Archive for Oktober, 2011

San Agustín, Kolumbien – Pferde und ein wunder Hintern

Montag, Oktober 31st, 2011

Pacho ist ein glücklicher Mann, denn Pacho besitzt alles: ein eine liebenswerte Persönlichkeit, Geduld, ein Händchen für Pferde und jede Menge Wissen über Natur und Kultur. Trotz unserer „Guide-Allergie“ konnten wir Pacho nicht widerstehen, als er uns einen Reitausflug in die umgebenden Berge und zu weiteren archäologischen Fundstätten anbot. Der Preis von 50.000 Peso pP (20 €) scheint uns angemessen, im Endeffekt sind wir viereinhalb Stunden unterwegs. Die Tour führt zu einigen weniger wichtigen, dennoch sehenswerten Fundstellen, die eigentlich nur zu Pferd zu erreichen sind: La Pelota und El Purutal, wo an den für uns schönsten Statuen noch leuchtende Farbreste in gelb, rot, schwarz und weiß vorhanden sind. Im Wäldchen oberhalb gibt es Bäume, die gelbes und rotes Harz produzieren, das möglicherweise als Farbe gedient hat. Wahrscheinlicher ist jedoch die Theorie, dass Mineralien zum Tönen verwendet wurden. Der Fundort La Chaquira ist derzeit wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen, aber El Tablon hat weitere fünf Statuen aufzuweisen.

Die Pferde, die uns Pacho gibt, sind hervorragend erzogen. Sie folgen auch den möglicherweise nicht perfekten Kommandos von völlig Unerfahrenen (das Kinderhopsen in der Reitschule können wir getrost vernachlässigen). Pacho lässt uns voran reiten und die Geschwindigkeit bestimmen. Auch Traben und Galoppieren sind kein Problem, solange die Pferde mitmachen und das Gelände es zulässt. Pacho spricht zwar nur (langsames, sehr deutliches) Spanisch, doch die – ausschließlich positiven – Kommentare in seinem Gästebuch geben Aufschluss, dass ihn irgendwie jeder versteht, selbst ohne Sprachkenntnisse. Zu erreichen ist er über die Finca El Maco, er taucht da jeden Abend und auch meist morgens auf, nach neuen Gästen Ausschau haltend. Er kann auch mehrtägige Ausritte mit Übernachtungen auf Bauernhöfen oder eine Jeeptour zu den anderen Fundstellen organisieren. Von uns gibt’s eine 5*-Weiterempfehlung. Mit den Folgen des Ausritts für das werte Hinterteil muss allerdings jeder selbst klarkommen.

San Agustín, Kolumbien – Jaguarmenschen und Schlangen fressende Eulen

Sonntag, Oktober 30th, 2011

San Agustín ist eine wichtige archäologische Fundstätte einer frühen indigenen Hochkultur. Die Gegend war möglicherweise bereits 6000 v.Ch. besiedelt, die heutigen Hinterlassenschaften stammen größtenteils von 200 v.Ch. bis 700 n.Ch.: Statuen aus Lavastein und Basalt, Grabanlagen, Erdwälle und Aquädukte. Da die San-Agustín-Kultur keine Schriftzeichen benutzte, ist nur wenig über sie bekannt, meist handelt es sich um Spekulationen. Die Vielzahl beeindruckender Statuen zeigt Jaguarmenschen, bewaffnete Wächter, Frauen mit Babys, und jede Menge Tiersymbolik wie Uhus bzw. Adler und Schlangen. Die Kultur führte Menschenopfer und möglicherweise kannibalische Riten durch.

Wichtigste Fundstätte ist Parque Archeológico de San Agustín, zweieinhalb Kilometer hinter der Ortschaft. Hier gibt es die meisten Statuen und Gräber und außerdem eine zeremonielle Badestelle im felsigen Teil eines Flussbetts. Die geheimnisvolle Kultur meißelte drei Badewannen und symbolhafte Figuren wie Schnecken, Schlangen, Frösche oder Gesichter in den Stein, durch deren Konturen das Wasser rinnt. Zutritt zum Park (ein halber Tag Zeitbedarf) kostet 10.000 COP pro Person für einen Tag, das Kombiticket 16.000 COP (4 bzw. 6,40 €). Dieses gilt für zwei aufeinanderfolgende Tage. Mit ihm kann man weitere Fundstätten in der Umgebung besuchen, die mit dem eigenen Fahrzeug oder einer Jeeptour erreicht werden können. San Agustín lebt mittlerweile zum Großteil vom Tourismus, einige Europäer haben sich hier ebenfalls niedergelassen. Daher scheinen frühere Guerillaaktivitäten der Vergangenheit anzugehören und er Ort ist sicher.

Campen kann man ebenfalls problemlos. Wir entscheiden uns für die Finca El Maco des Schweizers René Suter. Für Fahrzeuge gibt es lediglich zwei schiefe Stellplätze (genügend Steine zum nivellieren vorhanden). Doch das Duschwasser ist heiß, das Personal freundlich und Internet kostenlos (mangels Telefonleitungen gibt es außerhalb von Städten kaum WiFi; es werden häufig USB-Internetmodems verteilt). Schweizerische Kost (außer Rösti) sucht man auf der Speisekarte jedoch vergebens. Der angebotene Wäscheservice ist angenehm, die Wäsche fertig wenn man vom Ausflug zurückkommt – Sonnenschein mangels Trockner vorausgesetzt. Der Preis ist verhandelbar, wenn man viele Kilos hat. Fürs Campen zahlen wir 8.000 Peso pP (3,20 €) pro Nacht. Am Ende des Ortes Richtung archäologischer Park biegt man rechts ab der Beschilderung Hotel Yalconia / Piscina / El Maco folgend. Kurz vor dem Schwimmbad geht es rechts weg zum Camping San Agustín (N 01°53’19.6’’ W 76°16’46.3’’), einer weiteren Möglichkeit. Ein Stück weiter den Berg hoch folgt El Maco auf der rechten Seite (N 01°53’31.4’’ W 76°16’47.8’’).

Desierto de la Tatacoa, Kolumbien – Die grüne Wüste

Freitag, Oktober 28th, 2011

Die Tatacoa-Wüste ist eine geologische und klimatologische Kuriosität. Umgeben von saftig-grünen Feldern und einem Land, das zu großen Teilen aus Regen, Flüssen und Sümpfen besteht, liegt eine 330 km2 große Trockensavanne, die man etwas euphorisch als Wüste bezeichnet. Während der Trockenperiode können Mittagstemperaturen von bis zu 50° C erreicht werden, in den kurzen Regenzeiten im Frühjahr und im Herbst ist es angenehm. Auf dem dann grünen Steppengras weiden, so wie jetzt, Rinder, Pferde, Ziegen und Schafe. Dazwischen wachsen Kakteen, Sträucher und sogar Bäume. Dort, wo das Erdreich erodiert ist, treten rote und hellgraue Sandhügel, Dünen und skurrile Felsgebilde auf. Eine Landschaft, die aussieht wie die Badlands in South Dakota oder die Painted Desert in Arizona – nur im Miniformat.

Das Observatorium, das während der Regenperioden wegen des bedeckten Himmels meist geschlossen bleibt, und dessen Astronom Javier haben einen guten Ruf. Obwohl die Nähe zur Stadt Neiva und die damit verbundene Lichtverschmutzung störend sind, scheint die meist trockene und für Kolumbien klare Luft in diesem Land einmalig zu sein. Wer noch keine Wüste gesehen hat, für den ist die Desierto de la Tatacoa sicher eine schöne Erfahrung. Für Wüstenerfahrene ist es immer noch eine hübsche Landschaft und kostenlos dazu. Organisiertes Camping wird an mehreren Stellen angeboten, grundsätzlich kann man in der Savanne wild und ohne Sicherheitsbedenken campen.

Desierto de la Tatacoa, Kolumbien – Karamellcreme mit Käse

Donnerstag, Oktober 27th, 2011

Und wieder geht es über die Zentralkordilliere, diesmal von West nach Ost. Die Straße # 40 führt in steilen Kurven von 1.500 m auf 3.100 m und hinunter auf 400 m. Der dichte Lkw-Verkehr an den Steigungen fordert Elefantenrennen auf der nur zweispurigen Straße geradezu heraus. So mancher ungeduldige Fahrer lässt sich zu wildesten Überholmanövern in den völlig unübersichtlichen Serpentinen hinreißen mit der Folge von Vollbremsungen auf beiden Seiten bei Gegenverkehr. Niemand regt sich auch nur ansatzweise auf. Unfälle, die nicht ganz ausbleiben, gehen wegen der geringen Geschwindigkeiten meist glimpflich ab – wenn auch nicht immer. Die schlecht gewarteten Trucks bleiben oft mitten auf der Straße liegen, was ein zusätzliches Gefahrenpotenzial darstellt. Baustellen mit einspuriger Verkehrsführung halten den Verkehr weiterhin auf, doch die Erdrutsche der vergangenen Tage und Wochen müssen beseitigt werden.

Sobald etwas Wasser aus den Bergen rinnt, bilden sich „Waschstraßen“. Männer und Frauen, eingehüllt in schwarze Müllsäcke, bieten 24 Stunden am Tag ihre Dienste als Autowäscher an, die vor allem von Lkw- und Busfahrern gerne in Anspruch genommen werden. Engagiert spritzen und schrubben die Reinigungsfachkräfte die Wagen in Rekordzeit ab. Die Werbemaßnahmen dafür sind Wasserfontänen, die aus Schläuchen oder Rohren spritzen. Wasserverschwendung ist das hingegen kaum, das Nass rinnt so oder so den Berg hinab in den nächsten Fluss. Mehr zu denken gibt schon eher das Öl, das nach der Motorwäsche den Fluss begleiten wird. Andere Erwachsene oder auch Kinder betätigen sich als freiwillige Bauarbeiter zur Arbeitsbeschaffung. Schadhafte Stellen in der Straße (es gibt reichlich davon) werden mit einer Schaufel, Steinen und Erde ausgebessert, und nicht wenige Lkw-Fahrer werfen zum Dank ein paar Münzen aus dem Fenster.

Zu beiden Seiten der Stadt Cajamarca staut sich der Verkehr kilometerweit. Eine Brücke ist statisch instabil und darf nur noch einspurig befahren werden. Wir müssen eineinhalb Stunden warten. In Staus muss man sich nicht sorgen, zu verdursten oder zu verhungern. Die Einheimischen sind in solchen Situationen immer recht fix und kommen von wer-weiß-woher mit einer Eisbox voll kalter Getränke, Bananenchips, Erdnüssen, Früchten, Obstsalat mit Sahne oder Arequipe, einer plombenziehersüßen Karamellcreme aus Milch, Zucker und Honig, die schmeckt wie eine Packung Werthers Echte in Puddingform. Im Ort stehen wir lange genug vor Bäckereien herum, um uns an den Backwaren zu versuchen. In Kolumbien gibt es so gut wie nichts ohne Käse, einem schnittfähigen, nur wenig gesalzenen Frischkäse: Er wird in den Hefezopf eingebacken oder in die Plunder mit eingelegten Feigen und Karamellcreme. Fruchtsalat und Cremespeisen werden genauso mit Käse serviert wie eine Tasse heiße Schokolade oder gezuckerter Kaffee, zu dem man ein Quesillo erhält. Das ist eine dicke Scheibe Käse, die in ein Bananenblatt eingewickelt, darin geschmolzen wurde und wieder erkaltet ist.

