtig, aber nicht immer präzise sind. Endlich am Ziel haben wir das Bad dringend nötig. 42° Schattentemperatur sind im feuchten Dschungelklima schon ungewöhnlich. Die 70 Peso Eintritt mit Campen gehen in Ordnung, aber der Platz enttäuscht uns. Die Wasserfälle sind größtenteils kleine Stromschnellen, es gibt Schlamm und algenbewachsene Steine, und das Wasser ist nur wenig klar. Theoretisch dürften wir über Nacht zum Fluss hinunterfahren und irgendwo zwischen Snack- und Souvenirbuden parken. Das ist so wenig einladend, dass wir lieber auf dem Tagesparkplatz bleiben und den Sturm dort abwettern. Es blitzt, donnert und windet, das Gewitter hat sich im Tal zwischen den Bergen verfangen, doch der Regen hält sich in Grenzen. Trotzdem: die Regenzeit hat begonnnen.

Auch wenn der Platz nicht ganz so überzeugend war, Abkühlung verheißen die Cascadas de Micos allemal: N22°05’57’’ W99°08’52’’.

Tomasopo, San Luis Potosí – Das Paradies auf Erden?

Montag, Juni 20th, 2011

Das Paradies auf Erden – gibt es das? Vielleicht nicht ganz. Aber die Cascadas de Tomasopo kommen dem schon ziemlich nahe. Eine ganze Reihe von Wasserfällen ergießt sich in natürliche Pools, von knöcheltief bis mehrere Meter messend, in die man sich von Fall aus hineinstürzen oder darunter duschen kann. Die Pools fließen in Flüsse ab, in die wiederum weitere Wasserfälle rinnen. Das türkisfarbene Wasser ist gerade so kühl, dass man es als erfrischend empfindet, aber so warm, dass man sich gut und gerne eine Stunde oder länger darin aalen kann. Umgeben ist das Ganze von einem tropischen Garten aus Grünpflanzen, exotischen Blumen, bunten Vögeln, großen Schmetterlingen und Libellen. Ob wir noch in Mexiko sind? Oh ja, natürlich, Mexiko besteht nicht nur aus vertrockneten Hügeln und Kakteen.

Wir befinden uns in der Huasteca Potosina, einem dschungelartigen Gebiet im zentralen Osten Mexikos, dem nördlichsten Regenwald der Welt, der in den meisten Reiseführern unverständlicherweise stiefmütterlich behandelt wird. Dementsprechend schwierig war es, Informationen über dieses Gebiet zu bekommen, doch den Tipp hierherzukommen hatten wir von verschiedenen Mexikanern erhalten. Seinen Namen hat das Areal von den Huastecen, dem indigenen Volk, das hier lebt, und San Luis Potosí, Bundesstaat und gleichnamige Hauptstadt. An den Wasserfällen von Tomasopo dürfen wir sogar auf den Rasenflächen vor den Fällen campen – und das Ganze für je 20 Peso pro Person und Auto (macht also 60). Immer wieder tauchen wir ins kristallklare Nass mit den vielen kleinen Fischen und wähnen uns im Paradies – egal wie die Antwort auf Frage eins lautete.

Wer auch ins Paradies möchte: Es befindet sich nördlich von Tomasopo bei GPS N21°56’21’’ W99°23’46’’.

San Miguel de Allende, Guanajuato – Der Zug der Narren

Sonntag, Juni 19th, 2011

Tausende von Teilnehmern – Kinder, Erwachsene und Tiere – bereiten sich monatelang auf diesen Tag vor. Verkleidet in die fantasievollsten Kostüme, hüpfend und tanzend Musikwagen folgend, zieht der Zug der Narren am dia de los locos durch die Stadt. Alljährlich am Sonntag, der dem Namenstag des St. Anton am nächsten liegt, gerät die ganze Stadt in Aufruhr. Wer nicht am Umzug teilnimmt, strömt in die Stadt, um zuzusehen und mitzufeiern. Wir suchen uns einen Platz zu Beginn des Umzugs. Das hat nicht nur den Vorteil, dass es hier mehr Platz gibt zum Fotografieren, sondern auch dass die Teilnehmer in der brütenden Hitze noch fröhlich und energiegeladen genug zum Tanzen und Posieren sind. Nachdem wir jeweils hunderte von Piraten, Hexen, Schlümpfen, SpongeBobs, Greisen, Felltieren und Supermen gesehen haben und ich mich von einem abgrundtief hässlichen Teufel mit schrecklich schiefen Zähnen küssen lassen musste, sind wir froh, als der Umzug zu Ende ist und wir aus der Sonne können.

Mineral de Pozos, Guanajuato – Eine echte Geisterstadt

Freitag, Juni 17th, 2011

Einst eines der wichtigsten Bergbauzentren Mexikos, heute Geisterstadt; einst prosperierende Silbermine, heute historisches Kulturgut; einst lebhafte Großstadt mit 80.000 Einwohnern, heute ruhiges Dorf mit 2.000 Verbliebenen: Mineral de Pozos wurde 1576 gegründet und in den Revolutionsjahren verlassen. Die französischen und spanischen Minenbesitzer fuhren nach Hause, die Arbeiter wanderten nach Mexico City ab.

