Archive for März, 2012

Arequipa, Peru – Flamingos und Elefantenrennen

Freitag, März 30th, 2012

Peru ist nicht gerade gesegnet mit Wildtieren. Die Küste ist bewohnt oder mit Hühnerfarmen zugepflastert. Dei Anden sind leer gejagt und -gefressen. Umso mehr genießen wir unsere Fahrt durch die Berge. Immer wieder kreuzen scheue Vikunjas unseren Weg, drei Kondore kreisen ganz umsonst für uns. An einem roten Salzsee lebt eine kleine Kolonie Flamingos. Es ist schon seltsam, Vögel, die für uns (fälschlicherweise) Tropen und Hitze symbolisieren, auf kalten 4.200 m zu sehen. Die quietschrosa Wasservögel staksen durch die salzige Lagune, den Schlamm nach Plankton durchkämmend. Ein paar grau gefiederte Jungtiere sind auch dabei. Die poppige Gefiederfarbe erhalten sie erst im Laufe der Zeit durch Farbstoffe, die sie mit ihrer Nahrung, vor allem aus bestimmten Algensorten, zu sich nehmen.

Die 120 km Schotterstraße von Huambo zur Panamericana sind gut befahrbar. Mehrfach überqueren wir Pässe auf gut 5.000 m Höhe. Als sich die Piste endgültig von den fast vegetationslosen Höhen verabschiedet, durchqueren wir eine Vielzahl von Klimazonen: Auf Gras folgen Krüppelbäume, dann Kakteen, schließlich trockene oder auch bewässerte und landwirtschaftlich genutzte Wüste, durch die ein scharfer, doch warmer Pazifikwind pfeift. Die Temperatur steigt auf 29°. Sonne, Wärme und Sauerstoffüberschuss lassen uns übermütig werden. Mit 90 Sachen sausen wir über die breite Wellblechpiste hinweg. Auf der brettlebenen Panamericana angekommen, immerhin noch 1.500 m über dem Meeresspiegel, fordert uns der Fahrer eines leeren Lkw zum Rennen heraus, was wir mit 130 zu 120 km/h gewinnen – nach GPS, nicht nach Tacho! Die Crew auf der Ladefläche feuert uns begeistert an und winkt beim Überholen mit einer imaginären Zielflagge.

Für die Zweifler unter Euch: Wir werden ein Beweisfoto nachreichen, aber erst, wenn wir die neuen Reifen haben und in Meeresnähe sind, dann wird das Ergebnis dank größeren Abrollumfangs und höheren Sauerstoffgehalts noch spektakulärer ausfallen. Ansonsten aber müssen wir sagen, dass das Befahren enger, steiler, unbefestigter Bergstrecken trotz Steinschlag-, Erdrutsch- und Abbruchgefahr weit sicherer ist, als sich mit den Fahrern auf der PanAm und dem Highway nach Arequipa herumzuschlagen. Haarsträubende Überholmanöver und egozentrisches Kreuzung versperren begleiten uns in Perus zweitgrößte Stadt hinein.

Wir schaffen es unfallfrei bis ins Zentrum, wo das Hostal Las Mercedes Camping im Innenhof anbietet – Arequipas einzige Möglichkeit. Das Hostal liegt günstig zentrumsnah, zu unserem Leidwesen an einer vielbefahrenen Hauptstraße. Der Campingbereich auf Rasen liegt hinter einer Mauer direkt neben der lauten Straße, für uns Naturfreaks kaum mehr als eine Nacht ertragbar. Mittlerweile jedoch nutze ich südamerikanischen Machismo – das stolze Betonen vermeintlich männlicher Stärken – schamlos aus, macht er doch eine Hälfte der Bevölkerung leicht manipulierbar. Ich schließe schnell Freundschaft mit dem Rezeptionisten. Wir dürfen direkt neben dem Hotelgebäude hinter einer Art Wall parken. Das ist nicht nur weiter von der Straße entfernt, der Wall hält den Schall zusätzlich ab. Außerdem haben wir hier vollen WiFi-Empfang, der im Camperbereich auf Null sinkt. Der Einheitspreis inkl. Wasser, Strom, Toilette, heißer Dusche und Internet beträgt 22 PEN pro Person und Nacht. Das Personal ist freundlich, Camper werden wie Gäste behandelt. Hostal Las Mercedes, Arequipa: S 16°24’02.7’’ W 71°32’31.2’’.

Cañon de Colca, Peru – Der wahre König der Lüfte

Donnerstag, März 29th, 2012

Kondore halten sich nicht an Zeitpläne oder Reiseführer. Um 7 Uhr tut sich noch nichts, auch um 8 Uhr noch nicht. Erst um halb neun ist es warm genug, dass sich der erste langsam kreisend in die Luft schraubt. Die majestätischen Vögel benötigen Thermik, die jetzt in Form eines kräftigen Aufwinds vom Talboden her hoch bläst. Fliegen ist bei bis zu 3,20 m Flügelspannweite zu energieaufwändig. Elegant segelnd fast ohne Anstrengung lässt sich der Welt größter Greifvogel in Höhen über 5.000 m tragen, von wo aus er Ausschau nach Aas hält.

Trotzdem bleibt der Andenkondor ein Raubvogel und ist durchaus in der Lage, ein Schaf oder ein junges Kleinkamel zu reißen. Jahrhundertelang (insbesondere seit der spanischen Eroberung) wurde er dafür von den Bauern gejagt und fast ausgerottet. Dabei bevorzugt der Vogel Aas und räumt Kadaver weg. Der männliche Andenkondor wiegt bis zu 15 kg, Weibchen sind etwas leichter. Mit unseren Altweltgeiern ist er nicht verwandt, dafür mit den Störchen.

Die schwarz-grauen Vögel bleiben lange bei uns. Selbst um die Mittagszeit noch erheben sich Spätaufsteher in den blauen Himmel. Eine kleine pummelige falbfarbene Wildkatze versteht es bestens, von den staunenden Massen nicht gesehen und fotografiert zu werden. Am Canyonrand tummeln sich Viscachas. Viel zu spät können wir uns von den Luftgleitern trennen. Nur 60 km weit kommen wir an diesem Tag auf der Erdpiste weiter, vorbei an Hängen, die mit unzähligen Terrassenfeldern übersät sind, die seit der Inkazeit in Schuss gehalten werden. Kurz hinter Huambo gibt es eine alte unbenutzte Fluglandepiste, auf der wir es uns für die Nacht gemütlich machen.

Kaum zwei Stunden später klopft es dezent an Kabinenwand. „Polizei!“ ruft es, als ich das Fenster öffne. Die beiden armen Beamten müssen in ihren Capes im strömenden Regen Streife laufen. Ich weiß nicht, was sie gedacht haben, jedenfalls sind sie erleichtert, dass wir Touristen sind. Die Gegend sei gefährlich, Viehdiebstahl, Wilderei, Raub und sogar Mord gebe es hier. Ich vergesse zu fragen, wann das letzte Mal etwas passiert ist. Für Peruaner ist immer alles schrecklich gefährlich. Am liebsten hätte man uns stets auf der Plaza de Armas, dem zentralen Platz mitten im Ort. Bestimmt ein sicherer, wenn auch nicht unbedingt ruhiger Ort zum Übernachten. Ich glaube, das peruanische Volk ist noch immer traumatisiert von der Zeit, als Sendero Luminoso das Land mit Gewalt überzog. So gefährlich scheint die bewachsene Landebahn dann doch nicht zu sein, denn wir werden nicht vertrieben. Wir sollten vorsichtig sein und uns gut einschließen, werden wir gemahnt. Machen wir. Und jetzt, wo die beiden Streife laufen, können wir ja beruhigt schlafen. Wer sich’s auch traut: S 15°44’40.3’’ W 72°06’46.1’’.