So ein Heißgetränk kann man hin und wieder gut gebrauchen. Im Südwesten Kolumbiens entstehen drei Andenkordillieren mit vereisten Gipfeln bis 5500 m, die schon erwähnten West-, Zentral- und Ostkordillieren, bei deren Überquerung die Straßen regelmäßig zugig-kalte 3.000 bis 4.000 m Höhe erreichen. Auch Kolumbiens Hauptstadt Bogotá mit rund 9 Mio. Einwohnern liegt auf 2.600 m Höhe. Doch um diesen Moloch schlagen wir einen Bogen. Die grünen Täler dazwischen liegen auf wenig mehr als Meeresniveau, so wie die Stadt Neiva. Bis hierhin war die Tatacoa-Wüste bestens ausgeschildert, solange es geradeaus ging. Als in der Stadt Abbiegevorgänge nötig werden, hat man die Schilder großzügig weggelassen. Ein Motorradfahrer, ein freundlicher Taxilenker und schließlich ein Reisebüroinhaber, der in Deutschland studierte, fahren jeweils eine zeitlang vor uns her, den Weg weisend. Als wir das Dorf Villavieja und dann die Tatacoa-Wüste erreichen, ist es schon lange dunkel, aber am Observatorium brennt noch Licht. Der laufende Generator ist uns zu laut, daher parken wir auf der gegenüberliegenden Seite (kostenlos, WC / kalte Duschen gegen kleine Gebühr): N 03°14’02.2’’ W 75°10’13.5’’

Valle de Cocora, Kolumbien – Schweiz mit Palmen

Mittwoch, Oktober 26th, 2011

Es ist eine Landschaft wie in den sommerlichen Schweizer Alpen: hohe Berge, mit Wald bewachsene Flanken, fette Weiden, auf denen sich schwarz-weiße und braune Kühe mästen, doch halt, etwas passt hier nicht ins Bild – Palmen. Bis zu 60 m hohe Wachspalmen, die palmas de cera, gedeihen mit ihren dürren Stängeln hier ab 2.500 m Höhe. Ihre zarten Kronen werden oft von Wolken umflort. Daher kann man die kreischenden Papageienschwärme, die sich an den in Trauben herabhängenden Früchten gütlich tun, oft nicht sehen, sondern nur hören. Die Wachspalme gehört zu den höchsten Palmenarten der Welt. Kolumbiens Nationalbaum ist nirgends sonst in größerer Dichte zu finden.

Zwischen Pereira und Armenia liegt das Städtchen Salento. Zum Weiler Cocora sind es weitere 13 km eine schmale asphaltierte Straße den Berg hoch. Von hier aus starten sechsstündige geführte Wanderungen oder auch Pferdetouren durch die Bergwelt. Man kann die Palmenhänge auch gut auf eigene Faust erkunden (kein Eintritt), mehrere Wege führen von der Straße rechts ab sehr steil nach oben (schweißtreibend!). Ortsansässige geben gerne Auskunft, oder man folgt einfach den Pferdetrampelpfaden. Nicht versäumen sollte man die truchera, die Forellenzucht. Eine Besichtigung für 2000 Peso ist vielleicht nicht so interessant, doch bekommt man hier Lachsforellenfilets für nur 12.000 COP (4,80 €) das Kilo, vier ganze Forellen für nur 5.000 COP (2 €) zu kaufen.

Campen kann man in Cocora an den Restaurants für 8.000 Peso pP, am schönsten steht man bei Bosques de Cocora (N 04°38’18.2’’ W 75°29’16.7’’). Da das Restaurant abends schließt, wenn keine Übernachtungsgäste in den Zimmern sind, steht man sehr ruhig. Wer sich den hübschen Ort Salento näher ansehen möchte, kann beim Hostel The Plantation House für 18.000 COP vor dem Eingang neben der Straße stehen, Toiletten-/Duschen-/Küchenbenutzung und WiFi inbegriffen. (Aus Richtung Westen kommend bei der Feuerwache bomberos am Ortseingang rechts abbiegen, nächste Straße wieder rechts, nach 100 m auf der linken Seite. Mäßig schön, an der Straße zu stehen, aber Ort in Gehweite.) Eine weitere Campingmöglichkeit bietet sich im RV-Park Monteroca unweit der Hauptstraße Pereira-Armenia, 4 km vor Salento bzw. 17 km vor Cocora. Es gibt max. zwei Stellplätze neben der Rezeption, die Durchfahrtshöhe scheint für mindestens 3,50 m ausreichend. Am Flussufer gibt es schön gelegene Picknicktische. Inkl. Toiletten, heißen Außenduschen und Küchenbenutzung werden hier 15.000 COP pP fällig (N 04°38’36.5’’ W 75°35’01.8’’).

Guayabal, Kolumbien – Kaffee: der lange Weg von der Bohne in die Tasse

Sonntag, Oktober 23rd, 2011

Kaffee ist, nach Erdöl, das zweitwichtigste Exportprodukt der Welt. Wer hätte das gedacht. Und Kolumbien ist weltweit einer der größten Exporteure dieses begehrten, sensiblen Produkts. Sämtlicher Kaffee aus diesem Land gehört zur hochwertigen Sorte Arabica und ist von erlesener Qualität. Es gibt auch Kaffe, der Exportansprüchen nicht genügt: unreife oder überreife Bohnen und solche, die von dem Kaffee-Bohrkäfer befallen wurden. Diese Bohnen werden beim Verarbeitungsprozess herausgelesen, aber nicht weggeworfen, denn auch dafür gibt es Abnehmer. Sie werden entweder im eigenen Land geröstet und getrunken oder an die Firma Nescafé verkauft, die dann Instantkaffee daraus herstellt. Wie lecker.

Das ist aber nicht alles, was wir heute über das edle Getränk und dessen Herstellung lernen. Schon das Heranzüchten der Setzlinge ist eine Wissenschaft für sich, und dann dauert es mindestens zwei Jahre, bis die Pflanze Früchte trägt. Alle sieben Jahre muss der Strauch zurückgeschnitten werden, was ein weiteres ertragsfreies Jahr ergibt, und die durchschnittliche Lebensdauer eines Buschs beträgt 21 Jahre. Kaffee wird hier zwischen September und Mai geerntet, mit zwei Hauptzeiten im Oktober/November und März/April. Die Pflanzen wachsen nur in Höhen zwischen 1300 und 2000 m, je höher, desto besser die Qualität. Sie benötigen ein ausgewogenes Klima aus Sonne und Regen. Momentan jedoch ist die Ernte wegen der starken Regenfälle und zu geringen Sonnenstunden schlecht. Kaffeeernte ist Handarbeit: nur die roten und gelben reifen Früchte dürfen ins Körbchen. Mobile Erntehelfer, die auch in anderen Pflanzungen wir Bananen, Baumwolle, Tabak oder Zucker arbeiten, werden je nach Bedarf angeworben und wohnen dann (kostenlos in einfachen Unterkünften) auf der Plantage. Der Pflücker erhält ca. 15 Eurocent pro Kilo, schafft rund 100 Kilogramm pro Tag und verdient damit im Monat (samstags und sonntags hat er frei) 280 Euro. Das ist mehr als der durchschnittliche Verdienst eines Kolumbianers. Für sein Essen bezahlt der Erntehelfer knapp 80 Euro im Monat an die Verwalterin des jeweiligen Wohnhauses (davon gibt es mehrere auf jeder Hacienda), die ebenfalls Angestellte der Kaffeeplantage ist.

Zunächst wird die Außenhaut der Frucht maschinell entfernt, kompostiert und später zur Düngung der Plantage wiederverwendet. In mehreren Waschungen muss anschließend der süße Belag des Kerns entfernt werden, manche Hersteller fertigen daraus Wein. Immer wieder werden dabei mangelhafte Früchte herausgelesen. Schließlich werden die Bohnen getrocknet und in die Fabrik der Kaffeeföderation transportiert, wo sie gewogen werden und deren Qualität beurteilt wird. Erst dort erfolgt die zweite Schälung, wo das Pergamenthäutchen entfernt und der Kaffee für den Export verpackt wird. Die Häutchen werden die Kaffeebauern für geringes Entgelt zurückverkauft, die sie zum Heizen des Trocknungsofens verwenden. Das Pergament ist als Brennstoff geruchsneutraler als Holzkohle oder Gas und Ressourcen schonender zudem.

Die Kaffeebohne ist während ihres gesamten Wachstums und der Produktion extrem empfindlich gegen äußere Einflüsse, die ihren Geruch und Geschmack verderben können. Das beginnt bereits bei der Düngung. Insektizide können nur äußerst sparsam eingesetzt werden, besser ist der Einsatz natürlicher Feinde des Kaffebohrers wie Wespen. Für den Transport in die Vereinigten Staaten oder nach Europa muss die kostbare Ware hermetisch verpackt werden. Erst in ihren Zielländern werden die Bohnen geröstet, gemischt und ggf. gemahlen. Ein Rätsel ist für mich – jetzt noch mehr – wie ein Pfund des edlen Gebräus für nur wenige Euro in deutschen Supermärkten verkauft werden kann. Die Gewinner dieses Geschäfts dürften die großen Kaffeefirmen sein, die Verlierer wohl eher die Rädchen am unteren Ende der Produktion – die Erntehelfer und die die Kaffeebauern.

Die hochinteressante Tour auf der Hacienda Guayabal kostet 20.000 Peso pro Person in Spanisch, 25.000 in Englisch (8 bzw. 10 € pP). Wir waren etwa zweieinhalb Stunden unterwegs. Eine Kaffeeverkostung gehört selbstverständlich dazu.

Guayabal, Kolumbien – Berge über Berge

Samstag, Oktober 22nd, 2011

Kolumbien ist Berge. Berge über Berge. Unser heutiger Fahrtag umfasst 442 km. Klingt erst mal nach nicht viel. Aber mit über 5.000 Kurven und mehr als 8.000 Höhenmetern wird das eine echte Aufgabe. Wir starteten am „Zuckerhut“ auf über 2000 m, dann geht es hinunter ins Tal auf 200 m, bis wir die Zentralkordilliere auf 3700 m überqueren (mit weiterem auf und ab natürlich). Bei der Fahrt hinunter ins 1400 m hohe Manizales haben wir noch Glück: Die dramatischen Regenfälle der vergangenen Nächte, von denen wir teils verschont wurden, teils nicht, hatten einen kompletten Berg abrutschen lassen. Mittlerweile ist die Fahrspur wieder frei geschoben, aber der Großteil der Stadt hat seit Tagen kein Wasser. Wir sehen Menschen zu Fuß, mit Mopeds und mit Autos, die sich an allen möglichen Stellen, wo Wasser rinnt, Kanister abfüllen. Wären wir früher gekommen, wäre die Straße noch gesperrt gewesen.

