Archive for Mai, 2010

Amqui, Québec – Grüße nach Töttelstädt

Montag, Mai 31st, 2010

Wie mir mitgeteilt wurde, möchte die Gemeinde Töttelstädt auf sich aufmerksam machen. Sie hätten ebenfalls jede Menge Leser und begeisterte „Mitreisende“. Liebe Töttelstädter und Anhänger der berühmten dortigen Wurstwaren: Man sieht und hört und liest ja nichts von Euch. Wir grüßen Euch herzlich aus Kanada, aber wo seid ihr alle? Lasst mal was von Euch lesen!

Amqui, Québec – Wir sind Hausbesetzer

Sonntag, Mai 30th, 2010

Mitten im Niemandsland von Québec stehen wir vor einem wildfremden Haus, das wildfremden Menschen gehört, ich sitze an deren Esszimmertisch, schreibe diesen Blog und hüte die Katze, die pausenlos rein und wieder raus möchte, wie Katzen eben so sind. Reisen ist schon interessant und noch interessanter ist es, Menschen kennen zu lernen. Endlich trudeln auch Mike und Mélie, die beiden Kinder und die Großeltern ein. Damit wir endlich wissen, wessen Haus wir sein eineinhalb Tagen besetzen.

Erleichtert stellen wir fest, dass alle, einschließlich der Kinder, französisch und englisch sprechen, was die Kommunikation erleichtert. Das ist nicht selbstverständlich hier. In ländlichen Regionen wird ausschließlich französisch gesprochen. Man könnte sich fragen, warum der Ehrgeiz Englisch zu lernen nicht überall gleich hoch ist, um mit dem Rest des Landes, der größtenteils englischsprachig ist, kommunizieren zu können. Antwort: Es ist einfach nicht nötig. Vielleicht sollte man sich die Größe des Landes vergegenwärtigen: Québec ist die größte Provinz Kanadas und fast so groß wie Europa. Ist das nicht Grund genug?

 

Amqui, Québec – Bonjour Québec

Samstag, Mai 29th, 2010

Eine witzige und praktische Einrichtung in Kanada sind sogenannte Yard Sales oder Garage Sales. Das ist sozusagen ein Flohmarkt, der auf dem eigenen Grundstück abgehalten wird. Ob Kinderspielzeug, Elektrogeräte, Möbel oder Kleidung, alles gibt es zu günstigen Preisen. Mit Plakaten wird Werbung gemacht, und wer etwas braucht fährt einfach vorbei. In Zeiten von Ebay und anderen Internetauktionen eine charmante Alternative.

Auf einer Brücke queren wir die Chaleur Bucht, schon sind wir in Québec. Die einzige offiziell französischsprachige Provinz Kanadas ignoriert weitgehend die im Parlament gemeinsam beschlossene Zweisprachigkeit. Sämtliche Beschriftungen und Beschilderungen erfolgen ausschließlich einsprachig. Also Schulfranzösisch raus gekramt, Wörterbuch bereit gelegt und los geht’s.

Am Nachmittag erreichen wir Amqui. Alles ist wie beschrieben. Wir finden das Haus und den Unimog, wir finden den Schlüssel und sogar die Katze.

Benjamin River, New Brunswick – Farnsprossen auf ungeplanten Pfaden

Freitag, Mai 28th, 2010

Eigentlich sollten wir unterwegs sein nach Québec City. Und eigentlich wollten wir die Gaspé Halbinsel aus Zeitgründen auslassen. Das Wort eigentlich sagt schon, dass mal wieder alles anders gekommen ist. Stattdessen stehen wir hier an einem wunderschönen einsamen Strand in Neubraunschweig, kochen uns Fiddlehead Ferns und Elchsteaks, beobachten Vögel mit dem Fernglas und trinken Bier am Lagerfeuer. Das kam so:

Gestern am späten Abend nach dem Essen, als der Tagesplan für heute schon feststand, trudelte eine E-Mail ein. Mike und Mélie von der Gaspé Penninsula in Québec waren auf unsere Website gestoßen. Sie hatten vor ein paar Jahren mit dem Motorrad selbst eine Weltreise unternommen und sind jetzt stolze Besitzer eines Unimog, den sie sich gerade zum Camper umbauen. Sie luden uns zu sich nach Hause ein. Als wir später zusammen telefonierten stellte sich heraus, dass sie erst am Sonntagabend wieder zu Hause sein werden. Wir wollen sie trotzdem besuchen um Erfahrungen auszutauschen. Sie hinterlegen uns einfach den Hausschlüssel.

Da wir keine Eile haben, sind wir nochmals ans Meer gefahren, von dem wir uns im Fundy Nationalpark eigentlich schon für die nächsten Monate verabschiedet hatten.

Viele Einwohner Kanadas haben ihre eigenen Rezepte aus ihrer Heimat mitgebracht. Daher findet man, je nach Gegend, viele Spezialitäten aus der französischen, irischen oder zum Beispiel auch ukrainischen Küche. Eine Besonderheit der Atlantikprovinzen sind jedoch Fiddlehead Ferns. Das sind die jungen Sprossen einer bestimmten, ungiftigen Farnart, die im Frühjahr nur während eines bestimmten Zeitraums geerntet werden können. Die noch schneckenartig zusammen gerollten Sprosse sehen aus wie der Kopf einer Geige oder Fiedel, daher der Name. Sie werden gekocht oder gedünstet und als Gemüse oder im Salat serviert, ähnlich wie grüner Spargel. Vom Geschmack ähneln sie grünen Bohnen und sind nicht nur optisch sehr ansprechend, sondern geschmacklich eine echte Bereicherung.

Moncton, New Brunswick – Wo Autos bergauf rollen

Donnerstag, Mai 27th, 2010

Am Magnetic Hill in Moncton rollen Fahrzeuge angeblich rückwärts bergauf. Man fährt einen Hügel zunächst bergab. Am Ende bleibt man stehen und legt den Leerlauf ein. Das Auto beginnt zu rollen, und zwar rückwärts und scheinbar bergauf. Ein Blick in den Spiegel suggeriert, dass einem der Bach neben der Straße entgegen fließt. Da vieles nicht so ist wie es scheint, hat auch der Magnetic Hill keine geheimen magnetischen Kräfte. Wer es selbst ausprobieren möchte, zahlt ziemlich sonnlose fünf Dollar dafür. Den Gag war es trotzdem wert. Der ganze Kommerz drum herum mit Zoo, Souvenirshop und einer importierten überdachten Brücke macht es allerdings nicht besser.

Der Petitcodiac River in Moncton mündet in die Bay of Fundy, das Meerbecken mit dem höchsten Tidenhub der Welt, das wir schon auf der neuschottischen Seite besucht hatten. 100 Billionen Tonnen Wasser werden zwei Mal täglich in die Bucht hinein gedrückt. Obwohl etwa 50 km in Landesinneren gelegen, beträgt der Tidenhub hier noch sechs Meter. Alle 12 Stunden rollt die Flutwelle das schlammbraune Flussbett hoch und füllt es innerhalb einer Stunde. Wir sind hier, als das Wasser bereits da ist. Auf die nächste Flutwelle zu warten lohnt dann aber doch nicht.

Genau zum richtigen Zeitpunkt kommen wir an den Hopewell Rocks oder Flowerpot Rocks in Hopewell Cape an. An der Mündung des Petitcodiac Flusses in die Fundy-Bucht hat sich der Gezeitenstrom tief in eine Bucht hineingefressen und dunkelrote pilzförmige Felsen hinterlassen. Die an der Oberseite mit Bäumen und Sträuchern bewachsenen Steine ragen bei Flut wie Blumentöpfe aus dem Wasser. Bei Ebbe gelangt man über eine Treppe in die Bucht und kann zwischen den überdimensionalen Blumentöpfen herumlaufen. Wir fotografieren bei Flut und bei Ebbe. Der Tidenhub am heutigen Tag beträgt 12 Meter – ein wirklich spektakuläres Ereignis!

Immer wieder ein Anlass zum Nachdenken ist für mich die Bekleidung von Touristen. Mir fällt eine junge, durchaus nicht unterernährte Frau in hautengen Leggins mit einer riesigen Sonnenbrille auf, die ihr halbes Gesicht bis zur Oberlippe bedeckt. Was beides völlig in Ordnung geht. Nachdenklich stimmen mich die Glitzerschlappen, mit denen sie durch den Schlamm watet. Die Parkverwaltung weist ausdrücklich auf das Tragen geeigneten Schuhwerks wie Wander- oder Turnschuhen hin. Noch mehr zu denken gibt mir die gigantische Handtasche, die sie am Arm mit sich rum trägt. Die ist so groß, dass man darin ein halbes Schwein unterbringen oder auch seinen deutschen Schäferhund Gassi tragen könnte. Was zum Teufel macht sie mit der unförmigen Tasche beim Wandern? Schade, ich muss mich damit abfinden: Ich werde es wohl nie erfahren.

Auf dem Parkplatz trinken wir einen Kaffee mit Edith und Franz aus Bayern. Die beiden überführen ein Wohnmobil in vier Wochen von Vancouver nach Halifax. Nur eine halbe Stunde später halten wir auf einem Parkplatz an, weil ein ungewöhnlicher Mercedes Truck unsere Aufmerksamkeit erregt. Noch ein deutsches Pärchen, das mit einem individuell gefertigten Wohnmobil durch Kanada tourt. Drei, vier Monate sollen es werden. Richtung Westen ist die gleiche wie unsere, vielleicht trifft man sich unterwegs wieder.

Am Abend durchqueren wir den landschaftlich reizvollen Fundy National Park, eines der 531 Biosphären-Reservate der UNESCO. Hinter einem kleinen Supermarkt mit Tankstelle befindet sich ein schöner Stellplatz unter Bäumen. Ob wir wohl über Nacht hier bleiben dürfen? Natürlich, und die Picknickbank können wir auch benutzen.

Charlottetown, Prince Edward Island – Die perfekte Touristeninsel

Mittwoch, Mai 26th, 2010

The Bottle Houses sind eine Kuriosität bei Cap Egmont. In den 80er Jahren hatte Edouard Arsenault während vier Jahren bis zu seinem Tod zehntausende Flaschen gesammelt und kleine begehbare Gebäude daraus gebaut, indem er die Gläser in Zement einbettete. So gibt es ein sechsgiebliges Haus aus 12.000 Flaschen, eine Kapelle aus 10.000 und sogar eine Taverne. Seine Tochter legte drum herum einen äußerst gepflegten Garten an, der an sich schon sehenswert ist.