Cañon de Colca, Peru – Bei Nacht und Nebel

Mittwoch, März 28th, 2012

Es gibt eine Abkürzung. Von der Straße PE 30A Juliaca-Arequipa in Richtung Colca Canyon geht von Imata eine kleine Schotterpiste nach Chucura, was die Kilometerzahl von hier halbieren würde. Zu zweit (mit dem schweizerischen MAN) ist man natürlich mutiger, trotzdem erkundige ich mich in Imata beim einzigen Mann, den ich finden kann, nach dem Straßenzustand. Der Mann sieht mich etwas verstört an, was schon Alarmglocken schrillen lässt, aber er meint, die Straße wäre „norrmall“ – ein hübscher peruanischer Ausdruck, den wir öfter zu hören bekommen, vor allem wenn es um Straßen geht. Also los geht’s. Nach nur wenigen Kilometern wirkt der Weg verdächtig unbefahren, wir müssen uns eine Furt durch einen Fluss suchen, da es auf Straßenhöhe nur eine Abbruchkante gibt. Wir kommen nicht weit, da endet die Piste in einer Wasserfläche: ein Stausee, der auf unseren Karten und Navigationssystemen nicht vermerkt ist.

Wir kehren zurück zur letzten Abzweigung, nehmen einen anderen Trail und finden schließlich hinter der Staumauer unsere alte Route wieder. Nach etlichen Kilometern versperrt uns eine Bake erneut den Weg – ein weiterer Stausee, wie wir erfahren. Was nun? Ein vorbeikommender Pick-up-Fahrer zeichnet uns den „einzigen Weg“, wie er versichert, in den Sand. Seine Angaben stellen sich als präzise heraus, allerdings fahren wir im Endeffekt genauso viele Kilometer Schotter, wie wir auf Asphalt gefahren wären, brauchen aber doppelt so lang.

Zumindest die Landschaft war es wert: hoher weiter Altiplano, riesige Ebene mit hohen Bergen und Gletschern an den Horizonten, endlose Lama- und Alpakaherden vermischt mit wilden Vikunjas und zahllose Flussdurchfahrten. Die Route ist kompliziert und wegen der Kilometerzahl nicht unbedingt sinnvoll, aber eben off-road bzw. bei Imata könnte man in der Nähe des ersten Stausees nicht allzu weit von der Straße entfernt einen ruhigen Übernachtungsplatz finden (in der Gegend von S 15°49’17.8’’ W 71°08°52.6’’). Zurück auf der Straße finden wir Diana und Rüdiger aus Weiden mit ihrem Landrover am Wegesrand, die später den Nachtplatz mit uns teilen werden. Kurz darauf kommen uns Alexandra und Markus entgegen, die beiden Radfahrer, die wir bereits auf einem Campingplatz in einem Weinort südlich von Lima getroffen haben.

Bei Yanque fahren wir in den Cañon de Colca ein, hier befindet sich die Kontrollstation, wo der Eintritt entrichtet werden muss. Auch hier muss man ein Boleto Turistico lösen, das mittlerweile unglaubliche 70 Nuevo Soles (knapp 20 €) pro Person kostet. Die spinnen, die Peruaner! Nicht mit mir. Den Latino-Tarif gibt es schon für 40 PEN (11 €). Dass in dem Fall Blondhaar und blaue Augen nicht gerade förderlich sind, dürfte klar sein. Doch die Dackelblick-Nummer zieht auch bei den hiesigen Machos. Eine gute Begründung, warum man den Ausländertarif nicht bezahlen möchte, muss sich schon jeder selbst suchen. Die Eintrittskarte gilt theoretisch für eine unbedeutende Ruine, das Valle de los Volcanes, wo man bei gutem Wetter mehrere Vulkane sehen kann, sowie den Cañon de Colca, in den man hinabsteigen kann.

Der Colca Canyon galt mit 3.191 m Tiefe eine Zeit lang als tiefste Schlucht der Erde, zumindest aber der westlichen Hemisphäre. Diesen Rang hat ihm der 150 m tiefere benachbarte Cañon del Cotohuasi abgelaufen. Der 100 km lange Colca Canyon ist zwar immer noch doppelt so tief wie der Grand Canyon in den Vereinigten Staaten, dennoch kein Vergleich mit dem. In Arizona schnitt sich der Colorado River von einer Ebene aus beeindruckende1.500 m in die Tiefe. In Peru schaut man rund 1.000 m zum Rio Colca hinunter, der sich ein V-förmiges Tal schuf, darüber ragen die Berge 2.000 m hoch. Trotzdem ist der Cañon de Colca ein schöner Anblick.

Hauptattraktion jedoch ist der Aussichtspunkt Cruz del Condor, wo man Kondore beobachten kann. Auf der Zufahrt von Süden gibt es keinen Kontrollposten doch werden am Miradór häufig die Eintrittskarten kontrolliert. Auf dem großen Asphaltparkplatz daneben soll Campen angeblich nicht erlaubt sein. Als wir hier eintreffen, ist die Dunkelheit bereits eingebrochen und dichter Nebel mit Sichtweiten unter 20 m hüllt uns ein. Schon aus Sicherheitsgründen würden wir keinen Meter weiter fahren, doch niemand vertreibt uns hier: S 15°36’45.0’’ W 71°54’14.5’’.

Sillustani, Peru – Die Begräbnistürme von Sillustani

Dienstag, März 27th, 2012

Sie waren ein kriegerisches Volk, das seinen Adel so verehrte, dass es ihm Türme für die letzte Reise baute. Die Colla dominierten einst den Titicacasee, nach ihrer „Eingliederung“ wurden sie die südöstlichste Gruppe der Inka und führten die Tradition der Begräbnistürme auf höherem bautechnischem Niveau fort. Solche runden Türme finden sich überall in der Gegend. Die größten und am besten erhaltenen sog. Chullpas befinden sich in Sillustani auf einer hügeligen Halbinsel im Umayo-See. Je höher die Position eines Adeligen gewesen war, desto größer war der Turm, in dem er beigesetzt wurde. Ganze Familien fanden samt Hab und Gut und sogar Nahrungsmitteln in dem Bauwerk ihre letzte Ruhestätte.

Die älteren Grabtürme sind niedriger und aus unbehauenen Steinen recht grob zusammengezimmert. Die Inka-Baukünstler dagegen verwendeten passgenaue Blöcke, die sie bis zu 12 m hoch und sich nach oben verbreiternd aufmauerten und die sie teilweise mit erhabenen Steinreliefs aus Tiermotiven wie Eidechse oder Schlange verzierten. Die Grabbeigaben fielen lange vor Ankunft der Wissenschaft und des Tourismus Grabräubern zum Opfer. Der Eintrittspreis zu den Begräbnistürmen von Sillustani ist auf 10 PEN gestiegen. Dafür kann man auf dem Parkplatz hinter der Schranke (S 15°43’26.2’’ W 70°09’03.4’’) kostenlos campen, wenn man das Eintrittsticket vorher löst, wie wir es gestern Abend taten.

Auf dem Parkplatz treffen wir heute Silvia und Diego mit ihren beiden jungendlichen Kindern und ihrem MAN-Lkw auf Ein-Jahres-Südamerikareise. Die schweizerische Familie und wir beschließen, ein Stück gemeinsam zu reisen. Vorher aber besuchen wir eines der Häuser im Pukara-Stil am Weg zurück zur Hauptstraße. Die Ortsansässigen öffnen ihre Heime dem ausländischen Besucher und wissen genau, was der gemeine Tourist benötigt. Ein paar Lamas und Alpakas zum Fotografieren, dazu ein armes Baby-Guanako, das die nach uns eintreffende asiatische Busgruppe gar nicht erbaulich findet.