Ohne einen sicheren Ort zum Schlafen hätten wir uns die Fahrt nicht zugemutet, doch wir werden erwartet. Die Hacienda Guayabal liegt im Herzen der Eje Cafetero, des kolumbianischen Kaffeedreiecks, in der Nähe der Stadt Chinchiná. Die Kaffeefinca bietet Unterkünfte in unterschiedlichen Klassen an, aber auch Camping für 10.000 COP pro Person mit Toilette und Dusche, Aufenthaltsraum mit Strom, Trinkwasser und jede Menge Kaffee und der einen oder anderen Leckerei tagsüber. Erbin Doña Maria Theresa hat alles fest im Griff, ihr erwachsener Sohn Jorge spricht ein wenig Englisch. Er ruft uns unterwegs immer wieder besorgt an, wo wir bleiben. In Chinchiná organisiert er sogar, dass wir von einem Auto abgeholt und zur Hacienda begleitet werden, was nicht die schlechteste Idee war, wie sich im Nachhinein herausstellt. Die Küche ist weithin bekannt (18.000 COP für ein reichhaltiges 3-Gänge-Menü). Tourismus entwickelt sich in Kolumbien erst langsam. Hacienda Guayabal ist eine der nicht allzu vielen Kaffeeproduzenten, die Touren anbieten. Doch das ist für morgen.
Hacienda Guayabal, N 04°57’25.2’’ W 75°36’24.3’’, www.haciendaguayabal.com

Peñol-Guatapé, Kolumbien – Kolumbianischer Zuckerhut

Freitag, Oktober 21st, 2011

Ein Stausee für die Energieversorgung der Millionenstadt – das ist der Embalse del Peñol-Guatapé, 50 km westlich von Medellín, aber noch viel mehr. Freizeit- und Wassersportvergnügen unterschiedlichster Art wird hier geboten. Auch der Peñon de Guatapé oder Piedra del Peñol, wie er genannt wird, ist entsprechend kommerzialisiert, doch an ruhigeren Wochentagen einen Besuch wert. Der 220 m hohe Monolith, der ein wenig an den Zuckerhut erinnert, sticht deutlich aus der Landschaft hervor. In einer Felsfalte wurde eine Treppe mit 679 Stufen gebaut, auf der man den Berg aus Granit, Quarz und Feldspat erklimmen kann. Von unten wirkt die Treppe ehrfurchtgebietend, zumal wir uns auf über 2.000 Meter Höhe befinden. Im Endeffekt sind wir doch schneller oben als vermutet, von wo aus man einen wunderschönen Blick auf die Modelleisenbahnlandschaft mit dem eigenwilligen Stausee hat, aus dem hunderte kleiner Inseln hervorlugen. Die meisten Besucher klettern aber nicht hoch, sondern geben sich mit dem Besuch der Souvenirshops und des Restaurants zufrieden, in dem sie bei lokaler Musik das Tanzbein schwingen können. Ein Übernachten auf dem Parkplatz mit toller Aussicht ist im Gegensatz zu vergangenen Jahren leider nicht mehr möglich. (N 06°13’18.9’’ W 75°10’44.5’’, Parken 4.000 COP, Bergbesteigung 8.000 COP pP)

Auch an einigen anderen Stellen möchte man uns nicht campen lassen – eine Erfahrung, die uns abseits der Panamericana in diesem Land öfters einholt. Auskunftsbereite Ortskundige schicken uns ans Dorfende von Guatapé, wo sich ein Campingplatz befinden soll. Der Ort selbst ist sehr schön, wenn auch nicht komplett authentisch, sondern teils im paisa-Stil nachgebaut. Die Häuser vor allem entlang des Malecón, der Uferpromenade, besitzen modellierte und farbig bemalte Sockel mit Blumen-, Tier- oder Spielzeugmotiven. Die Tradition der bunt gestalteten Häuser sollte ursprünglich Hühner vom Picken and den Sockeln und Kinder vom Beschmieren derselben abhalten. Eine Straße gleich rechts hinter der Brücke, die sich dem Malecón anschließt, führt zur kleinen Campingzone. Die ist zwar abgesperrt, aber mit etwas Umherfragen finden wir die zuständige Señora schnell. Zelte kosten je nach Größe 8.000, 10.000 oder 12.000 Peso pro Nacht, wir zeigen uns mit der mittleren Kategorie einverstanden. Der Campingplatz liegt sehr schön direkt am See mit Aussicht auf den Peñon de Guatapé (N 06°14’06.7’’ W 75°09’13.5’’).

Medellín, Kolumbien – Schwebend über die Ziegelstadt

Donnerstag, Oktober 20th, 2011

Die meisten Millionenstädte der neuen Welt sind nicht übermäßig sehenswert. Das gilt eigentlich auch für Medellín, aber hier gibt es eine interessante Art der Stadtbesichtigung: Seilbahnen und eine auf Stelzen gebaute 30 km lange Metro. Vom Parque Arví aus, einem Naherholungsgebiet für Medelliner, wo wir campen, schwebt eine 4.400 m lange Seilbahn über das Waldgebiet und dann steil ins Tal hinunter (Einzelfahrt Linie L 3.500 Peso = 1,40 €). Dann muss man umsteigen in das „reguläre“ öffentliche Verkehrsnetz, in dem man beliebig oft und lange hin- und herfahren kann, solange man die Bahnstationen nicht verlässt (1.700 COP pP = 0,70 €). Eine weitere Seilbahn lässt uns über die einheitlich rostrot wirkende Stadt fliegen: rote Ziegelhäuser mit ebensolchen Dächern bestimmen weitgehend das Bild. Am Ende wechseln wir in die Metro, von der aus man noch einen relativ guten Blick hat.

Am Parque Berrio steigen wir aus, um die Plaza Botero vor der Casa de la Cultura zu bewundern. Hier stehen 23 Monumentalskulpturen des kolumbianischen Bildhauers Fernando Boteros – dem höchstbezahlten Künstler der Welt. Sämtliche Statuen aus schwarzer Bronze sind üppig, sinnlich, dick. Ob Katze oder Pferd, ob römischer Soldat oder Frau – die eigenwilligen Meisterwerke haben hohen Wiedererkennungswert. Der Fußgängerboulevard Paseo Peatonal Carabobo führt uns zur Metrostation San Antonio. Unterwegs kann man sehr günstig einkaufen, vor allem, wenn es um Schuhe geht. Die Stelzenmetro bringt uns zu der Seilbahn auf der anderen Seite des Tals, in das Medellín hineingebaut wurde und wo es unaufhaltsam aus Platzmangel die Hänge hoch kriecht.

Zurück im Parque Arví dürfen wir auf eine weitere kühle Nacht in gut 2.400 m Höhe hoffen, während Medellin auf nur 1.500 m liegt. Im Ecoparque Piedras Blancas (N 06°17’41.5’’ W 75°30’00.8’’), einem Teil des Arví-Parks, bietet man uns die Nacht für 14.400 Peso (5,80 €) pro Person auf einem schiefen Schotterplatz an, aber die Auswahl an Campingmöglichkeiten ist in Medellín äußerst begrenzt. Für nur 1.000 Peso (0,40 €) bringt uns ein Bus zur Seilbahnstation bzw. zurück. Medellín hat ebenfalls einen verkehrsgünstig gelegenen Carrefour (N 06°19’03.1’’ W 75°33’25.2’’). Das Parkhausproblem mit der niedrigen Einfahrtshöhe löst die markteigene Tankstelle, an dessen Seite man stehen kann, wenn man den Manager nett fragt. Günstigen Sprit gibt’s zudem.

Taraza, Kolumbien – Guerillas, Paramilitärs und Drogenkartelle

Dienstag, Oktober 18th, 2011

Der arme Schlucker, der den Nachtwächter des Mittagsgrills abgibt, auf dessen Platz wir übernachteten, hätte sich ein Trinkgeld verdient gehabt. Doch da ist sie wieder, die unverbesserliche Gier, die dazu führt, dass man leer ausgeht. Bevor wir auch nur die Geldbörse in die Hand nehmen können, behauptet er, sein Chef wolle von uns 50.000 COP als Campinggebühr. Wiederum unverschämte 20 Euro. Ich weise ihn darauf hin, dass das nicht der Wahrheit entspricht und lehne schlicht ab. Da dackelt er widerspruchslos davon und öffnet das Tor. Die Nordkolumbianer tun in unseren Augen gerade nicht allzu viel für ihre Imagepflege.

Die PanAm bringt uns weiter nach Süden. Mit vielen Schlaglöchern, grausamen Überschwemmungen, Straßensperrungen, und zahlreichen Mautstellen. Hoffentlich wird das Geld wenigstens für den Straßenbau verwendet. Das Wetter spielt verrückt. Während die meisten mittelamerikanischen Länder von einer ungewöhnlich heißen und trockenen Regenzeit berichteten, findet in Guatemala, Panama und Kolumbien das Gegenteil statt: Es regnet viel mehr als normal, und jeder Regenguss dramatisiert die sowieso schon gespannte Lage. Weite Teile des Landes stehen unter Wasser, Brücken und Straßen werden weggespült. Wir sehen Menschen, deren ärmliche Hütten halb unter Wasser stehen.

Und noch etwas kennzeichnet die Lage an der Panamericana: Zunächst Polizei, später Militär. Viele der Polizeikontrollen halten uns an. Sie sind sehr freundlich, aber wir haben nicht die Zeit, die Neugier eines jeden Polizisten zu befriedigen. Sie werden mir zu aufdringlich, wenn sie immer wieder darauf bestehen, die Kabine sehen zu wollen. Auf meine Frage nach dem Grund für die Besichtigung erhalte ich beim dritten Nachfragen eine Geste zur Mütze hin: „Weil ich die Polizei bin“. „Tja, aber das ist mein HAUS.“ „Ihr Haus?“ „Genau, mein HAUS.“ Das wird verstanden, denn einen Hausdurchsuchungsbefehl haben sie nicht. Wir lassen sie kurz von außen in die Kabine hineinschauen, das muss reichen.

Das Militär lässt uns unbehelligt, ist aber wesentlich eindrucksvoller. Soldaten stehen nicht nur schwerbewaffnet an der Straße, an vielen Truckstops stehen bis zu drei Panzer. Damit soll zumindest halbwegs Sicherheit an der PanAm hergestellt werden, was wohl auch funktioniert. Um welchen finanziellen und sonstigen Preis, vermag ich nicht zu sagen. Mag sein, dass sich die Sicherheitslage für die Kolumbianer in den letzten Jahren verbessert hat, aber befriedet ist das Land bei weitem nicht. Kolumbien hat die jahrhundertelange Tradition, politische Differenzen mittels Bürgerkrieg zu bekämpfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Linksgerichtete Guerillas, rechtsgerichtete Paramilitärs und Drogenkartelle, deren Interessen weniger politischer denn finanzieller Natur sind, kämpfen gegen- oder miteinander. Die beiden großen Drogenorganisationen, das Medellin- und das Calí-Kartell, wurden zwar zerschlagen, doch kleinere Verbände sind an ihre Stelle getreten und führen die Geschäfte weiter. Die Drogenkartelle lassen ihre Anlagen von Guerillas oder Paramilitärs beschützen, und oft stecken die Bewacher zwecks Finanzierung ihrer Organisationen mit im Drogengeschäft. Leidtragend ist die Bevölkerung, die oft genug zwischen die Fronten gerät, vor allem die Indigenen, die von ihrem Land vertrieben oder umgebracht werden. Neben Terror, Folter und Mord ist Entführung eines der häufigsten Verbrechen der militarisierten Oppositionellen. Alleine die FARC, älteste noch operierende Guerillaorganisation der Welt, soll um die 700 Entführungsopfer gefangen halten, viele davon müssen seit Jahren im Dschungel dahinvegetieren. Populärstes Beispiel war die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die im Juli 2008 nach sechs Jahren Geiselhaft vom Militär befreit worden war. Nur ein geringer Anteil der Geiseln ist für den Austausch bestimmt, mit der Mehrzahl soll Lösegeld erpresst werden.

