Huehuetenango, Guatemala – Zuflucht in der Dorfkirche

Die beiden letzten PEMEX-Tankstellen vor dem Grenzübergang Ciudad Cuauhtémoc – La Mesilla sind steuerbefreit in einer Freuhandelszone und bieten den Diesel für 9,41 Peso statt mittlerweile 9,68 den Liter an. Volltanken ist angesagt, in Guatemala ist es teurer. An der mexikanischen Grenzstation lassen wir uns einen Ausreisestempel in den Pass geben und die temporäre Einfuhrerlaubnis fürs Fahrzeug entwerten. Dann fährt man erst durch den Grenzort, der an den beiden Markttagen Donnerstag (neu) und Freitag unpassierbar sein soll.

Auch die guatemaltekischen Formalitäten gestalten sich einfach und freundlich. Die recht oberflächliche Fahrzeugdesinfektion wird nach Größe berechnet. Für den Unimog berechnet man uns 47 guatemaltekische Quetzal (GTQ), für den Toyota Pick-up mit Kabine nur 39 GTQ. Der Einreisestempel für drei Monate kostet je 20 MXN, der temporäre Fahrzeugimport für denselben Zeitraum160 GTQ. Derzeit entsprechen 10 Quetzal etwa 0,90 €. Auf der Straße lungern Devisentauscher herum, die die übriggebliebenen mexikanischen Peso zu einem schlechten Kurs in Quetzal wechseln. Allerdings ist es im Land schwierig zu tauschen, da die meisten Banken keine Pesos akzeptieren. Für unseren Unimog oder dessen Inhalt interessiert sich niemand, eine Kontrolle findet nicht statt.

Auf der Panamericana, die hier CA1 heißt, fahren wir ins dicht besiedelte Land hinein. Fröhlich winkende Menschen in fröhlich bunten Trachten erwarten uns. In der Stadt Huehuetenango verlassen wir die Straße und begeben uns nach Chiantla. Bekommen wir das Durchfahren der ersteren noch ganz gut hin, sind wir in der letzteren ziemlich verloren. Schilder fehlen fast völlig und das Navigationssystem erweist sich als nutzlos. Fragen ist nur von begrenztem Erfolg gekrönt, da klare Angaben wie „rechts“ und „links“ eine Rarität darstellen. Häufig hört man die Anweisung: „Es ist ganz einfach. Immer der Straße nach.“ Was nicht zwangsläufig geradeaus meint oder dem Straßenverlauf zu folgen, sondern mehrfaches unbeschildertes Abbiegen erfordern kann und bestimmt ganz einfach ist, wenn man die Strecke kennt. Ansonsten muss man sich mit Hinweisen wie „bergauf“ oder „hinunter“ begnügen. Nach diversen Fehlversuchen in dem unglaublich engen Dorf mit dem entnervten Fahrer eines 7,5-Tonners versuchen uns schlussendlich mehrere Menschen unabhängig voneinander zu überzeugen, entgegengesetzt der Fahrtrichtung in eine Einbahnstraße zufahren, die nicht mehr Platz als für ein Fahrzeug bietet. Das gestaltet sich als schwierig, doch schließlich finden sich einige Chiantler, die die Straße für uns sperren, was völlig normal scheint, und wir finden den Ausweg aus dem Labyrinth.

Nach einigen Kilometern und vielen sehr steilen Serpentinen gelangen wir an den Mirador Cuchumatanes, der auch Mirador Juan Diéguez Olaverri heißt. Dieser Aussichtspunkt auf 3100 m Höhe bietet spektakuläre Blicke ins Tal, auf Huehuetenango, Chiantla und die umliegenden Vulkane. Der Ausblick ist dem guatemaltekischen Dichter J.D. Olaverri gewidmet, der 1864 nach einer gescheiterten Verschwörung gegen den damaligen Präsidenten nach Mexiko verbannt wurde. Im Exil schrieb er die Ode an seine geliebten Berge, die Cuchumatanes. Die neun Strophen des Gedichts sind auf kleinen Steinpyramiden verewigt.

Auf dem Weg nach unten fragen wir uns, wo wir unsere erste Nacht in Guatemala verbringen wollen. Offizielle Campingplätze gibt es so gut wie keine, und vor freiem Stehen wird in Mittelamerika abgeraten, da Armut Gewalt und Kriminalität fördert. In einem winzigen, an einen Hang gedrängten Bergdorf fragen wir nach Erlaubnis zum Campen. Ein Privatmann bietet sich an, doch sein Grundstück ist so schief, dass wir es nicht nutzen können. Der Platz um die Kirche scheint die einzige ebene Fläche im ganzen Ort zu sein. Wir warten, bis die Messe zu Ende ist, die anscheinend von einem Laienprediger gelesen wird. Ich frage ihn nach einem sicheren Platz zum Übernachten und ob wir nicht das Kirchengelände nutzen könnten. Er wägt ab, überlegt hin und her.

Man stelle sich die Situation vor: Vier Deutsche, erfüllt von Gerüchten über Raub und Überfälle in Guatemala und entsprechend verunsichert stehen vor einer Gemeinde, die noch weit mehr Angst hat vor den unbekannten Eindringlingen, den Fremden, die auch noch ein seltsam anmutendes Fahrzeug mitgebracht haben. Der Mann muss sich beraten und bittet um etwas Zeit. Er läuft zur einen Seite der Kirche und diskutiert, dann zu anderen. Nach Minuten kehrt er zurück und teilt mir würdevoll mit, dass wir die Erlaubnis zum Bleiben hätten. Ich bedanke mich überschwänglich, ein paar Leute beginnen zu klatschen, und plötzlich applaudiert die ganze Gemeinde.

Wir rangieren unsere Camper in einen schmalen Weg zwischen Kirche und Nebengebäude und sind kurz darauf umringt von Neugierigen. Gleich bündelweise hüpfen sie unsere steile Leiter empor und wieder hinunter, um unsere Kabine zu besichtigen; die 80jähige Oma genauso anmutig wie die Mutter, die mal eben noch ihr Baby auf dem Arm trägt. Wichtigstes Diskussionsthema ist der Gasherd, denn darauf könne man prima Tortillas backen – was sonst. Vor allem die älteren Frauen herzen und küssen mich und jeder benötigt ein Foto zusammen mit mir in der Kabine. Eine junge Dame mit einem modernen Handy betätigt sich als Fotografin. Gelegentlich liest man von Problemen, die Touristen beim ungefragten Fotografieren von Indígenas bekommen. Gebt ihnen einen Fotoapparat und schon knipsen sie uns! Dafür dürfen auch wir Bilder von ihnen machen. Der Laienprediger bekommt noch einen Stapel unserer Kugelschreiber für die Kinder, dann gehen alle nach Hause. Nur Minuten vergehen, bis einer der Männer mit einem handgeschriebenen Zettel zurückkommt: die „offizielle“ Genehmigung zum campen, ausgestellt von den drei Ratsmitgliedern und der Gemeinde. Da kann nichts mehr schiefgehen!

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