Happy Valley – Goose Bay, Labrador – Mounties als Reiseführer

Die Landschaft ist weihnachtlich. Eine zentimeterdicke Schneedecke überzieht alles, es herrscht weiter dichtes Schneetreiben. Aber besser Schnee im Mai als Mücken im Juni.

In Acht nehmen muss man sich vor den großen Trucks. Die blasen mit enormer Geschwindigkeit (gemessen wurden schon 150 km/h!) über die Schotterpiste, ungeachtet der Schlaglöcher oder anderer Hindernisse. Zum Glück sind Elche keine solche Plage wie in Neufundland. Die Trucker fahren in der Straßenmitte und halten stur Kurs. Ein Ausweichen wäre bei derartigen Geschwindigkeiten auch nicht möglich. Einzig vernünftige Verhaltensweise ist ganz langsam so weit wie möglich rechts ran zu fahren und zu hoffen, dass keine größeren Steine in die Windschutzscheibe fliegen.

Hatte ich geschrieben, dass die Straße nach Happy Valley – Goose Bay fertig gestellt worden ist? Das war ein grammatikalischer Irrtum. Der Track wird fertig gestellt, muss es korrekt heißen, oder wird fertig gestellt werden? Man stelle sich vor man fährt auf einer schlechten, mit Schlaglöchern übersäten Schotterpiste, da erscheint ein gar lustiges Schild: „Schlechte Straße auf 50 km“, „max. 50 km/h“ und später „max. 15 km/h“. Unsere Belustigung hält nicht lange an. Wir fahren über den grobsteinigen Unterbau einer künftigen Schotterpiste. Manchmal ist er von einer unplanierten Lehmschicht überzogen, deren Schlaglochtiefe nicht zu erkennen ist, da alle Mulden voll Wasser stehen. Wir fahren mitten durch Baustellen, durch Bäche, über Behelfsbrücken. Ein Baggerfahrer zückt ganz schnell seine Kamera und hält uns erst mal an, um uns zu fotografieren. Der Fahrer einer Planiermaschine, der einsam den Track begradigt, bleibt stehen um ein Pläuschchen mit uns zu halten. Der Verkehr ist nicht so dicht dass wir jemanden behindern würden. 41 km in zweieinhalb Stunden, zum Teil im Schritttempo. Dieser Abschnitt ist derzeit für normale Pkw und Wohnmobile mit ungenügender Bodenfreiheit nicht befahrbar. Danach wird der Track stellenweise besser, aber nicht wirklich schön.

Ich entschuldige mich offiziell bei der Frau von der letzten Tankstelle: Fährt man freiwillig mit dem Auto nach Happy Valley – Goose Bay, sollte man sich entweder auf seinen geistigen Gesundheitszustand hin untersuchen lassen oder man ist tatsächlich ein Außerirdischer. Ich gestehe: Wir kommen von einem anderen Planeten. Der heißt Europa und hat Asphaltstraßen. Zumindest haben wir das richtige Gefährt für eine solche Unternehmung und sehen es gelassen. Die meisten Labradorer finden das auch und würden unseren Arminius am liebsten kaufen. Das Innere Labradors ist das Land der Abenteurer und nichts für Zimperliche.

Seit Tagen haben wir ununterbrochenen Niederschlag, die Landschaft ist tief verschneit. Was wundert es bei subarktischem und arktischem Klima? Der Schnee ist ohne industrielle Luftverschmutzung stellenweise so rein dass er blau schimmert. Der Straßenhobelfahrer erzählt uns, dass es in den letzten Wochen mehr geschneit hat als im ganzen Winter. Das sei zwar ungewöhnlich, komme aber schon mal vor. Nach sechseinhalb Stunden und 275 km stoßen wir auf die Straße von Happy Valley – Goose Bay nach Labrador City. Die ist, oh Wunder, für ein paar Kilometer asphaltiert. Die Doppelstadt hat über 7.500 Einwohner und ist damit eine richtige Großstadt.

Ein paar Kilometer weiter, in Sheshatshu, wollen wir Mélina und ihre Truppe besuchen. Sie leitet die lokale Gruppe des staatlichen Katimavik-Projekts, das eine Art soziales Jahr für Jugendliche nach deutschem Vorbild anbietet. Die jungen Leute arbeiten eine Zeitlang in unterschiedlichen Feldern wie Klimaforschung, Kinderbetreuung, Müllsammlung und als Lehrerassistenten. Da wir nicht so genau wissen, wo wir Mélinas Haus finden, halten wir einfach am Gebäude der Royal Canadian Mounted Police an und fragen nach. Die superfreundlichen Mounties sind begeistert, dass endlich etwas passiert an diesem öden Tag. Eifrig springen sie ins Auto und geleiten uns höchstpersönlich zum richtigen Gebäude. Dort gerät erst mal alles in Aufruhr wegen des Polizeiaufgebots. Als die beim Wenden noch die Mülltonne anfahren, ist das Spektakel perfekt.

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