Der Großteil der ehemaligen Stadt kann wegen Einsturzgefahr nur von außen besichtigt werden, doch einige der Minen sind zugänglich. Es gibt keinerlei Kennzeichnung, also muss man sich durchfragen. Ohne Eintritt zu zahlen oder anderweitig belästigt zu werden, kann man zwischen den Ruinen umherstreunen und sich das Leben einer ungleichen Zweiklassengesellschaft aus reichsten Besitzern und ärmsten Arbeitern vorstellen.

Heute Abend besuchen wir die frühere Lehrerin Marjorie, während wir morgen Barbaras Ehemann, den Archäologieprofessor, und deren Freunde kennenlernen.

San Miguel de Allende, Guanajuato – Das Ulmer Münster in Mexiko

Donnerstag, Juni 16th, 2011

Eine Kunsthandwerkshändlerin, eine Professorengattin, eine pensionierte Lehrerin – diese drei Damen hatten wir in Pátzcuaro kennengelernt. Alles Amerikanerinnen, in San Miguel de Allende lebend. Tessa ist noch nicht zu Hause, die erste auf unserer Besuchsliste, die wir nach und nach abarbeiten sollen. Wir beschließen, so lange der historischen Innenstadt einen Besuch abzustatten, die außerordentlich eng sein soll. Als ob wir heute noch nicht genug Aufregung gehabt hätten. Doch ein weiterer netter Polizist bewahrt uns vor Schlimmerem und dirigiert uns zu einem Parkplatz, unter dessen Tordurchfahrt wir gerade so durchpassen. Leider schließt die Schranke mitten auf unserem Fahrerhaus. Wir wollen sie nicht abreißen, aber der junge Parkplatzwächter sieht sich außerstande, sie wieder zu öffnen. Er wirkt hilflos und macht einen für meinen Geschmack etwas zu unbeteiligten Eindruck. Also überzeuge ich die Schranke mit Muskelkraft aufzugehen, woraufhin sie leider nicht mehr schließt. Mein schlechtes Gewissen hält sich in Grenzen, und als wir später zurückkehren werden, wird die Schranke wieder funktionieren.

San Miguel de Allende hat die übliche Dichte von Kirchen. Herausragend ist Parroquia de San Miguel, eine Kolonialkirche aus dem 17. Jahrhundert, die 1880 eine neue Fassade erhielt. Der indigene autodidaktische Architekt studierte Bilder und Postkarten europäischer Kirchen und verschaffte San Miguel nach dem Vorbild des Ulmer Münsters ein völlig neues Äußeres in einer bis dato unbekannten Mischung aus Neugotik und indianischen Elementen.

Die Innenstadt ist sehr hübsch, wenn auch stark geprägt von einer großen US-amerikanischen und kanadischen Residentengemeinschaft. Trendige Restaurants und Bars, Schmuckgeschäfte, teure Möbel- und Accessoiresläden überwiegen. San Miguel de Allende wird nachgesagt, eine der teuersten Städte des Landes zu sein. Aber keine Sorge: Die Mexikaner lassen sich hier nicht vertreiben.

Guanajuato, Guanajuato – Das unterirdische Grauen

Donnerstag, Juni 16th, 2011

Absolut sehenswert soll Guanajuato sein, Regierungssitz des gleichnamigen Staates. Der Besuch der Stadt stand ganz fest auf unserer Agenda, doch wieder einmal kommt alles anders. Schon als wir in die Außenbezirke einfahren, versuchen uns wild fuchtelnde Männer am Straßenrand zu stoppen. Dutzende von ihnen werfen sich wie aufdringliche Scheibenputzer an Ampelkreuzungen vors Auto. Bei einem halten wir an um herauszufinden, was hier eigentlich los ist. Der Schlepper klettert ungefragt auf den Truck. Er will uns Informationen andrehen, spricht jedoch nur stark dialektgefärbtes Spanisch. Er fragt, ob wir zum xy-Campground wollen, und wir bejahen. Er zögert, murmelt etwas von wegen der würde nicht mehr operieren. Warum fragt er dann erst? Die Sache ist uns zu undurchsichtig und genervt fahren wir weiter in Richtung Stadt. Erst später am Abend erfahren wir, dass diese jungen Männer freiwillige Collegestudenten sind, die in ihrer Freizeit Ortskundige durch die Stadt führen bzw. dahin, wohin sie wollen. (Für ein Trinkgeld, versteht sich. Leider haben wir sowieso nur zwei Sitze – hätte ich einen auf meinen Schoß nehmen sollen?) Denn in dieser Stadt ist es absolut unmöglich, sich zurechtzufinden, wenn man das erste Mal herkommt. Doch das können wir noch nicht wissen.

Wir vertrauen auf unsere beiden Navigationssysteme, in die wir die GPS-Daten des Campingplatzes eingespeist haben. Die Anfahrt scheint schwierig zu sein, aber wir folgen Lissy und Mandy, wie wir die Navis nennen, bis sie sich an einer Einmündung uneins sind über die Richtung. Wir vertrauen dem falschen Gerät, und ab dem Punkt beginnen die Ereignisse, sich zu überschlagen. Die nächste 180°-Kehre können wir in der engen Gasse nicht fahren, da wird es schon dunkel um uns.