Trotzdem gilt Kolumbien als einigermaßen sicheres Reiseland, sofern man sich in den gesicherten Zonen aufhält. Also bleiben wir vorsichtshalber heute Nacht an einem Truckstop nahe der Stadt Taraza stehen. Allerdings gibt es hier hinter der Tankstelle eine Rasenfläche, ruhig am Fluss gelegen, und kostenfrei dazu: N 07°35’15.0’’ W 75°23’41.9’’.

Turbaco, Kolumbien – Unverhältnismäßigkeiten

Montag, Oktober 17th, 2011

Mag sein, dass ein Feiertag nicht ideal ist, eine lokale Touristenattraktion zu besuchen. Der Schlammvulkan Lodo El Totumo 50 km nordöstlich von Cartagena erhebt sich 20 m über seine Umgebung. Eine Holztreppe führt hinauf in ein fünf Meter messendes Schlammloch, in dem man gesundheitsfördernd „baden“ kann. Als grauer Zombie dem Bade entsteigend läuft man anschließend zur Süßwasserlagune, um wieder eine gesunde Hautfarbe anzunehmen. Das ansässige Imbissbudenpersonal hat wohl schon zu sehr vom eigenen Bier genippt und sieht uns seltsam schief an. Aus einem offenen Autokofferraum plärrt ohrenbetäubende Musik. Keiner fühlt sich von Jörgs Bitte angesprochen, die Lautstärke etwas zu reduzieren, da wir unser eigenes Wort nicht verstehen. Aber als er kurzerhand den Kofferraumdeckel zuknallt, erscheint postwendend ein junger Kerl und öffnet die Haube wieder. Das ganze Ambiente ist uns dermaßen unsympathisch und der Nachmittag bis zur Schließungszeit noch lang, sodass wir kurzerhand den Weg nach Süden einschlagen. Jo und Ray folgen uns ebenfalls.

Der Tag soll uns ein paar weitere unangenehme Erfahrungen bringen: In jedem Dorf plärrt die Musik genauso laut wie am Vulkan. Sind wir schon zu alt, um das zu verstehen? Oder handelt es sich bei der enormen Lautstärke um eine Art Zwangsbespaßungsmaßnahme für Einwohner und Vorbeifahrende? Nebenstraßen sind nicht asphaltiert (was nicht schlimm wäre), aber in katastrophalem Zustand. Sobald eine Straße zumindest überwiegend asphaltiert ist, kostet sie Mautgebühren. Nicht viel, mal zwei, mal drei Euro, aber wenn man alle paar Dutzend Kilometer abkassiert wird, kommt ganz schön was zusammen. Die Krönung ist aber die Übernachtungssuche: Unsere Idee, auf dem Parkplatz eines Botanischen Gartens zu nächtigen, scheitert, da der Park bereits geschlossen hat. Wir fragen in einem Restaurant nach, das einen kleinen See vor der Haustür hat. Nachdem man sich eine geschlagene Viertelstunde Zeit genommen hat, über unser Ansinnen nachzudenken, erhalten wir einen positiven Bescheid, man will aber 50.000 COP Parkgebühr pro Fahrzeug – das sind 20 Euro! Für nichts als Stehen, eine Toilette, Dusche, Strom oder anderen Luxus hätte es sowieso nicht gegeben.

Wir fahren weiter, auch wenn es schon dunkel wird. Hinter dem Ort Turbaco an der PanAm finden wir einen Mittagsimbiss, der gerade schließt. Der Besitzer lässt uns auf seinem abgesperrten, der Straße abgewandten Gelände kostenlos parken, noch ein paar Bierchen trinken und hält uns einen äußerst gebildeten Vortrag über die Probleme der Welt: N 10°18’13.5’’ W 75°23’33.8’’.

Cartagena de Indias, Kolumbien – Perle mit Schmutzrand

Sonntag, Oktober 16th, 2011

Cartagena wird gerne als „Paris Kolumbiens“ bezeichnet. Das scheint mir etwas übertrieben, doch die Altstadt, El Centro genannt, ist wirklich schön und die Bezeichnung „Perle der Karibik“ scheint schon angemessener. Farbige Paläste mit Arkadengängen, Holzbalkonen und begrünten Innenhöfen wechseln sich ab mit kolonialen Kirchen und Klöstern, Souvenirgeschäften und Designerboutiquen. Umgeben sind El Centro und weitere Viertel von der historischen Stadtmauer. Die ist 11 km lang, nicht sehr hoch, aber breit, sehr solide gebaut und zum Teil begehbar. Cartagena de Indias, wie es korrekt heißt, wurde als Umschlagplatz für das Gold und Silber aus den südamerikanischen Kolonien ins spanische Mutterland immer wieder von Piratenangriffen heimgesucht. Nach dem verheerenden Überfall von Sir Francis Drake von 1586 begannen die Bauarbeiten für das monumentale Bollwerk, das erst Ende des 18. Jh. fertig gestellt werden sollte.

Ironischerweise mussten die spanischen Erbauer selbst ihre eigene, nahezu perfekte Verteidigungsanlage nur 20 Jahre später stürmen. Cartagena hatte damals seine Unabhängigkeit erklärt, doch das spanische Königshaus entsandte eine Flotte, die Stadt zurückzuerobern. Nach vier Monaten der Belagerung musste Cartagena aufgeben, nachdem tausende von Menschen verhungert oder an Krankheiten gestorben waren. In krassem Gegensatz zum historischen Erscheinungsbild kann man von der Stadtmauer aus Blicke auf die supermoderne Halbinsel Bocagrande werfen. Umgeben von kilometerlangen Sandstränden erheben sich modernste Wolkenkratzer, Hotels und Glaspaläste im Stile Miamis. Doch außerhalb der touristisch interessanten Viertel ist Cartagena wenig attraktiv und in großen Teilen nicht ganz ungefährlich, zumal bei Nacht. Cartagena ist sozusagen eine teure Perle mit schmutzigen Rändern, als meistbesuchte Stadt Kolumbiens trotzdem ein Muss.

Cartagena de Indias, Kolumbien – Lange Finger

Samstag, Oktober 15th, 2011

Eine lokale Kraftfahrzeughaftpflicht ist auch in Kolumbien vorgeschrieben. Luis ist auch beim Abschluss einer solchen behilflich. Gestern Abend hatten sämtliche Büros schon geschlossen, zumal man zur Vertragsunterzeichnung das endgültige Zollpapier benötigt. Samstags haben die meisten ebenfalls zu. Zwar kann man an größeren Tankstellen jederzeit eine Haftpflicht erstehen, die gilt jedoch für ein Jahr und ist damit teuer. Wir finden trotzdem ein Büro in der Altstadt, das uns am Samstag eine Kfz-Versicherung, SOAT genannt, vermittelt (HBL Seguros, Centro, Pasaje la Moneda, Tel. 660 2005). Mindestlaufzeit ist drei Monate, unabhängig davon, welche Aufenthaltsdauer in den Pass gestempelt wurde. Der Tarif errechnet sich anhand des Motorhubraums. Das wäre für uns recht kostenintensiv geworden. Dank des deutschen Straßenverkehrsamtes, dem bei der Übertragung des Bundeswehrdatenblatts in den neu erstellten Fahrzeugbrief ein Fehler unterlief, sind wir im Besitz eines knapp drei Liter fassenden Motors. Das erste Mal fiel uns das erst in El Salvador beim Ausfüllen der Zollpapiere auf. Daher gibt sich die Agentin mit lediglich 60 Euro zufrieden – teuer genug für eine Durchreise.

Glaubt man den Angaben anderer Reisender, gibt es in Cartagena lediglich eine Abfüllstation, wo man seine Gasflaschen die man für die Fährüberfahrt leeren musste, wiederauffüllen kann. Wir fragen vorsichtshalber an einer Tankstelle, doch auch die schicken uns zu Cartagas etwa 20 km vom Stadtzentrum entfernt (N 10°19’11.3’’ W 75°30’06.7’’). Auf dem Weg dahin passiert man das Einkaufszentrum Caribe Plaza, in dem sich ein Carrefour angesiedelt hat, wo man seine Vorräte wiederaufstocken kann. Allerdings besitzt das Einkaufszentrum lediglich eine Parkgarage mit 2,40 m Einfahrtshöhe. Am „Hintereingang“ gibt es einen kleinen gebührenpflichtigen Parkplatz, der für die meisten Fahrzeuge zugänglich sein dürfte (N 10°24’56.7’’ W 75°31’43.7’’). Lebensmittel sind in Kolumbien günstiger als im teuren Panama, allerdings kostet Diesel mehr.

Als wir am Nachmittag unsere vermeintlich leer geräumte Fahrerkabine wieder einrichten, müssen wir einen kleinen Verlust feststellen. Ein kleines elektronisches Thermometer, das wegen leerer Batterien gerade sowieso nicht funktioniert, wurde entwendet. Der Dieb fand sogar den zugehörigen Außensensor und schnitt ihn ab. Jörg hatte alles Angeklebte (unsere Uhr), alles Angeschraubte (das Radio), alles anderweitig Befestigte (Navigationsgeräte inkl. Saugnäpfe) sowie alles Lose aus dem Fahrerhaus entfernt. Beim Einräumen müssen wir eine weitere Fehlmeldung verbuchen. Unsere äußerst praktische Bewegungsmelderlampe an der Außentreppe wurde samt der mit Spezialkleber befestigten Trägerplatte abgehebelt. Ob RoRo oder LoLo, Schiffs- und Hafenpersonal ist weltweit bekannt für seine langen Finger, doch die Strecke Colón-Cartagena ist besonders berüchtigt.

Cartagena de Indias, Kolumbien – Hafen kostet Nerven

Freitag, Oktober 14th, 2011

Der Tag scheint endlos. Um 8 Uhr fahren wir zu unserem kolumbianischen Agenten Luis Ernesto La Rota von Enlace Caríbe (info@enlacecaribe.com, www.enlacecaribe.com, Luis ist englischsprachig), um 20:30 Uhr bekommen wir Arminius aus dem Hafen. Dann müssen wir ins Hotel, unser Gepäck abholen, zu Luis, unsere Gebühren bezahlen und ins nächste Hotel, das auf seinem Parkplatz Camping anbietet. Dort ist man so freundlich, uns kurz vor Mitternacht noch etwas zu essen zu machen. Dazwischen werden wir von Luis, seiner Frau oder einem seiner drei mitarbeitenden Söhne von Büro zu Büro bugsiert, immer wieder zum Zoll, Reisepass vorlegen, Besucherausweise erhalten und warten, warten, warten. Der Zollbeamte ist alles bestimmend, er legt den Termin fest, wann er das Auto inspizieren will (es geht lediglich um Kennzeichen und Fahrgestellnummer), aber es kann sein, dass er dann trotzdem nicht da ist. Parallel erledigen Luis’ Familienmitarbeiter weitere Gänge, bei denen wir nicht dabei sein müssen.