Wir konzentrieren uns aufs Innere: Eine Mauer mit einem kleinen Rundtor umschließt einen quadratischen Hof, der an drei Ecken kleine Adobe-Einraumhäuser beherbergt, die als Wohn- oder Lagerstatt dienen. In einer Ecke, die vielleicht sonst Gemüsegarten wäre, führt man uns den Gebrauch der traditionellen Feldwerkzeuge vor. Hier werden auch die Meerschweinchen unter freiem Himmel gezüchtet, allerdings besitzen sie ein eigenes kleines Haus als Unterstand. Das Bett im Wohnhaus besteht aus einem Gestell, einer Schilfgrasmatratze mit Lamafellauflagen und bunten selbstgewebten Decken, die man selbstverständlich kaufen kann. Genau wie die selbstgeknüpften Lamateppiche, deren Herstellungstechnik man uns prompt vorführt.

Die Kochstelle befindet sich im Freien, und zur touristischen Erbauung hat man die Früchte der lokalen Agrarprodukte ausgestellt: Quinoa, diverse, zum Teil spiralförmige Kartoffelsorten, Oca, eine ebenfalls stärkehaltige Knollenfrucht, und Chuño, eine Bitterkartoffel, die bis 4.500 m angebaut und im indigenen Gefriertrocknungsverfahren haltbar gemacht wird. Die Kartoffel wird nachts Frost ausgesetzt und am Tag in der warmen Sonne wieder getrocknet. So wird sie extrem leicht zu transportieren und jahrelang haltbar. Appetitlich sieht die schmutzige Schrumpfknolle allerdings nicht aus. Ein weiteres Kuriosum ist Arcilla, essbarer Lehm, der als Soße zu gekochten Kartoffeln serviert wird. Eintritt wird nicht verlangt, allerdings eine freiwillige Spende oder der Kauf eines Souvenirs erwartet. Wir entscheiden uns für letzteres, davon haben wenigstens auch wir etwas.

Auf dem Weg über das Altiplano Richtung Arequipa / Colca Canyon besorgen wir den Schweizern noch einen Internetstick, dessen Kauf man ihnen verwehrt hat. Auf dem Weg zu unserem vor ausgewählten Übernachtungsplatz an der Laguna Saralocha bei Santa Lucia (S 15°48’47.8’’ W 70°37’18.7’’) passieren wir die staatliche Forschungsstation für biotechnologische Kamelzucht. Was auch immer die da genau machen, die Anzahl der umherlaufenden Lamas und Alpakas lässt auf ein erfolgreiches Programm schließen.

Juli / Titicacasee, Peru – Von der Unmöglichkeit des Reifenimports nach Peru

Montag, März 26th, 2012

Ein lautes tiefes Tuten reißt mich aus dem Schlaf. Ein Zug rattert zwei Meter neben unserer Kabine vorbei. Es ist 6 Uhr 30 und die Nacht war viel zu kurz oder der Abend mit Ela und Stefan viel zu lang, doch die Diskussionen interessant. Parken mit Weck-Zug für 15 $ finde ich unerhört, aber da wir schon mal wach sind, können wir ebenso gut aufstehen, zumal die Züge jetzt in regelmäßigen Abständen fahren und hupen. Wir wollen noch ein Stück auf der peruanischen Seite des Titicacasees entlangfahren, bevor wir umdrehen. Unser ursprünglicher Plan lautete, von hier nach Bolivien einzureisen und später nach Chile zu fahren. Wir mussten unseren Plan ändern.

Der Grund ist: Wir brauchen nach zwei Jahren und 100.000 Kilometern einen Satz neuer Reifen – nicht allzu verwunderlich. Dass unser Reifentyp in Südamerika nicht erhältlich ist, wussten wir. Doch wozu gibt es Speditionen und Schiffe? So dachten wir, ohne mit Perus Sturheit gerechnet zu haben. Vor mehr als zwei Monaten begannen wir unsere Recherchen. Ein peruanischer Minenunternehmer zeigte sich spontan bereit, die Reifen für uns zu importieren. Auf mehrfache Nachfrage stellte sich heraus, dass er das selbst nicht kann und er vermittelte uns zu seiner Importfirma, die sich als außergewöhnlich schnell, hilfsbereit und zuverlässig herausstellt. Dennoch dauert natürlich alles seine Zeit: Kostenvoranschlag für See- oder Lufttransport der Pneus erstellen, Zollkosten eruieren.

Parallel arbeitet auf der anderen Seite der Welt die Firma Hellgeth, die unseren Unimog technisch umgerüstet hat, die uns die neuen Reifen schicken will und die uns in beispielloser Weise unterstützt, mit Hochdruck daran, uns ebenfalls mit Kostenvoranschlägen, mit Adressen und Alternativmöglichkeiten zu versorgen. Dann die große Überraschung: Man kann sich Reifen nicht einfach nach Peru schicken lassen, zum Import braucht man eine Ausnahmegenehmigung des Produktionsministeriums. Wir stellen den Antrag, zahlen 30 € Gebühr und sollen eine Woche auf das Ergebnis warten. Mittlerweile sind mehr als vier Wochen vergangen und das Ministerium hüllt sich weiter in Schweigen.

Natürlich sind wir in dieser Zeit nicht untätig. Sowohl die Mercedes- als auch die Michelinvertretungen in Peru sind zwar willig, können uns aber im Endeffekt wenig helfen. Es gibt einen Satz Michelinreifen im Land, der uns eine Nummer zu groß und vor allem nicht für unsere Geschwindigkeit ausgelegt ist, den wir für 7.000 US$ kaufen könnten. Unsere Reifen aus Deutschland könne man nicht importieren, da man dafür keine Genehmigung habe, die Prozedur vier Monate dauere und sich der Aufwand für vier Stück nicht lohne. Plausibel. Eine Anfrage bei der deutschen Botschaft ergibt zumindest die freundliche Empfehlung, wir sollten uns an die von ihnen genutzte Spedition wenden. Der dortige deutschstämmige Manager kennt die aussichtslose Rechtslage Perus sehr genau, verspricht dennoch, sich zu kümmern. Wir hören nicht wieder von ihm.

Die Firma Mercedes Kaufmann in Chile sieht sich ebenfalls außer Stande, uns zu helfen, aber da haben wir uns wohl unglücklich im Netz der Telefonzentrale eines großen Unternehmens verfangen. Bald zeigt sich ein Lichtblick: Der Schweizer Philip Maltry, der in Iquique / Chile eine Gleitschirmschule, eine Pension und einen Campingplatz betreibt (www.altazor.cl) offeriert uns seine Adresse und seinen Importeur, der keinerlei Probleme sieht, etwas nach Chile einzuführen. Da sich die Zollgebühren für Normalimport oder in die Freihandelszone erheblich unterscheiden, ist die Entscheidung schnell gefällt. Der nachfolgende Schock lässt nicht lange auf sich warten: Das nächste Schiff nach Chile fährt erst in ein paar Wochen, sodass wir über zwei Monate auf unsere Reifen warten müssten. Das lässt sich schlecht mit unseren Reiseplänen und der verbliebenen Profiltiefe vereinbaren. Der Lufttransport nach Chile kostet mit 2.500 € doppelt so viel wie nach Peru und ist damit indiskutabel.