Einer meiner amerikanischen Reiseführer informiert, dass 1965, um die Verkehrsprobleme der Stadt abzubauen, ein trockenes Flussbett unter der Stadt in ein Fahrzeugtunnelsystem umgewandelt wurde. Die Straße windet sich unterirdisch über viele Kilometer wie in einem Labyrinth. Der abschließende Satz des Reiseführers lautet: „Es ist sehr gefährlich und für Besucher nicht empfohlen.“ ??? Welche Aussagekraft hat dieser Satz für einen Europäer? Warum ist es dort gefährlich? Ist es eng, niedrig, verfahre ich mich, oder werde ich dort erschossen? Für einen Amerikaner genügt sicher schon die Andeutung von Gefahr, um sich nicht einmal in die Nähe zu begeben. Wie die mit ihrer Angstneurose Kriege führen können, ist mir schleierhaft. Dafür feiern sie ihre Soldaten auch wie die Helden. Was im Prinzip in Ordnung ginge, wenn sie ihr eigenes Land verteidigen würden.

Doch zurück in den Tunnel, in dem wir völlig unfreiwillig – Gefahr hin oder her – gelandet sind. Kein Zeichen hat uns darauf vorbereitet, kein Schild Höhen-, Breiten- oder Gewichtsrestriktionen verkündet. Wir fahren in den unbeleuchteten Tunnel, der sich nach kurzer Zeit teilt und einspurig wird. Die Wände rechts und link rücken näher, dummerweise auch die Decke. Alles Einbahnstraße, keine Möglichkeit zum Umkehren, und hinter uns drängelt der Verkehr. Jörg rast in stiller Panik durch den stockdunklen Untergrund, stets hoffend, dass nicht einer der alten Stürze ein wenig tiefer in die Fahrbahn hineinragt als die anderen. Immer wieder teilt sich der Tunnel und wir müssen innerhalb von Sekunden entscheiden, welchen Weg wir einschlagen, um nicht in einer engeren oder zugeparkten Röhre stecken zu bleiben. Manchmal reißt Jörg in letzter Sekunde das Steuer herum, weil in einem Tunnelgang plötzlich Menschen ihre Autos waschen und das wohl nicht der richtige Weg ist. Welch eine seltsame Welt unter der Erde das ist!

Ein Trost sind die blau-weißen Bushaltestellenzeichen. Solange wir uns auf der Busroute befinden, gibt es zumindest keine Breitenprobleme. Für die Höhe können wir nur nach wie vor hoffen, denn die Busse sind leider niedriger als unser Arminius. Wenn an wenigen Stellen der Tunnel kurzfristig unterbrochen ist und Tageslicht einfällt, strecke ich meinen Kopf aus dem Fenster und versuche zu ermitteln, wie viel Platz wir nach oben an unseren Außenkanten haben. Viel ist es nicht, es scheinen nur ein paar Zentimeter zu sein. Immerhin. Das geht über Kilometer so, und jeden Moment warten wir auf ein kratzendes, schrammendes Geräusch und ein Solarpaneel, das das in tausend Teile splittert. Doch nichts dergleichen passiert, und nach endlos scheinender Zeit erscheint Tageslicht. Unsere Gänsehaut würde jedem gerupften Federvieh Ehre machen.

Doch noch ist es nicht ganz vorbei. „Bring mich hier raus!“, schreit Jörg. Schnell tippe ich die nächste Stadt ins Navigationssystem, das außerhalb der Tunnel endlich wieder funktioniert. Es sagt links. Vor uns steht ein Polizeiauto, dessen Beamte uns nach rechts winken. Wir ignorieren sie und biegen links ab. Zum Glück ist es ein Kreisverkehr, denn ich habe das Gefühl, das Navi will uns zurück ins Tunnelsystem lotsen, schließlich muss es auch in anderer Richtung unter der Stadt durchgehen. Da taucht ein weiterer wild gestikulierender Polizist auf. Wir halten vorsichtshalber an. Er meint, wir würden nicht durch die Röhre passen und schickt uns zurück zum Polizeiwagen. Ob der Tunnel für den Rückweg wirklich kleiner ist, bleibt zu bezweifeln. Da wir jedoch keinerlei Wert darauf legen, es auszuprobieren, fahren wir brav zurück, wo uns das Einsatzfahrzeug mit Blaulicht aus der Stadt hinauseskortiert und zur Umgehungsstraße lotst. Schon wieder solche doofen Touris, werden die sich denken. Es wäre schick gewesen, wenn auf der anderen Seite der Stadt mal welche gestanden hätten statt der dummdreist winkenden Teenager.

Damit endet unser Guanajuato-Abenteuer und wir kehren dieser vielleicht schönen, aber von Beginn an unsympathischen Stadt den Rücken zu.