Unsere Agentin Evelyn in Panama warnte uns vor: Alleine ist die Zollabfertigung in Cartagena zwar machbar, in einem Tag keinesfalls zu schaffen. Wie recht sie hatte, Luis wurde uns von ihr und anderen Reisenden empfohlen und wir möchten das gerne weitergeben. Trotz seiner nicht geringen Gebühren spart er Zeit, Nerven und auch Geld, denn jede Nacht im Hotel kostet nun mal. Statt Taxen zu bezahlen werden wir im Firmenauto umhergefahren. Luis’ Pauschalgebühr beträgt 170 $. Jo und Ray, eine holländisches Paar aus Deutschland, das seinen Camper auf dem gleichen Schiff transportiert, hat sich uns angeschlossen. Dafür nimmt Luis nur 10 $ mehr und wir können uns die Kosten teilen – ein faires Angebot. Dazu kommen jeweils um die 100 $ für die Ausstellung des endgültigen Bill of Lading sowie Hafengebühren.

An Papieren benötigt man Reisepass, den vorläufigen und anschließend den endgültigen Bill of Lading. Was man abschließend erhält, ist das wichtige Zollpapier für das Fahrzeug. Für den Hafen (nur Fahrzeugeigner) sollte man lange Hosen und geschlossene Schuhe tragen, sonst könnte der Zutritt verweigert werden, außerdem benötigt man einen Nachweis über eine Krankenversicherung, die kontrolliert werden kann oder nicht. Unter normalen Umständen hätten wir Arminius an einem Freitag vermutlich trotzdem nicht in Empfang nehmen können. Da Montag jedoch ein lokaler Feiertag ist und Behörden geschlossen bleiben, will der Zoll noch vor dem langen Wochenende soviel wie möglich erledigen. Grund ist auch, dass ab dem dritten Tag nach dem Abladen Hafengebühren (von ca. 15 $ pro Tag für ein Fahrzeug) anfallen.

Das Hotel Bellavista im Stadtteil Marbella am Karibikufer bietet neben einfachen Zimmern (DZ 70.000 COP mit Ventilator, 80.000 mit AC, ohne Frühstück) Camping auf seinem ummauerten Parkplatz an. Sicht aufs Meer gibt es daher am Parkplatz keine, aber eine sichere schattige Stellmöglichkeit in Stadtnähe. Die 30.000 Peso ohne bzw. 40.000 mit Stromanschluss (ca. 12 bzw. 16 Euro) wirken überzogen, da man dicht zwischen anderen parkenden Fahrzeugen steht und das Ganze mit Camping wenig zu tun hat. Hier bezahlt man eben die Lage (am Strand gegenüber gibt es Sonneschirme und man könnte baden, wenn man über die Wasserqualität nicht nachdenkt). Wasser für den Tank ist vorhanden, Dusche (Kaltwasser) und vor allem Toilette sind in fragwürdigem Zustand, doch das Personal ist freundlich. Anmeldung ist wegen begrenztem Platzangebot unbedingt empfohlen (www.htbellavista.com). GPS: N 10°26’05.8’’ W 75°32’18.1’’

Cartagena de Indias, Kolumbien – Flug auf den neuen Kontinent

Donnerstag, Oktober 13th, 2011

Wir fliegen nach Kolumbien. Die RoRo-Fähren nehmen aus versicherungstechnischen Gründen keine Passagiere an Bord. Am günstigsten ist die Buchung per Internet mit COPA Air (ca. 30 $ günstiger als am Schalter, die in vielen Malls zu finden sind), der zweite Anbieter Avianca ist meist teurer. Die Preise schwanken etwas, für ein Hinflugticket muss man um die 350 $ rechnen. Wir fliegen über Bogotá, was die Flug- und Reisezeit zwar verlängert, aber nochmals günstiger ist. Dabei überfliegen wir den Darién und wissen nun, dass wir da ganz bestimmt nicht durchfahren wollen, in der Regenzeit ein Ding der Unmöglichkeit: Die hügelige Dschungellandschaft ist durchzogen von unzähligen mäandernden Flüssen, größere, tiefer liegende Gebiete haben sich in Sümpfe verwandelt.

An drei verschiedenen Stellen erkundigen wir uns, ob wir das Gepäck in Bogotá durch den Zoll schleusen müssen (die Standardprozedur) oder ob es bis Cartagena durchgecheckt wird. Einhellige Meinung: das Gepäck kommt erst in Cartagena aufs Band und muss dort durch den Zoll. In Bogotá liegt unsere Tasche natürlich bereits vor dem Gepäckband. Wir bringen sie durch den Zoll und geben sie am entsprechenden Schalter wieder ab. Soviel zur Kompetenz des Flughafenpersonals. Am Geldautomaten in Bogotá hebe ich mal eben 1.000.000 Peso ab und mache mich damit zur Millionärin. Das sind etwa 400 Euro (1 € entspricht etwa 2450 kolumbianischen Peso / COP) – viel zu viele Nullen für meinen Begriff.

Eine andere Möglichkeit, von Panama nach Kolumbien zu reisen ist eine Mini-Kreuzfahrt mit einem Segelschiff durch das San Blas Archipel. Diese Karibikinseln gehören zum autonomen Verwaltungsgebiet der Kuna-Indianer und sind touristisch noch relativ unerschlossen. Empfehlenswert soll der alte deutsche Segler Stahlratte sein (www.stahlratte.de), der auch Fahr- und Motorräder transportiert. Der vier- bis fünftägige Inseltörn kostet inkl. Verpflegung um die 450 $, dazu kommen An- und Abreise – kaum ein Unterschied, wenn man Flug- und Hotelkosten gegenrechnet. Leider endet die Fahrt an dem für uns passenden Termin auf der östlichsten San-Blas-Insel statt in Cartagena, daher hätten wir es nicht rechtzeitig zur Fahrzeugabholung geschafft.

Wir mieten uns ins Hotel Oceano ein wegen seiner halbwegs günstigen Lage zum Hafen und seiner erträglichen Preise (www.h-oceano.com). Die Zimmer sind einfach, modern und sehr sauber mit TV und Klima. Trotz Preisvereinbarung über unseren Agenten in Cartagena will man zunächst 120 US$ von uns, dann 65, schließlich gibt sich die Verwaltung mit den vereinbarten 57 $ fürs Doppelzimmer inkl. Frühstück und Steuern zufrieden. Zimmer mit Balkon gibt’s nach vorne zur Hauptstraße, nach hinten ohne Balkon und Aussicht ist es ruhiger. Das Preisniveau in Cartagena ist generell recht hoch, höher noch als in Panama City. In der Gegend um das Oceano gibt es kaum etwas, aber das hoteleigene Restaurant ist akzeptabel.

Colón, Panama – Im Dschungelzug nach Colón, der Stadt des Elends

Dienstag, Oktober 11th, 2011

Colón ist eine Insel. Eine Insel aus Armut und Elend, Hoffnungslosigkeit und Zerfall. Colón ist acht Straßen breit und 16 Straßen lang. Acht mal 16 Straßen Unwürdigkeit und Dreck, Kriminalität und Gewalt. Es ist kein Elendsviertel in einer Stadt, die Stadt IST ein Elendsviertel. Umgeben ist diese Insel von unverschämtem Reichtum, der keinen Tropfen davon durch die überwachten Zäune sickern lässt. Da ist zum einen der Panamakanal, der milliardenschweren Reichtum in die Taschen der jetzt schon Reichen spült. Insgesamt vier Häfen gehören zu den großen Warenumschlagplätzen dieser Erde. Und die Freihandelszone lockt Geschäftsleute und Geschäftemacher aus aller Welt an. Nur wenige der 65.000 Einwohner Colóns haben die Chance, einen schlecht bezahlten Job in einer dieser Wirtschaftszonen zu erhalten. Die anderen Arbeitskräfte kommen aus den besseren Gegenden um Colón oder pendeln täglich aus Panama-Stadt. Die Arbeitslosigkeit in Colón beträgt geschätzte 60 %, was unweigerlich zu Prostitution, Drogenproblemen und Gewaltverbrechen führt.

Die Bevölkerung ist fast ausschließlich schwarz, durchmischt mit wenigen Indianern und Einwohnern chinesischer Abstammung. Für den Eisenbahn- und später den Kanalbau hatte die Regierung jeweils Afrokariben als billige Arbeitskräfte angeheuert, die sich erhofft hatten, als Gastarbeiter Geld zu machen und später als „gemachte“ Leute ins Heimatland zurückkehren zu können. Daher integrierten sie sich kulturell nicht und lernten meist nicht einmal die Landessprache Spanisch. Später traf chinesische Gastarbeiter das gleiche Schicksal. Nachdem man sie nicht mehr brauchte, überlies man sie sich selbst. Ohne Geld, in die Heimat zurückkehren zu können, ohne Ausbildung und Einkommen, strandeten sie in Colón. Die Regierung, welcher Partei auch immer, zeigt kaum Interesse, die hochexplosive Lage der Stadt zu ändern. Fairerweise muss man zugeben, dass das auch für die meisten Bewohner gilt. Auch sie unternehmen keinerlei Anstrengung zur Verbesserung ihrer Lage. Resignation verbreitet sich von Generation zu Generation, und so stehen Schule, Ausbildung und Verbesserung der eigenen Chancen ganz unten auf der Prioritätenliste.

Heute kommen wir mit dem Zug in Colón an. Die ursprünglich für den Güterverkehr konzipierte Strecke bietet einen Personenzug morgens von Panama-Stadt in Richtung Norden und einen am Abend zurück an. Pendler nutzen ihn genau wie Touristen. Für 22 $ pro Person fährt man die 70 km einfach. Teuer zwar, aber dafür erhält man Einblicke, die man auf der Straße nie bekommt: Mehrfach kommt man dem Panamakanal und damit dem Schiffsverkehr nahe, man fährt mitten durch den Dschungel, und den Gatunsee überquert man auf einem Damm. Nach einer Stunde sind wir in Colón.

Ein Lichtblick in der Spirale des Elends sind die Sisters of Mercy, die Barmherzigen Schwestern. Wir erkennen sie sofort, als sie uns mit ihrem Auto vom Bahnhof abholen, obwohl sie keine Nonnentracht tragen. Ein praktischer Jeansrock, ein schlichtes T-Shirt und Birkenstockschuhe ersetzten die warme und unpraktische Uniform. Eine Kopfbedeckung gibt es nicht. Schwester Barbara und Schwester Dina sind die einzigen Nonnen, die sich um das von Barb, wie sie sich kurz nennt, gegründete Haus mit dem Namen MUCEC kümmern. Die beiden haben ihr Leben den Kindern und Frauen, den Armen und Ärmsten von Colón gewidmet. Wer sich nun frömmelnde Betschwestern vorstellt, die gütig und huldvoll Gaben verteilen, irrt völlig. Mitfühlend sind die beiden, und großzügig mit ihrer Liebe: Selbst die Kinder auf der Straße umarmen und küssen sie freudig. Ansonsten aber sind Barb und Dina ein resolutes, straff organisiertes Managerteam im täglichen Kampf um die Finanzierung des Projekts.