Die Insel unterscheidet sich stark von den Landschaften, die wir bisher besucht haben. Auf flachen Hügeln thronen große Gehöfte, umgeben von riesigen roten, ordentlichen Kartoffenäckern. Kühe mit glänzendem Fell grasen auf hektargroßen Wiesen. Prince Edward Island tituliert sich selbst als „Die freundliche Insel“. Das trifft es wohl ziemlich genau. Die Insel ist nett, die Hügels sanft, die Küsten flach und die Steilwände verhalten. Mehr gibt es denn aber auch nicht. Der Nationalpark an der Nordküste wartet mit roten und gelben Sandständen auf, Sanddünen wir auf Sylt, Wiesen und, soweit man das für den Nordatlantik überhaupt sagen kann, relativ warmem Wasser. Die Infrastruktur außerhalb des Parks ist entsprechend auf den starken sommerlichen Badetourismus ausgerichtet. Cottages an Campingplatz, Imbiss an Restaurant, Minigolf- an Golfplatz, und dazwischen jede Menge eigenwilliger Vergnügungsparks mit quietschbunten verschlungenen Wasserrutschen, Achterbahnen und einem hölzernen Space Shuttle. Für Eltern mit Kindern willkommene Einrichtungen. Naturliebhaber wie wir sind eher erleichtert, dass die Hauptsaison noch nicht begonnen hat.

Über die Hauptstadt Charlottetown und die Confederation Bridge verlassen wir zügig P.E.I. Den Brückenzoll in Höhe von c$ 42,50 für zwei Achsen zahlt man einmalig beim Verlassen der Insel.

New Brunswick ist erst einmal nicht ausgesprochen spektakulär. Die Ostküste erinnert an P.E.I., die Südküste an Nova Scotia. Es gibt endlose Wälder, Sümpfe und Moore. Was aber sofort auffällt sind die herrschaftlichen Villen mit mindestens drei, vier neuen großen Autos davor, sieben oder acht sind keine Seltenheit. Vielleicht haben die ja gerade Besuch. Ist die Hummerfischerei an der Küste so einträglich?

Die Straßenbeläge sämtlicher Nebenstraßen sind Zeugen jugendlichen Übermuts und Wohlstands. Der Asphalt ist übersät mit Reifenspuren von Schlangenlinien und im Kreis fahrenden Pkw. Und das in einem Ausmaß, dass man nachts lieber nicht auf diesen Straßen unterwegs sein möchte. Vier mit Bierbüchsen bestückte Jugendliche flüchten fix in ihr Auto, als sie uns kommen sehen. Mit so einem Auto könnte es ja das Militär sein.

Wellington, PEI – Grüße nach Osterhausen und in die Welt

Dienstag, Mai 25th, 2010

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an einem Tag, an dem bei wieder mal strömendem Regen außer den notwendigen Haushaltstätigkeiten, Einkaufen,  Reden und Essen nicht viel passiert, alle unsere treuen Leser ganz herzlich zu grüßen. Besondere Grüße gehen dabei an die Gemeinden Osterhausen, Sittichenbach und Kleinosterhausen, wo wir die treueste Leserschaft zu haben scheinen. Bleibt bei uns und lasst auch immer mal wieder im Gästebuch von euch hören, damit wir uns nicht so alleine fühlen in der großen weiten Welt. Danke!

L’Ardoise, Cape Breton Island –Drei Provinzen an einem Tag

Montag, Mai 24th, 2010

Nach einem Frühstück – natürlich mit Blaubeerkuchen – geht es weiter in Richtung Prince Edward Island. Heute ist Victoria Day. Der wird immer am vorletzten Montag im Mai abgehalten und fällt nur zufällig mit Pfingstmontag zusammen, der hier kein Feiertag ist. Victoria Day läutet gleichzeitig den Sommer ein. Das Wetter weiß das und benimmt sich entsprechend. Bei 28° strahlt die Sonne vom pastellblauen Himmel, dass es das Herz der früheren britischen Königin sicher erfreut hätte.

Innerhalb von Tagen hat sich die Welt für uns komplett verändert. Vom verschneiten Labrador über das stürmische Neufundland bis ins sommerliche Nova Scotia, wo wir mittlerweile angekommen sind. Die Natur gibt jetzt richtig Gas, denn die Saison ist kurz. Alle Bäume haben Blätter ausgetrieben, Obstgehölze und Flieder blühen, und auf den Privatgrundstücken prangt perfekter Golfrasen.

An der Tankstelle kostet der Diesel heute erstmals unter 1 Dollar. Bislang hatte wir zwischen 1,02 und 1,28 c$ bezahlt.

Ein kleiner Abstecher führt uns zur Jost Winery in Malagash an der Tatamagouche Bay. Jost war aus dem Rheinland nach Kanada ausgewandert. Heute ist er der größte und meistprämierte Winzer Neuschottlands. Nach einer Probe nehmen wir bedauernd nur ein paar Flaschen mit – leider haben wir nur wenig Platz für den vanilligen Weißen und den beerigen Roten.

Wir verlassen Nova Scotia und fahren über New Brunswick nach Prince Edward Island (PEI). Die Confederation Bridge verbindet PEI erst seit 1997 mit dem Festland. Mit 13 km ist sie eine der längsten Brücken der Welt. Dafür ist PEI mit 224 km Länge und sechs bis 64 km Breite die kleinste kanadische Provinz. Die Bevölkerung lebt hauptsächlich von Landwirtschaft, insbesondere Viehzucht und dem Anbau von Kartoffeln, sowie von Tourismus im Sommer. Berühmt ist die Insel für ihren Hummer, Austern und Muscheln.

In Wellington besuchen wir Natalie, die als Projektmanagerin der dortigen Katimavik-Gruppe tätig ist. Sie hatte vor ein paar Jahren in Ägypten als Tauchlehrerin für uns gearbeitet. Ihre Gruppen wechseln gerade, so haben wir zwei Tage zusammen, in denen wir endlos viel über Katimavik, Prince Edward Island und Kanada lernen können.

Louisbourg, Cape Breton Island – Kalter Wind am Fort

Sonntag, Mai 23rd, 2010

Leider öffnet Fortress Louisbourg erst richtig Anfang Juni. So verpassen wir die eigentlichen Attraktionen der nationalhistorischen Gedenkstätte. In dem 1961 wieder aufgebauten französischen Fort wird während der Sommersaison das Leben im 18. Jahrhundert perfekt nachgebildet. Original kostümierte Offiziere und Soldaten, Bäcker und Schmiede, Hausfrauen und Kneipengänger gehen ihren originären Tätigkeiten nach und schrecken nicht davor zurück, „unfranzösische“ Besucher in Streitereien und vorgebliche Schlägereien zu verwickeln. Wir können nur einen Teil der restaurierten Gebäude besichtigen, aber selbst das lohnt den Ausflug.

1719 hatten die Franzosen auf Cape Breton begonnen, die befestigte Stadt Louisbourg aufzubauen. Mauern und Gebäude wurden äußerst massiv aus Stein erbaut, jedoch war die Lage zwischen den Hügeln des Umlands nicht optimal gewählt. In den Jahren 1745 und 1758 wurde das Fort von den Engländern belagert und beide Male problemlos eingenommen. Die Mauern zu schleifen und das massive Fort einzureißen dauerte jedoch fünf Monate.

Cape Breton Island hat reiche, bis unter den Atlantik reichende Kohlevorkommen. Der Niedergang der darauf aufgebauten Stahlindustrie war jedoch absehbar. So hatte die kanadische Regierung ein Drittel der komplett zerstörten Stadt mit enormem Aufwand wiederaufbauen lassen, um verloren gegangene Arbeitsplätze zu ersetzen – zunächst für die Rekonstruktion, später für die Arbeit im Tourismus. Der Plan scheint recht erfolgreich zu sein. Fortress Louisbourg gilt als eines der besten „lebenden Museen“ in Kanada und jährlich besuchen Hunderttausende die historische Stätte.

Die Dame am Parkplatz des Forts, die uns die ersten Einweisungen gibt, hat sich ganz unkanadisch eingewickelt: Fleeceweste, Winterjacke, Mütze und Handschuhe. Hier oben weht eine steife, eiskalte Brise. Das Thermometer gaukelt uns 25° im Schatten vor.

Ein paar Kilometer weiter in der geschützten Stadt veranstaltet die Feuerwehr zur Spendesammlung ein öffentliches Autowaschen. Für 5 c$ kann jeder seinen Wagen per Hand säubern lassen. Die junge selbstbewusste Chefin des Fire Departments, ihre Kolleginnen und Kollegen haben mit Sonnentops, Shorts und Sandalen den Sommer bereits eingeläutet.

Am Abend erreichen wir Pat und John, Freunde von Vivian und Wally aus Nova Scotia, die wir unbedingt besuchen sollten. Pat ist ebenfalls Künstlerin und John ein wundervoller Koch. Vor allem seinem Blaubeerkuchen kann wirklich niemand widerstehen.

Fähre Cape Breton Island, Nova Scotia – Explodierte Pizza in der Mikrowelle

Samstag, Mai 22nd, 2010

Auf der MV Atlantic Vision reisen wir zurück nach North Sidney auf die neuschottische Insel Cape Breton Island. Die Fähre auf der Hinfahrt hatte ihre besten Tage eindeutig bereits hinter sich. Die Atlantic Vision dagegen ist ein Motorschiff modernster Bauart, dessen farbenfrohes Interieur gute Laune weckt. Der Innenarchitekt muss sich erhebliche Mühe gegeben haben, für jeden Sessel einen andern Stoff und eine andere Farbe zu finden.

Beim Mittagessen hat man die Wahl, im Restaurant für viel Geld am Büffet viel essen zu können. Alternative ist ein Selbstbedienungskühlregal, wo man Sandwiches und andere Fertigprodukte erstehen und bei Bedarf in einer Mikrowelle erhitzen kann. Ich entscheide mich für ein Stück Pizza, das selbst nach zweimaliger Nutzung des empfohlenen Erhitzungsprogramms noch nicht den erwünschten Wärmegrad aufweist. Ungeduldig wähle ich eine höhere Leistungsstufe, übertreibe dabei vermutlich etwas. Im Garraum zerlegt sich der Gemüsekuchen begeistert in seine Einzelteile. Der freundliche Herr von der Kasse bietet sich sofort an, das Mikrowellengerät zu reinigen. Und ich dackle davon, um meine explodierte Pizza zu löffeln.