Silao, Guanajuato – Jesus ist groß

Mittwoch, Juni 15th, 2011

Auf einem 2900 m hohen Berg in der Nähe des Ortes Silao thront eine Christusstatue. Es soll sich um die zweitgrößte der Welt handeln, aber das stimmt nicht so ganz. Rechnet man den großen Sockel dazu, in dem auf zwei Stockwerken eine Kirche untergebracht ist, könnte man Christo Rey auf den zweiten Platz setzen, nach dem 36 m hohen Monument in Polen. Doch ist Sockel nicht gleich Statue, und für die verbleibenden 20,5 m bleibt nur ein Platz auf den hinteren Rängen. Sogar weit hinter der Christusstatue in Rio de Janeiro, die später zu besichtigen sein wird.

Zunächst besteht die Problematik im Auffinden von Christo Rey. Erst zeigen viele Schilder mit weißen Christuspiktogrammen auf blauem Grund die Richtung an, plötzlich sind sie verschwunden. Man muss wissen, dass man dann unvermittelt der Beschilderung El Cubilete folgen muss, wie der Berg heißt, auf dem das Monument errichtet wurde. Das ist mexikanische Logik. Am Ende einer kilometerlangen Kopfsteinpflasterstraße, die steil den Berg hinaufklettert, finden wir Jesus. Groß ja, aber nicht übermächtig. Von hier aus hat man einen weiten Blick ins Land. Dieser Ort in den Bergen ist wunderbar kühl, still und friedlich, sodass wir auf einem abgelegenen Parkplatz unterhalb der Statue unser Nachtlager aufschlagen.

Tzintzuntzan, Michoacán – Kunsthandwerk und bayerische Schweinshaxe

Dienstag, Juni 14th, 2011

Der Pátzcuaro-See ist ein idyllisch gelegenes kleines Gewässer zwischen grünen Hügeln und präkolumbischen Dörfern. Die Rundfahrt ist gerade mal 90 km lang. In den kleinen Orten werden tatsächlich auch heute noch die seit hunderten von Jahren bestehenden Handwerke ausgeübt. So werden in einem Dorf bunte preisgekrönte Holzmasken hergestellt, im nächsten Strohhüte in allen Formen und Größen. Wir finden farbige Tonwaren oder Lackarbeiten aus mit strahlenden Blumen bemalten Holzschüsseln und Tabletts. Eine andere Gemeinde fertigt Statuen für den Garten oder die typischen kleinen Kapellen, Schreine und Gebetsstätten am Straßenrand, die nächste schmiedeeiserne Tische und Stühle.

Doch das meiste davon muss erst einmal warten, denn wir kommen nicht weit. Wir bleiben an einem riesigen bayerischen Wappen hängen. Ein Schriftzug daneben verspricht deutsche Küche und familiäres Ambiente. Die Gaststätte hat um diese Tageszeit noch nicht geöffnet, doch der freundliche Kellner bietet uns an, das große Open-Air-Restaurant und die Teiche mit den riesigen springenden Forellen zu besichtigen. Er erklärt sich auch bereit, die deutsche Würstchenplatte mit Kraut und Bratkartoffeln herrichten zu lassen, obwohl der Koch noch nicht da ist.

Mittlerweile trifft Rolf ein, der fränkische Besitzer, der seit Jahrzehnten hier lebt. Auch er muss auf die amerikanischen, kanadischen und sogar deutschen Touristen verzichten und von den wenig spendablen Mexikanern leben – alles wegen der Drogenprobleme Mexikos. Niedergeschlagen wirkt er dennoch nicht, es gibt so viel Wichtigeres. Und so hören wir uns in den nächsten Stunden seine etwas schräge, aber durchaus interessante Weltsicht an, trinken sehr viel Bier und bekommen noch mehr Essen: Für Jörg darf es eine Schweinshaxe sein, ich probiere die geräucherte Forelle. Rolf möchte uns am liebsten über Nacht dabehalten, aber wir müssen ja noch den Rest des Sees anschauen.

Pátzcuaro, Michoacán – Fröhliche Skelette und tanzende Greise

Montag, Juni 13th, 2011

Tzacapuansucutinpátzcuaro. Trotz größter Mühe schaffe ich es nicht, den Namen auszusprechen, nicht einmal zu lesen, geschweige denn zu merken. Warum sollte mir gelingen, was die Spanier schon nicht schafften? Sie verkürzten das Wort, das in der Sprache der Purépecha „Ort der Steine“ bedeutet, kurzerhand auf Pátzcuaro. Und dabei blieb es. Die Purépecha, von den Spaniern Tarasken genannt, sind das hier ansässige Volk, dessen Sprache man auch heute noch hören kann.

Die Azteken hatten das Großreich, zu dem Pátzcuaro einst gehörte, nie erobern können. Als die Spanier 1529 hier einfielen, richteten sie ein Blutbad an und unterwarfen das Volk. Nur zwei Jahre später traf der Franziskanermönch und spätere Bischof Vasco de Quiroga mit völlig anderen Ideen ein. Er strebte eine gleichberechtigte Gesellschaftsform an, gründete neue indigene Kommunen und bestärkte sie, jede ihr eigenes Handwerk zu betreiben. Auch das wurde bis heute beibehalten, einschließlich der Verehrung von Tata Vasco, zu dessen Gedenken im Stadtzentrum eine Plaza mit Springbrunnen und Denkmal eingerichtet wurde.