Nicht immer war die soziale Organisation in einem so modernen großen Haus untergebracht. Das neue gibt es erst seit zehn Jahren. Hauptanliegen der Barmherzigen Schwestern von Colón ist die frühkindliche Förderung von vernachlässigten, verlassenen oder unterernährten Kleinkindern, die sonst vielleicht auf der Straße landen würden. So wird so manches kleine Genie entdeckt, und zurückgebliebene Mädchen und Jungs können gezielt therapiert werden. Der Kindergarten betreut verschiedene Altersstufen. Ist die Freude am Lernen erst einmal geweckt, besteht eine gute Chance, dass die Kinder ihre Schulbildung beenden und vielleicht sogar später eine Universität besuchen. Das komplette Bildungssystem in Panama ist kostenlos, bei Bedürftigkeit unterstützt die Einrichtung mit Schuluniformen.

Die Schwestern suchen in der Stadt nach vernachlässigten Kindern, folgen Hinweisen und versuchen, die Mütter zu überzeugen, ihre Sprösslinge tagsüber der Obhut des Heimes zu überlassen. Mütter, die ihren Nachwuchs von sich aus in den Kindergarten bringen, werden nie abgewiesen. Gehen die Kinder später zur Schule, dürfen sie weiterhin zur Hausaufgabenbetreuung ins Heim kommen. In Panama wie im Rest Mittelamerikas können Schüler bzw. deren Eltern wählen, ob sie vor- oder nachmittags zum Unterricht gehen. MUCEC-Kinder können jeweils die andere Tageshälfte im Hort verbringen, was viele dem eigenen trostlosen Zuhause vorziehen. Ob Kindergartenhüpfer oder Schüler, ihre wichtigste Aufgabe sehen die Sisters of Mercy in der Verteilung von Essen. Jedes Kind erhält zwei Mahlzeiten täglich, und oft genug sind dies die einzigen zwei Mahlzeiten des Tages.

Die panamaische Gesellschaftsstruktur bedingt, dass Väter – Oberschicht ausgenommen – sich selten verantwortlich fühlen für ihren Nachwuchs. Selbst die meisten verheirateten Männer haben eine oder mehrere Freundinnen nebenher, mit denen sie ebenfalls Kinder zeugen. Ohne Geliebte gilt der Mann nicht als ganzer Kerl. Die Scheidungsrate ist hoch. Und so besitzt die Mehrheit der panamaischen Kinder nur einen, allein verantwortlichen weiblichen Elternteil. Diese „Normalität“ bedingt zumindest, dass Vaterlosigkeit sozial nicht ausgrenzt und gesetzlich nicht benachteiligt wird. Das Problem der Mütter Colóns ist, dass sie ohne Bildung und Selbstwertgefühl aufwachsen. Ihre Kinder zu ernähren, ist tägliche Herausforderung. Und so widmet sich MUCEC auch den Müttern, versucht ihnen Selbstbewusstsein zu vermitteln, das Selbstvertrauen, etwas lernen zu können und dies später auch anzuwenden. In einer Werkstatt wird den Frauen Nähen, Sticken und anderes Kunsthandwerk beigebracht, das sie später verkaufen können. Ein Vortrag jeden Freitag widmet sich speziellen Themen, die die Frauen interessieren könnten: Gesundheit und Hygiene, Erziehung, Yoga und anderes Fitnesstraining, es kann auch mal ein christliches Thema sein.

Nachdem wir sämtliche Hortgruppen besucht, umarmt und beknutscht haben – die Kinder sind extrem liebesbedürftig – geht es nach draußen. Schwester Barbara zeigt uns „ihre“ Welt. Vor der Tür sitzen drei Kunafrauen, nähen und verkaufen ihre Molas, genähte Bilder aus geometrischen Formen. Die Karibikindianerinnen tragen stolz ihre bunte Tracht: eine Bluse, die mit Molas verziert ist, einen kurzen engen Rock, der nur aus einem gewickelten Tuch besteht, sowie an den Unterarmen und Beinen bis in Wadenhöhe unzählige Reihen dünner Perlenketten, die sie nie ablegen. Ihr kurzer topfartiger Einheitshaarschnitt ist etwas gewöhnungsbedürftig, manchmal werfen sie zum Schutz vor der Sonne ein kleines Tuch darüber.

Nur wenige Meter weiter eröffnet sich das ganze Elend dieser Stadt. Halb eingefallene Häuser werden dennoch bewohnt, selbst wenn der Fußboden bereit ein gefährliches Loch aufweist. Kaum ein Haus ist in besserem Zustand. Jede Wohnung besteht aus einem einzigen, winzigen Zimmer, in dem eine ganze Familie kocht, isst, schläft. Stellenweise wurden simpelste Holzverschläge gebaut, die denselben Zweck erfüllen. Bäder gibt es keine. Für jeweils 50 bis 60 Bewohner gibt es zwei oder drei Gemeinschaftstoiletten und ebenso viele Duschen, die nicht funktionieren. Die Menschen hier haben nie gelernt, wie man eine Wasserspülung bedient. Fließendes Wasser ist ein Ereignis. Sofort werden die Bäder gestürmt, Kinder und Wäsche gewaschen. Trotz allen Drecks tragen die Bewohner erstaunlich saubere Kleidung.

Schwester Barbara stellt uns den Colónern als Familienmitglieder vor. Nicht, um uns zu schützen, das ist in ihrer Begleitung nicht notwendig, doch so erhalten wir mehr Respekt, dürfen ein paar Bilder schießen und die eine oder andere Tür öffnet sich unserem Blick. Wer es sich leisten kann, stellt sich ein Stockbett ins Zimmer, andere schlafen auf dem Boden. Möbel gibt es nur wenige, höchstens ein paar Matten und einen Gaskocher. Die Menschen mögen kein Geld fürs Essen zu haben, aber wer es irgendwie ermöglichen kann, kauft oder klaut sich einen Fernseher, dazu gibt es eine Satellitenschüssel. Der Strom, der in Panama sehr teuer ist, wird irgendwo illegal abgezapft. Miete bezahlen die meisten Einwohner nicht.

Barbara spricht mit einer ganz jungen Frau. Diese hat zwei Kinder und prostituiert sich. „Was soll ich machen“, sagt sie, „wie soll ich meine Babys sonst ernähren?“ „Ganz einfach“, meint Barb, „keine Kinder in die Welt setzen.“ Und das aus dem Mund einer katholischen Nonne. Eine ältere Frau sitzt rauchend auf einem Plastikstuhl am Bürgersteig. Genau diese Frau hatte Barbara vor ein paar Tagen um Kleidung angebettelt, die sie nicht bezahlen könne. Die Schwestern betreiben in ihrem Haus einen Secondhand-Laden, wo sie gespendete Kleidung für einen symbolischen Betrag verkaufen, doch nie umsonst hergeben – zu hoch ist die Chance der Ausnutzung. Wer nicht einmal 25 Cent erübrigen kann, putzt die Treppe oder wischt den Boden. Barbara verbirgt ihre Empörung und spricht die alte Frau an, der es offensichtlich peinlich ist, beim Rauchen ertappt worden zu sein. Geld für Luxusartikel auszugeben statt für lebensnotwendiges Essen kommt häufiger vor. Eine weitere als bettelarm bekannte Frau läuft uns über den Weg. Unter ihrem Kopftuch lugen rot gefärbte Zöpfchen heraus. Es gibt auch ehrlich verdientes Geld. Ein Mann verkauft Obst und Gemüse zu Billigstpreisen. Eine Frau hat sich ein Erdgeschosszimmer angemietet, kocht Suppe, und verkauft sie für 50 Cent pro Teller. Eine Familie züchtet Hühner. Sie schlachtet gerade ihren Hahn, der von einem Auto überfahren wurde.

Schwester Barbara kam erstmalig 1964 aus Brooklyn als junge Nonne an die Karibikküste Panamas. 1971 wechselte sie nach Chiriqui. Die dort lebenden Indianer baten sie, ihnen Lesen beizubringen. In der Konsequenz stellten sie fest, dass ihnen laut Arbeitsgesetz zustehende Leistungen für Überstunden oder Sonntagsarbeit als Erntehelfer nicht ausgezahlt wurden. Ihr Vorarbeiter behielt die Zulagen ein. Der Großgrundbesitzer machte Barb für die entstandenen Unruhen verantwortlich und beschwerte sich beim Bischof. Natürlich machte sie sich wenige Freunde auf diese Art. Eine Rückkehr in die USA kam für sie nicht in Frage und ihre einzige Chance erhielt sie 1985 im gewalttätigen Colón. Entsetzt über das Elend einer ganzen Stadt – das nach Abzug der Amerikaner noch schlimmer wurde – begann sie sofort mit dem Aufbau des MUCEC-Projekts, ihrem Lebenswerk. Auch heute noch steckt sie all ihre Energie in den täglichen Kampf um die Finanzierung und damit das Überleben des Heims. Schwester Dina ist ein Kind Colóns. Die studierte Psychologin stieß vor vielen Jahren zu Barbara. Ihre beiden Elternteile arbeiten ehrenamtlich, wie viele andere engagierte Bürger der Stadt, am Projekt mit.

Wer einen noch so kleinen Beitrag leisten möchte, diese beiden unglaublichen Frauen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, findet unsere E-Mailadresse auf unserer Website. Wir leiten Euch dann gerne die E-Mailadresse des Centers weiter oder helfen bei der Übersetzung, falls nötig.

Colón, Panama – Arminius auf Reisen

Montag, Oktober 10th, 2011

An diesem schweren Tag müssen wir uns vorübergehend von Arminius verabschieden. Wir bringen ihn in den Hafen von Colón, genauer gesagt Manzanillo, wo unser Agent auf uns wartet. Zunächst stempelt der Zoll das Fahrzeug aus dem Pass aus, dann zahlen wir 48 $ Hafen- und Desinfektionsgebühren. Im RoRo-Terminal werden zunächst die Fahrzeugidentität anhand von Kennzeichen und Fahrgestellnummer geprüft, der nächste Mitarbeiter macht eifrig Fotos, um ggf. Schäden – vorhandene oder spätere – nachweisen zu können. Der Zoll lässt das Fahrzeug von einem Drogenhund beschnüffeln, dann steigt ein weiterer Mitarbeiter ein und düst mit Arminius davon. Der Akt dauerte drei Stunden.

Der Agent fährt uns zum Busbahnhof, wo wir gleich in den Expressbus zurück nach Panama einsteigen können. Längere Zeit am Busbahnhof herumzuhängen empfiehlt sich nicht, die Gegend ist wenig vertrauenswürdig. Der eisig klimatisierte Expressbus fährt die 70 km nach Panama für 3,15 $ pP, braucht aber am Abend zwei Stunden, da der Verkehr in Panama City regelmäßig zusammenbricht. Zur Unterhaltung läuft währenddessen ein erbaulicher Horrorfilm, der sich durch besondere Blutrünstigkeit auszeichnet. Da der Ton laut gestellt ist, kann man sich dem Grauen nur schwer entziehen. Zum Glück sind keine Kinder an Bord. Unsere Gastgeber Lew und Sue waren so freundlich, uns eines ihrer Zimmer anzubieten, sodass wir uns die Hotelkosten in Panama City sparen können.

Übrigens ist der US$ in Panama seit 1904 offizielles Zahlungsmittel. Der Balboa wurde dem Dollar angeglichen. Nach wie vor werden Balboa-Münzen geprägt und gleichwertig mit Dollarmünzen verwendet, Scheine gibt es jedoch nur als US$.