Auf Cape Breton Island landen wir in einer anderen Welt. Es hat 20°, die Tulpen blühen und hier fahren ganz normale Pkw statt höher gelegter vierradgetriebener Pick-ups auf Asphaltstraßen. Auf einmal gibt es wieder gewöhnliche Mülltonnen statt bärensicherer massiver Holzkonstruktionen.

Wir suchen eine kleine Schotterpiste, die Lissy nicht kennt. Dort hoffen wir einen Übernachtungsplatz zu finden. Wir halten kurz an um nach dem Weg zu fragen, schon stehen wir auf dem Grundstück des Sommerhauses von Leslie und John. Gemeinsam unternehmen wir einen Strandspaziergang und landen schließlich bei Nachbarn bei Chips und Bier. Leslie ist Romanschriftstellerin, diesen Sommer soll eines ihrer Bücher verfilmt werden. Die beiden haben sich von Montreal  nach Homeville zurückgezogen, da hier genug Ruhe zum Schreiben herrscht.

Für Neugierige ihre englischsprachige Website http://www.lesleycrewe.com und Blog: http://lesleycrewe.wordpress.com

Corner Brook, Neufundland – Die Stadt der Beinahe-Superlative

Freitag, Mai 21st, 2010

Heute ist Waschtag. Noch einmal sind wir zu Mathews Wäscherei in Corner Brook zurückgekehrt. Die zweitgrößte Stadt Neufundlands liegt an einem der größten Lachsflüsse der Erde.

Ich habe das Gefühl, die Kleidungsstücke werden nach jeder Trocknerbehandlung kleiner. Was den unbestreitbaren Vorteil hat, dass sich die Kleidung sozusagen automatisch an die geringeren Körpermaße anpasst, die sich dank der Gewichtsabnahme trotz genügender Nahrungszufuhr während einer solchen Reise einstellt. Wenigstens brauche ich mir keine neuen Klamotten zu kaufen. Wir verabschieden uns von Carmelita und John, Neufundlands bester und freundlichster Münzwäscherei, während in der Bucht von Corner Brook der riesige Schornstein einer der weltgrößten Papierfabriken qualmt. 

Auf dem Weg zum Fährhafen Channel-Port-aux-Basques warnt erneut ein Schild vor Unfällen mit Elchen. 660 sollen es im vergangenen Jahr gewesen sein. Die Elche waren vor rund 100 Jahren vom kanadischen Festland auf die Insel übergesiedelt worden, um den damals hungernden Neufundländern Nahrung zu verschaffen. Zumindest war die Maßnahme wirksam gewesen.

Neufundland muss man sich erarbeiten. Heute zeigt es sich zum Abschied gnädig: Die meist nebelverhangene und sturmverblasene Küste erstrahlt im Sonnenlicht vor blauem Himmel.

Zum Abendessen braten wir uns eine Packung Elchsteaks – unser herzlicher Dank geht nach Chateau Pond. Die Steaks sind zwar etwas knochig und die widerstandsfähigen Sehnen lassen sich nicht einmal mit dem Steakmesser durchtrennen, aber die großen Fleischbrocken dazwischen sind unerwartet butterzart. Das dunkle typische Wild schmeckt irgendwie zwischen Hirsch und Bär mit einem deutlichen Einschlag zu Lamm. Jedenfalls köstlich.

St. Barbe, Neufundland – Ein Elch setzt sich auf den Hintern

Donnerstag, Mai 20th, 2010

Bei ruhiger See fahren wir auf der Fähre in eineinhalb Stunden nach St. Barbe, Neufundland, zurück. War das Wasser in Labrador blau und von unglaublicher Klarheit, hat es auf Neufundland eine zutiefst dunkelgrüne und undurchsichtige Färbung. Wir legen mittags am Fähranleger an, als die ersten Regentropfen fallen, die sich kurz darauf zum gewohnten strömenden Regen akkumulieren.

Am linken Fahrbahnrand tauchen Elch Nummer 19 und 20 auf. Jörg bremst zum Glück schon ab, als einer der beiden beschließt, statt in den Wald quer über die Fahrbahn vor unser Auto zu laufen. Elche handeln weder vernünftig noch planbar. Ich hege größte Skepsis Tieren gegenüber, die einen verdächtig kleinen Kopf im Vergleich zur Gesamtkörpergröße besitzen. Das trifft auf viele Vogelarten zu, aber eben auch auf Elche. Natürlich haben wir gelernt, dass nicht die Hirnmasse entscheidet, sondern die Anzahl der Windungen – trotzdem. Elch 20 versucht, vor unserem Truck herzulaufen. Dabei hat er sich geringfügig überschätzt. Die nasse glitschige Straße tut ihr Übriges. Dem Huftier gleiten die Hinterläufe weg, er setzt sich auf seinen Allerwertesten und gleitet darauf elegant ein paar Meter die Straße entlang. Eigentlich ein Bild zum Quietschen, wenn nicht Jörg damit beschäftigt wäre, den Wagen abzubremsen. Wir haben nämlich schon genug Elchfleisch im Kühlschrank. Und ich habe die Kamera nicht parat. Nummer 20 rappelt sich indessen auf und folgt seinem Kumpel in den Wald. Nummer 21 bis 25 kurz darauf zeigen artgerechtes Fluchtverhalten.

Mangels Alternative fahren wir die gleiche Strecke in Richtung Süden, auf der wir vor über einer Woche gekommen waren. An einer Tankstelle kaufe ich uns zwei dieser typischen Sandwiches, wo fetter Mayonnaisebelag zwischen zwei riesige babyweiche diagonal halbierte Weißbrotscheiben geklemmt ist. Viele in Vollkornbrot-Deutschland aufgewachsene Europäer mögen ja diese schwammartigen belegten Brote nicht, aber ich finde, sie lassen sich im Auto während der Fahrt wenigstens halbwegs unfallfrei verzehren. Versucht das mal mit einem krossen deutschen 12-Korn-Baguettebrötchen, wo Einhandbedienung fast unmöglich ist. Bei jedem Bissen quellen seitlich die Gurken- und Tomatenscheiben raus und drei Quadratzentimeter Krume bröseln auf Schoß und Sitz.

Eine kurze Regenpause beschert uns ablandigen Starkwind. Der bügelt das Meer gegen die Wellenrichtung glatt und schwarz. Böen peitschen über die Straße und schlenkern die Fahrzeuge hin und her. Die – hoffentlich isolierten – Stromkabel der Überlandleitungen tanzen und klatschen aneinander. Als wir anhalten und aussteigen, müssen wir feststellen, dass die vom Thermometer angezeigten 17° relativ sind. Unser Anemometer zeigt neun Beaufort an. In Böen ist die Windgeschwindigkeit an den Nasenlöchern so hoch, dass das Atmen schwer fällt. Fallwinde aus den Bergen saugen Wasserfontänen aus Seen hoch wie die Bora an der berüchtigten kroatischen Adriaküste. Die kleinen Tannen zappeln als wollten sie gleich abheben. Allein die Geräuschkulisse ist schon furchteinflößend. Die Möwen haben den Flugverkehr eingestellt und kauern im Windschatten. Ein kleiner Vogel scheitert beim Versuch, vor unserem Auto im Wind die Straße zu überqueren. Er klatscht gegen die Motorhaube. Jörg steht auf dem Gaspedal um dem Gegenwind zu trotzen und Arminius schlürft den Diesel nur so in sich rein.

Bei der neuerlichen Einfahrt in den Gros Morne National Park sehen wir, dass das Schild, das Auskunft über die Unfallzahlen mit Elchen nur innerhalb des Parks gibt, geändert wurde. In nur 10 Tagen ist die Zahl von neun auf 12 gestiegen.

Blanc Sablon, Québec – Eisbergallee vor dem Fenster

Mittwoch, Mai 19th, 2010

Am Nachmittag fahren wir nach Blanc Sablon zur Fähre nach Neufundland. Das Gefrierfach ist vollgepackt mit Fisch und Elchsteaks. Die Jungs fahren über ein langes Wochenende nach Hause. Den Stromgenerator schalten sie ab und wollen deshalb ihr Gefrierfach ausräumen. Ein paar CDs haben sie uns auch überlassen, da streckenweise keine Radiosender zu empfangen sind und unser i-pod über Kabinenradio nur noch Hörbücher wiederzugeben gewillt ist, jedoch keine Musik. Beim Abschied drücken wir alle heimlich eine Träne weg.

Die Sonne scheint, hat aber einen Halo. Der kündigt meist einen Wetterwechsel an. Wir erkundigen uns nach der genauen lokalen Bedeutung und lernen, dass die Schlechtwetterfront umso weiter entfernt ist je größer der Halo ist und umgekehrt. Die Front soll nicht vor der kommenden Nacht oder dem nächsten Tag eintreffen.

Am Rande des Fährhafens übernachten wir am Strand mit Blick aus dem Kabinenfenster auf Eisberge, die in der Bucht dümpeln, beleuchtet vom Sonnenuntergang.

Chateau Pond, Labrador – Ein Wartungstag

Dienstag, Mai 18th, 2010

Die beiden Mechaniker vom Winterdienst, Edgar und Darnell, haben uns bereits erwartet. Wir dürfen in die Halle einfahren, um im Trockenen zu stehen, obwohl heute ausnahmsweise mal die Sonne scheint. Wir nutzen die Gelegenheit, ein paar Reparatur- und Wartungsarbeiten durchzuführen. Die Jungs können schweißen, und konstruieren perfekt unseren gebrochenen Dachgepäckträgerfuß nach. Dabei üben sie fleißig und zu unser aller Belustigung das faszinierende deutsche Wort „Ziehnieten“. Einen Kärcher haben sie auch, und damit wird Arminius wieder halbwegs sauber und ansehnlich. Im Laufe des Tages schauen so einige Fahrzeuge hier vorbei, um kleine Reparaturen durchführen zu lassen. Ein Service, der nicht nur gerne angenommen wird, sondern auf viele Kilometer die einzige Möglichkeit ist, ein technisches Problem zu beheben. Ein Fahrer bekommt trotz abgezogenem Zündschlüssel den Motor nicht aus. Beim nächsten schaltet sich das ABS nicht mehr ab. Das wird kurzerhand behoben, in dem das ABS ganz abgeklemmt wird. Den Quatsch brauche man doch eh nicht. Am Abend backe ich uns allen ein frisches Brot und koche scharfen texanischen Bohneneintopf.