In diesem eigentlich nicht sehr großen Ort gibt es noch weitere Plazas und jede Menge altes Gemäuer: Kirchen, schlichte Paläste, schöne Hotels mit Innenhof, ein ehemaliges Konvent, ein Museum, eine Bibliothek… Selbst Privatgebäude und Geschäfte entstammen einem einheitlichen Baustil: weiß getünchte Adobehäuser mit roten Ziegeldächern und rot-schwarzen Beschriftungen. Auf einem Markt kann man Früchte, Schuhe und Kunsthandwerk kaufen.

Pátzcuaro bewährte sich noch zwei weitere Traditionen: la noche de los muertos ist eine davon. Zwar wird auch anderswo in Mexiko gefeiert, oft unter dem Namen el día de los muertos, aber hier geht es besonders fröhlich zu – ob zur Nacht oder am Tage. Die Rede ist von den katholischen Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen am 1. und 2. November. Nur trauern die Purépecha nicht, sondern sie erwarten begeistert den Besuch der Toten aus dem Jenseits. Die prähispanische Vorstellung von Seelenwanderung und einem Leben nach dem Tod vermischte sich mit dem christlichen Glauben vom ewigen Leben. Zum Feiertag werden Altäre mit Blumen geschmückt und mit Speisen eingedeckt, Totenköpfe aus Zucker hergestellt und eben so richtig gefeiert. Doch in Pátzcuaro kann man das ganze Jahr über Totensouvenirs kaufen. Das sind Bilder oder Figurinen aus elegant schlanken Skeletten, die entweder regionaltypisch oder in teure Roben gekleidet werden. Es mag ein wenig makaber wirken, aber mir gefällt die Idee, wie die Indios ihre Toten feiern statt zu trauern.

Der zweite überlieferte Brauch ist danza de los viejitos, der in ganz Mexiko berühmte „Tanz der Greiselein“. Mit Masken und Gehstöcken ausgestattete Tänzer humpeln satirisch umher und nehmen die Wehwehchen und Zipperleins des Alters auf den Arm. Man munkelt, dass damit wohl eher die spanischen Eroberer verspottet werden sollten.

Pátzcuaro, Michoacán – 5*-Campingplatz

Montag, Juni 6th, 2011

Mexiko ist nicht gerade das Land für Liebhaber des freien Campens, wie wir es sind. Eine Ausnahme bildet der Süden der Baja California, wo man an vielen öffentlichen Stränden oder in der Wüste kostenfrei übernachten kann. Ansonsten steht man eher ungemütlich an Tankstellen am Highway, auf sonstigen Parkplätzen und Plazas. Oder man zahlt eben für einen Campingplatz, der nicht immer ruhig und gemütlich, nicht gerade günstig und schon gar nicht sauber ist. Eine erwähnenswerte Ausnahme bildet Villa Pátzcuaro Hotel und RV Park in Pátzcuaro. Die niedliche Stadt und der landschaftlich schöne See liegen mit je 20 bis 30 Minuten Fußmarsch in Gehweite. Die kleine Anlage vermietet neben 24 Stellplätzen mit Strom, Wasser, Abfluss und Internet auch Zimmer. Da wir wieder einmal die einzigen Camper sind, haben wir freie Auswahl bei den Rasenstellplätzen, manche sogar mit Schatten. Der Swimmingpool und die Sanitäreinrichtungen sind modern und sauber.

Aber es kommt noch besser: In einem Nebenhaus ist eine große Gemeinschaftsküche untergebracht mit Herd, Kühlschrank, Spüle und Speisezimmer für Zusammenkünfte. Ein zweites kleines Gebäude mit großen Panoramafenstern steht direkt neben unserem Campplatz mit ein paar rustikalen Stühlen, Tischen, Sofas, einem offenen Kamin und Feuerholz dazu. Wir sind auf 2100 m Höhe; es wird selbst im Frühsommer nachts so kühl, dass man ein Feuerchen gut vertragen kann. Umgehend machen wir diesen gemütlichen Raum zu unserem Büro für die nächsten Tage. Hier bleiben wir, denn es gibt so viel Arbeit aufzuholen. Spontan verzeihe ich der Campingplatzbesitzerin, die sich nicht hat erweichen lassen, mit einen Rabatt zu geben und 180 Peso die Nacht haben will, mit 10 % Rabatt bei einer Woche. Es ist das Geld wert.

Angahuan, Michoacán – Gottesfürchtige Lava

Sonntag, Juni 5th, 2011

Die Lava begrub zwei Dörfer unter sich, sie rammte die Kirche, brachte einen der Türme zum Einsturz, zerstörte das komplette Kirchenschiff und kroch weiter bis zum Altar. Was dann geschah, lässt sich nur durch ein Wunder erklären. Der Lavastrom hielt urplötzlich an, erstarrte kurz vor dem Altar und der Vulkan stellte seine Aktivität ein. Sollte er Respekt vor dem Haus Gottes besessen haben? Ehrfurcht? Demut?