Bevor sich völlige Ratlosigkeit breitmachen kann, kommt uns der Zufall zu Hilfe. Die Firma Hellgeth erhält Besuch von einem Teilnehmer des BMW-Teams der Dakar Rallye. Als im vergangenen Jahr einer ihrer Unimog einen Schaden erlitt, erwies sich der Manager der Mercedes-Kaufmann-Filiale in Copiapó / Chile als sehr hilfreich. Ich begebe mich auf die Suche nach dem Mann, finde sowohl in als auch die Empfehlung bestätigt und meine Erwartungen übertroffen. Señor Michel findet passende Reifen zu einem Preis unter dem europäischen und schickt sie an jede beliebige Kaufmann-Vertretung, in unserem Fall nach Iquique. Es handelt sich zwar nicht um Markenpneus, doch in Anbetracht unserer Notlage werden es die tschechischen Mitas-Gummis (vormals Barum), die in vielen südamerikanischen Ländern erhältlich sind (natürlich nicht in Peru), ihren Dienst erst einmal tun. Señor Michel Gazabatt spricht Spanisch sowie etwas Englisch und Französisch, kann aber den Google-Übersetzer betätigen. (Fa. Mercedes Kaufmann, Filiale Copiapó, Tel. +56-52-218870, mgazabatt@kaufmann.cl, www.kaufmann.cl)

So fahren wir mit unseren profilarmen Reifen bis Juli. Ein paar gegensätzliche Besonderheiten kennzeichnen die 8000-Seelen-Gemeinde: ein postmoderner, völlig überdimensionierter Hafen am Titicacasee, der zudem ungenutzt scheint. Der Titicacasee ist der Welt höchster schiffbarer See, sogar etwas größer als der Nicaraguasee, liegt auf gut 3.800 m Höhe und ist bis zu 274 m tief. Auch die Anzahl an ungewöhnlich heruntergekommenen oder verfallenen Kolonialkirchen steht in überproportionalem Verhältnis zur Einwohnerzahl des Dorfes. Juli war jedoch im 16. und 17. Jahrhundert Stütz- und Ausgangspunkt für die Christianisierung der Inka- und Aymaravölker am Titicacasee. Hier wurden die Jesuitenmönche auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet. Die Kirchen werden langsam restauriert, doch nur wenige sind zugänglich.

Eine der Ausnahmen bildet die einstmals pfirsichfarbene San Juan de Letrán, heute als Museum für 6 PEN zugänglich. Die Kirche ist ein koloniales Kleinod. Riesige Gemälde im Stile der sogenannten Cusco-Schule über das Leben und Sterben des Hl. Johannes des Täufers und der Hl. Teresa pflastern die Wände. Die dicken Rahmen aus fein geschnitztem Holz sind vergoldet, ihr Muster setzt sich darunter in Stein gemeißelt fort. Auch der Hauptaltar und die beiden Seitenkapellen wurden aus feinst behauenem Stein gefertigt. Alabasterfenster mit ebenfalls üppigen Goldrahmen tauchen das Kirchenschiff in sanftes Licht. Fotografieren ist verboten, aber es gibt ja nur einen Wächter. Hier ist der Punkt umzukehren und zurückzufahren, um unsere letzten zwei Peruwochen anzugehen.

Puno / Titicacasee, Peru – Schockierender Kommerz: die schwimmenden Inseln der Uros

Sonntag, März 25th, 2012

Eines darf man nicht erwarten: Authentizität. Wenn man aufs Schlimmste, ja aufs Allerschlimmste gefasst ist, dann kann man dem Ganzen mit einer guten Prise Humor und Verständnis für das Bestreben der Menschen, Geld zu verdienen und ein vermeintlich besseres Leben zu führen, wie für das, was Tourismus anrichten kann, etwas abgewinnen. Nämlich, dass man die schwimmenden Inseln der Uros einmal gesehen und vor allem betreten hat. Was einst als bitterer Ernst begann, ist heute Show und Kommerz. Das kleine Volk der Uro lebte ursprünglich an den Ufern des Titicacasees. Auf der Flucht vor den aggressiven Collas, den Inkas und schließlich den Spaniern flüchteten sie zunächst mit Booten und bauten sich dann schwimmende Inseln im See, um ihre Kultur zu schützen und ihr eigenes Leben zu leben (das Ziel scheinen sie etwas aus den Augen verloren zu haben).

Die Inseln bestehen aus Totora-Schilf, das in den flachen Zonen des Sees bis 15 m Tiefe in rauen Mengen wächst. Jede Insel besteht aus vielen Schichten, die von unten wegfaulen und von oben immer wieder ersetzt werden müssen. Auch die traditionellen Boote sind dicht aus Reet geflochten und überdauern nur einige Monate. Schilf wird ebenfalls verwendet für den Hausbau – die traditionelle Tipi-Form wie das moderne Rechteckhaus mit einem Dach aus Plastikfolie – die handgefertigten Souvenirs, die Touristen zum Kauf angeboten werden und ist sogar teilweise essbar.

Puno ist der Ausgangspunkt für Ausflüge zu den Uro-Inseln. Im Hafen erhaschen wir ein Boot, das nur wenige Minuten später abfährt. Die Hin- und Rückfahrt kostet 10 PEN plus 5 PEN Eintritt auf eine Insel, dauert 30 Minuten und geht stündlich oder öfter. Eine ganze Ansammlung von Inseln liegt im Kreis in einer „Lichtung“ des Schilfgrases. Alle ähneln sich, wirken wie Uro-Modellinseln für Touristen (was sie wohl auch sind) und werden abwechselnd angefahren. Zum Glück ist heute nicht viel los.

Auf der Insel betreten wir erstmals den schwankenden Boden, der bei jedem Schritt nachgibt – es läuft sich schon sehr komisch. Eine der jungen Frauen in Uro-Tracht mit lustigen schwarzen Bommeln an den Zopfenden erklärt sich zu unserem Guide und mit Hilfe eines modernen Digitaldruckplakats den Titicacasee. Mit kleinen Modellen veranschaulicht sie uns den Aufbau der Inseln, wie sie fest gepflockt werden, um nicht wegzuschwimmen, und erzählt lediglich die halbe Geschichte der Uros – gejammert wird nur über die Spanier. Das verdächtig unbenutzt aussehende Häuschen enthält ein Bett, auf dem angeblich die Kinder schlafen (die Eltern auf dem Boden), ein paar Kleidungsstücke, ein Solarpaneel, eine Autobatterie und einen uralten kaputten Fernseher, den nicht einmal mehr ein Uro-Indianer benutzen würde. Alles darf kostenlos fotografiert werden.

Die Bewohner Punos behaupten, die Uro würden gar nicht mehr auf den Inseln leben, sondern auf dem Festland schlafen. Möglich ist das, andererseits stehen am äußeren Rand des Inselkreises richtige Häuser auf Pontons, die aussehen, als ob sie bewohnbar wären. Nach der Hausbesichtigung werden wir zum Verkaufsstand geführt, wo man das Kunsthandwerk der Uros erstehen kann. Wir hörten sogar schon, dass die Damen durchaus verärgert reagieren können, wenn man nichts kauft. Wir lassen es nicht so weit kommen, sind doch die Miniaturschilfboote recht niedlich. Für weitere 5 PEN kann man sich mit einem kunstvoll gefertigten Reetboot auf die Hauptinsel fahren lassen, oder man fährt mit dem Ausflugsboot hinüber, wo man noch mehr Souvenirstände und ein Restaurant besuchen kann.

Zur Verabschiedung des Schilfboots liefern die beiden Hauptakteurinnen eine perfekte Touristenshow: Erst singen sie mit hohen Sopranstimmen ein Aymara-Lied, denn durch vielfache Heiraten mit Aymara-Indianern gibt es keine reinblütigen Uro mehr und haben sie deren Sprache angenommen. Anschließend tragen sie in synchroner Choreographie den spanischen Hit „Vamos a la playa, oh-oho-oho“ vor. Das wäre der richtige Zeitpunkt, einen Schreikrampf zu bekommen. Wenn man aber aufs Schlimmste, ja aufs Allerschlimmste gefasst ist, erträgt man auch das mit einem nachsichtigen Lächeln. Gesamtdauer der Unternehmung: 2,5 Stunden. Mit einem Privatboot kann man sich auf weitere entfernte und weniger touristische Inseln fahren lassen – zum entsprechenden Preis.