Happy Valley – Goose Bay, Labrador: Ein Schwarzbär auf der Flucht

Montag, Mai 17th, 2010

Wir verabschieden uns von Mélina und ihrer Gruppe und begeben uns auf den Rückweg. Kurze Zeit später finden wir einen dunklen pelzigen Fleck auf der Straße. Ein ausgewachsener Schwarzbär hat sich einfach mit seinem dicken Hintern auf die Fahrbahn gesetzt. Er flüchtet vor unserem Auto dann doch erstaunlich flott, ein paar Fotos gelingen uns noch.

Zu Beginn der 50-km-Baustelle treffen wir einen alten Bekannten, den Planierraupenfahrer. „Ihr müsst diese Straße noch mehr lieben als ich“, lacht er. Der Track war erst im Dezember freigegeben worden. Den Winter über bedeckte Schnee die Fahrbahnunebenheiten, sodass der der Highway gut befahrbar war. Die Probleme begannen im Frühjahr mit den einsetzenden Regenfällen. Der Straßenbau wird von beiden Seiten von mehreren Teams vorangetrieben. Der nächste Bautrupp winkt uns erst durch, hält uns dann aber kurzfristig das Stopp-Zeichen vor die Nase. Es ist der fotografierende Baggerfahrer mit seinen Kollegen. Er habe sich beim letzten Mal unseren Truck gar nicht richtig ansehen können, das müsse er jetzt nachholen.

Seit fast 24 Stunden hat es nicht mehr geregnet. Trotz der zahllosen Sümpfe und Moore, Seen und Flüsse trocknet sofort alles aus. Der Schotter-Highway staubt beim Überfahren, die Schlaglöcher sind nur noch schlecht auszumachen, wenn kein Wasser mehr darin steht. Immer wieder finden sich Zeugen vergangener Trockenperioden: Nadelbäume, die einem Waldbrand zum Opfer gefallen sind. Viele treiben an den Enden der geschwärzten Nadeln neues Grün aus, aber für manche gibt es keine Rettung mehr.

Die Freude über die Trockenheit hält nicht lange an. Nach über 500 km Feldweg, davon 50 km querfeldein, erreichen wir endlich wieder die Straßenmeisterei Chateau-Pond auf der kalten zugigen Hochebene.

Sheshatshiu, Labrador – Die Innu, ein Volk zwischen zwei Welten

Sonntag, Mai 16th, 2010

Nachdem wir beschlossen haben, einen Tag zu rasten, bekommen wir dauernd Besuch. Neugierige junge Leute, die es auf verschiedenen Wegen hierher verschlagen hat, und die uns unterschiedliche Geschichten erzählen. Auch wenn wir nur zwei Tage hier verbringen, die sozialen Spannungen scheinen fast greifbar. Die Innu leben in Sheshatshiu auf der einen Seite des Flusses sowie Weiße und Innuit in North West River auf der anderen Seite. Die kulturellen Unterschiede scheinen eklatant zu sein. Wir bekommen nur am Rande etwas mit, aber es geht um Pünktlichkeit und Zeitgefühl (hier tickt die Innu-Uhr, sagen sie scherzhaft), Zerstörung und Müllentsorgung, Alkohol- und Drogenkonsum.

Abends sind wir zum Karibuessen bei Simon und Marron eingeladen. Karibu ist sehr mageres dunkles Fleisch, aber ohne strengen Wildgeschmack. Simon aus Deutschland schlägt sich als professioneller Clown durch die Welt, wofür er eine anderthalbjährige Ausbildung in seiner Heimat absolviert hat. Die Geschichtsstudentin Marron trägt Informationen über die Innu-Kultur zusammen. Die Innus sind ein nomadisch lebendes Volk, das in den Wäldern Kanadas von Karibujagd und Fischfang lebt. Im Gegensatz zu den eher sesshaft lebenden Innuit, die sich schon frühzeitig mit den weißen Siedlern zu arrangieren begannen, sind die Innu erst vor etwa 50 Jahren in Erscheinung getreten. Davor beschränkten sich Kontakte zu Weißen auf wenige Handelsbeziehungen, die sie pflegten. Als die kanadische Regierung den Smallwood Staudamm flutete, bot sie den Innu zum Ausgleich ihres Landverlustes pro Familie ein Haus in Sheshatshiu sowie eine erkleckliche Summe Geld an. Soziale Einrichtungen modernster Art wurden im Dorf geschaffen, schienen aber nur mäßigen Anklang zu finden. Drogenkonsum und Benzinschnüffeln waren weit verbreitete Freizeitbeschäftigungen vor allem unter Jugendlichen. Geschenktes Geld löst nicht alle Probleme, schon gar nicht den Verlust von Lebensinhalt. Das erkannte auch die kanadische Regierung und richtete wöchentliche oder zweiwöchentliche Flüge zu den unterschiedlichen Regionen im Binnenland für die Innu ein, damit sie ihren ursprünglichen Tätigkeiten nachgehen können. Das Angebot wird angenommen, die meisten haben heute wohl eine Blockhütte in den Wäldern, von wo aus sie fischen und jagen gehen, wie jetzt im Frühjahr. Die teuer eingerichtete Schule von Sheshatshiu bleibt derweil leer stehen. Doch die Innu haben bereits Zivilisationsluft geschnuppert. Den Sommer beispielsweise, wo die Mücken in den Wäldern sie auffressen würden, verbringen sie lieber in der Stadt. Dort vertreiben sie sich ihre Zeit mit Alkohol, ihre zahlreichen Kinder bevölkern die Straßen und langweilen sich zu Tode. Die Innu können sich mit der weißen Kultur nicht anfreunden, und die Weißen begegnen ihnen voller Vorurteile. Ein Problem, das auch in naher Zukunft nur schwer zu lösen sein wird.

Happy Valley – Goose Bay, Labrador – Mounties als Reiseführer

Samstag, Mai 15th, 2010

Die Landschaft ist weihnachtlich. Eine zentimeterdicke Schneedecke überzieht alles, es herrscht weiter dichtes Schneetreiben. Aber besser Schnee im Mai als Mücken im Juni.

In Acht nehmen muss man sich vor den großen Trucks. Die blasen mit enormer Geschwindigkeit (gemessen wurden schon 150 km/h!) über die Schotterpiste, ungeachtet der Schlaglöcher oder anderer Hindernisse. Zum Glück sind Elche keine solche Plage wie in Neufundland. Die Trucker fahren in der Straßenmitte und halten stur Kurs. Ein Ausweichen wäre bei derartigen Geschwindigkeiten auch nicht möglich. Einzig vernünftige Verhaltensweise ist ganz langsam so weit wie möglich rechts ran zu fahren und zu hoffen, dass keine größeren Steine in die Windschutzscheibe fliegen.

Hatte ich geschrieben, dass die Straße nach Happy Valley – Goose Bay fertig gestellt worden ist? Das war ein grammatikalischer Irrtum. Der Track wird fertig gestellt, muss es korrekt heißen, oder wird fertig gestellt werden? Man stelle sich vor man fährt auf einer schlechten, mit Schlaglöchern übersäten Schotterpiste, da erscheint ein gar lustiges Schild: „Schlechte Straße auf 50 km“, „max. 50 km/h“ und später „max. 15 km/h“. Unsere Belustigung hält nicht lange an. Wir fahren über den grobsteinigen Unterbau einer künftigen Schotterpiste. Manchmal ist er von einer unplanierten Lehmschicht überzogen, deren Schlaglochtiefe nicht zu erkennen ist, da alle Mulden voll Wasser stehen. Wir fahren mitten durch Baustellen, durch Bäche, über Behelfsbrücken. Ein Baggerfahrer zückt ganz schnell seine Kamera und hält uns erst mal an, um uns zu fotografieren. Der Fahrer einer Planiermaschine, der einsam den Track begradigt, bleibt stehen um ein Pläuschchen mit uns zu halten. Der Verkehr ist nicht so dicht dass wir jemanden behindern würden. 41 km in zweieinhalb Stunden, zum Teil im Schritttempo. Dieser Abschnitt ist derzeit für normale Pkw und Wohnmobile mit ungenügender Bodenfreiheit nicht befahrbar. Danach wird der Track stellenweise besser, aber nicht wirklich schön.

Ich entschuldige mich offiziell bei der Frau von der letzten Tankstelle: Fährt man freiwillig mit dem Auto nach Happy Valley – Goose Bay, sollte man sich entweder auf seinen geistigen Gesundheitszustand hin untersuchen lassen oder man ist tatsächlich ein Außerirdischer. Ich gestehe: Wir kommen von einem anderen Planeten. Der heißt Europa und hat Asphaltstraßen. Zumindest haben wir das richtige Gefährt für eine solche Unternehmung und sehen es gelassen. Die meisten Labradorer finden das auch und würden unseren Arminius am liebsten kaufen. Das Innere Labradors ist das Land der Abenteurer und nichts für Zimperliche.

Seit Tagen haben wir ununterbrochenen Niederschlag, die Landschaft ist tief verschneit. Was wundert es bei subarktischem und arktischem Klima? Der Schnee ist ohne industrielle Luftverschmutzung stellenweise so rein dass er blau schimmert. Der Straßenhobelfahrer erzählt uns, dass es in den letzten Wochen mehr geschneit hat als im ganzen Winter. Das sei zwar ungewöhnlich, komme aber schon mal vor. Nach sechseinhalb Stunden und 275 km stoßen wir auf die Straße von Happy Valley – Goose Bay nach Labrador City. Die ist, oh Wunder, für ein paar Kilometer asphaltiert. Die Doppelstadt hat über 7.500 Einwohner und ist damit eine richtige Großstadt.

Ein paar Kilometer weiter, in Sheshatshu, wollen wir Mélina und ihre Truppe besuchen. Sie leitet die lokale Gruppe des staatlichen Katimavik-Projekts, das eine Art soziales Jahr für Jugendliche nach deutschem Vorbild anbietet. Die jungen Leute arbeiten eine Zeitlang in unterschiedlichen Feldern wie Klimaforschung, Kinderbetreuung, Müllsammlung und als Lehrerassistenten. Da wir nicht so genau wissen, wo wir Mélinas Haus finden, halten wir einfach am Gebäude der Royal Canadian Mounted Police an und fragen nach. Die superfreundlichen Mounties sind begeistert, dass endlich etwas passiert an diesem öden Tag. Eifrig springen sie ins Auto und geleiten uns höchstpersönlich zum richtigen Gebäude. Dort gerät erst mal alles in Aufruhr wegen des Polizeiaufgebots. Als die beim Wenden noch die Mülltonne anfahren, ist das Spektakel perfekt.