Alles begann am 20. Februar 1943. In einem Moment noch stand der Bauer auf seinem Feld und beackerte das Land, im nächsten floh er angsterfüllt, als die Erde zu beben begann. Ein Vulkan wuchs zu seinen Füßen empor, entlud sich mehrfach in donnernden Explosionen und spuckte für die nächsten neun Jahre Lava und Asche. 4000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen und fliehen, verletzt wurde zum Glück niemand.

Heute ragt der erloschene Krater Paricutín 424 m über seine Umgebung hinaus, umgeben von einer 25 km2 großen pechschwarzen Mondlandschaft aus erstarrter Lava, die von der Natur nur langsam zurückerobert wird. Am Rande des Feldes kann man die Iglesia San Juan de Parangaricutiro besuchen oder vielmehr das, was von ihr übrig geblieben ist. Auf der einen Seite steht das Eingangsportal mit dem erhaltenen und dem eingestürzten Kirchturm. Klettert man über das meterhohe Lavageröll zur anderen Seite, steht an der gegenüberliegenden Mauer der unversehrte Altar, der heute immer wieder geschmückt wird. Die Glut machte wörtlich einen Meter davor Halt. Lediglich die Gipsfiguren über dem Altar wurden ein wenig mitgenommen von der Hitze.

Das Dörfchen Angahuan ist Ausgangspunkt für Besichtigungstouren. Schafft man es, sich an den eifrig werbenden Indios vorbeizudrängeln, die ihre Dienste als Führer mit und ohne Pferd anbieten, fährt man noch ein paar Kilometer bis zum letzten Parkplatz beim Aussichtspunkt. Nicht ohne von wilden Reitern verfolgt zu werden, die nicht so leicht aufgeben wollen. Nachdem wir die Männer überzeugt haben, dass wir wirklich nicht reiten wollen, sondern laufen, ziehen sie enttäuscht ab. Für ein paar Pesos kann man hier parken, für ein paar mehr auch über Nacht. Folgt man den zahlreichen Pferde- und Fußspuren durch den Wald bergab, erreicht man nach drei Kilometern die erkaltete Lava. Auch innerhalb des Nationalparks muss man auf mexikanisches Fastfood, das allgegenwärtige Bier und Sodas sowie Souvenirs nicht verzichten. Jedenfalls schleppt der mexikanische Tourist keinen überflüssigen Rucksack mit sich herum. Überlebenswichtiges Essen und Trinken gibt es an allen strategisch wichtigen Stellen. Mit oder ohne Stärkung, mit Wanderschuhen oder zu Pferd, ab hier geht es nur noch zu Fuß weiter über das Lavafeld. Eine lange Hose, feste Schuhe und gegebenenfalls ein robustes langärmeliges Oberteil schützen vor Verletzungen durch scharfkantige Felsen. Wer lieber reitet, kann sogar bis zum Kraterrand gelangen; das ist dann eine Tagestour.

Sahuayo, Michoacán – Tote Fische, winkende Menschen

Samstag, Juni 4th, 2011

Wie lange noch wird es der größte natürlich See Mexikos sein? Laguna Chapala südlich von Guadalajara ist heute noch 113 km lang und bis zu 32 km breit. Doch hat die gierige Großstadt mit Umgebung seit dem Wechsel zum 20. Jahrhundert die Hälfte des Wassers aus dem See herausgeschlürft. Die meisten Fische wurden durch Verschmutzung getötet, überlebender Bewohner ist ein 5 cm langer Winzling, der als Delikatesse gilt. Wir verzichten dennoch, da wir uns nicht darüber im Klaren sind, wie weit das mit der Gewässerverschmutzung geregelt ist.

Am östlichen Ende des Sees machen wir in der Stadt Sahuayo Halt, wo sich plötzlich etwas ändert: Die Menschen sind freundlich. Sie lächeln, sie winken (mehr als sonst), sie finden unsere Website und schreiben E-Mails und sie sprechen uns an – wer kann in Englisch, sonst eben auf Spanisch. Zum ersten Mal seit Baja California, wo die Menschen dem lebenslustigeren Laisser-faire-Stil der Küstenbewohner anhängen und der angenehmen Stadt Zacatecas fühlen wir, dass Leute sich freuen, uns zu sehen. Nicht dass wir besonderen Wert darauf lägen. Doch weder die Indios noch die Nachkommen der spanischen Eroberer zeichnen sich durch besondere Fröhlichkeit aus. Gleichgültigkeit, Gram oder Arroganz lese ich in vielen Gesichtern, manchmal auch Unsicherheit oder Scheu. Gebe ich Bettlern oder – entgegen meiner Prinzipien – armen Indiokindern etwas Geld, erntet man nur selten ein gracias. Frauen, die an winzigen Marktständen versuchen, Süßigkeiten zu verkaufen, würden vermutlich mehr Geschäft machen, wenn sie an ihrer Mimik arbeiten würden.