Die einzige Übernachtungsmöglichkeit für Wohnmobilreisende in Puno ist das Sonesta-Hotel Posadas del Inca. Das bekanntere El Libertador akzeptiert keine Camper mehr. Eventuell könnte man den Hafenparkplatz nutzen, wie es allerdings um die Sicherheit bestellt ist, wissen wir nicht – der peruanische Titicacasee genießt in der Beziehung nicht den besten Ruf. Das Posadas del Inca verlangt für eine Nacht auf dem Hotelparkplatz stramme 15 US$ (auf Nachfrage dürfen Dusche und Toilette benutzt werden), mit Strom 20 US$. Das nach uns eintreffende deutsche Paar Ela und Stefan, das wir unterwegs trafen und mit dem wir uns hier verabredeten, sollen sogar 20 $ fürs „trockene“ Campen zahlen, doch das lässt sich schnell klären. (S 15°49’26.2’’ W 70°00’19.6’’)

Cusco, Peru – Praktisches

Samstag, März 24th, 2012

Zwei praktische Nachträge zu Cusco:

Gas füllen kann man bei Llamagas an der Ausfallstraße nach Puno (Verlängerung der Av. de la Cultura) außerhalb der Stadt bei S 13°33’29.7’’ W 71°51’04.6’’ – nicht von der vor gehängten Kette abschrecken lassen.

Der beste und größte Supermarkt bei dennoch beschränkter Auswahl ist Mega: S 13°31’24.5’’ W 71°58’38.9’’

Tipón + Santa Rosa, Peru – Unterwegs ins Altiplano

Samstag, März 24th, 2012

Dunkelrot erstrahlen die Felder, sanft wiegen sich die Halme. Das Getreide ähnelt unserer Hirse, hat aber weit puscheligere Ähren, die bei einem bestimmten Reifestand die intensive Farbe annehmen. „Kiwicha für die Welt“ verkündet ein Banner das Motto des Agrarprodukts. Ich sehe das etwas kritischer. Ich kann nichts bio-, öko- oder sonst wie logisches daran entdecken, im Reformhaus Getreide zu kaufen, das über tausende von Kilometern Entfernung mit dem Schiff oder Flugzeug die Erdatmosphäre belastend herangekarrt wurde. Kiwicha ist der Quechua-Ausdruck für Quinoa bzw. Amarant, wie er auch genannt wird. Vor Ort aber finde ich die Quinoa-Kekse ausgesprochen lecker.

Wir lassen Urubamba und Pisac hinter uns und fahren in Richtung Titicacasee. Im Gepäck haben wir ein paar Souvenirs, die wir in Munaychay erstanden haben. Immer samstags können sich Kinder wie Tias künstlerisch betätigen – es kommt sogar eigens eine Kunstlehrerin. Die Werke werden dann verkauft, die Erlöse kommen dem Kinderdorf zugute. Eine Gruppe töpfert feine Keramikwaren, ohne Drehscheibe und in dennoch perfekt runder Form. Andere glasieren und bemalen das Steingut. Eine weitere Gruppe fertigt die niedlichen Grußkarten aus Blütenblättern, die Vögel, Schmetterlinge, Blumen und Menschen darstellen. Viele der Kinder zeigen erstaunliches kreatives Geschick und malen Wandbilder, die man Erwachsenen zuschreiben würde. Handarbeitsbegeisterte stricken Schals oder, besonders attraktiv und auch bei den Jungs sehr beliebt, weben kleine Wandteppiche.

Inzwischen haben wir Cusco umfahren und Tipón auf seiner Süd-Ost-Seite erreicht. Hier befinden sich ausnehmend schöne Inka-Terrassierungen. Das Besondere hier ist, dass es sich nicht um Hangterrassen handelt, sondern dass ein ansteigendes Tal bebaut und kultiviert wurde, was größere Ackerflächen erlaubt. Die Stützmauern jeder Ebene wie auch die ausgeklügelten, teils unterirdischen Bewässerungskanäle wurden im Hinblick auf Haltbarkeit, Perfektion und Schönheit angelegt. Die Arbeiterunterkünfte an den Rändern dagegen, deren Ruinen noch stehen, sind eher mit Pragmatismus denn mit Detailliebe gebaut.

Der aufwändige Terrassenbau schaffte nicht nur große Anbauflächen, er wirkte auch der Bodenerosion entgegen. Heutiger Feldbau an den Schräghängen begünstigt Erdrutsche und liefert wegen mangelnder Kontrolle über Be- und Entwässerung schlechtere Erträge. Eines muss man den Inka lassen: Sie scheinen mir die einzigen gewesen zu sein, die es schafften, südamerikanische Schlampigkeit in geordnete Bahnen zu lenken, jedenfalls noch weit besser, als die Spanier nach ihnen. Eintritt zur archäologischen Stätte Tipón mit Boleto Turistico oder für 10 PEN pP (S 13°34’17.9’’ W 71°47’03.6’’).

Während der Ort Tipón als Geheimtipp für gutes und günstiges Cuy-Essen gilt (mein Meerschweinbedarf ist gedeckt), bezeichnet sich das nächste Dorf als Hauptstadt des Brotes. Kaum halten wir am Fahrbahnrand an, klettert schon ein Junge die Trittstufen hoch und knallt mir durch die offene Scheibe eine Packung Brot auf den Schoß. Zwei wagenradgroße süßliche Fladenbrote und ein Extra-Teilchen dazu für 5 Nuevo Soles, 1,50 €. Dafür muss ich nicht einmal aussteigen – der schnellste macht das Geschäft.

Einem sanften Tal folgend klettern wir fast unmerklich ohne Serpentinen und größere Steigungen in die Höhe. Endlich weitet sich der Blick, nachdem wir Wochen in dem engen Chicón-Tal oberhalb von Urubamba eingezwängt zwischen den Andenwänden lebten. Der 5.443 m hohe Cerro Cunurana ragt schroff und schneebedeckt in den Himmel. Der Abra La Raya, 4.360 m hohe Passüberquerung, markiert nicht nur die höchste Stelle dieser Strecke und die Wasserscheide zwischen Atlantik und Pazifik, sondern auch den Beginn des Altiplano, dem ausgedehnten, abflusslosen Hochplateau zwischen zwei Andenketten auf durchschnittlich 3.600 m Höhe, das sich bis weit nach Bolivien hineinzieht.

Ein Stück weiter, südlich der Ortschaft Santa Rosa, finden wir in einem Schotterweg, der sich praktischerweise als Sackgasse herausstellt, einen äußerst friedlichen Stellplatz am rauschenden Fluss: S 14°46’44.5’’ W 70°43’51.0’’.

Munaychay, Peru – Abschied vom Herzensprojekt

Freitag, März 23rd, 2012

Wir räumen. Alles muss so langsam wieder an seinen Platz, wenn wir wieder fahren wollen. Alle Erkenntnisse bezüglich des Fahrzeugparks des Kinderdorfs müssen noch einmal in ausführlichen Analysen zusammengefasst werden. Der Fahrer des Kinderdorfes erhält eine Werkzeugausstattung für seine Werkstatt, die wir ihm in Cusco besorgt haben. Das Landwirtschaftszentrum Santa Rosa versorgt uns ein letztes Mal mit Bioeiern und -gemüse für die Fahrt. Wir verabschieden und vom liebenswürdigen Schreiner Teofilo mit zwei Paar Arbeitshandschuhen, mit denen er sein Moped fahren möchte – sicher besser als ganz ohne Handschutz. Der Eiermann bekommt meine alten Sportschuhe, die ihm mit Größe 40 vermutlich immer noch zu groß sind, selbst die Männer reichen uns ja nur bis zur Schulter.

Wir sagen Lebewohl zur resoluten Köchin Señora Martina, die ein echtes Musterbeispiel einer Quechua-Indianerin abgibt: zwei taillenlange schwarze Zöpfe, die am Rücken zusammengebunden werden, damit sie nicht ins Feuer oder den Kochtopf fallen. Die kugelrunde Indígena trägt die typischen pastellbunten knielangen in der Taille gerafften mehrfachen Glockenröcke, die immer ein wenig zu kurz wirken – im Rücken wegen des ausladenden Hinterteils noch kürzer als vorne. Ihre außergewöhnlich strammen Waden stecken zum Schutz vor Kälte in handgestrickten Zopfmusterstulpen, die Füße meist barfuß in Halbschuhen oder bei der ganz einfachen Landbevölkerung in Sandalen aus Altreifen. Über einem Pullover oder einer Bluse wärmt die unvermeidliche Strickjacke, und über allem prangt eine glänzende rosafarbene Schürze.