Cartwright, Labrador – der am weitesten von Disneyland entfernte Platz der Welt

Freitag, Mai 14th, 2010

Bei 1°C ist die Landschaft heute Morgen überzuckert. War Neufundland schon ein Erlebnis, ist Labrador Faszination pur, unberührte Landschaft, endlose Weite, grenzenlose Einsamkeit. Das Gegenteil von Massentourismus. Die Schneedecke liegt jetzt immer dichter, Schneeflocken krümeln unaufhörlich vom Himmel, etwas Nebel kommt auf. Die mit Schlaglöchern übersäte Piste wird schlechter.

Im Alexis Hotel in Port Hope Simpson sollen wir uns ein Satellitentelefon leihen. Die werden von der Regierung kostenlos für Einheimische und Besucher zur Verfügung gestellt, wenn sie ins Binnenland fahren. Da es keinerlei Mobilfunk-, Radioempfang oder Notrufsäulen gibt und dazu kaum Verkehr, dient dies der Kommunikationsaufnahme im Notfall. Leider sind Telefone heute aus. Ist angeblich das erste Mal passiert. Wir könnten einen winzigen Umweg von 60 km über Charlottetown nehmen. Da wir aber erst nach Cartwright fahren, sollen wir uns von dort ein Satellitenhandy holen. Abgeben kann man die Geräte einfach an der letzten Station, bevor man das Land verlässt.

Vor dem Hotel treffen wir eine Deutsche. Die Tochter eines Camperkabinenherstellers – nicht der unseren allerdings – findet es sehr amüsant, in Labrador auf ein deutsches Expeditionsmobil zu stoßen. Sie hatte die letzten sechs Monate hier als Austauschschülerin verbracht.

Die Frau an der Tankstelle von Port Hope Simpson hält uns für eine unbekannte Lebensform von einem fremden Planeten. Auf die Frage wo und in welcher Entfernung  die nächsten Tankstellen mit Diesel lägen, schüttelt sie unverständig den Kopf. Was wir denn in Cartwright gedenken würden zu besichtigen. Und bis Happy Valley Goose Bay seien es über 400 km! Erst auf mehrmaligen Nachhaken hin bekomme ich zumindest ein ja oder nein zu meinen Tankstellenfragen. Ich verdrücke mich vorsichtshalber schnell, bevor sie die Ghostbusters rufen kann.

Wir fahren durch endlose Wälder, Moore und Sümpfe. Dazu schneit oder regnet es ohne Unterlass. Man kann stundenlang unterwegs sein, ohne einem anderen Lebewesen zu begegnen. Putzig wirken die herrenlosen Schneemobile mit und ohne Anhänger oder Anhänger solo, die nach dem letzten Schneefall einfach neben der Straße liegen geblieben sind. Ob die Besitzer die im nächsten Winter wieder finden?

Im Cartwright Hotel erhalten wir unser Satellitenhandy. Die Tankstelle habe für heute schon geschlossen, erfahren wir (sie schließt um 17 Uhr), aber Supermarkt und Liquor Express hätten noch offen. Die Straße in den Ort habe ein nettes Muster, werden wir gewarnt. Wie wahr: Eine Piste mit derartig vielen Schlaglöchern habe ich bislang nicht gesehen. Die 30 km/h zulässige Höchstgeschwindigkeit sind maßlos übertrieben. Wir sind hierher gekommen, um den Porcupine Strand zu sehen. Am 56 km langen goldenen Sandstrand wurden zahlreiche Artefakte gefunden, die auf eine Besiedlung vor bereits 7500 Jahren schließen lassen. Schwarzbären sollen in den mündenden Flüssen nach Forellen fischen. Der Strand ist nur per Boot erreichbar. Die Wetterlage hat jedoch die Eisberge in die Bucht getrieben, sodass ein Fischerboot am Vortag fast nicht wieder herausgekommen ist. Der permanente Schneefall lässt uns nicht gerade auf einen vergnüglichen Strandtag hoffen, also legen wir den Plan ad acta. Auch mit der Dame von der Tankstelle in P.H. Simpson habe ich mich versöhnt. Cartwright selbst hat tatsächlich nichts zu bieten. Es ist unordentlich, wirkt eher schmutzig und wenig einladend. Mehrere Leute haben uns unabhängig voneinander erzählt, dass ein Einwanderungsantrag nach Kanada 4 Jahre dauert. Egal, ob man ihn vom Heimatland aus stellt oder sich bereits in Kanada befindet. Mir schwant, würde ich als künftigen Wohnsitz Cartwright angeben, würde ich die Genehmigung sofort erhalten. Ein Auto, eine Waschmaschine und ein Satellitenhandy gäbe es noch obendrauf. Wir kaufen ein paar Flaschen Bier im staatlichen Liquor Expres und machen uns ohne zu tanken auf den Rückweg.

Arminius ist von unten bis oben mit Dreck bespritzt, man kann nichts mehr anfassen. Wenn wir wieder auf eine Asphaltstraße kommen, müssen wir auf einen Wolkenbruch oder eine Waschanlage hoffen.

Zwischen Cartwright und Port Hope Simpson biegen wir auf einen neuen Schotter-Highway ab. Hier verlässt uns Lissy. Trotz neuestem Update kennt das Navi diese Straße noch nicht. Der Track wurde vor nicht allzu langer Zeit fertig gestellt, um das zentrale Labrador an die besser erschlossene Küstenregion anzubinden. Auch heute noch gibt es zahlreiche Orte, die nur per Flugzeug oder Boot erreichbar sind.

Wildes Campen ist in Kanada verboten. Die Praxis sieht aber anders aus. Schon in Nova Scotia standen wir meist auf einem Parkplatz oder ähnlichem, wenn wir nicht auf einem Privatgrundstück parkten. Da die meisten Campingplätze zurzeit noch nicht offen haben, bleibt uns nichts anderes übrig. In Neufundland hat man uns an der Touristeninformation ganz offiziell mitgeteilt, wir könnten uns überall hinstellen. So lange wir nichts Verbotenes täten, würden wir nicht behelligt. In Labrador gibt es weder Campingplätze (die wenigen haben noch geschlossen), noch gibt es jemanden, der sich über wildes Campen aufregen könnte. Auf fast 300.000 qkm wohnen 30.000 Menschen, das macht einen Einwohner auf 10 qkm. Natürlich bedeutet wildes Campen in dem Fall nur übernachten. Pack man seine Campingmöbel und Grill aus, könnte man schon etwas mehr Aufmerksamkeit erregen. Aber wer will das schon bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Fähre Labrador – Slalomfahrt um Eisberge

Donnerstag, Mai 13th, 2010

Sonnenschein, Schneetreiben und Regenschauer bilden heute einen wilden Wechsel. Die Fähre von St. Barbe, Neufundland nach Labrador (Fährhafen ist Blanc Sablon, Québec) braucht nur eineinhalb Stunden, aber am Ende der Fahrt muss sie einen Slalom um die Eisberge einlegen. Normalerweise verkehrt die Fähre zwischen Januar und März wegen des Eises nicht, doch in diesem Winter war die Strait of Belle Isle zum ersten Mal nicht vom Eis blockiert gewesen.

Ich glaube, das Bekleidungssystem jetzt durchschaut zu haben: Bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt sind T-Shirt oder Bermudashorts und/oder Zehenschlappen ohne Socken geeignete, der milden Witterung angepasste Kleidungsstücke – während ich meine neu erstandene, mit goldenem Elch bestickte Wollmütze made in China nicht mehr absetze.

Was uns als erstes auffällt sind die extrem ordentlichen Häuser, alles picobello sauber, rechtwinklig, organisiert. Die Landschaft auf dem Festland ist anders. Die Berge sind höher, die Ausblicke weiter, die Bäume noch niedriger. Dafür gibt es Moose und Flechten, Gräser und Sträucher. Eine grandiose, urtümliche, unberührte und mit Schneeflecken gesprenkelte Landschaft.

Wir überqueren den Pinware River. Um etliche Kurven schießt der breite Fluss ein beachtliches Gefälle mit enormer Geschwindigkeit hinunter. Das Wasser wirkt schwarz, tausende von Schaumstrudeln schimmern braun. Rafting wäre hier die reine Freude – für Fortgeschrittene.

Nach genau 78 km endet die Asphaltstraße in diesem Teil des Kontinents. Die nachfolgende Schotterpiste ist gut befahrbar. Hat man keinen Allradantrieb sollte man sich jedoch vorab über den Straßenzustand informieren, der je nach Wetterverhältnissen schwanken kann. Auf 300 m Höhe entdecken wir einen völlig zugefrorenen See. Schwarzes und rotes Gestein bildet einen Kontrast zu den unterschiedlichsten Grüntönen, blauen Flüssen und Seen und immer wieder weißem Schnee. Es ist eine enorme Leistung, diese Schotterpiste mitten durch den Sumpf gebaut zu haben. Leider kommt man nicht runter von der Piste, sie ist zu hoch und Rastplätze eher rar. Bei der Straßenmeisterei Chateau Pond fragen wir, ob wir unseren Wagen über Nacht abstellen dürfen. Kein Problem. Wir besichtigen die Werkstatt mit riesigen Schneepflügen und –fräsen. Vor ein paar Minuten waren wir durch eine 5 m hohe Schneewehe gefahren, im Winter soll sie bis zu 18 m hoch sein. -35° seien keine Seltenheit, mit Wind entspräche das einer gefühlten Temperatur bis -65°. Wir trinken ein Bier mit den beiden Mechanikern, die hier Dienst leisten. Im Gegenzug bekommen wir eine ganze Tüte Steinkrabben geschenkt, die wir uns in den nächsten Tagen kochen wollen. Unterdessen rieselt der Schnee unaufhörlich weiter.

St. Anthony, Neufundland – Kommt ein Eisberg geschwommen

Mittwoch, Mai 12th, 2010

Die Qualität des Essens, vor allem in Restaurants, halte ich für höher als in den USA. Aber Lebensmittel aus dem Supermarkt haben einen ähnlichen Chemikaliengehalt wie gemeiner Toilettenreiniger. Im Allgemeinen sollten drei Zutaten zur Herstellung von Hüttenkäse genügen; hier sind es 15. Joghurt hat 0% Fett, aber eine Tonne Zucker – das schlabberige Bindemittel nicht zu vergessen. Der frische Fisch und Hummer entschädigen jedoch dafür – einfach köstlich.

Wir sind im hohen Norden der Insel. Da! Unser erster Eisberg. Und dann noch einer und noch einer. Sie werden immer größer. Majestätisch treiben sie an der Küste entlang Richtung Süden. Dabei ist das Wetter draußen unheimlich eklig. Es ist feucht, kalt und windig. 2°C und Schneeregen.