Derart griesgrämige Gesichtsausdrücke kenne ich selbst im muffeligen Deutschland nur vom weiblichen Bevölkerungsteil der Kriegsgeneration, die sich alleine als Trümmerfrauen durchschlagen musste oder deren übereilt geheiratete Ehemänner sich als nutzlos herausstellten. Nun, Deutschland ist wiederaufgebaut und gegen unglückliche Ehen gibt es ein auch in dieser Altersstufe sozial akzeptiertes Mittel zur Abhilfe: Scheidung. Was die Mexikaner zu ihrer mürrischen Weltsicht bringt, kann ich nur vermuten. Ist es das weiße Gesicht, das den reichen, ungeliebten Amerikaner symbolisiert? Der nördliche Nachbar erfreut sich in Mexiko nicht gerade großer Beliebtheit. Im Krieg stahlen die USA Mexiko große Landesteile, weitere Gebiete kauften sie später dazu. Und auch heute noch zeichnet sich der gemeine Amerikaner – als Tourist oder als Resident – nicht gerade durch großes Feingefühl aus. Oder haben die Einwohner Mexikos schlicht nichts zu lachen, ist ihr Leben so schwer und erdrückend, wenn nicht gerade eines der vielen Feste gefeiert wird? Ist Lächeln in diesem Kulturkreis kein notwendiges Mittel interhumaner Verständigung? Wir wollen es herausfinden.

Guadalajara, Jalisco – Busfahrer im Akkord

Freitag, Juni 3rd, 2011

1,6 Mio. Einwohner in der Stadt, 5 Mio. mit Umland, zweitgrößte Stadt Mexikos mit einer seit 1542 andauernden Historie: Diese Fakten können Guadalajara nur oberflächlich beschreiben, denn sie hat weit mehr zu bieten. Um den alten Stadtkern wurde eine große Fußgängerzone errichtet, die die wichtigsten Sehenswürdigkeiten umfasst. Obwohl Guadalajaras Verkehr als lange nicht so chaotisch wie der in Mexiko City gilt, gibt es ein Parkplatzproblem in der Innenstadt, vor allem für Fahrzeuge über 2,8 m Höhe. Doch das öffentliche Nahverkehrssystem ist vorbildlich ausgebaut und der (einzige) Campingplatz versorgt uns mit perfekten Informationen zum Stadtbus.

Für 6 Peso (37 Eurocent) dürfen wir eine knappe Stunde mitfahren, was so seine Tücken hat. Um den Bus an der Haltestelle zum Stoppen zu bewegen, wirft man sich todesmutig vor die Räder. Man hat das Geld passend parat, schmeißt es beim Einsteigen dem Fahrer auf den Tresen, schnappt sich das Billet, greift breitbeinig eine der Haltestangen oder hechtet sich noch besser auf den nächsten freien Platz. Denn der Fahrer fährt sofort los, sobald der letzte Passagier im Bus ist, der Rest wird während der Fahrt erledigt. Und wie der Mann fährt! Er muss im Akkord und nach Runden bezahlt werden, die er während seiner Schicht schafft, oder er erhält eine Beteiligung am Passagieraufkommen. Anders lässt sich die Fahrweise des Busfahrers nicht erklären, wie er wild im Getriebe herumrührt und dabei die Kupplung malträtiert, nur im äußersten Notfall und dann auch nur im letzten Moment eine Vollbremsung hinlegt und ansonsten mit 100 Sachen über den Kreisverkehr donnert. Das scheint niemanden zu stören. Wir sind dennoch erleichtert, im Zentrum auszusteigen.

Guadalajaras Kathedrale ist riesig und erhielt nach den Erdbeben 1750 und 1818 einen Ersatz für die beiden eingestürzten Türme. Die gelb gekachelten Spitzen sind heute das Wahrzeichen der Stadt. Das eigentlich für die Kathedrale gefertigte Eingangstor findet man am Regierungspalast, der zum Museum umgewandelt wurde. Die in Holz geschnitzten nackten Frauenbrüste empfand man dann doch als etwas unpassend für den Sakralbau. Der Hauptaufgang des Palacio de Gobierno wird geschmückt von einem sehr eindrucksvollen Wandbild, das sich um den Unabhängigkeitshelden Pater Manuel Hidalgo dreht, der 1810 für die Abschaffung der Sklaverei kämpfte und dafür vom spanischen Klerus exekutiert wurde. Ein mehrsprachiger Rentnervolontär ist ganz versessen darauf, uns das Gemälde zu erklären, auch wenn sein Deutsch dafür nicht ausreicht. Ein Trinkgeld für seine Mühen lehnt er am Ende nicht ab – das wird in Mexiko immer gerne genommen, wenn auch nicht automatisch erwartet.

Auch das Teatro Degollado und das Institutio Cultural Cabañas sind sehenswerte Kolonialbauten. Nach so viel Kultur knurrt der Magen. Abhilfe schafft der Mercado Libertad, einer der größten überdachten Märkte ganz Lateinamerikas. Hier gibt es nicht nur Essstände auf drei Ebenen, sondern auch alles andere, was mehr oder weniger nützlich ist: Fleisch, Gemüse und Obst; Schuhe, Handtaschen und T-Shirts; Kugelschreiber, Feuerzeuge und Sonnebrillen; Lidschatten, Nagellack und künstliche Nägel. Und vieles mehr. Made in China.