Panama City, Panama – Ein Panamakanal-Schleppschiff in Aktion

Sonntag, Oktober 9th, 2011

Unser Gastgeber Lew ist von seiner Reise zurückgekehrt. Heute erfüllt er unseren langgehegten Wunsch, auf einem Schlepper auf dem Panamakanal mitfahren zu dürfen. Er selbst hat Spätschicht, und während der Dunkelheit dürfen keine Passagiere an Bord. Aber er arrangiert, während seiner Freizeit mit uns auf „sein“ Boot, die Cacique, zu gehen und ein paar Stunden mitzufahren, um die Arbeit eines Schleppers mitzuerleben. Sein 3000 PS starkes Boot „made in Germany“ wird bei Vorwärtsfahrt von einem relativ nah am Bug unter dem Boot befindlichen ausgeklügelten Antriebssystem „gezogen“, was es enorm manövrierfähig macht. Natürlich kann es genauso gut rückwärts fahren.

Die Aufgabe eines Schleppers am Panamakanal besteht normalerweise nicht im Schleppen von Schiffen. Sämtliche Frachter, Passagier- oder Kriegsschiffe fahren mit eigenem Antrieb durch den Kanal, in die Schleusen und wieder hinaus. Da das alles so zügig wie möglich erfolgen soll, haben vor allem die großen Panamaxschiffe nicht genügend Raum zum Manövrieren. Die Schlepper haben die Aufgabe, die großen Pötte dabei zu unterstützen und sie jeweils in die richtige Richtung zu bringen. Das kann durch Zug über Seile erfolgen, mit denen die beiden Schiffe verbunden sind oder schlicht durch „Anschubsen“ vom Heck oder der Seite. Der Schlepper ist zum Schutz von allen Seiten mit dicken Gummipuffern umgeben. Die Seile, die er zum Lotsen benutzt, sind bedenklich dünn. Doch das hochmoderne leichte kevlarähnliche Material ist extrem reißfest und sogar schwimmfähig.

Der Lotse bzw. Pilot, wie man ihn hier nennt, der auf jedem den Kanal passierenden Schiff mitfährt, koordiniert alles und gibt Anweisungen sowohl an die Schlepperkapitäne als auch an die Lokomotivführer in den Schleusen. Er kennt die besonderen physikalischen Fahreigenschaften des Kanals. Weltweit ziemlich einmalig dürfte sein, dass der Lotse den Kapitän bei seinen Fahrmanövern nicht berät, sondern das Oberkommando über Schiff und Crew übernimmt und Order gibt (und dafür die Verantwortung trägt). Für viele Kapitäne ist das gewöhnungsbedürftig.

Vom Südende des Panamakanals bringen wir einen Panamax-Containerfrachter in die Miraflores-Schleusen und eilen zurück. Das Tankschiff jetzt ist etwas kürzer, daher passen die beiden Schlepper – es arbeiten immer zwei zusammen – mit in die Schleusenkammer und wir können noch einmal diesen Vorgang aus Schiffsperspektive erleben. Anschließend assistieren die Schlepper, den Tanker auf dem Miraflores-See in „Parkposition“ zwischen die Mooringbojen zu bringen, wo er bis zum Abend warten wird, da sich in der Zwischenzeit – seit unserem Start heute Morgen sind gute vier Stunden vergangen – die Fahrtrichtung auf dem einspurig befahrbaren Kanal wie immer zu Mittag geändert hat. Auch unsere Cacique fährt jetzt an den Kai und hat dort eine gute Stunde Zeit für Wartungsarbeiten, bis der Kanalverkehr aus der Gegenrichtung hier ankommt und der Schlepper seinen Dienst wieder aufnimmt. Wir nutzen die Gelegenheit und gehen vor Bord.

Panama City, Panama – Überfall auf Polizeiparkplatz

Freitag, Oktober 7th, 2011

Wir hätten auf Evelyn hören sollen. Sie sagte uns, dass wir um 10 Uhr an der Polizeistation sein sollen, da ausschließlich zwischen 10 und 11 Uhr die Kontrolle des Kennzeichens und der Fahrgestellnummer erfolgen, was für die Ausfuhr des Fahrzeugs per Schiff notwendig ist. Anschließend erfolgt angeblich eine Prüfung über Interpol, ob das Fahrzeug in irgendwelche Straftaten in Mittelamerika verwickelt war. Das Ergebnis bzw. die Ausfuhrerlaubnis gibt es am Nachmittag. Wir sind zu früh am Morgen da, also warten wir eben. Ein Beamter scheucht uns aus unbekannten Gründen in den hinteren Teil des Parkplatzes, was noch Folgen haben wird. Hier gibt es einen Durchgang auf die Straße hinter dem Parkplatz, wo direkt eines der ganz üblen Elendsviertel von Panama beginnt. Während wir bereits die Fahrerkabinentüren zur Inspektion geöffnet haben, aber noch warten, tauchen auf der mir abgewandten Fahrzeugseite dunkle Füße unter dem Truck auf, die da nicht hingehören. Ich eile dazu, aber der Mann bleibt ganz ruhig, es fehlt auch nichts (hätte eh nur meine Turnschuhe klauen können). Trotzdem knalle ich die Tür erst mal wieder zu. Ein Vorbote? Ein Spion?

Zu einem beliebigen Zeitpunkt nach 10 Uhr beginnen die Beamten der Policia Nacional mit der Inspektion der Fahrzeuge, unseres zuletzt. Es dauert nicht lang, und ich will schon einsteigen. Daher gilt nicht mehr meine volle Aufmerksamkeit meiner Umgebung und ich registriere nicht, dass zwei Afroamerikaner zügig auf mich zukommen. Plötzlich zerrt einer an meiner Handtasche und versucht sie wegzureißen. Idiot! Das geht nicht, die Tasche ist fest mit mir verbunden und hat einen Träger schräg über den Körper, einen zweiten um die Hüfte. Da muss er mich schon mitnehmen, was er ganz sicher nicht will. Diese besondere „Handtasche“ erstand ich in Voraussicht auf mögliche Räuber im berüchtigten südlicheren Kontinentteil in einem Armeeshop in den USA und nannte sie von Anfang an „Mittelamerikatasche“. Hätte der Dieb richtig hingeschaut, hätte er zumindest den Schräggurt sehen können und gewusst, dass er die Tasche nicht einfach wegziehen kann. Auch ein Durchschneiden der Gurte ist schwierig, da sie aus stabilem Cordura und es eben zwei sind.

Alles geht sehr schnell. Jörg stößt den zweiten Angreifer zur Seite und wirft sich zwischen den ersten und mich. Auf einmal sind viele Hände im Spiel, Jörg und ich bekommen jeweils einen kleinen Hieb auf die Wange, was zunächst folgenlos bleibt. Nachdem die erste Schrecksekunde überwunden ist, gehen wir zum Gegenangriff über und drehen den Spieß um. Wir versuchen, die erfolglosen Handtaschenräuber zu fangen, brüllen laut und jagen sie. Die beiden Kerle brüllen auch, jetzt vor Angst, und laufen davon wie die Hasen. Sie sind klug und teilen sich auf. Jörg ist schnell, hat sich aber den falschen ausgesucht, der schneller ist. Der andere fällt über ein parkendes Auto stürzt auf die Straße. Ich aber mit meinen „feinen“ Sandalen, die ich mir extra für den Polizeibesuch angezogen habe (zum Thema Kleidung später noch mehr), bin einfach zu langsam. Die beiden jungen Männer verschwinden in einem Hausdurchgang genau gegenüber dem Parkplatzzugang. Na, wenigstens haben wir ihnen einen Schreck eingejagt und gezeigt, dass nicht alle Touristen einfache Opfer sind. Die anderen am Rand des Viertels herumsitzenden Afroamerikaner, die dem Treiben seelenruhig zugesehen haben, stoppen uns jetzt und raten uns, nicht weiter zu laufen. Sie befürchten wohl, dass wir auf unserer Verfolgungsjagd ins Elendsviertel hineinrennen wollen. Das haben wir bestimmt nicht vor.

Was aber ist mit den Polizeibeamten, die zwecks Fahrzeuginspektionen nur wenige Meter entfernt auf dem Parkplatz stehen? Erst einige Zeit, nachdem wir wieder bei Arminius sind, kommen sie in aller Ruhe angeschlendert. Sie haben lange genug gewartet um sicherzustellen, dem Treiben nicht in die Quere zu kommen. Uninteressiert fragen sie, was los ist. Danach befehlen sie uns, jetzt sofort abzufahren, denn dies wäre kein sicherer Platz. Ach so? Ich echauffiere mich etwas. A: wollten wir eigentlich gerade abfahren und B: warum befindet sich die Polizeistation dann hier und ich werde gezwungen, mich an einen solchen Ort zu begeben? Die Antwort bleibt aus. In Anbetracht der Tatsache, dass der Überfall am helllichten Tag auf dem Parkplatz der Nationalpolizei stattfand und die Beamten es sicher verstanden, nicht in den Vorfall verwickelt zu werden, darf man sich die berechtigte Frage stellen, kollaborieren die Polizisten mit den bösen Buben? Schwer zu sagen, aber zumindest muss eine gewisse Toleranz solcher Geschehnisse auf Seiten der Polizei vorliegen, sonst hätten sie sich etwas engagierter verhalten.

Blöd ist natürlich auch, dass man für den Besuch der Polizei ggf. Reisepass und weitere Papiere braucht, und daher irgendeine Art von Tasche fast schon nötig ist. Jedenfalls ist dies eine Warnung an alle Reisenden, auf diesem Parkplatz ganz vorne stehen zu bleiben, egal was die Beamten befehlen, Türen verschlossen zu halten und Wertsachen wie auch immer gut zu sichern. Waffen jeglicher sind in dem Fall völlig zwecklos, da das Überraschungsmoment auf Seiten der Räuber liegt. Prävention und, wenn man schnell reagiert, beherztes Zutreten oder Schlagen oder schlicht Geschehenlassen, falls man das bevorzugt, sind wohl die einzigen Dinge, die man tun kann.

Wir wollen keinesfalls einen falschen Eindruck von Panama erwecken, denn das Land hat sich nach dem Noriega-Regime und der gewalttätigen Zeit der US-Intervention beruhigt und gehört zu den sichereren Ländern auf diesem Kontinent. Dennoch gibt es zwei Problemzonen. Das ist Panama City, wo die Differenzen zwischen Arm und Reich extrem sind und die verschiedenen Welten in aneinandergrenzenden Vierteln aufeinanderprallen. Die „guten“ Viertel gelten als sicher, die „schlechten“ sollte man schlicht nicht betreten. Die Hafenstadt Colón auf der Atlantikseite ist seit jeher verschrien mit extrem hoher Arbeitslosigkeit, existentieller Armut und demzufolge extrem hoher Kriminalität. Die Regierung – welche Partei auch immer am Ruder ist – zeigt kein Interesse am Abbau der dortigen Probleme.

Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums der Albrook Mall stellt Jörg plötzlich fest, dass seine Brille weg ist. Im Kampf verloren. Wir fahren zurück. Die Beamten dort schieben schon Panik, weil wir wiederkommen. Für die nächsten Stunden lassen sich sicher erst mal keine Diebe sehen, daher liegt die Brille friedlich auf dem Parkplatz, wo Jörg sie glücklich wieder einsammelt. Während der Wartezeit auf das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen versuche ich, zurück im Einkaufszentrum, ein paar Wandersandalen als Ersatz für meine im Zerfall befindlichen zu erstehen. Wandern ist in diesem Land nicht vorgesehen, schon gar nicht für Frauen. Die schieben höchstens ihre dicken Hintern auf Highheels (so ziemlich das einzig erhältliche) auf einen Autositz. Also keine Schuhe.