Die Neufundländer klagen über mangelnden Tourismus. An der Infrastruktur kann es nicht liegen. Hotels, Motels, Bed & Breakfasts und Campingplätze gibt es allerorten (auch wenn die letztgenannten und fast alle Museen noch nicht offen haben). Die Straßen sind gut, hervorragend ausgeschildert und fast jedes Dorf hat eine Touristeninformation. Sollte es am Wetter liegen? Auch wenn jetzt, zugegebenermaßen, nicht ganz die ideale Reisezeit für die Insel ist: Selbst im Hochsommer hat es selten mehr als 15 Grad. Und wenn es denn mal schön ist, kommen die Mücken raus. Das ausgedehnte Sumpfland bietet dem Nachwuchs ausreichend Möglichkeiten.

Immer mehr Eisberge nähern sich der Küste, der Sturm treibt sie heran. In den Buchten sammelt sich Treibeis. Jörg hackt mit meinem Begleitbeil ein Stück aus einem angeschwemmten Eisberg. Wir packen den Brocken ins Gefrierfach. Unterdessen nimmt die Windgeschwindigkeit weiter zu. Hatten wir bisher Schlagseite von den seitlichen Böen, müssen wir jetzt runterschalten um vorwärts zu kommen, da wir den Sturm von vorne haben. Die Windgeschwindigkeit liegt jetzt schon weit über 100 km/h. Der Schneeregen peitscht horizontal über die Straße. Die Windgeräusche sind so laut, dass eine Unterhaltung schwierig ist. In kleinen Senken liegt überall noch Schnee. Nur mal so zur geistigen Ertüchtigung: Neufundland liegt geographisch auf der Höhe von Ungarn. Klimatisch hat es nicht das Geringste damit zu tun. Die Insel liegt im nordatlantischen Kühlschrank und ist auch sonst vom Wetter nicht gerade begünstigt. Ich frage mich, wie viel Regen an einem Tag fallen kann, Und ob man sich Heimat schön reden kann. Heute beschleicht mich das Gefühl, dass Neufundland – trotz der unberührten Landschaft – nicht mein neuer Wohnsitz werden wird.

Tim Hortons rettet uns mal wieder den Nachmittag, denn es hört nicht auf zu schütten. Ein heißer Kaffe und ein paar süße Teilchen aus dem Fast-Food-Café heben die Stimmung.

Aus den Bergen stürzt das Wasser nur so, es bilden sich zahlreiche Wasserfälle, neue Wildbäche entstehen. Die Straßengräben sind zwei Meter tief, jetzt wird klar warum. Die zwei Millionen Seen Kanadas wollen irgendwie gefüllt werden. Die Windgeschwindigkeit nimmt erneut zu. Schaum weht von den Wellen ab. Die Eisberge sind noch näher an die Küste herangetrieben. Wellen lecken an jahrhunderte, wenn nicht jahrtausende altem gefrorenem Süßwasser. Einer der wunderschönen reinen, türkisfarbenen Giganten bricht gerade auseinander. Welch lange Reise muss er zurückgelegt haben, nur um hier, in der Bucht von Green Island Brooke, schmelzend zu sterben.

Aktueller Sichtungsstand: 18 Elche, fünf Karibus und sechs Eisberge.

Zum Abschluss und Versöhnung mit dem Tag schenkt uns Jörg einen Ardbeg auf ein Stückchen Eisberg ins Glas. Es geht doch nichts über einen guten Whiskey auf Gletschereis.

Rocky Harbour, Neufundland – hier liegen die Lachse quer im Mund

Dienstag, Mai 11th, 2010

Gleich an der Einfahrt in den Gros Morne National Park warnen Schilder, wie viele Unfälle mit Elchen es im laufenden Jahr bereits gegeben hat: neun bis jetzt. Elche stellen sich als wirklich gefährlich heraus, da sie dauernd auf der Straße herumlaufen und unberechenbare Richtungen einschlagen. Die meisten Neufundländer finden an unserem Auto am besten, dass man es damit auch mit einem Elch aufnehmen kann. Scheint ein wichtiges Thema zu sein. In Rocky Harbour gibt es eine weithin bekannte Fischfabrik, wo wir Hummer, Lachs und Salzheringe zu wirklich günstigen Preisen kaufen.

Den Park verlassend finden wir auf einem Plateau, das uns an Finnland erinnert, zwei grasende Karibus. Das Meer auf der einen, Berge auf der anderen Seite, dazu grasbewachsene Tundra, geduckte Wälder und Seen. Eine Landschaft ohne störende Zivilisationserscheinungen wie Häuser, Strommasten oder Windkraftanlagen.

Aber leider sehen wir auch immer wieder Müll. Eine Plastikflasche hier, ein paar Bierflaschen da, eine Einkaufstüte dort. Schade drum. Beim Einkaufen im Supermarkt bekomme ich so viele Plastiktüten, dass ich etwa 3 Mal täglich die Mülltüte wechseln könnte.

Viele Newfies, wie sich die Inselbewohner nennen, sprechen uns an und wollen sich unterhalten. Das ist schön, nur leider ist das mit der Verständigung ein wenig schwierig. Kanadier sagten mir, sie würden kein Wort von dem verstehen, was Newfies sagten. Was soll ich als Ausländerin sagen? Irgendwie klingt es immer, als hätten sie noch einen Lachs vom Mittagessen im Mund – quer allerdings. Wenn ich zum dritten Mal nachfrage, denken die meisten sicher „dumme Tussi, kann nicht mal englisch“. Tut mir Leid, aber hier helfen weder Oxford noch American English weiter. Doch auch das Französische hat einen eigenen Einschlag. Es klingt so, als ob die unbegabteren von uns Schülern an meinem oberfränkischen Gymnasium sich im Französischunterricht abmühten. Überhaupt sind Neufundländer die vielbelächelten Deppen der Nation, über die es zahllose Witze gibt. Zu Recht oder reines Vorurteil?

Corner Brook, Neufundland – Wäschequirl mit nettem Anhang

Montag, Mai 10th, 2010

Der natürlich gewachsene Wald ist hier so dicht, dass man nicht einmal hindurch laufen kann. Alle paar Zentimeter steht ein Baum, und dazwischen noch Unterholz. Wie die voluminösen Elche sich hier bewegen können ist mir ein Rätsel, vermutlich bahnen sie sich ihren Weg mit brachialer Gewalt. In einer Bucht ducken sich Tannen, Fichten und Birken vom Wind weg, dass sie zu einer einzigen schiefen Ebene verschmelzen. Große Bäume gibt es kaum – der Sommer ist zu kurz, das Klima zu rau.

Bäume und Unterholz werden ein paar Meter beidseits des Highways zurückgeschnitten, um das Wild von der Straße zu halten bzw. dem Autofahrer eine Chance zu geben, es rechtzeitig zu erkennen. Gerade fragen wir uns mit welcher Art Gerät man das bewerkstelligen könne, da sehen wir sie: fahrende Arbeitsmaschinen mit einem Kranausleger, an dessen Ende eine Art riesiger Winkelschleifer den Wald einfach abrasiert.

Am Straßenrand hackt ein Rabe in aller Seelenruhe einen Müllsack auf, der dort für die Müllabfuhr bereitgestellt worden ist, und pickt sich Essensreste heraus. Dann ein Elch. Das Verhältnis Einwohner zu Elchen soll 5:1 betragen, aber die Population der erst Anfang des letzten Jahrhunderts ausgesetzten Tiere wächst schnell. Am Cape St. George, leidet der angeblich atemberaubende Ausblick etwas unter dem dichten Nebel.

Die meisten Häuser haben raumhohe Fenster, die den Blick zur Seeseite hin öffnen. Zur anderen Seite kommt oft völlig unerwartet eine Tür in 3 m Höhe mitten in der Wand heraus. Es wirkt so, als hätte man etwas vergessen: eine Treppe vielleicht, oder auch eine Terrasse. Möglicherweise ist es aber eine Art Schwiegermuttertür, aus der man ungeliebte Gäste herauskomplimentiert. Wir kennen schließlich die hiesigen Sitten nicht, werden aber vorsichtig sein.

Im Einkaufszentrum von Corner Brook, der letzten größeren Stadt, laufen wir in den falschen Supermarkt. Der Wal Mart ist riesig und hat alles – außer Lebensmittel. Naja, ein paar. Es gibt günstiges Dosengemüse, aber keinerlei Frischwaren. Wir hatten schon gehört, dass Wal Mart in Kanada enttäuschend ist. Ersatz für meine in der Schlammlawine ruinierten Boots bekomme ich trotzdem nicht. Für Frauen gibt es hier nur Pumps. Ideal in diesem Gelände.

Anschließend suchen wir einen Waschsalon. Was wir finden ist ein sehr nettes Paar, das uns T-Shirts und Kappen, Kaffee, Bier und Softeis schenkt. Dazu dürfen wir Carmelitas und Johns Internetanschluss und ihren Stellplatz für die Nacht nutzen und stundenlang mit ihnen plaudern. Waschmaschinen sind in Nordamerika nicht die gleichen wie zu Hause. Die Oberlader sind nur halbautomatisch und haben schlichte sich radial drehende Trommeln, in die man Waschmittel, Wäsche, Bleiche und Weichspüler in der richtigen Reihenfolge und zum richtigen Zeitpunkt einfüllen muss. Zumindest läuft das Wasser automatisch zu und ab und einen Schleudergang gibt es auch. Der Temperaturwahlschalter kalt-warm-heiß bezieht sich lediglich auf die Temperatur des aus der Leitung zulaufenden Wassers. Eine Heizung besitzt der Wäschequirl nicht. Nach einer halben Stunde ist das Spektakel schon vorbei. Wer meint, mit dem Waschergebnis nicht zufrieden zu sein, muss das Ganze wiederholen. Die Trockner dagegen scheinen leistungsfähig zu sein, was sich auch an der mehrere Zentimeter dicken Flusenschicht ablesen lässt, die nach dem Trockenvorgang im Sieb hängt. Die Wäschestücke werden vermutlich in gleichem Maße dünner.

Fähre Neufundland – Wale und Rockmusik auf dem „Fels“

Sonntag, Mai 9th, 2010

Pünktlich um 11 Uhr 30 legt die Fähre nach Neufundland ab. Genau sechs Stunden benötigt die MV Caribou für die 160 km von North Sidney nach Port aux Basques. Dann jedoch ist es in Neufundland bereits 18 Uhr, da es in einer anderen Zeitzone liegt, im Vergleich zu Nova Scotia eine halbe Stunde voraus. Unterwegs sehen wir zahlreiche Wale, vermutlich Buckel- und Minkwale. Meist bekommen wir nur den Blas zu sehen, manchmal auch Flossen und Rücken.