Señora Martina schafft es in dieser Woche, meine Aussage, „ich esse alles“ auf „fast alles“ zu revidieren, als sie nämlich Reis mit Kartoffel-Gemüse-Gulasch serviert, das verdächtige, entfernt an Baumpilze erinnernde Stückchen enthält: Kutteln aus Pansenmagen. Während der Geschmack sich neutral verhält, ist die gummiartige Konsistenz mit den bürstenartigen Auswüchsen völlig inakzeptabel. Der Haus- und Hofhund freut sich jedenfalls.

Dann ist es Freitagabend und Herzen für eine neue Welt lädt uns zu einem Abschiedsessen in die Pizzeria in Urubamba ein. Doch die festangestellten Deutschen des Hilfsprojekts haben noch eine weitere Überraschung für uns: ein paar entzückende Abschiedsgeschenke. Eine Danksagungskarte, handgefertigt aus Blütenblättern in Munaychay. Ein Schnappschuss von Jörg, als er den Straßenschlamm wegschaufelt. Und ein Notizbuch, dessen Einband von den Kindern des Kinderdorfes handbemalt wurde – in erstaunlicher künstlerischer Qualität. Danke an alle!

Munaychay, Peru – Die Machu-Picchu-Frage

Mittwoch, März 21st, 2012

Machu Picchu ist die größte Sehenswürdigkeit Perus und die berühmteste Ruine Südamerikas. Es ist das bekannteste Bauwerk der Inka – nie entdeckt von den Spaniern wurde es nie zerstört und geriet bis zu seiner „Wiederentdeckung“ Anfang des 20. Jh. in Vergessenheit. Der Zweck des Bauwerks liegt bis heute im Dunkeln. Theorien sprechen von einem königlichen Rückzugsort oder einer Landresidenz in der Nähe Cuscos, andere reden von einem politischen, religiösen und administrativen Zentrum. Erbaut wurde Machu Picchu um die Mitte des 15. Jh. gegen Ende der Inkaherrschaft.

Heute steht die archäologische Fundstätte im Mittelpunkt des peruanischen Tourismus. Täglich dürfen maximal 2.500 Personen die Inkaruine besuchen, und sie tun es auch. Dabei hat Peru ein wenig die Relation verloren – Angebot und Nachfrage bestimmen eben den Preis, wie bei Cuscos Attraktionen und dem bereits beschriebenen Boleto Turistico auch. Da bis heute keine Straße nach Machu Picchu führt, wurde eine Bahnlinie erbaut, deren Benutzung sich die Regierung von Besuchern teuer bezahlen lässt. Alleine der Eintrittspreis schlägt mit satten 60 US$ zu Buche, dazu kommen die hochpreisige Bahnfahrt und eine Busfahrt. Günstigere Bahntickets bedingen eine Übernachtung im letzten Ort vor Machu Picchu, Aguas Calientes, was finanziell dann so ziemlich aufs Gleiche hinausläuft.

Für uns beide würde der Besuch insgesamt um die 400 $ kosten – ziemlich viel für ein paar alte Steine. Zumal die Ruine selbst von Besuchern als sicherlich nicht der Welt beste bezeichnet wird, obwohl die Lage stets als außergewöhnlich schön beschrieben wird. Schließlich tun wir es so vielen anderen Weltreisenden nach, verzichten auf den Besuch von Machu Picchu und boykottieren die unverschämten Preise, möchten aber anderen Reisenden unsere gesammelten Informationen nicht vorenthalten. Viele Wege führen nach Machu Picchu:

1. Mit der Bahn: Der Zug fährt von Cusco, Urubamba oder Ollantaytambo (mit geringerer Entfernung günstiger werdend) nach Aguas Calientes. Unterschiedlich komfortable Züge sind zu unterschiedlichen Preisen buchbar. Von dort aus geht es mit dem Bus (oder zu Fuß) nach Machu Picchu weiter. Bahnfahrkarten und Infos unter www.perurail.com. Vorbestellung dringend erforderlich. Ticketbuchungen an den Bahnhöfen oder in Cusco möglich.
Fahrzeugabstellmöglichkeiten:
Cusco: Camping Quinta Lala, S 13°30’20.8’’ W 71°59’06.3’’, Info siehe 09.02.2012
Urubamba: Camping Los Cedros, www.campingloscedros.com
Ollantaytambo: Busparkplatz, S 13°15’32.6’’ W 72°15’57.5’’, bewacht, 5 PEN/24 Stunden

2. Mit eigenem Fahrzeug: Von Cusco über Urubamba, Ollantaytambo und Chaullay nach Santa Teresa. Campen / Fahrzeug abstellen am Campingplatz von Genaro Moscoso Laforre, S 13°07’55.4’’ W 72°35’46.9’’. Die Strecke ist einfach ca. 250 km lang und führt ab Chaullay über eine Erdpiste – Allradantrieb empfohlen, in der Regenzeit ist die Route häufig durch Erdrutsche verschüttet. Rechnet man die Kraftstoffkosten für 500 km gegen, kommt man vermutlich auf einen ähnlichen Betrag wie mit dem Zug. Ab Santa Teresa fährt man weiter mit dem Zug nach Aguas Calientes – oder läuft entlang der Bahnschienen. Dann geht es wie oben mit Bus oder zu Fuß weiter bis Machu Picchu.

3. Mit dem Bus: Ab Cusco mit dem Bus Richtung Quillabamba, in Santa María umsteigen in ein Collectivo nach Santa Teresa. Von dort weiter wie oben. Das ist die ökonomischste Lösung.

4. Zu Fuß über den Inka Trail: Der hoch gelobte Inka Trail ist nur einer von mittlerweile 12 entdeckten Inkawegen nach Machu Picchu, jedoch der berühmteste und damit wieder Einnahmequelle für die peruanische Regierung. Der Inka Trail darf nur mit einer lizenzierten Agentur begangen werden, das kostet pro Person schon einmal 350 bis 500 $. Da die nur 43 km sehr steil über drei Pässe führen, kommt man außer bei interstellarer Fitness ohne Träger kaum aus, was zusätzlich kostet. Guides, Köche und Träger müssen Trinkgelder erhalten etc. Selbst der berühmte budgetfreundliche Reiseführer Lonely Planet beziffert die Kosten für den Inka Trail pro Person auf rund 1.300 US$. Dazu kommt, dass täglich 500 Personen auf dem Pfad zugelassen sind. Ob man die Landschaft mit 499 anderen Personen um sich herum wirklich genießen kann, ist dahingestellt. Außerdem muss man Toiletten benutzen, die in wenigen vorangegangenen Tagen mehrere Tausend Personen besuchten. Auch die mangelhafte Müllentsorgung bereitet zunehmend – nicht nur optische – Probleme.

5. Zu Fuß über alternative Inka Trails: Es gibt diverse Anbieter, die verschiedene Wege laufen, alle sind mit nicht geringen Kosten verbunden. Beispiele sind der 2-Tages-Inka-Trail, der Lares Valley Trek, der Salkantay Trek, der Inca Jungle Trail sowie der alternative Inka Trail ab Mollepata.