Für halb drei Uhr wurden wir in ein anderes Polizeibüro auf der gegenüberliegenden Seite des „Ortes des Verbrechens“ bestellt, das Secretaría General der Nationalpolizei. Zum Betreten des Gebäudes muss man lange Hosen und geschlossene Schuhe tragen, sonst wird man nicht reingelassen. Damen dürfen natürlich auch mit Rock erscheinen, und die Schuhfrage wird nicht so eng gesehen, solange sie schick sind. Bei der Anmeldung sollte man nicht seinen Reisepass, sondern einen anderen Ausweis hinterlegen, den Pass braucht man noch. Die Dame hinter dem Schalter schaut streng, bei unpassender Kleidung abschätzig. In Panama wird, wie in ganz Mittelamerika, auf angemessene Kleidung geachtet, vor allem bei offiziellen Angelegenheiten. Für allzu legere, schmutzige, schlampige oder gar löchrige Kleidung, die manch europäischer Reisender als cool empfindet, hat man hier keinerlei Verständnis. Die Dame kann den Prozess des Wartens erheblich hinauszögern, wenn sie jemanden nicht mag, aber heute ist Freitag, sie will um drei Feierabend machen und arbeitet zügig. Wichtig ist, alle notwendigen Papiere (erklärt alles Evelyn) im Original und als Kopie bei der Hand zu haben. Wir erhalten die notwendige Bestätigung, dass wir keine Bösewichter sind und innerhalb von acht Tagen das Fahrzeug aus dem Land exportieren können.

Zum Abschluss dieses aufregenden Tages begebe ich mich in die Hand eines schwulen Friseursalons. Die Jungs machen das ganz prima, wenn auch mal wieder zu kurz. Egal, der Typ nennt mich immer „Babe“, als wäre ich 20, und das Ergebnis ist schick.

Panama City, Panama – Das Paket (Fortsetzung II und Ende) und eine perfekte Evelyn

Donnerstag, Oktober 6th, 2011

Evelyn Batista von Wilhelmsen Ship Service / Barwil Agencies in Howard enttäuscht uns nicht. Sie ist vorbereitet und hat auf alle Fragen eine Antwort auf einem meist schon ausgedruckten Formular bei der Hand. Wir erhalten Stadtpläne, teils sogar GPS-Daten für alle wichtigen Ämter, eine schriftliche sowie zusätzlich mündliche Anleitung, in welcher Reihenfolge wir wohin müssen. Sie fertigt alle notwendige Kopiesätze an und hilft bei weiteren Anliegen weiter. Dass sie dazu auch noch nett ist, ist schon fast zuviel des Guten für einen in Zentralamerika nicht verwöhnten Reisenden.

Das echte Abenteuer wartet aber auf dem Postamt. Diesmal beschließe ich, einen Taxifahrer vor dem Postamt auf mich warten zu lassen. Der Preis ist ausgehandelt, da ich keine Lust habe, anschließend in dem Armutsviertel mit zwei Paketen in der Hand herumzulaufen und auf ein Taxi zu warten. Ich könnte mich dann ja nicht einmal wehren, außer mit Marmeladengläsern zu werfen, die vermutlich in einer der beiden Sendungen stecken. Auf der Post tippt der Beamte immer und immer wieder in seinem Computer herum, um die Paketnummern ausfindig zu machen. Irgendwann wird es mir zu bunt. Ich mache ihn auf ein Paket am Boden aufmerksam, auf dem ich das typisch deutsche Posthorn am Aufkleber erkennen kann. Das Wunder geschieht: Beide Pakete sind da, aus Deutschland in einem chaotischen Entwicklungsland angekommen, wo keine Pakete ausgeliefert werden und wo sie zunächst in einem völlig anderen Postamt in einer mehrere Stunden entfernten Stadt gelandet sind.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Zunächst muss ich an der Kasse eine Bearbeitungsgebühr von 50 Cents bezahlen. Von drei Kassen ist eine besetzt, die anderen Beamten sitzen irgendwo Nase bohrend herum. Selbst die Panamaer in der langen Schlange scharren ungeduldig mit ihren Füßen. Zum Glück bemerke ich, dass der Postbeamte nur ein Paket auf meinem Formular eingetragen hat und ich lasse das korrigieren. Die Schlange lässt mich wieder an meine alte Warteposition zurück. Die Sendungen liegen bereits bei der Zollbeamtin an der Aduana, die die Pakete öffnet. Da haben wir das nächste Problem: Für Lebensmittelsendungen (ein Paket ist tatsächlich voll mit hausgemachter Marmelade) benötigt man eine Ausnahmegenehmigung des Hygieneministeriums. Und auf dem zweiten Paket ist kein Warenwert angegeben, um die Zollkosten zu errechnen. Zum Glück hatte ich die Aduanadame bei jedem Besuch vorsorglich freundlich angelächelt. Schließlich einigen wir uns, dass das prekäre Paket keinerlei Lebensmittel enthält und die andere Sendung den gleichen Warenwert besitzt wie das erste. Warum unabänderliche Dinge verkomplizieren? Trotzdem kommt’s jetzt dicke: Sowohl auf den gesamten Warenwert wie auch auf die in Deutschland bezahlten Paketgebühren (!?!) wird zunächst ein geringer Versicherungsaufschlag erhoben, dann 10 % Zollgebühren und anschließend 7 % Umsatzsteuer. Ich zahle.

Mein Spanisch mag nach wie vor jedem Muttersprachler die Haare zu Berge stehen lassen, aber ohne Sprachkenntnisse kommt man ab Mexiko einfach nicht mehr durch, es sei denn, man holt sich jedes Mal Übersetzungshilfe. Und liebe Ursel und Volker, danke für Eure humanitäre Hilfsmarmelade, die sollte nun wenigstens bis Patagonien reichen.

San Carlos, Panama – Fährverfehlungen

Montag, Oktober 3rd, 2011

Es ist keine Freundensmeldung, die uns heute erreicht: Unsere Fährüberfahrt nach Kolumbien wurde erneut verschoben, diesmal auf den 12.10. Die schön einmal umgebuchte Fähre (das betraf uns allerdings nicht) wurde für uns zunächst auf den 2., dann auf den 7.10. angesetzt. Ein Gutes hat der ganze Ärger doch: Wir entschließen uns, ein weiteres Angebot einzuholen. Das Unglaubliche geschieht: Das neue Angebot ist nicht nur um 500 $ günstiger (warum erfragen wir besser nicht), sondern endlich verhandeln wir mit der Person, die von so vielen anderen Reisenden empfohlen wurde und die für Schnelligkeit und Professionalität bekannt ist: Evelyn Batista von Wilhelmsen Ship Service / Barwil Agencies in Howard bei Panama-Stadt (Evelyn.Batista@wilhelmsen.com). Ironischerweise galt Evelyn unsere erste Anfrage, doch die E-Mail wurde von einem anderen Mitarbeiter beantwortet, der uns damals ein teureres Angebot unterbreitete.

Der beste Preis für die RoRo Überfahrt beträgt derzeit inkl. Bunkerzuschlag (!) US$ 61,50 pro Kubikmeter plus 50 $ Dokumentation zzgl. Hafengebühren in Colón und Cartagena. Bei allen anderen Angeboten wurde der Bunkerzuschlag (auch BAF, das gleiche wie Kerosinzuschlag beim Fliegen, Aufschlag für gestiegene Kraftstoffkosten und abhängig vom aktuellen Rohölpreis) separat dazugerechnet, sodass wir trotz niedrigerem Kubikmeterpreis (55 $ plus 25 % BAF) im Endeffekt teurer kamen. Wichtig ist auch zu wissen, dass jede Fähre andere Preise haben kann und der Bunkerzuschlag bei niedrigerem Rohölpreis sinken kann. Verschiffungsagenturen werden Kunden in der Regel auf höhere Preise hinweisen, auf sinkende vielleicht nicht. Evtl. lohnt sich also bei Terminverschiebungen eine Nachfrage, ob das neue Transportmittel günstiger ist. Bei sinkenden Spritpreisen an Tankstellen könnte man auch den Bunkerzuschlag erneut anfragen.

El Valle, Panama – Sonntagsmarkt in El Valle

Sonntag, Oktober 2nd, 2011

El Valle de Antón ist ein Bergdorf nur 25 km von San Carlos entfernt. Die meisten (amerikanischen) Panamaer brechen in Entzücken aus, wenn das Gespräch darauf kommt. Es ist nett da, viele wohlhabende (amerikanische) Rentner haben sich hier niedergelassen, nirgendwo sonst ist die Porsche-Cayenne-Dichte so hoch wie hier. Insgesamt aber ist das Dorf ein wenig überbewertet. Die Berglandschaft ist hübsch, dank des kühleren Klimas im Tal von El Valle wachsen hier Pflanzen, Obst- und Gemüsesorten, die anderswo nicht gedeihen. Sonntags gibt es einen kleinen, nichtsdestoweniger berühmten Markt, auf dem ein paar Früchte mittlerer Qualität und Kunsthandwerk aller Art verkauft wird. Größtenteils handelt es sich um international erhältlichen Touristenkitsch, aber es gibt auch Landestypisches wie hochwertige, wasserfest geflochtene Teller und Körbe oder Schnitzereien aus Tagua, der Steinnuss der Elfenbeinpalme, die in Härte und Farbe echtem Elfenbein ähnelt. Die Molas der Kuna-Indianerinnen sind bunte Stoffbilder, bei denen aus kontrastfarbigen Baumwolltüchern durch Ausschneiden und Umsäumen dekorative Muster entstehen. Nicht fehlen darf natürlich der Panamahut, ein leichter breitkrempiger Strohhut, dessen Ursprung trotz seines Namens nicht in Panama liegt, sondern in Ecuador. Die meisten Souvenirs sind günstiger bis wesentlich billiger als in Panama-Stadt.

San Carlos, Panama – Das Strandhaus

Samstag, Oktober 1st, 2011

Unsere Gastgeber Lew und Sue besitzen ein Strandhaus eine Stunde westlich von Panama Stadt. Sie selbst benutzen es nur selten, aber Robin wohnt hier, der nach einigen Rentnerjahren in Texas doch wieder nach Panama zurückkehrte. Wie der Zufall es will war er Kanalfeuerwehrmann und hatte früher mit unserem Freund Wallace aus Washington State zusammengearbeitet. Robin kümmert sich um das Haus, beaufsichtigt den Gärtner und ist froh um etwas Gesellschaft. Der fünf Minuten entfernte Pazifikstrand ist steinig und verschwindet bei Flut völlig, dafür gibt es im Garten einen kühlen Pool. Die Temperaturen sind hier draußen erträglicher als in der Stadt, denn die Regenzeit beginnt schon unzuverlässig zu werden: Einmal regnet es drei Tage gar nicht, und oft finden die Niederschläge jetzt morgens statt abends statt. Das wird bis Dezember so andauern. Trockenzeit ist nur von Januar bis März.