Neufundland empfängt uns mit typischem Wetter: Nebel und Wind. Die 5°C täuschen über die gefühlte Temperatur hinweg, die den Nullpunkt kaum überschreitet. Die freundliche junge Frau an der Touristeninformation versorgt uns nicht nur mit wichtigen Informationen, z.B. wo wir die besten Hummer bekommen, sondern schwärmt uns auch von ihrer Heimat vor. Ihre Tochter reise gerne, aber sie würde „den Fels“, wie die Neufundländer ihre Heimat nennen, nie verlassen. Sie kenne nichts anderes, daher wäre dies der schönste Fleck auf Erden. Dabei wirkt sie alles andere als hinterwäldlerisch. Sie ist hübsch, hat einen modernen Haarschnitt und ist sogar – im Gegensatz zu den meisten Frauen, die ich bisher getroffen habe – leicht geschminkt. Wir tendieren dazu, ihr zu glauben.

Kanada ist das Land der Rockmusik. Im Radio gibt es schon zum Frühstück ACDC. Ein Radiosender nennt sich „The Rock of the Rock“, der „Rock des Felsen“. Ein Wortspiel, das freilich nur im Englischen funktioniert.

Wir nehmen die Westküste in Richtung Norden – ein Elch. Kurz darauf hoppelt ein arktischer Hase davon. Wir schlagen uns in die Wildnis und finden einen Platz mit wundervoller Aussicht zum übernachten. Überall liegen grau-weiße Fellpuschel herum, abgeschabtes Winterfell von Elchen. Aber es kommt uns heute keiner mehr besuchen.

Meat Cove, CBI – Schotten auf steilem Gelände

Samstag, Mai 8th, 2010

Am Morgen treffen wir Melvin und seine Kumpels in seiner Werkstatt beim Schweißen eines Bootsauspuffs. Manche Kanadier behaupten, Nova Scotia läge im Vergleich zu Europa zehn, vielleicht sogar 30 Jahre zurück. Das mag sein, aber auch im kleinsten Dorf hat man Computer und Internetanschluss und kennt sich erstaunlich gut aus. Melvin und seine Freunde hatten bereits letzte Nacht unsere Website, unseren Blog und unser Gästebuch durchforstet. Ein Foto dürfen wir von ihnen schießen, aber „Stell es nicht auf Facebook!“ Keine Sorge.

Nach einem kurzen Abstecher nach Meat Cove, dem nördlichen Ende Cape Breton Islands mit imposanten Klippen und rauer blauer See fahren wir über die lieblichere Ostseite des Nationalparks in südlicher Richtung. Höhenunterschiede von 500 m bis hinunter zum Meeresspiegel werden hier ohne großes Federlesen mit ein paar Kurven, aber ohne Spitzkehren in wenigen Minuten überwunden. Längere Gefälle von 15% sind keine Seltenheit. Der Winter muss eine echte Herausforderung für Autofahrer sein.

Neben Engländern und Akadiern stellen vor allem Schotten das prägende folkloristische und kulturelle  Element auf Cape Breton Island. Viele Ortstafeln und Flussbezeichnungen sind zweisprachig. Manchmal englisch-französisch, oft aber englisch-gälisch. So liest man lustige Ortsbezeichnungen wie Abbain a Chubbair.

Im Fährhafen von North Sidney erstehen wir ein Ticket für die Fährüberfahrt nach Neufundland am nächsten Morgen. Ein paar Kilometer zurück liegt ein Campingplatz. Der hat zwar noch nicht offen, aber da wir nichts brauchen dürfen wir für einen Zehner übernachten.

Chéticamp, Cape Breton Island – Ein Elch im Schnee

Freitag, Mai 7th, 2010

Sturm! Die Kabine schwankt hin und her, man muss aufpassen, nicht seekrank zu werden. Draußen fliegt mir fast die Perücke weg. Über den Canso Causway, einen Damm, fahren wir nach Cape Breton Island. Geschwindigkeitsbegrenzungen in Kanada sind teils recht optimistisch. In den meisten Fällen gibt die jeweilige Maximalgeschwindigkeit an, wie schnell man tatsächlich fahren kann. Wir kurven auf einer hügeligen, engen Straße herum, die vom Frost zerfressen und vom Regen halb weggespült ist. Die 80 km/h scheinen da geringfügig übertrieben.

Noch eine Besonderheit ist die immer wiederkehrende Frage nach der Mileage, also wie viele Meilen das Auto mit einer Gallone Diesel (oder Benzin) fahren kann. Die Antwort sollte man parat haben. Die ältere Generation ist mit dem englischen Maßsystem aufgewachsen, die jüngere hat bereits die metrischen Einheiten gelernt. Demzufolge werden alle Maße zu unserer Verwirrung bunt durcheinander verwendet. So sind in einer Packung Karotten zwei US-Pfund, der Inhalt ist aber – korrekterweise – mit 908 g angegeben. Diesel gibt es literweise zu kaufen, aber in einer Flasche Bier sind 341 ml.

Die Westküste Cape Breton Islands mutet irisch an. Sanfte Hügel, raue Küste. Bei Sturm branden Wellen gegen die Felsen, dass die Gischt bis zur 50 m höher liegenden Straße hoch spritzt. Im Cape Breton Highlands National Park erstehen wir eine Jahreskarte für alle Nationalparks und Historic Sites, das kommt auf Dauer günstiger als jedes Mal Eintritt zu zahlen. Bestückt mit Informationsmaterial und Verhaltensanweisungen für Bär-, Coyoten- und Elchbegegnungen fahren wir in die Highlands. Auf 500 m Höhe stecken wir mitten in den Wolken und es schneit dicke Flocken bei 3°. Am Straßenrand liegt Schnee. Dank der Einweisung am Infocenter sind wir vorbereitet: Unser erster Elch! Er trottet über die Straße – Elche lieben aus unerfindlichen Gründen die Straße, wie uns gesagt wurde – und schlägt sich ins Gebüsch. Dort wartet er, so ganz geheuer ist ihm das große Auto nicht. Als unsere Druckluftbremsanlage sich entlüftet, erschreckt er sich vollends, bäumt sich kurz auf und galoppiert davon. Für ein paar Fotos hat es immerhin gereicht.

Wir verlassen den Nationalpark und fahren an die Nordspitze der Insel. In Clapstick klopfen wir an Melvins Haustür und fragen, ob wir eine Nacht auf seiner Wiese stehen können. Dürfen wir. Melvin war Pipelineschweißer in Alaska gewesen und scheint jetzt ein entspannteres Leben zu führen. Er gibt uns ein Schild mit, das er hat anfertigen lassen, das aber den Weg nach Watson Lake in Alaska nicht geschafft hat. Dort nageln die meisten Reisenden ihre Nummern- oder Ortsschilder an. Wir versprechen, es zu befestigen, wenn wir dort vorbeikommen.

Antigonish, Nova Scotia – Treibsand auf kanadisch oder gefangen in der Schlammlawine

Donnerstag, Mai 6th, 2010

Gleich nach dem Frühstück gehen wir zur Weinprobe über, da das Personal jetzt eingetroffen ist. Schade nur, dass wir das meiste wegschütten müssen, wir wollen ja noch fahren. Aber die eine oder andere Flasche findet ihren Platz in unserem begrenzten Stauraum.

Wir fahren durch Wolfville, eine wohlhabende Kleinstadt mit herrschaftlichen (Holz-)Villen und gepflegten Gärten. Ich kann regelrecht spüren, wie hier ein Nachbar beobachtet, was der andere tut und ob auch alles seinen ordentlichen, geregelten Gang geht.

Von der Westküste Nova Scotias fahren wir quer zur Ostküste hinüber. Bei J. Willy Krauch & Sons in Tangier kaufen wir köstlichen Räucherlachs und geräucherte Makrelen. Krauch ist aus Dänemark eingewandert, seine Vorväter sind aber Deutsche, erzählt uns die nette Verkäuferin. Schon die britische Königin Elisabeth II hatte sich von Krauch Smoked Salmon schicken lassen.

Heute Morgen noch hatten wir bei 26° im T-Shirt Wein gekauft, jetzt schüttet es bei 11° wie aus Eimern. Über den Trans-Canada-Highway fahren wir über Antigonish ans Nordufer. Die Landschaft erinnert hier an das Allgäu. Im Hintergrund zeichnet sich eine Bergkette ab, im Vordergrund führt die Straße über sanfte Hügel mit Wäldern und Wiesen, auf denen zur Abwechslung auch mal Kühe stehen. Der Mangel an Rindern mag die hohen Preise für Milchprodukte erklären. Zwei Liter Milch kosten 4 – 5 c$, einen Liter muss man mit 3 – 4 c$ bezahlen. Von Joghurt oder Käse ganz zu schweigen. Andererseits ist Rindfleisch nicht übermäßig teuer.

Wir finden einen einsamen Strand zum übernachten, ein Traumplatz. Im Sonnenuntergang gehen wir spazieren. Ein Schild an einem Baum am Rand des Strandes erregt meine Aufmerksamkeit. Oft sind Verhaltensregeln drauf, also gehe ich näher, um es zu lesen. Der Boden sieht auf den ersten Blick genau so aus wie der Rest, also stapfe ich nichtsahnend näher. Im nächsten Moment schon stecke ich bis über die Knöchel tief im Schlamm. Ich kann keinen der beiden Füße herausziehen, im Gegenteil, ich sinke immer tiefer. Zu allem Unglück bin ich eine kleine Steigung hoch gelaufen, sodass ich jetzt langsam im Zeitlupentempo nach hinten kippe. Kurz bevor auch mein Allerwertester den Schlamm berührt, eilt Jörg herbei um mich abzustützen. Er wiederum findet das alles recht lustig und möchte erst mal Bilder machen. Ich kann dieser Idee nur wenig Sympathisches abgewinnen und wir einigen uns darauf, mich erst einmal zu retten und dann zu fotografieren. Mit viel Mühe und Jörgs Hilfe schaffe ich es, nacheinander beide Füße inklusive der daran befestigten Schuhe herauszuziehen.  Glücklicherweise hatte ich die Stiefel vorher fest zugebunden. Allerdings sind sie jetzt zusammen mit Socken und Hosen komplett mit rotem Lehm überzogen, der Modder ist mir bis in die Boots hinein gequollen. Ich frage mich, wie man an einer solch intelligenten Stelle ein Hinweisschild anbringen kann, aber vermutlich hatte der vorangegangene Starkregen gerade die kleine Schlammlawine aus dem Wald gespült.