Noch ein Wort zum Thema Wayna Picchu: Will man den Berg bei Machu Picchu bei besteigen, kommt man um eine Vorreservierung des Machu Picchu Eintrittstickets zusammen mit Wayna Picchu Ticket kaum herum. Die Wandererzahl ist täglich auf 400 begrenzt – 200 um 7 Uhr und weitere 200 um 10 Uhr, und somit sind die Plätze rar. Wer wenig Lust verspürt, die steilen Treppen mit so vielen anderen Touristen gleichzeitig zu erklimmen, dem sei der unverständlicherweise wenig bekannte Aufstieg auf den Cerro Machu Picchu empfohlen. Das dauert zwar etwas länger, ist unbeschränkt, dennoch einsamer und soll sogar noch die bessere Aussicht auf Machu Picchu zusammen mit dem Wayna Picchu bieten. Eine genaue Wegbeschreibung findet sich beispielsweise im Lonely Planet Reiseführer „Peru“.

Munaychay, Peru – Überstanden

Sonntag, März 18th, 2012

Wir haben es so gut wie überstanden. Nein, nicht die Zeit im Kinderdorf, wir hängen sogar noch eine Woche dran. Wir sprechen von der Regenzeit. Die ist fast vorüber. Der Himmel präsentiert sich mehr und mehr in tiefem, fast nachtdunklem Blau, durchsetzt mit hübschen weißen Wölkchen, Regen gibt es nur noch alle paar Nächte. Dafür zeigt sich, dass es hier nur zwei verschiedene „Wetterarten“ gibt: graue, regnerische Kühle zum einen oder unangenehm stechende, heiße Sonne, bei der nicht einmal Sonnenschutzmittel richtig hilft.

Unsere Erdhubarbeiten sind ebenfalls beendet. Die Garagenzufahrt erhielt noch einen Feinschotterbelag, einige weitere Entwässerungskanäle wurden angelegt, damit das Regenwasser ablaufen kann und der Weg nicht wieder verschlammt, dann wenden wir uns Tischlerarbeiten zu. Der Weiler Huilloc oberhalb des Ortes Ollantaytambo wird ebenfalls von Herzen für eine neue Welt e.V. unterstützt. Die Schule erhält Mittel, ein eigener Gesundheitsstützpunkt wurde eingerichtet und eine Forellenzucht gebaut. Bald soll hier ein Fischrestaurant entstehen, das Arbeitsplätze schaffen und Touristen in diese abgelegene Ecke bringen soll. Aktuell wird ein Computerschulungsraum eingerichtet. 11 neue PCs wurden schon gekauft, und heute sollen die Tische dafür zusammengebaut werden, die in der hauseigenen Schreinerei in Santa Rosa entstanden sind.

Der Tischler, Jörg und ich schrauben zusammen und lackieren anschließend auf peruanische Weise: Eine Art Riesenwattebausch aus Baumwollfasern wird mit der Hand in die Lasur getaucht (die Chirurgenhandschuhe lösen sich nach ein paar Mal Tauchen in Wohlgefallen auf). Nach einigen Versuchen haben wir den Bogen raus, wie die einzelnen Fasern nicht auf der Tischfläche kleben, sondern am Bausch bleiben. Bei dieser Technik ist man dem Tisch und der Farbe so nahe, dass man vom Lack auf Nitrobasis jedes Mal einen ordentlichen Atemzug nehmen kann. Ich muss zwischendurch an die frische Luft. Am nächsten Tag fühle ich mich, als ob ich einen Kater hätte. Schnüffeln ist also nicht so meines.

Als nächstes sollen wir uns um den Fuhrpark des Kinderdorfes kümmern. In einer Besprechung werden die Eckdaten abgeklärt, dann machen wir uns auf den Weg: An einem Tag besuchen wir die Autohäuser Cuscos zum Preis- und Leistungsvergleich neuer Pick-ups, am nächsten Tag besuchen wir den Gebrauchtwagenmarkt. Wie in wohl allen Entwicklungs- (oder fast noch Entwicklungs-) Ländern mit starken Importbeschränkungen sind Gebrauchtwagen begehrt und für europäisches Verständnis unverhältnismäßig teuer, dabei meist von Minengesellschaften abgewirtschaftet. Tachometer werden rechtzeitig zwischen 40.000 und 70.000 km abgeklemmt, damit niemand die genaue Kilometerlaufleistung ersehen kann.

Am Sonntag schließlich – ein Wochenende haben wir nicht immer – erhält der Fahrer des Kinderdorfes noch eine Fahrstunde. Fahren kann er sehr wohl, aber er weiß z.B. nicht, wozu die Untersetzung des Allradgetriebes da ist. Dabei ist diese doch ideal auf den steilen Bergstrecken in diesen sauerstoffarmen Höhenlagen, und bergab schont sie die Bremsen. Jörg erstellt einen Wartungsplan der Fahrzeuge für den Fahrer, das muss auch noch durchgesprochen und erklärt werden. Schon wieder ist eine Woche wie im Fluge vorüber, und wir müssen uns Gedanken machen, wie und wann wir Peru verlassen, da die drei Monate maximale Aufenthaltserlaubnis für unseren Unimog bald ablaufen.

Munaychay, Peru – Der peruanische Gulag

Sonntag, März 11th, 2012

Schrill tönt die Pfeife. Nicht schon wieder. Cusco ist übervoll mit Polizeibeamten, die den Touristen Sicherheit vermitteln sollen. Sie pfeifen und winken völlig sinnlos bei grünen Verkehrsampeln und heben die stoppend die Hand bei Rot. Reicht die Ampel nicht oder hätte man sich die stattdessen sparen können? Manchmal aber pfeifen die Polizisten auch Fahrern hinterher, die etwas falsch gemacht haben, und dann gibt es einen Strafzettel. So wie jetzt. Wir wendeten in einer ruhigen Seitenstraße. Der Beamte kommt angelaufen und rügt uns sofort: Das ist verboten! Wir gefährdeten oder behinderten niemand, lächerlich ist es dazu, Wenden zu verbieten, aber das ist egal, ein peruanischer Polizist hat immer Recht. Ich steige aus dem Auto: Blonde Frau, Dackelblick. „Oh, das tut uns Leid, das wussten wir nicht. Wir sind Volontäre und müssen in diesem Geschäft Lebensmittel abholen für die armen Kinder Perus im Kinderdorf Munaychay.“ „Von welcher Organisation seid Ihr?“ „Corazones para Perú.“ „Na, ist schon gut.“

Puh, das ging schneller als erwartet. Schneller auch als gestern, als wir auf einer vierspurigen Straße mit Fahrbahnteiler an einer grünen Ampel wendeten. Gleiches Problem: Das ist verboten. Das kann doch kein Mensch wissen! Da hatten wir noch einen Peruaner im Auto, den Zahnarzt der Organisation, der mit dem Polizisten fünf Minuten diskutieren und buckeln musste, bis der Beamte auf einen Strafzettel verzichtete. Wir mussten sogar sämtliche Wagenpapiere und den Internationalen Führerschein rausholen. Nun, dem Peruaner fehlten die blonden Haare, Dackelblick und … lassen wir das.

Schon am vergangenen Wochenende fuhren wir zwei Mal einen der regelmäßigen Personentransporte von Munaychay nach Urubamba und zurück, und Montag und Dienstag nach Cusco, um Lebensmittel und Computer für Computerschulungen im Dorf Huilloc in einem anderen Tal bei Ollantaytambo zu holen. Und um mal wieder ein Paket auf der Post abzuholen mit kleinen Ersatzteilen, neuen Reiseführern und Wörterbüchern, und natürlich sehnlichst vermisster deutscher Schokolade. Am Montag erhielt ich das Paket nach zwei Stunden Wartezeit nicht, da mir eine notwendige Vollmacht fehlte. „Wir sind ein geordnetes Postamt, auf dem es geordnet zugeht“, erhielt ich als Antwort auf meine Frage, ob ich denn gar nichts tun könne. Nein, bestechlich sind die Peruaner eher nicht.

