Brandon, Manitoba – Hexenbesen auf Bäumen und Hutterer im Supermarkt

Stundenlanger, wolkenbruchartiger Regen ist in Mitteleuropa undenkbar. Es gießt immer noch wie aus Kannen, aber wir wollen uns heute Morgen nicht schon wieder vom Wetter von unserer Wanderung abhalten lassen. Bewaffnet mit Regenjacke und Regencape, wetterfester Hose und Gummistiefeln trapsen wir nach Spirit Sands. Kaum sind wir fertig angezogen, lässt der Regen nach. Immerhin helfen sie Sachen auch gegen den massiven Mückenangriff, der jetzt erfolgt. Anfangs sind die Sanddünen mit dichter Vegetation bedeckt. Doppelt so viel Regen jährlich wie in einer durchschnittlichen Wüste ermöglicht das Wachstum von Birken und Eichen, Fichten und Tannen, Espen und Giftefeu. Weniger angenehm für die Bäume ist eine Hexenbesen genannte schwärzliche Astverdickung, die hervorgerufen wird durch eine parasitäre, zur Gattung der Mistelgewächse gehörende Pflanze. Diese manipuliert den Hormonhaushalt ihres Wirts und zapft dessen Nährstofftransport an, was zu seiner Schwächung und oft zum Tod führt. Versuche, den Parasiten chemisch zu vernichten, waren zwar äußerst erfolgreich. Leider starb dabei der Wirtsbaum jedes Mal mit.

Wacholder gedeiht hier genau so wie Buschwindröschen, wilde Lilien und Orchideen. Nach und nach lichtet sich der Bewuchs, Gräser übernehmen die Hauptrolle. Endlich finden wir auch die Kakteen, die freundlicherweise Mitte Juni blühen. Die Ansammlungen kleiner grüner stachelbewehrter Kugeln mit rosaroten Blüten in der Mitte haben die Fähigkeit, Wasser in ihren dicken Körpern zu speichern. In normalen Sommern soll es 30° warm werden, der ausgetrocknete Sand hat dann bis zu 55°. Irgendwann verschwindet die Vegetation völlig. Geschickt angelegte, zum Teil mit einer Art dicken Leiter gesicherte Pfade führen über die Wanderdünen. Hier oben peitscht uns der Wind die Regentropfen wieder schmerzhaft ins Gesicht. Ein paar hundert Meter weiter hat die Natur ein neuerliches Kuriosum geschaffen. In einer kleinen Senke ist dank Oberflächenwassers ein dicht bewaldeter Hain entstanden. Hier stehen große alte Bäume wie sonst nirgends in Spirit Sands. Es ist so kühl und feucht, dass selbst Moose und Pilze wachsen. Auf den weichsandigen Wegen sind Wildwechsel gut zu erkennen. Tief eingedrückte Hufspuren von Hirschen fehlen ebenso wenig wie große Katzentatzen; ein Puma vielleicht. Kilometerweit führt der Trail durch die eigenartige Sandwüste, die vor 15.000 Jahren von einem großen Gletscherfluss geschaffen worden war, der an der Mündung in einen See das riesige, nun großteils bewachsene Sanddelta hinterlassen hatte.

Am Freitagnachmittag tun wir, was die meisten Kanadier tun: Wir gehen einkaufen. Der Supermarkt in Brandon verkörpert für mich das Multi-Kulti-Kanada, das ich erwartet habe. Statt zu shoppen könnte ich mich stundenlang hinsetzen und Menschen beobachten. Es gibt Schwarze und Weiße, Angehörige verschiedenster Stämme der First Nations und eine unerwartet große Anzahl Hutterer. Die Frauen sehen apart aus in ihren langen, dirndlähnlichen Kleidern und den Kopftüchern. Wie aus einem anderen Jahrhundert. Wenn da nicht das obligatorische Handy am Ohr wäre. Zwei der Männer in ihren schwarzen Hosen und den adretten gestreiften oder karierten Hemden sprechen mich an. Sie kommen von einem Bruderhof eine Stunde südlich von Brandon. Ihr Deutsch ist ausgezeichnet, wenn auch mit einem ungewohnten Akzent. Ursprünglich stammen sie aus Tirol, erfahre ich, und bis ihre Kinder mit fünf Jahren in eine englische Schule gehen sprechen sie tirolisch und deutsch. 110 Hutterer gebe es in ganz Manitoba. Da klingelt auch schon das Handy, die Schwester ruft, und sie müssen los – mit ihrem Auto, natürlich.

Den Mann am Saskatchewan Informationszentrum direkt am Trans Canada Highway beneide ich nicht um seinen Job. Er muss den Besuchern die öden Prärien schmackhaft machen. Allerdings versorgt er uns mit wertvollen Informationen, wo man durch kleine Umwege die Fahrt abwechslungsreicher gestalten kann. Er warnt uns außerdem, dass der Highway Nr. 1 kurz vor der Provinzgrenze nach Alberta momentan wegen Überflutung gesperrt ist. Der Regen hat auch Saskatchewan nicht verschont. Nicht nur wir versorgen uns mit Informationsmaterial, Francoise und Dominique kamen mit dem gleichen Anliegen. Die beiden Franzosen sind ebenfalls auf einer Weltreise. Mit einem Wohnmobil fahren sie durch ganz Amerika und über Buenos Aires und Nordafrika nach Frankreich zurück. Wir beschließen, die Nacht gemeinsam zu verbringen und noch ein paar Erlebnisse auszutauschen.

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