Cape Split, Nova Scotia – hohe Klippen über gurgelnder Tide

Mittwoch, Mai 5th, 2010

Bis Mittag regnet es. Als es endlich aufklart, fahren wir die paar Kilometer nach Scotts Bay und wandern vom dortigen Parkplatz aus auf Cape Split hinaus. Der Wanderweg ist 16 km lang (Hin- und Rückweg) und führt größtenteils durch mäßig spannenden, sonnendurchfluteten Wald über Wurzeln, umgestürzte Bäume und kleine Bäche. Es ist warm, wir beginnen zu schwitzen, aber nicht für lang. Auf dem Kap angekommen, wo keine schützenden Bäume stehen, pustet uns wieder ein eisiger Wind um die Ohren. Von den 231 m hohen Klippen hat man einen grandiosen Ausblick über die gewaltigen Wassermassen, die zwei Mal täglich vom offenen Meer in die Bay of Fundy hinein- und wieder hinausströmen. Das Kap ragt weit hinein in den Mineas Channel, den Ostarm der Fundy-Bucht. Der Tidenhub beträgt hier bis zu 16 m und an den Felsklippen brechen sich die Wellen, sprudelt und gurgelt es nur so, da sich ein- und auslaufendes Wasser bereits wieder begegnen. Welch imposantes Naturschauspiel.

Die Anschaffung eines Navigationssystems mit Kartenmaterial für Nordamerika hat sich auf jeden Fall gelohnt, denn Lissy, wie wir das Gerät nennen, kennt in Kanada wirklich jeden Waldweg. Lediglich mit Lissys Englisch hapert es ein wenig, ihre elektronische Stimme murmelt etwas unverständlich vor sich hin. Manche Worte erkennt man erst, wenn man sie geschrieben sieht, da sie die englischen Ortsangaben einfach deutsch ausspricht. Sehr amüsant, wir müssen wohl noch etwas trainieren.

Endlich finden wir am Abend die Blomidon Estate Winery, aber leider hat das Weingut für heute schon geschlossen. Wir beschließen hier zu übernachten.

Digby, Nova Scotia – Hummer zu Mittag und Plunder zum Kaffee

Dienstag, Mai 4th, 2010

Im Hafen von Cape St. Marys bieten uns zwei Fischerleute ihre frisch gefangenen Hummer an. 4,50 kanadische Dollar (c$) das Pfund. Vermutlich könnten wir sie sogar auf 4 c$ runterhandeln, da uns ein netter Anwohner vorher den Marktpreis genannt hatte. Auch die jungen Männer beklagen die Wirtschaftskrise. Vor ein paar Jahren noch hatten sie 9 oder 10 c$ das Pfund bekommen, und 1000 Pfund hatten sie in ihren Körben. Heute waren es gerade mal 150.

In Digby lassen wir uns zum Lunch Lobster Roll und Scallop Burger (Hummer- und Jakobsmuschelbrötchen) schmecken. Die Natur ist hier viel weiter als ein paar Kilometer weiter östlich. Ginster und Tulpen, Magnolien und Apfelbäume blühen bereits. Der Digby Neck Scenic Drive, die Panoramastraße über die Digby Halbinsel, bietet den einen oder anderen Ausblick auf einen See oder Meeresbuchten, sonst aber eher unspektakuläre Waldlandschaft. Zur Walbeobachtung muss man eine Bootstour buchen, aber Anfang Mai hat noch alles geschlossen.

In Annapolis Royal entdecken wir eine deutsche Bäckerei. Heiderose und Dieter Claussing aus Zwickau sind seit acht Jahren in Kanada und sind seit einigen Jahren selbstständig. Wir kaufen ein Roggenbrot; die Blaubeer- und Kirschplunder sind leckere handgefertigte Teilchen und keine vor Billigfett erstarte Industrieware, wie man sie bei uns zumeist bekommt. Neben der Annapolis River Flussbrücke gewinnt das einzige Meerwasser-Gezeitenkraftwerk Strom aus dem gewaltigen Tidenhub der Bay of Fundy. Das fast liebliche Annapolis Valley Flusstal wurde aufgrund seines milden Klimas zum Gemüse- und Obstgarten Nova Scotias. Wir übernachten am Parkplatz vor dem Blomidon Provincial Park, da der Park und der dazugehörige Campingplatz noch geschlossen haben.

Shelburne, Nova Scotia – Kriegsmythen und Jelly Beans

Montag, Mai 3rd, 2010

Der Umgang mit Abfällen ist für uns Mitteleuropäer ein wenig gewöhnungsbedürftig. Etliche Häuser an den Fjorden sollen nicht an die Kanalisation angeschlossen sein und leiten ihre Abwässer direkt ins Meer. An vielen Parkplätzen am Wald wird der Müll – verbotenerweise – abgeladen, zumal es oft keine Mülleimer gibt. Aber vielleicht ist der Umgang mit Natur ein anderer, wenn man so viel davon hat.

Als erste Attraktion besuchen wir heute West Berlin. Das Dorf besteht aus etwa drei Häusern. Hatte ich irgendwie größer in Erinnerung.

Am Parkplatz vor dem Sobies Supermarkt in Liverpool will uns ein älterer Herr eine Geschichte erzählen. Im 2. Weltkrieg versenkte ein deutsches U-Boot vor der Küste Nova Scotias ein kanadisches Schiff. Die Überlebenden flüchteten in ihre Rettungstender, als das U-Boot neben ihnen auftauchte. Ein deutscher Offizier öffnete das Luk. Die erste Frage, die er den Schiffbrüchigen stellte – er sprach englisch – war, ob sie eine Zigarette rauchen wollten. Nein, wollten sie nicht. Dann bestand der Offizier darauf, die Männer sicher bis ans Ufer zu geleiten. Er hätte den Auftrag, die Schiffe zu versenken, aber nicht, die Menschen zu töten. Das hatte den alten Kanadier schwer beeindruckt. Für den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte übernehmen wir keine Haftung.

Es ist kühl und regnerisch, die Laubbäume haben noch nicht einmal den Plan gefasst auszutreiben. Plötzlich dreht der Wind auf Süd und es hat 23°C. Das Wetter wechselt im Minutentakt. Die Black Flies Saison ist eröffnet. Die kleinen schwarzen Fliegen stechen nicht etwa, sie beißen ein kleines Stück Haut heraus. Das schmerzt und blutet nicht nur, es juckt auch ein paar Tage. Zumindest sollen sie keine Krankheiten übertragen. Einziger Vorteil: Sie fliegen nur tagsüber und haben bei Wind Startverbot. Bei Sonnenuntergang werden sie von Mücken abgelöst. Ich kann nicht entscheiden, was angenehmer ist.

Das komplett aus traditionellen Holzhäusern bestehende Shelburne war 1783 gegründet worden und hatte zu seiner Glanzzeit mit 16.000 Einwohnern zu den größten Städten Nordamerikas gehört. Hollywood hatte den schmucken Ort erneut zu Ehren gebracht: Hier wurde der eigentlich in Neuengland spielende Film „The Scarlet Letter“, der scharlachrote Buchstabe, gedreht.

Eine Stunde später hat es noch 11°C. In The Hawk an der Südspitze Neuschottlands peitscht der Wind die Nebelschwaden über die grasbewachsene Küste. Ein ziemlich zerzaust aussehender Busch Osterglocken trotzt dem eisigen Wind. Hier blühen Osterglocken im Mai.

Wir passieren einige akadische Siedlungen, die alle „Pubnico“ im Namen tragen. Akadier sind Nachkommen der ersten französischen Siedler, die durch Vertreibung durch die Engländer eine leidvolle Geschichte erfahren haben. Viele von ihnen sind im Laufe der Zeit zurückgekehrt. Auf ihren Grundstücken weht die akadische Flagge – die französische Trikolore mit einem goldenen Stern. An manchen Häusern findet man einfach einen Stern. An einer Tankstelle dort schenkt uns eine junge Frau spontan einen Eimer voller Jelly Beans, die Lieblingssüßigkeit vieler amerikanischer Kinder, die sicher für ihre eigenen Sprösslinge gedacht gewesen waren.

Der vermeintlich perfekte Übernachtungsplatz mit exponierter Aussicht an der Cape St. Mary Lightstation stellt sich ganz schnell als unbrauchbar heraus. Das Nebelhorn tutet in Minutenabständen mit durchdringender Lautstärke. Wir verziehen uns ein paar Kilometer weiter an den Strand, wo das Horn nur noch als Hintergrundgeräusch zu hören ist.

Lunenburg, Nova Scotia – Pancakes, Würstchen und deutsche Auswanderer

Sonntag, Mai 2nd, 2010

Als wir um 8 Uhr endlich die Tür unserer Kabine öffnen, ruft Wally schon, dass Kaffee und Pancakes fertig seien. Dazu gibt es Würstchen, Orangensaft und Rosinenbagles mit Butter. Welch ein reichhaltiges Frühstück. Unterdessen deckt Vivian uns mit selbstgefertigtem Schmuck ein. Wir bekommen ein Doggy Bag mit dem restlichen Donair, damit wir unterwegs nicht verhungern. Erst kurz vor Mittag können wir uns von diesem entzückenden Rentnerpärchen trennen.

Wir besuchen den Ort Mahone, der überragt wird von hohen spitzen Türmen der zahlreichen Holzkirchen. Lunenburg, eine 1753 von deutschen und schweizer Protestanten gegründete charmante Stadt, wurde von Schiffbau und Kabeljaufischerei geprägt. Eine Gruppe junger Leute war schon eine halbe Stunde auf der Suche nach uns gewesen. Ein Freund hatte sie verständigt, dass ein verrücktes Auto durch die Gegend fahren würde. An einem Aussichtspunkt finden sie uns endlich. Dort gabeln uns Ursel und Gerd auf und laden uns auf einen Kaffee zu sich ein. Das deutsche Pärchen ist vor neun Jahren nach Neuschottland ausgewandert und hegt keine Ambitionen zurückzukehren. Schließlich bringen sie uns zum Parkplatz  am Rissers Beach, wo wir ganz einsam die Nacht verbringen können. Der Strand eignet sich für ausgedehnte Spaziergänge, ein hölzerner Terrassenweg lädt zu Vogelbeobachtungen ein. Das Wetter ist wechselhaft wie immer. In einer Minute kommt Nebel wie dicke Suppe in die Bucht hineingezogen, im nächsten Moment ist der Spuk vorbei und die Sonne scheint als hätte sie nie etwas anders getan.