Dafür wurde mein Paket am Dienstag nur zur Hälfte ausgepackt und die angegebenen Warenbeträge nicht so genau unter die Lupe genommen. Der Zollbeamte hatte wenigstens ein geringfügig schlechtes Gewissen, da er mir zusätzliche 120 Fahrkilometer auferlegt hat. In Peru muss man Pakete, die Geschenke bis zu einem Wert von 100 US$ enthalten, nicht verzollen, wohl aber bei höheren Beträgen bzw. wenn es sich nicht um Geschenke handelt. Und dienstags ist der Andrang auf dem Postamt geringer.

Am Mittwoch können wir uns dann nicht länger vor der gefürchtete Aufgabe drücken: Die matschige Zufahrt zu den Carports muss entschlammt werden. Zweiradgetriebene Fahrzeuge kommen nur noch mit Anlauf durch. Straßenbau von Hand mit einem Vier-Mann/Frau-Team auf dreieinhalbtausend Meter ist Schwerstarbeit. Wir fühlen uns ein wenig wie versetzt in den russischen Gulag, nur in Peru. Trotzdem ist Handarbeit wesentlich schneller als erwartet, nicht unbedingt langsamer als mit Maschinen, wenn man genügend Personal hat, wir sind es nur nicht mehr gewohnt.

Der kräftige Nachtwächter pickt mit der Spitzhacke Rasen, Schlamm, die obere Erdschicht und kleinere Steine lose, bis er auf festeres, steiniges Erdreich trifft. Ich steche eine saubere Rasenkante, was auch nicht so einfach ist wie zu Hause im Garten. Das Gras hat dutzende Zentimeter lange, bis zu einem halben Zentimeter dicke Wurzelgeflechte, die sich nicht so einfach durchtrennen lassen, die Erde ist nasser schwerer Lehm, durchsetzt mit Steinen und Flusskieseln, was unserem Spaten auch nicht so gut tut. Am Abend sind meine Hände geschwollen vom Hämmern auf den Spaten und voller Blasen. Jörg schaufelt die schwere Ladung auf den Pick-up. Der Vierte im Bunde schnippelt derweil mit einer Gartenschere das Gras kurz. Wie gesagt, in Peru stört sich kaum einer an schwer arbeitenden Frauen. Ich will jedoch nicht ungerecht sein, der Rasenschneider und der Nachtwächter schippen den Schlamm, der in der landwirtschaftlichen Basis Santa Rosa nebenan benötigt wird, anschließend von der Ladefläche des Pick-ups.

Am nächsten Tag füllen wir die Zufahrt mit grobem Kies auf, den wir mit einer Schubkarre heranholen und breit rechen. Ein paar Entwässerungskanäle müssen an den tiefsten Stellen gegraben werden, dann walzt Jörg mit einem der Busse den Schotter ein wenig platt. Die feinere Schotterschicht muss bis nächste Woche warten, wenn sich das Grobgestein gesetzt hat. Am Freitag schottert Jörg noch den Werkstattboden, ich erstelle ein paar Problemanalysen bezüglich des Fahrzeugparks und recherchiere im Internet, dann ist auch schon Wochenende, das wir uns – zumindest gefühlt – verdient haben.

Munaychay, Peru – Woche zwei im Kindercamp

Sonntag, März 4th, 2012

Die restlichen der 70 Kinder sind eingetroffen, denn am morgigen Montag beginnt die Schule. 70 Schulkinder zwischen sechs und 17 Jahren leben hier im Kinderdorf Munaychay, je zehn Kinder und Jugendliche in sieben Häusern, mit je einer „Mutter“ oder Tia, Tante, wie sie hier genannt werden, und ein paar Ersatztanten. Die Kinder sind Waisen, Halbwaisen oder aus anderen Gründen vom Sozialamt oder Gericht zugewiesene Fälle. Die Kinder erhalten hier ein Heim, Essen, Kleidung, Erziehung, Bildung und alles, was für eine Zukunft nötig ist. Manche der Kinder fahren während der Schulferien zu Verwandten nach Hause, andere haben kein zu Hause mehr oder keines, wo sie hin könnten oder sollten. Es gibt ein weiteres separates Heim für Kleinkinder und eines für über 18jährige, die noch in Ausbildung sind. Die öffentlichen Schulen, die die Kinder besuchen, werden durch den deutschen Projektträger Herzen für eine neue Welt e.V. finanziell für Essen, materiell z.B. mit Möbeln und personell mit Lehrern und Psychologen unterstützt.

Die Hälfte der Tanten sind Krankenschwestern, die andere Lehrerinnen. Kein einfacher Job, denn sie müssen drei Wochen lang 24 Stunden täglich mit den Kindern zubringen, und haben dann eine Woche frei. Die meisten von ihnen haben eigene Kinder, die schon groß genug sind oder auf die der Mann oder vielleicht die Oma aufpasst. Und natürlich sind die Heimkinder nicht automatisch artig, schon gar nicht, wenn sie aus teils schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. Da wird hier mal das Zähneputzen ausgelassen oder da mal das Nägelschneiden umgangen. Der Fernsehraum wird nur samstags geöffnet; aber wenn man doch gerne auch mal zwischendurch in die Glotze schauen möchte, tut man nicht alles dafür, da ran zu kommen? Die Kids sind extrem neugierig und wenn etwas herumliegt, können sie es vielleicht selbst brauchen. Auch wir sollen immer alles absperren. Kinder eben, ganz normal. Aber zehn davon, fremde dazu, und das 24 Stunden am Tag. Respekt, und ganz ehrlich, Tia sein wäre nicht gerade mein Traumberuf. Unterstützt werden die Tias von deutschen Volontären, jungen Menschen meist zwischen Abitur und Studium oder Wehrersatzdienstleistenden und einigen fest angestellten deutschen und peruanischen Mitarbeitern.

Die Werkstatt haben wir inzwischen fertig gestellt, auch wenn in Südamerika eben alles einen Gang langsamer geht als in Mitteleuropa. Fast fertig jedenfalls, denn der Schotter für den Fußboden fehlte. Der ist gestern eingetroffen, und es ist genug, die gesamte verschlammte Zufahrt zu den Garagen zu schottern. Nun müssen wir uns noch um die Ausstattung der Werkstatt mit Werkzeugen und Ersatzteilen kümmern. In der Zwischenzeit haben wir auch begonnen, den Fahrzeugpark des Kinderdorfes unter die Lupe zu nehmen, hie und da mal eine Wartung oder kleine Reparatur selbst durchzuführen, eine Mängelliste zu erstellen und zu evaluieren, ob das Fahrzeug gehalten oder verkauft werden soll. Und so geht es weiter, wir könnten hier sicher Wochen und Monate zubringen – Arbeit gäbe es genug.

Munaychay, Peru – Meerschwein-Nachtrag

Donnerstag, März 1st, 2012

Meine Freundin Patricia aus Ecuador hat zwei Schwächen: Eine Leidenschaft für Meerschweinchen und eine panische Angst vor Mäusen und Ratten. Eines Jahres im Dezember besuchte sie die Familie ihres deutschen Mannes in Berlin. Weihnachten ohne Cuy-Braten war schlicht undenkbar für sie. Doch wie groß muss die Enttäuschung gewesen sein, als sie erfuhr, dass man in Deutschland keine Meerschweine isst und diese nicht mal kaufen kann. Patricia, wild entschlossen und kreativ, ging in eine Zoohandlung. Den Rest der Geschichte erspare ich Euch. Sie hatte auf jeden Fall ein schönes, adäquates Weihnachten. Die Reaktionen der Berliner Familie sind uns unbekannt.

Zu Hause hört man Patricia manchmal entsetzt kreischen und sieht sie in Panikstarre verfallen. Man nimmt es gelassen, ihr ist dann nur eine Maus oder eine Ratte über den Weg gelaufen. Eines Tages erzählte Patricias deutscher Mann ihr, dass Meerschweine, Ratten und Mäuse derselben Familie angehören (das ist natürlich nicht ganz wahr, aber unwahr eben auch nicht). Heute isst Patricia keine Meerschweinchen mehr.