Zurück auf dem San José del Tajo RV Park duschen wir uns den Stadtschweiß ab. Kakerlaken sind häufig gesehene Bewohner derartiger Etablissements. Hier aber gibt es kleine Frösche. Wie hübsch. Ich behalte meine Schlappen beim Duschen lieber an. Auch der Swimmingpool würde sich über eine Reinigung durchaus freuen. Der Platz ist insgesamt nicht schlecht, der Preis aber (200 Peso, runtergehandelt von 250) repräsentiert eher die Lage denn Ausstattung und Sauberkeit.

Tequila, Jalisco – Tequila olé!

Donnerstag, Juni 2nd, 2011

Es riecht nach Tequila, es heißt Tequila, wir trinken Tequila! In dieser Stadt dreht sich alles um den destillierten Agavensaft. Unzählige Läden verkaufen das Gebräu, und einige der Fabriken bieten sogar Besichtigungs- und Verkostungstouren an. Wir suchen uns die Destillerie Sauza aus, die ehemals La Perseverancia hieß, der große alte Konkurrent des auch in Europa bekannten José Cuervo. Aber der alte Sauza nannte das Gebräu als erster Tequila, erreichte, dass nach dem Vorbild der Champagne nur Agavenschnaps aus der weiteren Umgebung des Ortes sich so nennen darf und exportierte als erste Firma in die weite Welt, als in den Wirren der mexikanischen Revolution ab 1909 der Absatz im eigenen Land rückläufig war.

Wir sehen die riesigen, wegen ihrer äußerlichen Ähnlichkeit „Ananas“ genannten Herzen der blauen Agaven, der einzigen Sorte, die verwendet werden darf. Sie sind 35 bis 50 kg schwer und stammen von etwa sieben Jahre alten Pflanzen, deren stachelige Blätter entfernt wurden. Die Herzen von älteren Agaven können sogar 100 kg und mehr wiegen. Die „Ananas“ werden geschreddert, mittels Dampf von Fasern befreit und der Saft gekocht. Er schmeckt melasse- und karamellartig, aber nicht zu süß. Das erste Destillat enthält noch zu viel Methanol, um gesund zum Trinken zu sein, doch das zweite können wir probieren. Es enthält 70 % Alkohol, und es gibt zwei Sorten: Tequila aus 51 % Agave und 49 % Zuckersirup aus Mais, Zuckerrohr oder anderem (brrrr!) und 100 % Agave (selbst in diesem Aggregatszustand mild und lecker). Nach der zweiten oder dritten Destillation wird claro, weißer Tequila, direkt abgefüllt, während reposado zwei Monate bis ein Jahr in, je nach gewünschtem Geschmack, kleinen oder großen Eichenfässern gelb oder hellbraun reift. Añejo muss ein bis drei Jahre in kleinen Fässern lagern, manche Sorten noch länger, und ist dann dunkelbraun.

Man könnte meinen, die 70 Peso pro Person für 45 min Führung (in Englisch, der Guide spricht sogar etwas deutsch) seien etwas hoch gegriffen, aber weit gefehlt. Am Ende wird der Barmixer bestellt und zusammen mit unserm Führer schlürfen wir zu viert wunderbare Kreationen aus Erdbeeren, Himbeeren und Tamarinde oder Limone, Orange und Hibiskus. Mit Tequila, versteht sich. Alleine die Drinks waren das Geld wert. Anschließend können wir noch zu Fabrikpreisen und mit kundiger Beratung einkaufen, was wir uns nicht zweimal sagen lassen.

La Quemada, Zacatecas – Archäologie im Schweiße des Angesichts

Mittwoch, Juni 1st, 2011

Geschichte, die weit älter ist als die, die die Spanier mit sich brachten, findet man bei La Quemada, eine knappe Stunde südlich von Zacatecas Stadt. Die archäologische Ausgrabungsstätte Ruinas de Chicomostoc (41 MXN Eintritt pP) war einst wichtiges religiöses, politisches und Handelszentrum. Als sicher gilt eine Besiedelung von 500 bis 900 n.Ch. Glaubwürdige Hinweise auf frühere Besiedlung bedürfen weiterer Ausgrabungen und Beweise. Bis heute ist nicht völlig klar, wer das Areal ursprünglich besiedelte, doch muss es ein mächtiger Stamm gewesen sein. Kilometerweit erstrecken sich die Mauern um ein riesiges Gebiet auf einem Berg, der 360° Rundumsicht erlaubte. Diverse Pyramiden und der größte Saal Mesoamerikas mit fünf Meter Höhe, 30 m Breite, 41 m Länge und 12 das Dach stützende Säulen lassen mit ihren Knochenfunden auf Menschopferpraktiken schließen. Die meisten Wohnhäuser sind verfallen bzw. abgebrannt, doch beweisen Nahrungsmittel- und Keramikfunde häusliche Aktivitäten. Besonders bemerkenswert und die Bedeutung der Anlage unterstreichend ist, dass sie nie überbaut wurde.

Ein steiler steiniger Pfad führt vom Parkplatz aus über die Säulenhalle und die Pyramiden bis hoch zur Zitadelle, doch die zweistündige Wanderung lohnt sich auch bei brütender Hitze. Alle Beschriftungen sind in Spanisch und Englisch.