Thunder Bay, Ontario – Ein tapferer junger Held auf dem Trans Canada Highway

Je weiter nach westen wir fahren, desto teurer wird der Kraftstoff. Wenigstens ist der Diesel heute 12 Cent billiger als Benzin, manchmal ist Diesel sogar teurer als Normal. Der Tankwart berichtet mir, dass heute Nacht wieder jede Menge Elche auf der Straße gewesen sind. Die Mücken würden sie aus den Wäldern auf die Straße treiben. Das ist wohl der Grund, warum die meisten Trucker nachts rasten: Es ist einfach zu gefährlich.

Lissys Fahranweisung heute Morgen klingt ermunternd: „Biegen Sie in 474 km links ab.“ Und das auch nur, weil ich die Stadt Thunder Bay als nächstes Ziel eingegeben habe. Sonst könnten wir noch weiter geradeaus fahren. Bei einem Abstecher in einen Seitenweg um uns zu erleichtern entdecken wir ein makabres Endlager. Völlig verbeulte Lkw-Auflieger und Anhänger, die nach einem Zusammenstoß nicht mehr zu gebrauchen sind, werden hier deponiert. Ein paar verunfallte Pkw sind auch darunter. Besonders grausig ist eine Sattelzugmaschine, von der nur noch Chassis und Motor stehen. Das abgerissene Kabinenknäuel ist als solches nur daran zu erkennen, dass sie dieselbe Lackfarbe besitzt.

In einer trostlosen Kleinstadt mit dem deutschen Namen Schreiber gönnen wir uns einen Burger, schließlich ist Sonntagmittag. In dem Familienbetrieb müssen wir zwar eine halbe Stunde aufs Essen warten, dafür ist der Fleischklops handgeformt und die Pommes frisch frittiert. Eine gut gekleidete Vierergruppe Ausflügler kommt zur Tür herein, nachdem sie Arminius ausgiebig bewundert hat. Eine der Frauen umarmt mich spontan und gratuliert uns zu unserem Fahrzeug.

Der Trans Canada Highway führt uns weiter westwärts. Bis in die 1960er Jahre hinein gab es in Kanada keine durchgehende Ost-West-Verbindung aus asphaltierten Straßen. Der Autoverkehr zwischen den Provinzen erfolgte teilweise über die USA. Erst 1965 wurde das letzte Straßenstück asphaltiert, um bereits in den Regionen vorhandene Teilstücke zu verbinden. Seitdem führt der TCH von St. Johns auf Neufundland nach Victoria auf Vancouver Island. In manchen Gebieten gibt es sogar mehrere parallel laufende Zweige unter der Bezeichnung TCH. Die kürzeste Route durch die zehn kanadischen Provinzen ist knapp 7.400 km lang inkl. drei Fährstrecken.

83 km vor Thunder Bay trägt ein Teil des TCH den Namen Terry Fox Courage Highway. Terry Fox war ein bemerkenswerter junger Mann. Er wurde nur 22 jähre alt. Terry trug eine Prothese, seitdem er mit 18 Jahren aufgrund eines Krebsleidens ein Bein verloren hatte. Im April 1980 brach er in St. Johns zum Marathon of Hope auf, der ihn in Tagesetappen von 42 km über den gesamten TCH nach Vancouver Island führen sollte. Damit wollte er nicht nur Lebensmut demonstrieren, sondern auch Spenden für die Krebsforschung sammeln. Blieb sein Lauf anfangs unbeachtet, wurden die Medien mit der Zeit auf ihn aufmerksam und die Menschen feierten ihn auf den Straßen. Es kamen Gelder in Höhe von 24 Millionen Dollar zusammen. Nach 5.373 km in 143 Tagen musste Terry kurz vor Thunder Bay aufgeben. Wenig später starb er. Sein Leben wurde verfilmt und ihm wurden mehrere Denkmäler gesetzt, eines davon in Thunder Bay. Heute werden jährlich an den meisten Schulen und in vielen Orten kurze Terry-Fox-Läufe zugunsten der Krebshilfe abgehalten.

Ein kanadisches Gesetz untersagt das Mitführen geöffneter Behältnisse mit alkoholischen Getränken auf öffentlichen Straßen, als Fußgänger wie auch im Fahrgastraum eines Fahrzeugs. Da in Mitteleuropa vermutlich nicht viele Autofahrer auf die Idee kommen würden, mit einer offenen Bierbüchse am Steuer durch die Gegend zu fahren, mutet diese Vorschrift zunächst eigentümlich an. Nach unserer Erfahrung mit den Harleyfahrern beobachten wir ein weiteres seltsames Verhalten. Auf dem Picknickplatz, auf dem wir uns für die Nacht niedergelassen haben, fährt ein Pkw. Das Pärchen steigt aus, holt zwei Büchsen Bier aus dem Kofferraum, zischt sie innerhalb von Sekunden weg, entsorgt die leeren Dosen – trotz vorhandener Müllcontainer – mit einem gezielten Wurf im Wald und fährt davon. Zugegeben, im Allgemeinen wird nicht so schnell gefahren wie in Deutschland, die Verkehrsdichte ist längst nicht so hoch und ein gewisser Alkoholpegel wird am Steuer durchaus toleriert. Aber vielleicht birgt das Gesetzt doch mehr Sinn als auf den ersten Blick erkennbar.

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